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Franz Liszt

Franz Liszt

Der Musikhistoriker, der es unternimmt, Wesen und Charakter der einzelnen Perioden in der Entwicklung der Tonkunst darzulegen, wird die gegenwärtige, wie die ganze Nach-Beethovensche Epoche überhaupt, als eine von poetischer Tendenz erfüllte bezeichnen dürfen. Seit Beethoven in der Riesentat seiner neunten Symphonie die Schranken der absoluten Musik durchbrach und im instrumentalen Kunstwerk die Hilfe des dichterischen Wortes in Anspruch nahm, hiermit eine neue Phase seiner Kunst einleitend, einigten sich die Schwesterkünste Musik und Poesie zu immer innigerem Bunde. Die musikalische Dramatik Webers, die letzten, mehr im deklamatorischen Stil gehaltenen Lieder Schuberts, die Konzertouvertüren und Lieder ohne Worte Mendelssohns, die Symphonien Berlioz', die Klavier- und Liederpoesie Chopins, Schumanns, Franz' veranschaulichen aufs deutlichste den Weg, den die Tonkunst nach dieser Richtung eingeschlagen. Am schärfsten aber, von den Modernsten abgesehen, zeigen sich die Konsequenzen dieses poetischen Prinzips in den Schöpfungen Wagners und Liszts entwickelt. Als Musiker und Poet zugleich hatte Franz Liszt sich schon als reproduzierender Künstler beglaubigt, Musiker und Poet zugleich war er auch als schöpferischer Meister. Eins mit Wagner in der Idee einer engsten Verbindung von Dicht- und Tonkunst, brachte er dieselbe doch auf andern Gebieten zur Ausführung. Nicht die Bühne, sondern Konzertsaal und Kirche wählte er zum Schauplatz seiner Taten. In ihm und Wagner aber konzentrierten sich wesentlich die musikalischen Bestrebungen der neueren Zeit; unter den sie bewegenden Mächten standen sie, die führenden Geister, obenan. Mochte man immerhin, so lang sie als Lebende unter uns weilten, ihre Musik als »Zukunftsmusik« bespötteln und befehden – als Franz Liszt, drei Jahre nach seinem Bayreuther Freund, von hinnen ging, war die Welt wenigstens darüber einig, daß sein Name zu den klang- und ruhmreichsten des neunzehnten Jahrhunderts gehöre, und allmählich auch bekehrte man sich zu der Einsicht, daß der ihn trug, in Wahrheit eine Zierde der Menschheit war.

Als dem Meister aller Meister auf dem Pianoforte, dem Begründer der modernen Klaviertechnik und einer großen Pianistenschule, dem Schöpfer neuer symphonischer und kirchlicher Formen, dem Haupt der neudeutschen Musikrichtung, dem geistsprühenden Schriftsteller, dem kühnen Vorkämpfer Wagners und alles Großen, seinerzeit noch nicht zur Anerkennung Gelangten, wird die Kunstgeschichte Franz Liszt die gebührende Stelle anweisen – wir alle aber, die das Glück in seine Nähe führte, wissen, daß sein Herz nicht minder groß und bewundernswert war als sein Genie, und daß er nicht nur zu den Größten, sondern auch zu den Besten zählte, deren Gedächtnis hienieden lebendig bleiben wird. Neid- und Selbstlosigkeit, Menschenfreundlichkeit im wahrsten Sinne des Worts, eine unbegrenzte Großmut und Vornehmheit des Empfindens, die keinen Groll gegen den Feind aufkommen ließ und das Böse mit Gutem zu vergelten allzeit bereit war, dem Freund aber unentwegte Treue wahrte, ein tief religiöser Sinn: das waren, im Bund mit einer alles bezwingenden Liebenswürdigkeit und einem in seltenster Weise universell gebildeten souveränen Geist, bei idealer Erscheinung, überlegenen Weltformen und durch und durch musikalischem, harmonischem Naturell, die Eigenschaften, die Franz Liszt als Menschen charakterisierten. Der fast magische Zauber seiner Persönlichkeit, der ihm die Freundschaft der Besten unter den Männern, die überschwengliche Gunst und Liebe der Frauen gewann, ihn zum Bevorzugten der Großen dieser Erde machte, ist weltbekannt, wie sein Genie. Er mehrte und erhöhte die Siege, die seine Kunst davontrug. Nie ist ein Künstler enthusiastischer gefeiert, einmütiger unter seinesgleichen auf den Thron erhoben, fanatischer geliebt und umschwärmt, ja vergöttert worden als Franz Liszt, der größte Virtuos, den die Welt gesehen. Und doch verzichtete er, kaum im Zenith des Ruhms und männlicher Vollkraft stehend, freiwillig auf das, was andern der beste Preis des Lebens dünkt. Gold, Lorbeeren, Ehren und Huldigungen aller Art, die Europa seinem Liebling verschwenderisch zu Füßen legte, warf er gleichmütig hin und vertauschte die Via triumphalis des Klavierbeherrschers mit dem kampf- und dornenvollen Beruf des Komponisten, der als kühner Neuerer eigene Pfade geht und neue Offenbarungen kündet. Und nun erfuhr er die Wandelbarkeit menschlicher Gunst. So leidenschaftlich man ihn ehedem bejubelt, so leidenschaftlich bekämpfte man ihn nun. Er, der für das Verständnis unserer edelsten Tongenien von je sein Können unermüdlich eingesetzt, der Beethovens Sonaten zuerst in den Konzertsaal eingeführt, der das deutsche Volk zuerst mit Schuberts Liedern befreundet, es Schumann näher gebracht, der Wagner und Berlioz, Franz, Rubinstein, Raff, Cornelius, Dräseke, Mottl den Weg bereitet, der Brahms, Smetana, Volkmann, César Franck, Saint-Saëns, Sgambati, Grieg, die neurussischen Meister, seine ungarischen Kunstgenossen und wie viele noch gefördert hatte, sah seine eigenen Gaben, so weit sie sich nicht aufs Klavier beschränkten, mit Zweifel und Undank gelohnt. Als sich ihnen aber endlich ein allgemeineres Verständnis öffnete, als man dem Komponisten Liszt verspätete Kränze wand und die Welt von den Siegen des Greises, wie einst von denen des Jünglings und Mannes widerhallte, da nahte schon die letzte Stunde dieses tatenreichen Daseins. Ein kurzer Widerglanz seiner Jugendtriumphe nur verklärte noch den Abend seines Lebens.

