Hermann Löns
Der letzte Hansbur
Hermann Löns

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Der Blaurand

Ostern ging Anna; sie sah wie die Wand aus, als sie der Bäuerin die Hand gab.

Als das Mädchen aufsagte, meinte die Frau zu dem Bauern, ohne aufzusehen: »Sie wird uns schwer abgehen, so fix wie sie bei der Arbeit war.«

Er aber wandte sich ab: »Es gibt mehr Mädchen, die arbeiten können. Wer fort will, den soll man nicht halten.«

Er hatte seit jenem Morgen nicht mehr als das Nötigste mit ihr gesprochen.

Acht Tage, nachdem sie fort war, ging Hehlmann durch das Dorf. Als er an dem braunen Roß meist vorbei war, rief ihn der Wirt herein: »Weißt du schon, daß der junge Herr vom Gute sich umgebracht hat?«

Der Bauer fuhr zurück: »Wolf?«

Der Wirt nickte: »Müller Prasuhn hat es eben erzählt; er hat es gestern in Celle gehört. Es soll um das rote Miken gekommen sein. Mit der hat er es immer noch gehalten, auch nachdem er schon befreit war, oder vielmehr das Frauensmensch hat ihn nicht losgelassen, seitdem er zu Gelde gekommen war, und da hat sie ihm irgend eine Schweinerei gemacht. Schade, es war so ein freundlicher Mann! Zuletzt sah er ja meist was still aus.«

Abends sah Trina ihren Mann immer von der Seite an, aber fragen mochte sie nicht, denn sie glaubte, er bange sich um Anna. Schließlich kam er von selber mit der Sprache heraus und als wenn er zu sich selber redete, sprach er vor sich hin, indem er in das Feuer sah: »Das kommt von den Heimlichkeiten; ein verheirateter Kerl muß klare Bahn um sich haben, sonst tut das kein gut.«

Von da ab sah ihm die Bäuerin wieder in die Augen und brachte es fertig, ihm die Kinder zu bringen und sich dicht bei ihn zu stellen, wenn er mit ihnen spielte, und so wurde es bei kleinem zwischen ihm und ihr halbwege richtig.

Aber auch nur halbwege, denn die Liebe fehlte und das Vertrauen. Hehlmann konnte es sich gut denken, daß er Meta sein Herz ausschütten konnte, aber bei Trina brachte er es nicht fertig. So blieb er im Grunde ganz für sich und war ärmer als der ärmste Knecht.

In der hillen Zeit merkte er davon wenig, wenn die Arbeit aber nachließ, kam die Unruhe wieder über ihn und dann blieb ihm nichts übrig, als zu trinken.

Da er Kräfte hatte wie ein Bär, so vertrug er einen gehörigen Stiefel voll, aber unglücklich, wie er sich fühlte, vergiftete ihm das Bier und der Schnaps das Geblüt und wenn er seine Ladung hatte, dann stieg ihm der Ekel über sich selber hoch, oder es schlug alles bei ihm um und dann warf er mit dem Gelde um sich und spielte bis in den hellichten Morgen.

Am anderen Tage war ihm dann zumute, als müsse er sich in die Erde verkriechen und ihm wurde nicht eher besser, als bis er von neuem hinter dem Blaurand saß.

Er hatte sein eigenes Schnapsglas im alten Kruge, einen gefährlich großen Wachtmeister mit doppeltem Blaurand und drei blanken Perlen im Fuße, der so dick war, daß schon eine Faust, wie der Hansbur sie hatte, dazu gehörte, daß er darin Platz fand. Dieses Ungetüm von Glas stand auf dem Bört über dem Tische, an dem er immer saß und kein anderer durfte daraus trinken.

Ebenso hatte er seinen eigenen Krug, auf dem zwischen zwei Palmblättern zu lesen stand: Liebe mich allein oder lasse ganz es sein.

An einem schmählich kalten Dezemberabend war er nach der kalten Flage gegangen, um auf Sauen zu passen. Wenn er sich aus der Jagd auch nicht so viel mehr machte als vordem, er brachte doch den Abend damit hin, denn es war ihm schrecklich, zu Hause zu sitzen und nichts zu sagen; denn außer über alltägliche Sachen kam er mit der Bäuerin nicht in das Gespräch, weil sie keinen Verstand für seine Art hatte. Wenn sie sich auch noch so viel Mühe gab, sie blieb eine Kordes und dachte nicht weiter, als über eine Kätnerstelle hinaus.

So saß er denn in seinem Anstandsloche und sah auf den Schnee, bis es ihm bunt vor den Augen wurde. Ihn fror, denn der Wind kam scharf von Morgen und um sich warm zu machen, nahm er ab und zu einen Schluck.

