Hermann Löns
Der letzte Hansbur
Hermann Löns

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Der Blumengarten

Alle paar Tage pfiff der Wigelwagel am Toten Orte, sogar noch im Herbst.

»Weißt du, Göde«, sagte Miken eines Abends, »du mußt anders flötjen. Der Müller sagte gestern: Weiß der Deuker, daß der Wigelwagel noch nicht fort ist.«

Sie lachte und küßte ihn auf ihre verrückte Art. »Was für Stimmen kannst du noch? Das beste ist, am Tage machst du die Krähe, so ganz hell, mußt du wissen, wenn sie hinter dem Habicht her ist, und abends die Eule.« Sie machte den Mund auf und flötete: »Huhuu, huhuu, huhuu.«

Sie sah ihn mit ihren bunten Augen an, daß es ihm heiß über den Hals lief. »Ich glaube, du flötjest abends gar nicht. Um Uhre neun schläft auf der Mühle alles. Dann brauchst du bloß mein Kammerfenster aufzustoßen. Die anderen merken nichts, die schlafen alle nach vorne. Komm gleich heute abend!«

Göde kam. Er tat es nicht gern, aber er dachte daran, daß Miken um den Bock wußte. Heimlich stahl er sich aus dem Hause und heimlich stahl er sich wieder hinein.

»Junge, was hujahnst du in einem Ende?« fragte der Bauer, als sie bei der Morgenzeit saßen.

»Das kommt, weil daß er wächst«, sagte die Mutter und sah ihm nach, als er aufstand und dachte bei sich: »Bald ist er so lang, wie der Vater. Und ein ganz anderes Gesicht hatte er gekriegt. Ja, ja, aus Kindern werden Leute!«

Eines Morgens, als Göde einmal wieder übernächtigt auf dem Hofe stand und mit Meta sprach, sah er, daß sie nach seiner Schulter sah, ganz blaß wurde und wegging; auf seiner Achsel hing ein rotes Haar von Miken.

Meta ging ihm hinterher augenscheinlich aus dem Wege, und als sie ihm beim Frühstück gegenüber saß, sah er, daß sie rote Augen hatte. Er dachte aber nicht weiter darüber nach, denn sein Sinn war bei der anderen.

Bevor er am nächsten Morgen aber aus seiner Dönze ging, sah er erst seine Jacke nach, ob er nicht etwas mitgenommen habe vom Toten Ort, denn er hatte so das Gefühl, daß er sich vor Meta schämen müsse, wenn sie wüßte, mit wem er sich abgab.

Vor Meta nahm er sich überhaupt zusammen, mehr als vor Vater und Mutter. Das Mädchen hatte Augen wie eine Heilige, und wenn sie in der Sonne über den Hof ging, so leicht und so schnell, dann mußte er immer hinter ihr hersehen.

Meist war sie ernst und still, denn sie konnte es so leicht nicht vergessen, daß sie in drei Tagen Vater und Mutter hatte wegsterben sehen; wenn sie aber einmal lachte, dann war es, als wenn die Sonne in einen dunkelen Wald kam.

An einem Sonntagnachmittag, als Göde vom Lichteloher Kruge, wo er gekegelt hatte, nach Hause ging, um die Pferde zu füttern, hatte er eine große Unruhe in sich und dachte immer daran, daß es noch mehrere Stunden hin wären, ehe er bei Miken sein könnte. Aber dann trat ihm wieder Meta vor die Augen; er ging schneller und hatte dabei das Gefühl, als könne er die andere nicht mehr so gut leiden.

Wenn er sie sich genau besah, so war ihr Haar meist unordentlich und Löcher hatte sie wohl immer in den Strümpfen. Meta war nun schon einige Jahre auf dem Hehlenhofe und noch kein mal hatte er gesehen, daß ihr Haar wild oder sonst etwas an ihr nicht in der Reihe war. Sie sah immer aus, wie aus der Beilade genommen, und wenn sie auch beim Schweinefüttern war.

Es kam ihm lächerlich vor, wenn er sich denken sollte, daß Meta bei ihm im Busche längelangs auf dem Leibe liegen und an einem Reethalme kauen könnte, und es war ganz unmöglich, daß sie mit Küssen und Drücken den Anfang machen werde, wenn sie einmal eine Liebschaft hätte.

Eine Liebschaft! Er blieb stehen und sah über die Heide, die ganz grün von dem jungen Birkenlaub war.