Magyarisches und deutsches Blut mischt sich in Franz Liszts Adern. Eine eingehende, hier mehrfach benutzte Biographie Liszts veröffentlichte L. Ramann. (2 Bde. Leipzig, Breitkopf & Härtel. 1880–1894.) Ein wenig umfängliches Buch Rudolf Louis' »Franz Liszt« (Berlin, Bondi 1900) zieht vorzugsweise das innere Leben des Meisters in Betracht. Eine Liszts spätere Jahre mehr berücksichtigende, dem Musikalischen dagegen nur unzulänglichen Raum gönnende Lebensbeschreibung breiterer Fassung ließ 1909 Dr. Julius Kapp folgen (Berlin, Schuster & Löffler). Seine Mutter, Anna geb. Lager, hatte in Krems, unfern Wien ihre Heimat. Sein Vater, Adam Liszt, war der Abkömmling eines alten ungarischen Adelsgeschlechts. So sagt die Familientradition, die jedoch durch keine vorhandenen Nachweise gestützt wird. Die jahrhundertelangen Unruhen, die Ungarn durchwühlten, waren der Aufbewahrung derartiger Dokumente nicht günstig. Sicher ist nur, daß sein Großvater Sebastian Liszt, also der Urgroßvater von Franz, als Offizier im I. Kaiser-Husaren-Regiment diente. Unbegütert, durch den überreichen Familiensegen der Eltern zu früher Selbständigkeit gedrängt – Sebastians Sohn hatte nicht weniger als 26 Kindern das Leben gegeben –, hatte Adam als Gutsverwalter des Fürsten Esterhazy, dem schon sein Vater bedienstet war, eine schlichte Anstellung gefunden und in dem Dorfe Raiding (jetzt Doborján genannt) bei Ödenburg seinen bescheidenen Hausstand begründet. Seinen künstlerischen Bedürfnissen, seiner leidenschaftlichen Musikliebe hatte er bei Wahl seines Berufs kein Gehör schenken dürfen. Nur in seinen Freistunden konnte er sie pflegen und tat dies durch eifriges Spinett- und Gitarrenspiel. Zu seinem Glück hatte seine Passion während seiner früheren Wirksamkeit in Eisenstadt, der Residenz des musikbegeisterten Fürsten Nikolaus Esterhazy – Nikolaus der Prachtliebende nannte ihn das Volk – reiche Nahrung gefunden. Mit Haydn, dem Kapellmeister des Fürsten, und Hummel, dem damaligen Konzertmeister, wurde er daselbst befreundet; Cherubini und viele andere berühmte Meister lernte er hier kennen. Was Wunder, daß er bei so regem Verkehr mit Musik und Musikern mit heller Freude die frühzeitig sich kundgebende Begabung des Sohnes erkannte, der ihm am 22. Oktober des Kometenjahres 1811 geboren ward?

Die Hausmusik des Vaters, die sonn- und festtäglichen Meßgesänge in der Kirche, die wild-phantastischen Weisen der häufig im Dorfe rastenden Zigeuner – für die er eine lebenslange Vorliebe bewahrte, wie er sich ja selber gelegentlich »halb Zigeuner, halb Franziskaner« nannte – warfen die ersten musikalischen Eindrücke in des Kindes empfängliche, leicht erregbare Seele. »So einer will ich auch werden!« rief der kleine Franz, auf das Bild Beethovens deutend, aus, das neben andern Musikerbildern die Wand des Wohnzimmers schmückte. Es war außer ein paar Heiligenbildern wohl dessen vornehmste Zierde. Die elterliche Wohnung im ebenerdigen Wirtschaftsgebäude umschloß nur vier kleine Räume, deren zwei jetzt als Liszt-Museum eingerichtet sind.

Franz war ein schwächliches Kind. Nervenleiden und Fieber brachten ihn, laut einer von Kapp veröffentlichten Tagebuchsaufzeichnung seines Vaters, »mehrmals in Lebensgefahr. Einmal in seinem zweiten oder dritten Jahre, hielten wir ihn für tot und ließen seinen Sarg machen. Dieser beunruhigende Zustand dauerte bis in sein sechstes Jahr fort. In seinem sechsten Jahre hörte er mich ein Konzert von Ries in Cis-moll spielen. Er lehnte sich ans Klavier, war ganz Ohr. Am Abend kam er aus dem Garten zurück und sang das Thema.« Nun begann der Vater auf seine inständigen Bitten mit ihm den Klavierunterricht. Er lernte im Fluge, seine Fortschritte waren staunenerregend. Mit solcher Leidenschaft spielte der zarte Knabe, mit so heißem Eifer suchte er, eher Noten als Buchstaben schreibend, schon nach eigenen Klängen, nach einem sich in »seltsamen Harmonien und Modulationen« äußernden musikalischen Ausdruck für sein kindliches Empfinden, daß das Fieber zurückkehrte und der Unterricht unterbrochen werden mußte. Zum Glück erwies sich die wunderbare Elastizität seiner Natur stärker als die Krankheit – der kleine Künstler genas wieder, um ein großer Künstler zu werden.

Rasch und unaufhaltsam ging es nun musikalisch vorwärts, während der Lehrer Rohrer ihn nebenbei im Lesen, Schreiben und Rechnen unterwies. Das Erlernen der ungarischen Sprache, die er von seinen deutsch redenden Eltern nicht hörte, kostete ihm keine Mühe. Er selbst sagte uns einst scherzend, das Wort Eljen sei das einzige ungarische, das er verstehe. Wie souverän er nachmals das Französische beherrschte und sich gleich dem Deutschen auch das Englische und Italienische zu eigen machte, ist bekannt. Seine Fingerfertigkeit, sein prima-vista-Spiel und mehr noch seine Improvisationen erregten das Staunen aller, die Franz hörten. Neunjährig trat er, einem blinden Musiker zu gefallen, schon mit dem Es-dur-Konzert von Ries und einer freien Phantasie in Ödenburg vor die Öffentlichkeit. Nachdem er sich bald danach auch Beifall und Gunst des Fürsten Esterhazy in Eisenstadt in hohem Maße gewonnen hatte, erspielte er sich in einem in dessen Palais in Preßburg veranstalteten Konzert am 26. November 1820 derart die Bewunderung eines zahlreichen kunstverständigeren Publikums, daß einige ungarische Magnaten, an ihrer Spitze die Grafen Amadée, Apponyi und Szapary, sich sofort erboten, durch ein Stipendium von sechshundert Gulden sechs Jahre hindurch die Kosten seiner Ausbildung zu tragen.

Wer war glücklicher als Franz? Seine felsenfeste Zuversicht auf den ihm eingeborenen Musikerberuf und den Beistand Gottes, der ihm, wie er sagte, schon helfen werde, alle Sorgen und Opfer der Eltern einst wieder zu vergelten, überwand die Bedenken und Einwürfe der zagenden Mutter. Auf des Knaben zarte Schultern ward nun die Zukunft der Familie gelegt. Die sichere Stellung des Vaters wurde aufgegeben, und hinaus in die Welt zogen die Eltern mit ihrem Kinde.