Mit der Zeit wurde es ihm aber zu viel mit der Kälte und da sich der Wind auch gedreht hatte, so hatte es keinen Zweck, daß er weiter auf die Sauen paßte, und deshalb ging er nach dem alten Kruge; da saß schon der wilde Meyer, der rote Schmidt und der Müller.

Sowie er in die Tür trat, sprang der wilde Meyer auf und hielt eine Rede auf Hehlmann und dann brachte er ihm ein Horüdho nach alter Art aus, daß ihm das Maul schäumte, und die anderen, die alle Jäger waren, gaben Hals wie eine vollzählige Meute.

»Jetzt wird es erst lustig«, schrie der rote Schmidt, »jetzt wird Hatten Lena gespielt, daß die Heide wackelt.«

Das war ein Kartenspiel, bei dem in einem fort gesungen wurde: »Hatten Lena mit de Newelkapp, kiek mal to'n Finster rut, mak apen mal din Etelschapp, min Magen bellt ganz lut; un wenn du noch wat ower hest, so lang man her den lesten Rest, Hatten Lena mit de Newelkapp, kiek mal to'n Finster rut.«

Auf dem Tische stand eine Flasche oder ein Krug, je nachdem, was getrunken wurde, und da waren mit Kreide Striche angemacht, und wer verspielte, mußte bis zu dem nächsten Striche trinken und ein Stück Geld in die Pinke schmeißen.

Na, das ging dann nun los und es traf sich, daß Hehlmann fünfmal hintereinander trinken mußte. Sie tranken aber Grog nach dem Rezept vom roten Schmidt: viel Rum mit'm lütjen Schuß Wasser. So kam denn ein großmächtiger Glasstiefel auf den Tisch und es dauerte nicht lange, da hatten sie alle Köpfe wie Legehühner, vorzüglich der Hansbur, der sich in der kalten Flage verkühlt hatte und bei dem der Grog ein doppeltes Loch riß.

Als der Stiefel leer war, schrie der rote Schmidt, der mit Getreide handelte: »Auf einem Bein kann man nicht stehen, außer wenn 'n Adebar ist«, und ein neuer Stiefel kam. Als der ledig war, hieß es: »Aller guten Dinge sind drei«, und der Krüger füllte von frischem auf.

Es war schon bei elfe, da tat sich die Tür auf und der Sägemüller Vodegel kam herein, derselbe Vodegel, der in der Vormittagsschule Hehlmann eins hinter die Ohren geschlagen hatte, als sie noch Jungens waren, und auf den dieser immer noch einen Haß hatte, weil er die Ohrfeige behalten mußte.

Vodegel hatte auch einen sitzen, denn er hatte im braunen Roß eine Wette mit vertrinken helfen, und dann stach ihn der Haber, so daß er seine Boshaftigkeit nicht bezähmen konnte.

Gerade weil er wußte, daß Hehlmann so eigen mit dem Glase und dem Kruge war, langte er sich den Blaurand und den Krug von dem Bört, schenkte sich einen Schnaps und Bier ein und prostete die Gesellschaft an.

»Kannst du nicht ein anderes Glas nehmen? Du weißt doch, daß das meins ist!« rief der Hansbur ihm zu.

»Nanu, stell dich doch nicht so gefährlich an«, antwortete der Sägemüller, »das schadet dem Glase nicht und dir nicht.«

Der Bauer bekam einen roten Kopf. »Ich sage, du stellst das Glas hin, ich trinke nicht mit jedwedem aus einem Glase!«

Vodegel zeigte auf den Stiefel: »So, wohl bloß Grog?«

»Das kann ich machen, wie ich lustig bin. Setz' das Glas hin!«

»Das Glas ist dem Wirt, meine ich, und überhaupt, befehlen lasse ich mir von dir nicht.«

Damit setzte er das Glas an den Mund, aber ehe er zum Trinken kam, schlug ihm der Hansbur das Glas in die Zähne, daß Vodegel längelangs auf den Estrich fiel.

Er stand aber gleich auf, wischte sich das Blut von dem Munde und ging hinaus.

Mit der Gemütlichkeit war es vorbei. Die anderen sagten nichts, denn Hehlmann sah zu gefährlich aus, und als der Müller aufstand, gingen sie alle.

Als der Hansbur allein war, lachte er vor sich hin; nun hatte er die Ohrfeige bezahlt.

Je länger er aber ging, um so mehr schlug es in ihm um, denn die scharfe Luft und der Grog hatten ihn zwischen sich und als er in der Heide war, wo die Fuhren so schwarz im Schnee standen, war ihm hundeelend zumute.

