Hermann Löns
Der letzte Hansbur
Hermann Löns

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Die Eule

Zwei Heimlichkeiten waren von diesem Maitage an auf dem Hofe.

»Hier ist eine geheime Braut im Hause«, sagte die Großmagd eines Abends zu der Bäuerin; »es brennen drei Lampen.«

Dann wies sie auf ein großes Spinnennetz an der Dönzenwand: »Das große Brautlaken ist da auch schon.«

Die Bäuerin lachte: »Das wirst du wohl wesen, Durtjen. Oder will Hermen nicht so, wie er soll?« Die Magd lachte: »Ach, der Fullax!«

Meta hörte durch die offene Dönzentür das Gespräch und als sie in den Spiegel sah, sah sie, daß ihr das Blut im Gesicht stand.

»Mädchen, du wirst von Tag zu Tag hübscher«, hatte vor ein paar Tagen der Rittmeister gesagt, als er sie in der Heide antraf.

»Wahr ist es«, dachte das Mädchen und sah noch einmal in den Spiegel. Ein Wunder war es ja auch nicht. Es war zu schön, wenn immer, wo sie auch war, Göde hinter ihr stand und sie in den Arm nahm.

Aber Göde gefiel ihr nicht; er sah meist etwas laurig aus und sah sie an, als wenn er etwas sagen wollte und könnte es nicht herausbringen.

Sie nahm sich vor, ihn einmal zu fragen, was ihm fehle.

Aber noch eine andere Heimlichkeit war im Hause. Als der Juli kam, ging der Bauer mit seiner Frau an einem Sonntage durch das Feld und trieb seinen Roggen an.

»Es ist eine wahre Pracht, wie dieses Jahr alles wächst. Das machen die Maigewitter. Mairegen bringt Wachstum.«

»Was hast du, Mutter?« fragte er dann, denn als er sich umdrehte, sah er, daß sie heimlich lachte und bis in das Haar rot wurde.«Worüber lachst du?« fragte er noch einmal.

Aber sie lächelte nur und sah fort: »Nichts«, sagte sie, »mir fiel bloß was ein.«

Als sie aber abends neben ihm lag, schob sie sich nahe an ihn heran und sagte leise: »Jochen, ich muß dir was sagen.«

Er faßte ihre Hand, denn sie sprach so schüchtern und verwundert fragte er: »Na, Dirn, was hast du denn? Ist dir nicht gut?«

Sie zog seinen Kopf an sich heran und flüsterte: »Mußt's aber auch keinem wiedersagen, Jochen, ich schäm' mich sonst tot. Weißt du noch den Maiabend, als wir die Kinder antrafen, wie sie sich umgefaßt hatten?«

Er richtete sich auf. »Ist da was fällig? Ein Unglück wäre das ja auch nicht.«

Sie schüttelte den Kopf und sprach noch leiser: »Ach nee, Jochen, da nicht, aber bei uns.«

Er lachte: »Kiek, sieh, junge Frau, also auf die Art! Ja, wer A gesagt hat, muß B sagen. Na, dann hilft das nicht. Und auf dem Hansburhofe ist ja wohl noch Platz für ein zweites Kind. Man schade, daß es sich so versäumt hat, es konnte getrost ein Jahrzehner eher kommen.«

»Sag' mal, du weinst doch nicht?« fragte er dann; »denke ja nicht, daß es mir nicht recht ist. Es ist mir nur noch so ungewohnt.«

Zärtlich wischte er ihr mit der Hand über die Augen und als sie immer mehr an zu weinen fing, nahm er sie in den Arm und tröstete sie, wie ein Vater sein Kind.

Am andern Morgen aber, als er über den Hof ging, flötete er das Brummelbeerlied. Die Großmagd sagte zum Großknecht:

»Was hat denn der Bauer? Den habe ich ja meinen Tag noch nicht flötjen hören!«

Der Großknecht aber brummte: »Soll er dich erst um Verlaubnis fragen?«

Als die Roggenernte vorbei war, stand Meta eines Sonntags früh bei der Bäuerin im Flett, als die Frau auf einmal weiß wie die Wand wurde, so daß das Mädchen schnell zusprang, sie umfaßte, ihr zum Stuhl hinhalf und ihr ein Glas Wasser gab.

Die Bäuerin erholte sich schnell und als Meta ihr den kalten Schweiß von der Stirn wischte, zog sie sie herunter und gab ihr einen Kuß auf die Backe. Meta wunderte sich, sagte aber nichts.