Adam Liszts Hoffnung, seinen mittlerweile nach Weimar übergesiedelten Freund Hummel als Lehrer für seinen Sohn zu gewinnen, scheiterte an der seine Mittel übersteigenden Forderung desselben von einem Louisdor für die Stunde. So ward denn in Wien zunächst, und zwar unter Führung des Beethovenschülers Czerny im Klavierspiel, sowie Salieris in der Theorie, die Ausbildung des jungen Musikers betrieben. Seine aller systematischen Schulung entbehrende Technik ward nun in strenge Zucht genommen, indes er sich auch im Partiturlesen und -spielen bald eine erstaunliche Fertigkeit erwarb und im Komponieren so viel Geschick zeigte, daß ein von ihm geschriebenes Tantum ergo Salieris lebhaften Beifall errang. »Nie habe ich einen so eifrigen, genievollen und fleißigen Schüler gehabt«, rühmte ihm Czerny, der uneigennützige Lehrer nach, der keinen andern Lohn für seine Unterweisung begehrte, als die Freude, die ihm sein auserlesener Schüler machte. Genug, mit glänzendem Erfolge konnte sich der elfjährige Franz am 1. Dezember 1822 der musikliebenden Kaiserstadt in einem Konzert im landständischen Saale zuerst vorstellen. Ein zweites, am 13. April 1823 von ihm im Redoutensaal gegebenes Konzert, das Beethoven durch die Aufsehen erregende Ehre seiner Anwesenheit auszeichnete, trug ihm als höchsten Lohn einen Kuß des großen Tonmeisters ein, dem er schon zuvor zu seinem Stolze durch Schindler zugeführt worden war und zu dem er von je mit glühender Verehrung als zu seinem höchsten Ideal emporblickte. Beide Konzerte – in deren erstem er Hummels A-moll-, in deren zweitem er desselben Künstlers H-moll-Konzert spielte und sodann improvisierte – ergaben die Mittel, des Knaben künstlerische Ausrüstung in Paris zu vollenden.

Nicht nur einen Virtuosen, einen Komponisten dachte Adam Liszt der Welt in seinem Sohne zu erziehen. Diesem höchsten Ziele wollte er ihn auf dem Pariser Konservatorium entgegenführen. Allein die Tore der berühmten Anstalt verschlossen sich, einem streng festgehaltenen Gesetz zufolge, dem Ausländer. Vergeblich flehten Vater und Sohn – »das Reglement war unerbittlich, und ich untröstlich«, schreibt Franz. Ges. Schriften, Bd. II. »Über die Stellung der Künstler.« »Alles schien mir verloren, selbst die Ehre, und ich glaubte an keine Hilfe mehr.« Glücklicherweise fand er in Paër, dem seiner Zeit angesehenen Opernkomponisten italienischer Schule, und dem Theoretiker Reicha, die beide nacheinander seine Kompositionslehrer wurden, tätige Förderer seiner Bestrebungen. Auch ohne Konservatorium machte er seinen Weg. Empfehlungen der ungarischen und österreichischen Aristokratie öffneten ihrem Schützling die Salons ihrer französischen Standesgenossen. Die Herzogin von Berry und der Herzog von Orleans, der nachmalige König Louis Philippe, nahmen ihn in ihre besondere Protektion. Im Umsehen war » le petit Litz«, wie man ihn nannte, der Held des Tages, der Liebling des Adels, der Künstler und Gelehrten, des ganzen gebildeten Paris. Eingehenderes hierüber, nämlich Briefe von Liszts Vater Adam an Czerny und einen Eisenstadter Freund aus den Jahren 1823–25, sowie die darauf antwortenden Briefe Czernys an Adam Liszt veröffentlichte d. Verf. unter dem Titel »Franz Liszt auf seinem ersten Weltflug« (»Neue Musikzeitung«, Jan. 1888, sowie in dem Buch »Klassisches und Romantisches aus der Tonwelt«, Breitkopf & Härtel 1892) und »Aus Liszts erster Jugend« (»Die Musik«, April 1906. Kapp hat es zum guten Teil in seiner Liszt-Biographie abgedruckt. Von Wichtigkeit wurde ihm namentlich die sich ihm alsbald erschließende Freundschaft Sebastian Erards, des Chefs der weltbekannten Pianofortefabrik, und seiner Familie. Hatte sich schon die Presse in Wien, wie auf der Durchreise in München und Stuttgart, für den »kleinen Herkules«, den »zweiten Mozart«, als den man ihn begrüßte, begeistert, so strömten auch die Pariser Blätter, nachdem man ihn am 7. März 1824 in einem Konzert in der Italienischen Oper zum ersten Mal öffentlich bewundert hatte, von Lobpreisungen des phänomenalen Talentes über, »das keinen Nebenbuhler mehr kenne«. Als dem »ersten Klavierspieler Europas« huldigte man dem »unvergleichlichen Kind«, dessen »bezaubernde Eleganz«, Geistesanmut, liebenswürdige Herzensgüte und eigentümlich schöne aristokratische Erscheinung den Eindruck seiner Kunst noch erhöhten und alle gefangen nahmen.

Auch als Komponisten lernte Paris alsbald »le petit Litz« kennen. Fand doch sein Lehrer Paër, wie früher Salieri, seine schöpferischen Versuche so vielversprechend, daß er ihn unter anderm zur Vertonung einer Oper aufmunterte. Sie blieb, trotz schon begonnenen Skizzen eines »Sardanapal« und einer geplanten Zigeuneroper »Janko« aus den vierziger und fünfziger Jahren, die einzige seines Lebens. Das einaktige, auf einen Text von Théaulon geschriebene Werk » Don Sancho ou le château de l'amour« kam am 17. Oktober 1825 unter Leitung Rudolf Kreutzers in der Académie Royale de Musique zur Aufführung und wurde freundlich aufgenommen. Adolphe Nourrit, der berühmte Sänger der Hauptpartie, nahm den vierzehnjährigen Komponisten, so sehr er sich sträubte, auf seine Arme und zeigte ihn dem applaudierenden Publikum. Die Meinung der Kritik über den Wert dieses Jugendwerkes war geteilt. Nach drei Wiederholungen legte man die Partitur bei Seite. Sie galt, zufolge des 1873 im Opernhause ausgebrochenen Brandes für verloren, bis Jean Chantavoine in Paris nicht nur ihr Vorhandensein, sondern zugleich eine Analyse der Oper, sowie den Klavierauszug der Ouvertüre und einer Arie bekannt gab. »Die Musik« 1904, 2. Maiheft). Der Autor veröffentlichte 1910 auch eine Schrift: »Liszt« (Paris, Alcan), die musikalisch Wertvolles, biographisch aber leider viel Irriges enthält und die authentischen neuesten Quellen wohl zitiert, sie aber nicht genügend benützt. Vorausgegangen ist seinem Buch eine treffliche künstlerische Würdigung von M. D. Calvocoressi: »Liszt« ( Paris, Librairie Renouard, Henri Laurens, éditeur). Sie zeigen ein durch verschiedene Vorbilder beeinflußtes Frühwerk, das viel Begabung, aber noch wenig Eigenart spüren läßt.

