Hermann Löns
Der letzte Hansbur
Hermann Löns

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Die Grenze

Die Vormittagsschule war lange nicht so schlimm, wie Göde sich das gedacht hatte. Der alte Pastor Rotermund sah nur von weitem so gefährlich aus, weil er so lang war und so dünn und weil ihm das weiße Haar über den Rockkragen hing.

So ging denn Göde in das Pastorenhaus, obzwar er sich da nicht so fühlte, als wie in der Schule. Einmal wehte da eine andere Luft; auf dem Hansburhofe ging es ja auch sinnig und anständig zu, aber bei dem Pastor war es, als wenn jeden Tag Sonntag war.

Obzwar daß die Frau Pastor eine Bauerntochter war und Schultern hatte, wie ein Mannsbild und meist Beiderwand oder Blauleinen trug und vor keiner Arbeit bange war, sie hatte etwas an sich, daß Göde jedesmal rot wurde, wenn er sie sah und den Hut noch einmal so tief abnahm.

Aber die Hauptsache war, daß er hier nicht die erste Violine spielte, wie in der Übermittagsschule bei Lehrer Mackentun. Walter Dodegel, der Sohn vom Doktor aus Ohldorp, nahm es zwar an Kräften mit ihm auf, aber er hatte eine Art, an ihm hinunterzusehen, die Göde für den Tod nicht ausstehen konnte.

Es hatte keine acht Tage gedauert, da waren die beiden aneinandergekommen.

Walter hatte Göde damit aufgezogen, daß er noch nicht einmal wußte, wer Pipin war, denn wenn der alte Mackentun den Jungens Lesen, Schreiben, etwas Rechnen und eine Menge Bibelsprüche und Gesangbuchverse beigebracht hatte, das schien ihm schon reichlich für einen Bauern- oder Häuslingsjungen.

Aus Niedertracht hatte Göde Walter gefragt, wieviel Vieh sein Vater habe, und ihn ausgelacht, als der ärgerlich sagte: »Wir brauchen keins; wir sind keine Mistbauern.«

Da hatte Göde gesagt: »Und wenn der Mistbauer schickt, muß dein Vater ihm für einen Gulden in den Hals kucken oder Mutter Griebsch beim Kinderholen helfen«, und das hatte den Doktorsjungen so falsch gemacht, daß er Göde eins hinter die Ohren schlug.

Göde wurde es heiß und kalt; es war der erste Schlag seit seinem fünften Jahre; es wurde ihm rot vor den Augen und es war, als hielte ihm jemand den Hals zu. So schrecklich sah er aus, daß Walter die Bank zwischen sich und ihn brachte.

Es war aber auch die höchste Zeit, denn Göde, der an einem Stocke geschnippelt hatte, zischte wie eine Adder und stürzte mit dem blanken Messer auf Walter los.

Zum Glück schrie Wolf von Hohenholte, der auch beim Pastor in die Schule ging, laut auf und streckte die Hand vor, sonst hätte es ein Unglück gegeben, denn Göde zitterte an allen Gliedern und der Schweiß stand ihm auf der Stirn.

In diesem Augenblicke stand die Pastorsfrau bei ihnen und sagte: »Kommt mal alle mit!« Und als sie in der Waschküche standen, fragte sie: »Was war das mit euch? Erzähle mal, Wolf!« Das war ihr Liebling, weil er immer gelassen blieb.

Da verwies sie Walter und Göde mit ruhigen Worten ihr Benehmen und ließ sich von allen Dreien in die Hand versprechen, daß keiner darüber reden solle. »Mein Pastor regt sich sonst zu sehr darüber auf und bekommt am Ende sein Lungenbluten wieder«, setzte sie hinzu.

Nach der Schule rief sie über den Hausflur: »Komm' mal her, Göde, du kannst deiner lieben Mutter das Nähgarn mitnehmen«, und als der Junge in der Wohnstube stand, machte sie die Türe zu, legte ihm beide Hände auf die Schulter, sah ihm freundlich in die Augen und sagte:

»Junge, ich glaube, du bist von Herzen gut, aber einen lütjen Satan hast du in dir. Denke bloß, was du hättest anrichten können. Es war sehr häßlich, daß Walter dich schlug, aber das Messer nehmen, mein Kind, das ist denn doch nicht Landesbrauch. Ein tüchtiger Junge wehrt sich mit der Faust, wenn es nicht anders geht; besser ist es aber, er läßt den Zorn nicht über sich Herr werden. Hüte dich vor dem Jähzorn, er hat schon einen Hehlmann in das Unglück gestürzt und Schande auf euren Namen gebracht.«

Dann legte sie ihm ihren Arm um die Schulter, streichelte ihm die Backen und erzählte ihm die schreckliche Geschichte von Hinrich Hehlmann, der im Jahre 1711 zu der Zeit, als das junge Birkenlaub über die Heide roch, mit dem Schwerte vom Leben zum Tode gebracht wurde, wie es in der Pfarrchronik und in dem Hausbuche vom Hansburhof aufgezeichnet war. Und sie redete so gut mit ihm, daß Göde die Augen überliefen.