Nachmittags saß sie mit der Bäuerin im Blumengarten. Meta freute sich, daß die Tante wieder gut aussah. Nach einer Weile fing die Frau an:

»Sag' mal, Meta, was hast du dir eigentlich gedacht heute morgen, als mir das zustieß?«

Das Mädchen lachte: »Gar nichts, Tante, das kann ja wohl mal bei jedem kommen.«

Die Frau seufzte: »Einmal mußt du es ja doch wissen, darum will ich es dir lieber gleich sagen, aber behalte es für dich. Beim Grummet kann ich nicht mithelfen, weil ich nicht auf freien Füßen bin, und du weißt, große Hitze vertrage ich so schon schlecht.«

Meta faßte ihre Hand und drückte sie: »Ach Tante, das ist ja schön. Bloß ein Kind, das ist auch viel zu wenig für einen großen Hof. Freust du dich denn nicht? So spät, das ist doch ein doppeltes Gottesgeschenk!«

Frau Hehlmann lachte auf einmal laut auf, faßte Meta um die Schultern, drehte ihr den Kopf herum und fragte: »Weißt du, was der Bauer gesagt hat, als ich ihm sagte, daß hier im Hause was fällig ist?«

Sie sah dem Mädchen lustig in die Augen, zog ihren Kopf ganz dicht an sich heran und flüsterte ihr ins Ohr:

»Er meinte, ich hätte dich und Göde im Sinne gehabt.« Und dann lachte sie ganz unbändig.

»Tante«, schrie das Mädchen und sprang auf, über und über rot; Tränen standen ihr in den Augen.

Die Bäuerin ließ ihre Hand nicht los, sondern zog sie wieder neben sich, nahm sie in den Arm und sprach leise auf sie ein: »Na, daß du und Göde einig seid, das kann doch ein Blinder mit dem Stocke fühlen. Umsonst würd'st du nicht von Tag zu Tag hübscher. Früher warst du man so'n Hering, aber jetzt bist du ganz komplett. Na, uns ist es recht; eine bessere Tochter wünschen wir uns gar nicht. Ein büßchen jung seid ihr ja noch, aber das gibt sich eher, als einem lieb ist. Also, wie ist es mit euch?«

Das Mädchen legte ihren Kopf an die Schulter der Frau und sagte:

»Ach ja, Tante, wir sind uns von Herzen gut.«

Die Bäuerin streichelte ihr die Backen: »Das ist schön, meine Tochter.« Dann sah sie ihr listig in die Augen und sagte: »Na und? Dann müssen wir ja wohl eine neue Wiege machen lassen, denn eine haben wir man. Na, na, schämen brauchst du dich nicht. Was der Pastor auch redet, das ist sicher: zur Eingehung einer christlichen Ehe reicht der feste Wille aus. Das hat Luther gesagt. Göde war auch schon drei Monate nach der Hochzeit da.«

»Was hast du denn?« fragte sie ängstlich, als das Mädchen weiß und rot durcheinander wurde und ihm der Atem hin und her ging; »nun mal heraus mit der Sprache? So schlimm wird es doch wohl nicht sein, daß du zu liegen kommst, ehe du den Brautschatz fertig hast?«

Meta seufzte tief auf. »Nein, Tante, es ist, es ist nicht an dem. Ich bin nicht anders, als ich aus der Schule kam.«

Die Bäuerin machte runde Augen: »Also auf diese Art! Darum sieht der Junge so laurig aus. Was ist denn das für ein Werk? Traut er sich nicht oder was ist sonst?«

Sie setzte an, als ob sie noch etwas sagen wollte, aber dann sagte sie nur: »Stell die Tassen hin und ruf die Mannsleute zum Kaffee, Meta!«

Nach dem Kaffee fragte sie: »Na, Göde, willst du nicht nach Plesse hin, da ist heute Erntebier?«

Göde machte eine krause Stirn: »Ach nee, was soll ich da?«

Seine Mutter lachte: »Hat einer schon so was gehört? Was er da soll? Tanzen sollst du und lustig sein, alter Sauerpott! Siehst überhaupt jetzt meist als so'n Trankrüsel aus. Steck dir die Taschen voll Taler und laß die Musiker spielen, bis ihnen die Arme runterfallen, und trinke eine Buddel Wein, daß du auf andere Gedanken kommst! Und nimm Meta mit, der tut es auch mal gut, wenn sie unter die Leute kommt. Ihr werdet mir sonst hier auf dem Hofe noch so krumm und schief wie die Machangeln auf der Heide. Meta, du gehst doch gern mit? Oder nicht?«

Das Mädchen stand vor dem Fenster und bückte sich, als wenn sie etwas verloren hätte, damit keiner sehen sollte, wie sie im Gesicht aussah.