Noch ehe es zur Aufführung der Oper kam, hatte Franz, aufgefordert durch Erard, der zum Besuch der dortigen Filiale seiner Klavierfabrik 1824 nach London reiste, diesen mit seinem Vater über den Kanal begleitet. Mit nicht geringerer Begeisterung als von den Parisern, sah er sich von dem Londoner Publikum aufgenommen. Überaus huldvoll bezeigte sich ihm vor allen der musikalische König Georg IV. Genug, der englische Aufenthalt erwies sich als ein so lohnender, daß es in den nächsten Jahren zu Wiederholungen desselben kam. Auch die französischen Departements und die Schweiz wurden (1826–27) besucht und ergaben erneute Ruhmesernten.

Zwischendurch gab der Gefeierte sich mit Eifer kontrapunktischen Studien hin. Alle polyphonen Formen lernte er mit der gleichen Leichtigkeit beherrschen, mit der seine Finger den Tasten geboten. Er schrieb mancherlei. In seinen Briefen an Czerny berichtet sein Vater besonders von zwei Klavierkonzerten, einer vierhändigen Sonate, einem Trio und einem Quintett. »Seine Konzerte sind zu streng, und die Schwierigkeiten für den Spieler sind ungeheuer«, meint er. Sie blieben uns nicht erhalten. Veröffentlicht wurden nur einige minder umfängliche Klavierstücke. Ihnen folgten 1826, als op. 6 in französischer, als op. 1 in deutscher Ausgabe, » Etudes en douze Exercices»«, die den werdenden Meister zeigen. Ihren Charakter als Studien nirgends verleugnend, mit sicherer Formbeherrschung hingestellt, gibt sich doch jede einzelne stimmungsvoll und musikalisch anziehend. Sie bilden in ihren Keimen wie in ihrer Entwicklung, von F. Busoni revidiert, den 1. Band der Pianofortewerke in der von der Liszt-Stiftung bei Breitkopf & Härtel herausgegebenen Gesamtausgabe der Werke des Meisters. Daß ihr Schöpfer selbst und mit Recht Wert auf sie legte, beweist, daß er sie zweimal, nämlich in den Jahren 1837 und 1852 neu bearbeitete, bis sie zu der endgültigen großartigen Ausgestaltung gelangten, in der sie nicht ihres gleichen haben.

Inmitten der Glanzerfolge seines Virtuosenlebens bemächtigte sich des jungen Genies ein tiefes Unbefriedigtsein. Er fühlte sich nicht dazu berufen, der leichten Unterhaltung des Publikums zu dienen. Die Ehren, die die Welt zu bieten vermag, dünkten ihm schal und eitel. Nach höheren Zielen verlangte ihn: sein Sinn stand nach der Kirche. Er gab sich der Lektüre geistlicher Schriften, insbesondere der »Nachfolge Christi« von Thomas a Kempis hin. »Laß mich in ein Seminar eintreten und Priester werden!« bat er den Vater. Doch: »Du gehörst der Kunst, nicht der Kirche!« lautete die väterliche Entscheidung. Und dabei blieb es. Das fromme Sehnen des Jünglings blieb ungestillt. Aber der bis dahin heitere Grundton seines Wesens nahm eine ernstere Färbung an. Zeiten melancholischer Weltflucht tauchten wieder und wieder bei ihm auf, für die der Vater, der seinem Herzen ferner stand als die Mutter, an der seine ganze Seele hing, geringes Verständnis zeigte. Selbst die Gesundheit von Franz litt, so daß nach Beendung einer dritten englischen Konzertreise der Gebrauch einer Badekur in Boulogne sur mer nötig wurde. Hier erkrankte der Vater plötzlich. Ein gastrisches Fieber raffte ihn binnen drei Tagen am 28. August 1827 hinweg. »Auf seinem Sterbebett sagte er mir«, schrieb Liszt fast fünfzig Jahre später der Fürstin Wittgenstein, »daß ich ein gutes Herz und Verstand besäße, aber er befürchte, daß die Frauen mein Leben beunruhigen und mich beherrschen würden. Diese Voraussage war eigentümlich, denn ich wußte mit sechzehn Jahren noch nicht, was ein Weib ist, und bat in meiner Naivetät meinen Beichtvater, mir das sechste und neunte Gebot zu erklären, da ich es vielleicht unbewußt übertreten zu haben fürchtete.«

Führerlos, auf sich selbst gestellt im Leben wie in der Kunst, sah sich nun mit einem Male der sechzehnjährige Jüngling. Er besann sich nicht, alsogleich volle Mannespflichten auf sich zu nehmen. Voll inniger Liebe zu seiner Mutter, die – um sie der Unruhe seiner drei letzten Wanderjahre nicht auszusetzen – von Gatten und Sohn getrennt, bei Verwandten in Österreich gelebt hatte, entbot er sie sofort zu sich nach Paris, um durch Klavierunterricht daselbst ihre und seine Existenz zu begründen. Es fehlte dem gefeierten Virtuosen, trotz seiner Jugendlichkeit, nicht an Schülern und Schülerinnen; zumal aus aristokratischen Kreisen strömten sie ihm reichlich zu. Selten nur trat er zunächst am Klavier vor die Öffentlichkeit. Doch unternahm der Siebzehnjährige es unter anderem, Beethovens Es-dur-Konzert zu spielen: Zu jener Zeit (1828) ein unerhörtes Wagnis in Paris, wo man Beethoven kaum mehr als dem Namen nach kannte; wie denn Liszts Programme in der Tat als »schlecht gewählt« getadelt wurden, – weil er Beethoven und Weber darin aufgenommen hatte.

In stiller Zurückgezogenheit, wie in schweren inneren Kämpfen, in heißer Bildungsarbeit an sich selbst gingen ihm die nächsten Jahre dahin. Es drängte ihn, die Lücken seines Wissens auszufüllen, die seine nur aufs Musikalische gerichtete Schulung verschuldet hatte.