Als er einmal in seiner Dönze war, hatte er gehört, was der Vater mit der Mutter redete: »Das Mädchen ist mir rein an das Herz gewachsen«, hatte der Vater gesagt; »ich wollte, sie bliebe auf dem Hofe.«

Die Mutter nickte: »Das ist ganz meine Meinung; eine bessere Bäuerin kriegt der Hehlenhof nicht. Ich habe man Angst, daß der Junge anderswo was hat; ich wüßte bloß nicht wo. Mit den Mädchen auf dem Hofe hat er nichts.«

Der Bauer hatte erst nichts gesagt, dann meinte er: »In den Jahren ist er. Aber wo sollte er etwas haben? Es kann ja auch sein, daß er im Dorfe einen Danzeschatz hat; aufgestoßen ist mir das aber noch nicht weiter. Aber wenn aus ihm und der Meta was wird, ich könnte keine größere Freude haben. Nach dem Alter passen sie gut zusammen und sonst stimmt auch alles.«

Göde ging weiter. Nein, er wollte heute nacht nicht nach der Mühle. Die Geschichte mußte ein Ende haben.

Er konnte heilsfroh sein, daß es bislang so gut abgelaufen war, denn wenn er sich denken sollte, daß er das rote Miken einmal freien müßte, nein, das war keine Möglichkeit. Die als Bäuerin da, wo seine Mutter war, das ging nicht.

Da hörte ein Mädchen von einem großen Hofe hin, nicht so eine wie Miken, die das Magdsdenken nicht verlernen konnte, und die nur dann arbeitete, wenn sie mit Schimpfen dazu gekriegt wurde.

Ihm war zu Mute, als habe er sich weggeschmissen, vorzüglich, wenn er daran dachte, wie vertraut die anderen Jungens mit ihr auf dem Tanzboden taten, sogar die Dragoner, die im Dorfe im Quartier lagen.

Er klopfte seine Pfeife aus; sie wollte ihm mit einmal nicht mehr schmecken. »Morgen darfst du nicht kommen«, hatte sie ihm neulich gesagt, »morgen haben wir lange zu tun.«

Das war in der letzten Zeit öfter vorgekommen. Da steckte etwas hinter. Und wenn er es so recht besah, bald wollte sie dies und bald das, heute Haubenspitze und morgen ein Fürtuch, und neulich hatte sie davon gesprochen, was Lischen Tünnermann für eine glatte Brustnadel habe.

Es war ihm ja nicht um das Geld, aber es kam ihm doch wunderlich vor. Und jetzt fiel es ihm ein, das Brusttuch, das sie das letzte Mal in der Kirche umgehabt hatte, das hatte Krischan Holtmann für zwei Taler beim Krämer erstanden, just als Göde Balkennägel geholt hatte. Er mußte rein blind gewesen sein die ganze Zeit. Nun wollte er aber auch von dem Allermannslottchen nichts mehr wissen.

Er ging noch schneller; er wußte, daß außer Meta niemand auf dem Hofe war, denn Vater und Mutter waren zur Freundschaft gefahren und die Leute waren im Dorfe.

Es war kirchenstill auf dem Hofe, als er über das Stegel stieg. Die Maisonne fiel durch das frische Eichenlaub, die Bienen waren im Gange, der Wigelwagel flötete und das Schwarzplättchen sang.

Göde schüttelte den Pferden Futter auf und gab ihnen zu trinken. Grade zog er die Stalljacke aus, da war es ihm, als wenn er einen Gesang hörte. Er trat aus dem Stall und hörte, daß es Meta war.

Er hatte sie nur wenig vor sich hinsingen hören und immer ganz leise und bloß, wenn sie allein war. Heute aber war ihre Stimme klar.

Sie kam aus dem Blumengarten hinter dem Hause und das Lied, das sie sang, war ein Lied, das die kleinen Mädchen beim Spielen singen. Hell kam es über den Hof und Göde fühlte, wie sein Herz unruhig wurde.

Er ging nach dem Blumengarten und sah Meta bei den weißen Lilien stehen, die seiner Mutter die liebsten Blumen waren. Sie stand da und las die roten Käfer ab und ihr Haar leuchtete in der Sonne.

Göde wurde benaud zu Mute, als er sie so stehen sah, so frisch und sauber und so ruhig und bedachtsam.

Der Gartenweg war ganz mit grünem Moose bewachsen, und so vernahm sie es nicht, als er hinter sie kam, und erst als er den Arm um sie legte und sagte: »Na, Meta, ganz allein?« fuhr sie zusammen und wurde ganz rot im Nacken. Aber als sie sich umdrehte, war sie schon wieder wie sonst, nur daß ihre Augen noch blauer waren als gewöhnlich.

Sie lächelte ihn an und fragte: »Willst du nicht wieder in den Krug?«

Er drückte sie noch fester an sich: »Nein, Meta, ich will hier bleiben«, und dabei atmete er schwer.

»Komm«, sagte er dann, als er sah, wie ihr Brusttuch auf und ab ging, und sie bald rot, bald weiß im Gesichte wurde, und zog sie auf die grüne Bank.