»Wenn du meinst, Tante«, sagte sie dann.

»Dirn, das hört sich ja an, als wollte ich dir zumuten, du solltest heute am heiligen Sonntag den Schweinestall ausmisten«, rief die Bäuerin lachend. »Nu, macht man hille, zieht euch an und denn zu! Als ich noch Mädchen war, brauchte mich keiner zum Tanzen zu zwingen. Ich glaube, heute noch nicht!«

Und dann lachte sie verlegen, denn Meta hatte ihr ein paar Augen gemacht, als wenn sie sagen wollte: »Wenn du nicht gleich aufhörst, dann sage ich, was ich weiß!«

Als die beiden jungen Leute auf dem Plessenhofe ankamen, war der Tanz schon im Gange und vor all dem Schurren und Juchen und Mitsingen konnte man kaum die Musik hören.

Es gab ein großes Hallo, als Göde mit Meta ankam, denn Göde machte sich seit dem Mai rar und Meta war ein seltener Vogel auf Tanzefesten, trotzdem sie besser tanzen konnte als die meisten Mädchen.

Aber heute konnte sie gar nicht zugange kommen, weil ihr unfrei zu Sinne war, und Göde ging es auch so, und so setzten sie sich in die Dönze und tranken ein paar Glas Wein.

Danach wurde ihnen leichter zu Mute. Göde warf den Musikanten einen Taler hin und bestellte einen Bunten, und hinterher einen Kontrazweitritt, und als sie erst einmal im Gange waren, kamen sie aus dem Tanzen nicht mehr heraus und sogar Meta sang die Tanzlieder mit und trank mit Göde aus einem Glase den Muskateller.

Es war schon Nacht, als sie nach Hause gingen. Der halbe Mond stand am hellen Himmel, an dem alle Sterne versammelt waren. Die Luft war weich und warm und kein Lüftchen rührte sich.

Eng aneinandergedrückt gingen die beiden Liebesleute über die Heide, einer den Arm um die Lenden des anderen und die Hände ineinander.

Lange sprachen sie nichts, bis Meta sagte: »Wie schön war es heute und wie schön ist es noch!«

Göde drückte sie noch fester an sich und sagte: »Und wird noch schöner werden, Meta«, und voller Freuden fühlte er, wie sie ihren Kopf noch mehr gegen seine Schulter lehnte.

Schweigend gingen sie weiter; Göde streichelte ihre Hand und flüsterte ab und an: »Meta, meine liebe Meta!« Weiter konnte er nichts sagen.

Ein Rehbock, der Wind von ihnen bekommen hatte, schreckte laut. Das Mädchen fuhr zusammen.

»Ein Segen, daß du bei mir bist, Göde, was hätte ich mich sonst verjagt. Letzte Nacht, als die Eule so losprahlte, bekam ich es mit der kalten Angst.«

Göde streichelte ihr die Backen: »Bei der diesigen Luft wird die Eule heute nacht wohl wieder den Hals aufreißen. Da ist es wohl besser, ich komme in deine Kammer mit, damit du dich nicht wieder so verjagst. Soll ich, Meta?«

Das Mädchen legte den Kopf gegen seine Brust und nickte.

Da faßte er sie um und küßte sie, daß sie stöhnte und sagte nur: »Meta!«

Und von da ab trug er sie mehr als daß sie ging, denn ihr war, als wenn sie keine Kraft in den Beinen hätte.

Als er am andern Tage zur Morgenzeit kam, sah seine Mutter mit einem Blick, daß er anders war als am Tage vorher. Als sie dann nachher Meta allein in der Dönze traf, nahm sie sie in den Arm, gab ihr einen Kuß und sagte: »Hör' mal, wie der Junge heute flötjet! Das hat er seit Wochen nicht getan.«

Göde aber ging über den Hof, hatte blanke Augen und ein schieres Gesicht, wie lange nicht, und flötete wie ein Scherenschleifer den Walzer, den er gestern mit Meta getanzt hatte.

Die Großmagd sagte zu dem Großknecht: »Hermen, hör bloß, was er flötjet!«

Dann sang sie leise die Tanzweise vor sich hin, denn sie war gestern mit dem Großknecht auch bei Plesses gewesen und wußte nun, wer die heimliche Braut im Hause war.

Der Großknecht aber brummte nur so vor sich hin, denn das Lied, das die Magd sang, lautete:

Eija, poleija, wo weihet de Wind!
Achter usen Hus' dor stünn so'n grot Ding,
Harr sunn' langen Snawel un harr sunn' lange Been,
Heff in min Leewen sunn' Dings noch nich sehn.

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