Charakteristisch äußert er sich hierüber im April 1854 gegen seinen Sohn Daniel: »Oft genug bedauere ich noch jetzt, nicht nach dem Tode meines Vaters wenigstens die unerläßlichen Unterrichtskurse durchgemacht zu haben. Doch fehlte es mir einerseits an einem autoritativen Berater; andrerseits war ich seit meinem zwölften Jahre genötigt, für meinen und meiner Eltern Unterhalt zu sorgen. Die erforderlichen spezifisch musikalischen Studien nahmen meine ganze Zeit in Anspruch bis zum sechzehnten Jahre, wo ich begann, im Klavierspiel, in Harmonie und Kontrapunkt Unterricht zu erteilen und mich sowohl in den Salons als öffentlich wohl oder übel als Virtuos hören zu lassen. Es gelang mir in der Tat ziemlich rasch, mir eine leidlich einträgliche Position und künstlerischen Ruf zu erwerben. Wertvoller wäre es freilich für mich gewesen, meinen Geist regelrecht auszubilden und mich durch positive Kenntnisse auf ein gleichmäßigeres Niveau mit den hervorragenden Männern zu bringen, mit denen in freundschaftlichen Verkehr zu treten, ich trotz meiner Jugend den Vorzug hatte. Dies alles veranlaßte mich, über die verschiedensten Materien nachzudenken, den Mangel systematischer Studien so gut ich konnte durch Lektüre auszugleichen, und mich vielleicht auch vor manchen meiner Fachgenossen auszuzeichnen, die auf nichts anderes als auf ihre Sechzehntelnoten und die gewöhnliche Abwickelung ihrer Philisterexistenz bedacht sind«. Siehe Frau Wagners wertvolle Festgabe zum Liszt-Zentenarium: »Franz Liszt. Ein Gedenkblatt von seiner Tochter.« München, Bruckmann, 1911.

In diese Zeit fiel ein erster Liebestraum des jungen Musikers, dem ein jähes Erwachen und Entsagenmüssen folgte. Seine siebzehnjährige geist- und anmutvolle Schülerin Caroline de Saint-Criq, die Tochter des Handelsministers Grafen de Saint-Criq, schenkte ihm ihr Herz, wie sie das seine besaß. Aber sie durfte ihm trotz der Fürbitte ihrer sterbenden Mutter nicht angehören. Darnach erkrankte sie schwer und begehrte nach ihrer Genesung den Schleier zu nehmen. Doch die Wahl des Vaters bestimmte ihr in dem bei Pau begüterten Monsieur d'Artigaux den ungeliebten Gatten. Ihre Ehe wurde ein Martyrium. Liszt vergaß sie nie, und auch sie bewahrte sein Andenken wie ein Heiligtum. Ein Wiederbegegnen war ihnen beiden nach fünfzehn Jahren, gelegentlich einer Konzertreise Liszts nach Südfrankreich und Spanien, beschieden. Es rief in ihm die ergreifende Klage seines Liedes: »Ich möchte hingehn wie das Abendrot« hervor. Seitdem blieben sie miteinander in Briefwechsel. In seinem Testament (1860) vermachte er ihr eins seiner Kleinode, als Ring gefaßt. Doch ging sie 1872, vierzehn Jahre vor ihm aus der Welt. Näheres über Liszts Beziehungen zu ihr, zu Gräfin d'Agoult, Fürstin Wittgenstein u. a. enthält die Schrift d. Verf. »Liszt und die Frauen«, Leipzig, Breitkopf N Härtel, 1911.

Als beider Wege sich trennten, suchte Franz in der Religion allein Trost. »Ein Frauenbild keusch und rein, wie der Alabaster heiliger Gefäße, war die Hostie, die ich unter Tränen dem Gott der Christen darbot. Entsagung alles Irdischen war der einzige Hebel, das einzige Wort meines Lebens«, heißt es zehn Jahre später in einem seiner Briefe an George Sand. Ges. Schriften, Bd. II. Mit dem seiner Natur eignen mystischen Zug den Mysterien der römischen Kirche seit seiner Kindheit anhangend, verlangte es ihn, wie schon vor des Vaters Hingang, seine Kunst mit der Kirche zu vertauschen. Jedoch »die Liebe zu seiner Mutter, deren naive Frömmigkeit die Notwendigkeit seines Priesterberufs nicht anerkannte«, hielt ihn, laut seinen eigenen Worten, vom Eintritt in das Pariser Seminar zurück. Tiefe Apathie bemächtigte sich seiner. Nur noch mit Christian Urhan, dem als Viola d'amour-Spieler bekannten Violinisten, der seine religiösen Schwärmereien teilte, verkehrte er. An Gemüt und Körper krank, verbarg er sich vor der Welt, die (im » Etoile« 1828) bereits eine verfrühte Totenklage um ihn anstimmte.

Erst die Juli-Revolution mit ihren die Jugend Frankreichs allmächtig erfassenden Ideen und Träumen einer freieren, glücklicheren Weltgestaltung erweckte ihn zu neuer Tatkraft, und die in ihrem Gefolge auf künstlerischem Gebiet zum Durchbruch kommende romantische Bewegung sah ihn mit Hector Berlioz, Chopin, Victor Hugo, Alfred de Musset, George Sand, Delacroix u. a. in ihrer Mitte. Von ihr nahm er die Idee des Fortschritts der Kunst auf, die Überzeugung, daß in den bewegenden Gedanken der Zeit und der Nationen »der ewige Verjüngungsquell der Kunst zu finden, daß nur das Leben selbst ihr Leben sei.« Gleichzeitig erregten die sozialistischen Lehren Saint-Simons, die religiöse Weltanschauung des Abbé de Lamennais seine lebendigste Teilnahme.

Einen weiteren entscheidenden Impuls empfing er 1831 durch das Erscheinen Paganinis in Paris. Völlig neu war bisher in der reproduzierenden instrumentalen Kunst eine Unmittelbarkeit der Vortragsweise, die das eigene Ich des Spielers und sein innerstes Erleben zum Ausdruck bringt. Mit Paganini kam dieselbe, kam die Inspiration zu ihrem Rechte; er vertrat den in der Luft liegenden Fortschritt auf reproduzierendem Gebiet. Als die Verkörperung dessen, was er selbst erstrebte, berührte das berückende Spiel des Geigerkönigs den jungen Franz Liszt. Am Genie des Italieners reifte das seine. Dessen Meisterschaft in seiner Weise zu erreichen, ja zu überbieten, dahin ging sein Trachten. So in unablässigem Studium Paganinis violinistische Technik gleichsam ins Pianistische übertragend, sie dabei aber zu seiner eigensten Sprache umschaffend und sie um eine Fülle unerhörter Effekte bereichernd, ward er, indem er die Sprung- und Spannungsfähigkeit der Hand ausbildete und der Klaviermusik die Weitgriffigkeit gewann, die ihr Klangreich ins Ungemessene erweiterte, der Begründer einer neuen Klaviertechnik.

