Hermann Löns
Der letzte Hansbur
Hermann Löns

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Adebarstag

In der Schlafbutze der Dönze lag die Bäuerin und in ihrem Arme der Hoferbe und beide atmeten durcheinander.

Als der Storch fortflog, schlug das Kind die Augen auf und meldete sich.

Die Bäuerin seufzte den Schlaf fort, strich sich den Schweiß von der Stirn, sah um sich und lächelte, als sie das Kind sah, das mit den Händen nach ihrer Brust fühlte.

Sie legte es an und sah zu, wie es trank. Im Flett gingen bedächtige Schritte, die Dönzentür ging leise auf und der Bauer kam auf Strümpfen herein.

Seine Augen lächelten, als er vor die Butze trat. Er strich mit seiner großen Hand über die Backe seiner Frau und mit einer Fingerspitze über den Kopf des Kindes, nickte und sagte: »Nötigen braucht man ihn nicht.«

Im Flett kamen wieder Schritte näher, eine große, breite Frau mit schönem Gesicht stand in der Türe.

»Komm' man her, Großmutter«, sagte der Bauer, »ich muß jetzt nach den Wiesen. Bei Uhre elfe bin ich wieder zurück.«

Er ging, aber in der Türe drehte er sich noch einmal um: »Es ist eine wahre Pracht, wie er trinkt.«

Die Großmutter nickte und sah zu, wie das Kind trank, und als es die Mutterbrust von sich stieß, nahm sie es hin und wickelte es aus.

Sie lachte, als sie die breite Brust und die geraden Glieder des Kindes sah. »Er ist fast zu schön für ein Dreitagekind, Detta«, meinte sie, »so schier und eben. Und welche Masse Haare er hat, als wenn er sechs Wochen alt wäre. Und hat man schon bei einem Kinde, das noch nicht wochenalt ist, solche festen Nägel gesehen?«

Sie klopfte es zärtlich, aber dann nahm sie das rechte Händchen des Kindes zwischen ihre Finger: »Den alten dummerhaftigen Beifinger, den brauchte er nicht zu haben. Junge, Junge, was brauchst du elf Finger?«

Ihre Tochter lächelte: »Ach, Mutter, das ist ja wohl kein Unglück! Wer lang hat, läßt lang hängen. Und sein Großvater hat ja sogar zwölf gehabt.«

Die Großmutter machte eine krause Stirne: »Das ist es ja eben, das mit dem Großvater. Hätte er zehn Finger gehabt, dann hätte er wohl noch ein Enkelkind hüten können. Die alten, vermuckten Beifinger! Alle Hehlmanns mit überzähligen Fingern hatten zu viel Hitze im Geblüt. Aber wenn man dieses Kind sieht, so hübsch, als wie es daliegt, mit Augen, wie der liebe Himmel, dann sollte man meinen, daß das bloß ein dummer Aberglauben ist. Die Zukunft liegt in Gottes Hand; wir wollen uns darüber keine Gedanken machen. Wer zu lang vorausdenkt, macht sich zu früh Sorgen.«

Sie legte das Kind hin, rief der Kleinmagd, daß sie das Wasserwarmbier bringe, und als die Wöchnerin die Suppe ausgelöffelt hatte, strich ihr die Mutter das Kissen zurecht, schloß das Fenster der Fliegen wegen dicht zu und mahnte: »So, nun schlaf' man, daß du bald wieder beinig wirst.«

In der Tür blieb sie stehen: »Er sieht heute ganz anders aus den Augen, als wie die Tage vorher; er sieht einen heute schon ordentlich an, als wenn er einen kennen täte. Gestern hatte er noch gar keinen Blick in den Augen.«

Ihre Tochter lächelte: »Ja, Mutter, das bedünkt mich auch so. Aber heute ist ja auch Adebarstag.«

»Heidenschnack«, warf die Großmutter lächelnd hin, und dann ließ sie Tochter und Enkel für sich.


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