Eine Weile saßen sie schweigend da, bis Meta sagte: »Das Moos muß auch mal weg. Es sieht so nüdlich aus, aber es hält das Wasser zu lange.«

Er hatte seine Hand auf ihrem Knie liegen und sie lachte: »Was du für eine Hand hast, Göde, als wie ein Heidbrink

Er lachte auch und sagte: »Ja, deine sieht dagegen aus, wie das Kalb neben der Kuh. Aber arbeiten kann sie deswegen doch.«

Meta sprang auf. »Ich dachte, es wäre einer auf der Diele gegangen.«

Als sie sich wieder neben ihn setzen wollte, faßte er sie um, zog sie auf den Schoß, schlug seine Arme um sie und küßte sie ein über das andere mal, bis ihr der Kopf hintenüberfiel und sie stöhnte: »Göde, Göde, nicht so wild; mir geht ja ganz der Atem weg. Und wie ich wohl am Kopfe aussehe!«

Er aber lachte: »Fein siehst du aus, Meta; du siehst immer fein aus. Keine sieht so glatt aus als wie du«, und dann fing er wieder an, sie zu drücken und zu küssen, bis ihr mit einem Male die Augen überliefen und sie ihn umfaßte und ihm einen schnellen Kuß gab, der sein Blut ganz wild machte. Und dann sprang sie auf und ging in das Haus.

Göde ging ihr nach und fand sie vor der Eimerbank stehen und aus der Schöpfkelle trinken. »Bist du auch so durstig?« fragte er lachend; »ich auch!«

Sie hielt ihm die Kelle hin und er trank. Aber dann faßte er sie wieder um, küßte sie und flüsterte: »Ach Meta, meine Meta. Du glaubst gar nicht, wie gern ich dich habe. Hast du mich auch so gern?«

Sie sah ihn mit hellen Augen an. Dann fiel sie ihm um den Hals und ließ sich von ihm küssen und lag an seiner Brust ohne eigenen Willen, und er fühlte, wie ihr Herz klopfte.

Sie fuhren auseinander; draußen gingen Schritte. Der Bauer und die Bäuerin kamen zurück.

»Sieh, habt ihr beide das Haus gehütet«, fragte die Mutter über die Halbtüre; »das ist ja mal nett. Ich dachte schon, du wärest wieder im Kruge, Göde.«

Hehlmann sagte nichts, aber als seine Frau ihn schnell von der Seite ansah, wußte sie, daß er ebensoviel gesehen hatte, wie sie, und froh darüber war.

»Ich habe gerade die Pferde gefüttert«, sagte ihr Sohn; »der Fuchs will immer noch nicht so recht fressen. Wo ist denn der Wagen?«

»Der fährt den Pastor nach Ohlendörpe«, antwortete der Bauer. »Er ist zu Meyers gerufen, die Altmutter ist schwer krank geworden; wir trafen ihn gerade, als er auf dem Steinbrink war. Dem alten Mann wird der Weg hin und her zu weit.«

Beim Abendbrot sah Meta nicht einmal auf, und als Göde sie anredete, wurde sie über und über rot.

»Du, Mutter«, sagte der Bauer, als er im Bette lag und dabei stieß er seine Frau an, »ich glaube, ich glaube, wir sind ein büßchen zu früh gekommen.«

Die Bäuerin schmusterte: »Na wenn sie sich erst beim Kopfe haben, das andere findet sich. Der Anfang ist das schwerste. Du warst zuerst auch so ein Stoffel.«

Hehlmann lachte: »Ja, Detta, so dumm als wie ich, wird der Junge sich wohl nicht anstellen.«

Er schob sich näher an sie heran: »Weißt du noch damals?«

Die Bäuerin lachte unter der Bettdecke: »Schweig bloß still; ich schäme mich heute noch halb tot, wenn ich daran denke. Jochen, was willst du«, wehrte sie halb ab, als ihr Mann den Arm unter ihren Hals schob, »wir sind doch reichlich alt genug für solche Dummheiten. Wenn das die Kinder wüßten!«

Der Bauer sagte: »Mai ist Mai. Und wer weiß, was die jetzt tun.«

Aber Meta lag mit großen Augen in ihrem Bette; sie hatte die Hände gefaltet und dachte weiter nichts, als: »Gott, o Gott, wie gern ich ihn habe!«

Nebenan in der Dönze warf sich Göde in seinem Bette hin und her und wußte nicht, wo er den Schlaf hernehmen sollte.

Er überlegte, ob er bei Meta anklopfen solle, aber er scheute sich davor, und so lag er mit offenen Augen da, drehte sich von einer Seite auf die andere und hörte immer das Lied, das sie im Blumengarten gesungen hatte:

Ick set woll up den Breedensteen
Un harr min Ogen so recht beweent.
De annern Dirns kregen all 'n Mann
Un ick müß sitten und seg dat an.
Ick müß min Hoor up den Puckel slahn
Un noch en Jahr as Jumfer gahn.

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