Doch auch negativ lernte er von dem großen Geiger. Was dessen Kunst die Krone raubte: der Mangel an allgemeiner menschlicher Bildung, der Mangel an Idealität mit einem Worte, brachte Liszt zum Bewußtsein der wahren Mission des Künstlers. »Die Kunst« – schreibt er in seinem berühmten Nachruf an Paganini (1841) – »nicht als bequemes Mittel für egoistische Vorteile und unfruchtbare Berühmtheit auffassen, sondern als eine sympathische Macht, welche die Menschen vereint und einander verbindet, das eigene Leben ausbilden zu jener hohen Würde, die dem Talent als Ideal vorschwebt, den Künstlern das Verständnis öffnen für das, was sie sollen und was sie können, die öffentliche Meinung beherrschen durch das edle Übergewicht eines hochsinnigen Lebens und in den Gemütern die dem Guten so nah verwandte Begeisterung für das Schöne entzünden und nähren: das ist die Aufgabe, die sich der Künstler zu stellen hat, der sich kraftvoll genug fühlt, Paganinis Erbe zu erstreben.«

Liszt selbst trat dies Erbe an. » Génie oblige« wählte er zur Devise seines Lebens, das an Liebestaten reicher war als dasjenige irgend eines seiner Kunstgenossen. In unermüdlicher Arbeit erklomm er, vom Schauplatz der Öffentlichkeit mehrere Jahre zurückgezogen, die Höhe seines unerreichten pianistischen Meistertums und erwarb sich zugleich jene Universalität der Geistesbildung, die er in Verbindung mit wahrer Herzensbildung für den Kulturberuf des Künstlers als unentbehrlich erachtete. Seine Interessen für geistige Materien, für Geschichte, Philosophie, Poesie, Staatswissenschaft, bildende Kunst, wie für die Arbeiten des öffentlichen Lebens forderten Befriedigung und fanden sie in den ernsten vielseitigen Studien, denen er sich widmete – Studien, wie sie bisher seinen Kunstgenossen allerdings fern gelegen hatten. Aber welche Kluft auch trennte ihn, der einen völligen Umschwung in der Stellung des Künstlers herbeiführte, und sein ideales Künstlerbewußtsein von den allgemein herrschenden Kunsttendenzen! Wie viel Handwerkertum, so klagte er, und wie wenig echte Künstlerschaft gewahrte er allenthalben!

Mit Bitternis erfüllte ihn oft die Wahrnehmung, daß die Menge vom Virtuosen nur augenblickliche Zerstreuung statt ernster Vermittlung künstlerischer Offenbarungen begehrt. »Ich leugne es nicht«, schreibt er in einem Briefe an Massard Ges. Schriften, Bd. II. »es liegt ein mir unerklärbarer mächtiger Zauber, eine mir unerklärliche stolze und doch – ich möchte sagen – wonnige Gewalt darin, eine Geistesgabe zu entfalten, die uns Gedanken und Herzen der Menschen gewinnt und in die Seele anderer zündende Funken desselben heiligen Feuers wirft, das unsere eigene Seele verzehrt, in ihnen Sympathien erweckt, die sie unwiderstehlich uns nach, empor zu den Regionen des Schönen, des Idealen, des Göttlichen ziehen! Diese Wirkung, die der Künstler auf einzelne ausübt, überträgt seine Phantasie manchmal auf die Menge – dann fühlt er sich König über alle diese Geister, dann fühlt er in sich den Funken der Schöpferkraft: denn durch seine Töne schafft er Erregungen, Gefühle, Gedanken. Es ist nur ein Traum, aber ein Traum, der sein Dasein adelt. Es war auch der meine ... Ruhig und stoisch aber will ich nun im Wechsel von Erfolg und Nichterfolg bleiben; dem einen mißtrauend, gleichgültig gegen den andern, will ich in mir allein meinen Stützpunkt finden: mein Gewissen soll mein einziges Kriterium sein.«

Erst im Winter 1834 erschien Liszt wieder auf dem Konzertpodium, durch die inzwischen gewonnene schwindelnde Höhe seiner Virtuosität, wie durch seine für die bahnbrechenden Zeitgenossen propagierenden Programme den Parisern ein völlig Neuer geworden. Als Vertreter des modernen romantischen Kunstgeistes trat der junge Himmelsstürmer, der in der überschäumenden Kraft seines Ichs die konventionellen Dämme durchbrach, zur alten klassischen Schule in Gegensatz, aus den Reihen der letzteren ebenso erbittert angegriffen, als vom Publikum, die Aristokratie an der Spitze, begeistert gefeiert. Jahre hindurch währte dieser Meinungskampf, der namentlich infolge von Sigismund Thalbergs Auftreten in Paris (1836 und 1837) neu und heftiger entbrannte.

Eine so wenig zu unterschätzende Gegnerschaft Liszt aber auch in dem Wiener Künstler erstand, dessen Wettkampf mit ihm ganz Paris in Aufregung versetzte, über das vornehme, jedoch rein technische Talent seines Rivalen trug das spirituelle Genie Liszts den unausbleiblichen Sieg davon. Wen hätte auch Liszt am Klaviere nicht besiegt? Der bezeichnende Ausspruch einer geistreichen Frau: »Thalberg ist der Erste – Liszt aber der Einzige«, wurde zum geflügelten Wort, und die Stimme des Volkes, die, wie das Sprichwort sagt, Gottes Stimme ist, krönte ihn, dessen jugendliche Exzentrizitäten einer immer harmonischeren Künstlerschaft wichen, als den König der Virtuosen. Das Ideal derselben, »der Einzige« blieb er so lang er lebte; er bleibt es auch, nun er im Grabe ruht.

Liszts Spiel dem, der es nie hörte, schildern zu wollen, wäre vergebliches Beginnen. Moscheles erklärt, nachdem er es 1840 vernommen hatte: »Nach Liszt muß man das Klavier schließen.« »Beängstigend und beseligend zugleich« nennt es der Liszt befreundete Heine, damit die Vermählung des Dämonischen und Göttlichen andeutend, die es charakterisierte. Und Berlioz findet 1841 »seine Macht in einer divinatorischen, einer hinreißenden, oft bis zur äußersten Grenze vorgehenden Sensibilität, die – es ist wahr – wohl manchmal die strenge Interpretation gewisser, nur besonnene und formelle Ausführung verlangender Werke beeinträchtigt, die aber auch allein den Künstler zur höchsten Höhe poetischer Begeisterung tragen kann.« So urteilte er zur Virtuosenzeit Liszts. Später war dies Spiel von idealer Geklärtheit. Es war – diese früheren Aussprüche schon sagen es – weniger die phänomenale Souveränetät seiner Technik, mit der Liszt dem spröden Tasteninstrument gebot und ihm den zaubervollsten Gesang wie die gewaltigsten Leidenschaftsausbrüche, ja überhaupt jede gewollte Gefühlsnuance und Wirkung abzwang: mehr noch war es die Empfindungstiefe und -größe, das Überwältigende des Genies, das sich aus alledem seine ureigenste Sprache schuf, was uns in diesem Spiel elektrisierte und berauschte, was ganze Generationen zu seinen begeisterten Bewunderern machte und die Seele mit Eindrücken füllte, die nicht von dieser Welt sind. Liszts Spiel war höhere Offenbarung. »Als die absolute Kunst, frei von allen irdischen Mängeln und Mühen« trat es uns entgegen.