Wie ein Stromer hatte er sich benommen; ohne Not hatte er zugeschlagen, und einen Mann, der ihm an Kräften weit nachstand. Und dann sah er sich da sitzen und saufen und bölken wie ein Stück Vieh, und es ekelte ihn so, daß er nach seinem eigenen Schatten spuckte.

Da sah er, daß er das Gewehr bei sich hatte; es wurde ihm schwarz vor den Augen, er nahm es von der Schulter, zog den Hahn über, stellte den Kolben in den Schnee, hielt die Mündung gegen seinen Schlaf und riß mit der Stockzwinge den Abzug durch.

Nun war auf dem Hehlenhofe ein Hund, der hieß Widu und hing sehr an dem Bauern. Der hatte die Hasen aus dem Futterkohl gebracht, und als er zurücklief, kam er unter dem Winde da vorbei, wo Hehlmann lag.

Er lief hin, roch an ihm herum, und als er das Blut spürte, heulte er los und lief so schnell wie er konnte nach dem Hofe und bellte den Knecht heraus.

Der verwies ihm erst das Bellen, als der Hund sich aber immer gefährlicher anstellte, ging er hinter ihm her und fand den Bauern im Schnee liegen. Er ging zurück, weckte die anderen Knechte und auf einer Wagenleiter trugen sie den Bauern in das Haus.

Als sie ihn wuschen, kam Hehlmann wieder zu sich; er hatte nur einen Prellschuß über dem linken Auge. Er ließ sich verbinden und schlief bis in den hellichten Tag hinein.

Als er sich vermuntert hatte, fiel ihm nach und nach alles ein, was sich begeben hatte, und er wünschte sich, daß er besser getroffen hätte, so schämte er sich, obzwar die Bäuerin und die Leute an ein Unglück glaubten und nicht daran dachten, daß er Hand an sich gelegt hatte.

Nachmittags kam der Vorsteher und fragte, wie das mit der Schlägerei gekommen sei. »Der Sägemüller will dich verklagen, Hansbur«, sagte er; »er hat ein Maul wie ein Baumaffe!«

Vodegel klagte nicht; es war Bauernmal abgehalten und folgender Spruch gefunden: »Der Sägemüller hat die Hauptschuld, dieweil er angefangen hat. Einen Leibesschaden von Bedeutung hat er nicht davongetragen. Item: es ist keine Ursache, das Gericht in das Dorf zu ziehen.«

Aus dieser Gefahr war der Hansbur also heraus; um so schlimmer ging er mit sich selbst zu Gerichte.

Er sah seine Fäuste an; hätte er Vodegel so getroffen, wie er es vorhatte, dann lebte der nicht mehr, und weshalb? um ein lumpiges Schnapsglas! Wer war daran schuld? Der Grog! Weswegen hätte er beinahe Schimpf und Schande auf seinen Namen gebracht, wenn er die letzte Nacht das Gewehr anders gehalten hätte? Weil er angetrunken war! Warum quälten Trina und er sich miteinander hin? Weil er damals beim Trinken nicht hatte Maß halten können.

Es war ein Sonntag; der Wind trug das Kirchenläuten heran. Heute war die Reihe an ihm und der Bäuerin, zur Kirche zu gehen; aber so, wie er aussah, konnte er dem Pastor nicht unter die Augen gehen. Eine Schande war es für einen ausgewachsenen Mann, sich so aufzuführen.

So dachte er, und als er allein war, schlug er die Beilade auf, um die Bibel herauszulangen. Die Bibel war nicht da; die Bäuerin las jetzt oft darin. Aber das Hausbuch lag da und das nahm er sich und setzte sich damit in den Backenstuhl hinter den Ofen.

Er hatte es bislang bloß in die Hand genommen, um die Todestage der Eltern, seinen Hochzeitstag und die Geburt der Kinder einzuschreiben; jetzt las er es von oben bis unten und immer mehr wurde es ihm sichtbar, daß er auf dem besten Wege war, einer von denen zu werden, deren Namen in dem Buche nicht mit Ehren genannt werden konnten.

Er las von Heinrich Hehlmann, der im Jahre 1711 durch den Branntwein zum Mörder geworden war und dem der Henker den Kopf abgeschlagen hatte; er stellte sich vor, wie es an dem Tage wohl hier auf dem Hofe ausgesehen habe, und er machte einen neuen Strich in sein Leben.

Seitdem Anna nicht mehr auf dem Hofe war, hatte er stand gehalten, und wenn ihm auch noch so blanke Augen gemacht wurden; und so wollte er es hinfort auch mit dem Schnaps halten.


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