Draußen wartete Wolf auf ihn und sagte: »Unter uns bleibt die Sache; ob Walter schweigt, soll mich wundern. Übrigens hätte ich es gerade so gemacht, wie du. Schlagen? Pfui Deubel!«

Dieses eine Wort brachte ihn Göde sehr nahe, dem er bisher etwas albern vorgekommen war, weil Wolf so achtsam auf seine Nägel war und immer einen Abstand zwischen sich und den andern hielt, obzwar jeder wußte, daß der alte Freiherr seine liebe Not und Mühe hatte, sich und seine sieben Kinder mit seiner geringen Pension auf dem kleinen Gute, von dem in schlechten Zeiten die besten Stücke verkauft waren, durchzuschlagen.

Als Müller Prasuhns Christian Wolf mit seiner Armut geneckt hatte, da hatte dieser ruhig gesagt: »Geld ist Dreck. Ich will lieber deutsch hungern als wendisch prahlen«, und dann hatte er sich umgedreht und Christian stehen lassen, der ihm mit tückischen Augen nachsah, denn wenn auch sein Vater stinkereich war, daß er aus dem Wendischen war, hing ihm überall nach, und der ärmste Häusling dünkte sich mehr zu sein, als der reiche Müller.

Da nun Wolf mit Christian seit diesem Tage nie mehr sprach und Walter ihm auch nicht gefiel, so schloß er sich an Göde an, zumal sie beide denselben Weg hatten, denn Hohenholte lag hinter dem Hehlenhof nach Ohlendorp zu.

Und da Wolf immer am Hansburhofe vorbeimußte, so machte es sich von selber, daß er Göde abholte, und als eines Tages ein mächtiges Wetter niederging, nahm er die Einladung der Bäuerin an und blieb zum Mittag da.

Am andern Morgen kam Herr von Hohenholte auf den Hof geritten. Die Bäuerin fütterte grade das Federvieh, als er aus dem Sattel sprang.

»Guten Morgen, Frau Hehlmann«, rief er über den Hof, »Sie sollen auch vielmals bedankt sein, daß Sie gestern meinen Bengel beherbergt und verpflegt haben.«

Die Bäuerin schlug errötend in die Hand ein: »O, da nicht für, Herr Rittmeister! Es war uns eine Freude.«

Da kam Hehlmann aus dem Stalle, ein Wort gab das andere und der Bauer lud den Freiherrn ein, sich das Vieh anzusehen.

Das Gesicht des Rittmeisters wurde immer länger, als er die Pferde, das Vieh und die Schweine sah. Er sah sich auf dem Hofe um und fragte:

»Wieviel Gebäude stehen hier eigentlich?« denn überall zwischen den Eichen sah man einen Stall, einen Speicher oder Schuppen.

»So alles in allem an fünfundzwanzig«, meinte Hehlmann.

»Donnerstag und Freitag«, rief der Rittmeister, »und alles wie aus dem Ei gepellt! Und das nennt sich Bauer! Ach ja, wer es auch so hätte. Aber mein seliger Großvater konnte die Finger nicht zusammenhalten, dem gingen die Füchse immer durch.«

Hehlmann sah ihn groß an: »Der Besitz allein macht es nicht, Herr Rittmeister, der Name ist auch etwas wert. Wenn die Hohenhölter Herren und andere vom Adel immer alle gute Wirtschafter gewesen wären, dann wären nicht so tüchtige Offiziere daraus geworden und sie hätten nicht dafür sorgen können, daß der Bonaparte zum Teufel gejagt wurde. Das soll ihnen unvergessen sein. Und Hohenholte kann noch einmal wieder werden, was es war.«

Da bekam der Rittmeister blanke Augen, und als der Bauer ihm sagte: »Ja, Herr Rittmeister, ein bißchen frühstücken müssen wir nun wohl; ungebörnt kommt hier keiner vom Hofe«, lachte er und nahm an.