»Wer oft Gelegenheit hatte, Liszt zu hören«, sagt Wagner Wagner, Sämtl. Schriften, Bd. V, Über Liszts Symphonische Dichtungen. »wenn er namentlich in vertrautem Kreise z. B. Beethoven spielte, dem muß doch von je aufgegangen sein, daß es sich hier nicht um Reproduktion, sondern um wirkliche Produktion handelte. Den Punkt, der beide Tätigkeiten scheidet, genau anzugeben, ist viel schwerer, als man gemeinhin annimmt; soviel aber ist mir gewiß geworden, daß, um Beethoven reproduzieren zu können, man mit ihm produzieren können muß.«

Mit Liszt, »dem Virtuosen der Zukunft«, wie Berlioz ihn nannte, trat eine Virtuosenschule ins Leben, der die Zukunft gehört, da sie die Unterordnung der Bravour unter den Geist, der Materie unter die Idee zum Prinzip erhebt und den gesamten technischen Apparat nur als Darstellungsorgan höherer Intentionen verwendet wissen will. Seit Liszt datiert jenes höhere Virtuosentum, dem die Virtuosität nicht, wie ehedem unter ihren ersten Vertretern auf dem Klavier, von Clement: und Hummel bis Thalberg, Selbstzweck, sondern nur Mittel zur vollendeten Verlebendigung des Kunstwerks ist. Während Liszt aber die Virtuosität, sie solchergestalt scheinbar erniedrigend, in die Schranken einer Dienerin und Trägerin der Komposition bannte, hob er sie gleichzeitig dadurch weit über sich selbst hinaus, daß er einerseits ihr technisches Vermögen, ihre Ausdrucksfähigkeit unermeßlich steigerte, andrerseits aber die schöpferische Beteiligung des reproduzierenden Künstlers als unerläßliche Forderung feststellte.

Inmitten der Sturm- und Drangzeit Liszts trat im Jahre 1834 eine Frau in sein Leben, die dieses ein Jahrzehnt hindurch innerlich wie äußerlich tief beeinflussen sollte: Gräfin Marie d'Agoult. »Eine Loreley«. wie sie sich selber nennt, von idealer Schönheit, blauäugig, goldlockig, so bedeutenden und gebildeten Geistes wie berückend in der Erscheinung, wurde in ihr die Beherrscherin der Salons des Faubourg Saint-Germain bewundert. Fast sieben Jahre älter als der damals dreiundzwanzigjährige Liszt, der noch an seiner Neigung zu Caroline de Saint-Criq krankte, in einer Konvenienzehe wenig befriedigt, entstammte sie, das Kind eines französischen Emigranten, Vicomte de Flavigny, und einer Tochter des reichen Frankfurter Bankiers Bethmann, für das junge Genie. Sie entzündete bald auch seine Leidenschaft. Um sich ihren Fesseln zu entziehen, verließ er im Frühjahr 1835 Paris. Sie aber holte den geliebten Flüchtling in Bern ein, um fortan für eine Reihe von Jahren, während eines Wanderlebens in der Schweiz und Italien seine Gefährtin zu werden. Drei Kinder entsproßten ihrem Bunde: Blandine (geb. 1835, als Gattin des französischen Advokaten und Staatsmanns Emile Ollivier 1862 verstorben), Cosima (geb. 1837, in erster Ehe Hans von Bülow, in zweiter Richard Wagner vermählt) und Daniel (geb. 1839, schon 1859 als hochbegabter Student der Rechte hinweggenommen).

Zurückgezogen lebte das Paar längere Zeit 1835 und 1836 in Genf. Dort eröffnete Liszt mit einer Reihe von Artikeln für die wesentlich auf seinen Antrieb von Schlesinger begründete Pariser »Gazette musical« eine bedeutsame schriftstellerische Tätigkeit. Sie bereicherte die musikalische Literatur um mehrere ihrer wertvollsten Erzeugnisse – wie die Arbeiten über Chopin, Wagner, Berlioz, Schumann, Franz usw., die als »Gesammelte Schriften« 6 Bände, Leipzig, Breittopf & Härtel, 1880-83. Bd. I. »F. Chopin« (1. – 3. Aufl.) wurde von La Mara, Bd. II. »Essays und Reisebriefe« von L. Ramann ins Deutsche übertragen. Der reiche Inhalt der übrigen Bände war in der von der Herausgeberin, L. Ramann, nachmals überarbeiteten Übersetzung von P. Cornelius großenteils schon früher durch die »Neue Zeitschrift für Musik« bekannt geworden. Eine 1910 im gleichen Verlag erschienene Volksausgabe enthält die Bände I, III 2, und VI vollinhaltlich, sowie eine von Jul. Kapp besorgte Auswahl aus den übrigen Bänden. vorliegen und das Genie und ausgebreitete Wissen Liszts auch auf diesem Gebiete dartun – verschmähte aber konsequent, Wort und Waffen für sich selber zu führen. Fortwährend auch tonschöpferisch angeregt, hielt er in dem später zu den » Annés de Pèlerinage« umgewandelten » Album d'un voyageur« erlebte Eindrücke in neuartigen Klangbildern fest und begann seine berühmten Klavierübertragungen Schubertscher Lieder und Beethovenscher Symphonien. Daneben ließ er dem neubegründeten Genfer Konservatorium seine seltene Lehrgabe in der ihm eigenen selbstlosen Weise zu gute kommen.