Als Göde dem Rittmeister nachher die jungen Besamungen zeigte, sagte dieser: »Junge, du kannst lachen, einen Hof, wie du bekommst, zwölfhundert Morgen und schuldenfrei, das ist ein kleines Königreich. Und kein Deubel hat dir was zu sagen, Herr Freiherr von und zu.«

Diese Worte gingen dem Jungen mächtig im Kopfe herum, denn wenn er auch schon seinen Bauernstolz hatte, wie er später einmal dastand, das wurde ihm jetzt erst klar und er sah den Hof und sich nun mit ganz anderen Augen an.

Deshalb hielt er sich von den Lichteloher Jungens immer mehr zurück, denn das ging wie Kraut und Rüben durcheinander, Bauernsohn und Häuslingssohn und ewig gab es Widerworte und Prügeleien, weil einer sich immer besser dünkte als der andere.

Auch mit den Häuslingsjungen gab er sich nicht mehr ab, denn wenn er sie mit Wolf verglich und mit seinen Eltern, dann kamen sie ihm zu minne vor.

Auch als Göde schon aus der Schule war und als Kleinknecht auf dem Hehlenhofe arbeitete und Wolf auf der Militärschule war, blieben die Jungens gute Freunde, und Wolf, der immer so still und so sinnig war, hatte bei dem Bauern einen dicken Stein im Brette.

»Du kannst wohl für Wolf einen Bock ausmachen, er kommt morgen wieder«, sagte Hehlmann zu Göde, »aber einen anständigen«, setzte er hinzu, als er sah, daß der Junge dunkele Augen bekam. »Weißt du einen?«

»Gewiß«, sagte Göde und überlegte schnell. Der beste Bock ging am Totenort, aber den wollte er selber schießen. »Im Brammelkampe geht ein guter Sechser; er steht bei westlichem Winde schon bei hellichtem Tage draußen«, sagte er.

»Na, dann kannst du Wolf führen«, befahl der Bauer.

Drei Tage später gingen Wolf und Göde mit Tange, der hirschroten Teckelhündin, los.

Als sie bei den alten Heidenbrinken waren, die rund um den Brammelkamp lagen, und sich bei einem breiten Machangelbusche angesetzt hatten, dauerte es nicht lange, und das Schmalreh trat aus der Fuhrendickung und gleich darauf der Bock.

Der gelbe Neid stieg Göde in den Hals, als er sah, wie Wolf den Hahn überzog und das Zündhütchen aufsetzte, und es kam ihm in den Sinn, den Bock fortzuwinken.

Aber da krachte es schon, der Bock machte kehrt und floh in die Dickung zurück.

Den Hohenhölter schüttelte nachträglich das Jagdfieber, zumal er meinte, daß er daneben gehauen hätte. Aber Göde tröstete ihn: »Er hat die Kugel Blatt; er hat gut gezeichnet. Wir wollen ihn erst krank werden lassen und dann soll Tange ihn arbeiten.«

So vesperten die Jungens denn über den Daumen und als eine Stunde um war, wurde Tange zur Fährte gelegt. Sie führte die Jungens durch die Dickung, über die hohe Heide bis an die Ohlendorper Grenze.

Am Grenzgraben machte Göde einen langen Hals und dann rief er: »Da liegt er!«

So war es; zehn Schritte über den Graben lag der Bock vor einer rauhen Fuhre.

»Halt den Hund«, rief Göde, »ich will ihn holen.«

Doch Wolf wehrte ab: »Mensch, doch nicht über den Grenzgraben!«

Der andere sah ihn verwundert an: »Die paar Schritt? Und es ist doch unser Bock! Und dann ist ja auch kein Mensch hier, der uns sieht, und überhaupt, die Ohlendörper, die nehmen es schon gar nicht so genau mit der Grenze.«

Aber Wolf wollte mit Gewalt nicht, sondern ging nach Ohlendorp und kam mit dem Vollmeier Hohls zurück, der sich erst einen Augenblick besann, dann aber Wolf das Gehörn gab.

Als Göde dem Vater die Sache erzählte und meinte, Wolf sei ein bißchen dumm gewesen, sah ihn Hehlmann ernst an und sagte: »Er hat getan, was recht und billig ist. Grenze ist Grenze. Wie sollte es wohl auf der Welt werden, wenn einer des anderen Eigentum nicht achtet!«

Und dabei dachte er an seinen Vater, den es das Leben gekostet hatte, weil er das Grenzrecht nicht gewahrt hatte.

Es lag ihm auf der Zunge, Göde die Geschichte zu erzählen, aber er konnte es nicht, da es sich um seinen eigenen Vater handelte.


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