Auch während der nächsten Jahre (1837–1839) suchte er wenig Zusammenhang mit der Öffentlichkeit. Er widmete dieselben, die Schweiz und Frankreich – wo er und die Gräfin 1837 einen romantischen Sommeraufenthalt in Rohant bei George Sand genommen hatten – mit Italien vertauschend, vorzugsweise seiner Selbstbildung, seiner »Ausarbeitung als Künstler«, wie er sagte. »In ihrer ganzen Universalität und Einheit enthüllte sich ihm« – so bezeugt er selbst – »die Kunst«. Konnten ihm auch die modernen musikalischen Zustände daselbst nichts geben, so wandte er sich, wie er an Berlioz schreibt, »zu den Toten«. »Rafael und Michel Angelo verhalfen ihm«, dem sich alle Eindrücke in Musik umsetzten, »zum Verständnis Mozarts und Beethovens, das Colosseum und der Campo Santo zu dem der Eroica und des Requiems«. Als Führer durch die römischen Galerien und Museen wurde ihm besonders Ingres, der damalige Direktor der französischen Akademie, nützlich. Auch mit Rossini verkehrte er viel. In Italien wie in Frankreich (es sei hier nur an Chopin, Berlioz, George Sand, Fürst und Fürstin Belgiojoso, Balzac, Heine, Delacroix, Ary Scheffer, Alfred de Musset, als an seinen engeren Umgangskreis erinnert!) und überall, wo er weilte, suchten die bedeutendsten Männer und Frauen der Zeit seine Nähe. Nur zu vereinzelten Malen hatte er sich in Italien öffentlich hören lassen, u. a. auch in Rom (1838) zum eisten Mal ohne mitwirkende Kräfte, allein am Klavier ein Konzert gegeben, was vor ihm keiner gewagt hatte, was aber nach seinem Vorgang vielfältigste Nachahmung fand.

Ein innerlich Gereifter trat er mit Ende des Jahres 1839 von neuem in die Welt. Die Notwendigkeit trieb ihn, sich endlich wieder mit dem großen Kunstleben zu berühren. Da eine ihm erwünschte Kapellmeistertätigkeit ihm nicht die Mittel gewähren konnte, seinen Verpflichtungen gegen seine bisherige Gefährtin, gegen seine Kinder und seine Mutter zu genügen, nahm er seine Virtuosenreisen in erweitertem Umfang wieder auf. Die Gräfin bestimmte er nach Paris zurückzukehren und bis zu der bald darauf durch ihn herbeigeführten Aussöhnung mit ihrer Familie mit den Kindern bei seiner Mutter zu leben. Sie fanden sich in den nächsten Jahren wiederholt zu längerem gemeinsamen Aufenthalt zusammen. Das sie vereinende Band aber lockerte sich mit der Zeit mehr und mehr und 1844 trennten sie sich dauernd voneinander. Die Fürsorge für seine Kinder übernahm Liszt. Er ließ ihnen eine ausgezeichnete Erziehung geben. Ihre Mutter gewann sich unter dem Schriftstellernamen Daniel Stern durch historische Arbeiten einen klangvollen Namen. In Paris ist sie 1876 verstorben.

Glanzvoll begann Liszt seinen erneuten Aufflug in Wien, wo man ihn schon 1838 zum Besten der Donauüberschwemmten in Ungarn gehört und mit unbegrenztem Enthusiasmus als kurzen Gast gesehen hatte. Seine Erfolge daselbst stellten auch auf deutscher Erde seinen Künstlerruf fest und leiteten die Virtuosenfahrten ein, die ihn nun vom Norden bis zum Süden, vom Osten bis zum Westen Europas, in einem Triumphzug ohne gleichen, durch alle Lande und alle musikpflegenden Städte führten. Allerorten begeistert gefeiert, erlebte er zumal in Ungarn und Deutschland nie dagewesene Huldigungen. Von seinen Landsleuten ward er, der die ungarischen Nationalmelodien durch Europa trug und sein Vaterland in bedeutsamen Werken verherrlichte, als der Repräsentant ihrer eigensten idealsten Interessen, als Vertreter des Fortschritts in der Kunstwelt Ungarns, als der Träger einer nationalen Idee betrachtet und durch Überreichung des Ehrensäbels, des ungarischen Abzeichens des Verdienstes und des Adels, ausgezeichnet. Seine Berühmtheit ward mit dem geistigen Aufschwung seines Volkes in Verbindung gesetzt. Nicht minder sah er sich namentlich in Berlin 1842 mit einer Begeisterung aufgenommen, wie sie glühender keinem ausführenden Künstler je lohnte. Rückhaltlos feierten ihn auch seine Leipziger Kunstgenossen, wenngleich die Stadt der Musik sich zu keiner Zeit durch Verständnis für Liszts Größe hervorgetan hat. »Das Instrument glüht und sprüht unter seinem Meister. Es ist nicht mehr Klavierspiel dieser oder jener Art, sondern Aussprache eines kühnen Charakters überhaupt, dem zu herrschen, zu siegen das Geschick einmal statt gefährlichen Werkzeugs das friedliche der Kunst zugeteilt«, schreibt Schumann von dem »Jupiterjüngling«. Und in einem seiner Briefe (1840) äußert Mendelssohn: »Ich habe keinen Musiker gesehn, dem so wie dem Liszt die musikalische Empfindung bis in die Fingerspitzen liefe und da unmittelbar ausströmte. Er besitzt ein durch und durch musikalisches Gefühl, das wohl nirgends seines gleichen finden möchte.« Nennt ihn doch auch Wagner »den musikalischsten aller Musiker, der ihm denkbar ist.« Fürsten und Papst bedeckten ihn mit Titeln und Orden. Der österreichische Kaiser verlieh ihm den Adel; doch bediente sich der Künstler nie desselben, sondern erbat und empfing die Erlaubnis, ihn auf seinen Vetter Eduard Liszt in Wien und dessen Kinder zu übertragen. Städte ernannten ihn zu ihrem Ehrenbürger, die Universität Königsberg erteilte ihm die Doktorwürde – den einzigen von allen Titeln, den er mit Vorliebe führte. Ein Begeisterungsrausch folgte, wo man ihn hörte, seinen Spuren; wie bei keinem andern Künstler hefteten sich Triumph und Ehren an seine Fersen. Alle Herzen flogen ihm entgegen, und neben Gold und Lorbeeren streuten ihm zarte Hände Rosen über Rosen auf den Weg.

Doch nicht lange fand er dabei Genüge. Dem Klavier, das – er selber sagt es – »sein Ich, seine Sprache, sein Leben war«, hatte seine Mission gegolten, so lang ihm Studium und Entwicklung des Klavierspiels noch eines weiteren Fortschritts durch ihn fähig schienen. Nun erachtete er diese seine Aufgabe für erfüllt und wandte sich der des Dirigenten, des Lehrers und vor allem der des Komponisten zu, zu der er sich weiter berufen fühlte. Inmitten seiner Siegeslaufbahn als Virtuos schloß er – staunend sah es die Welt – dieselbe plötzlich ab und nahm als großherzoglicher »Hofkapellmeister in außerordentlichen Diensten«, – welche Würde, bei nur dreimonatiger jährlicher Verpflichtung, er schon seit 1842 trug – mit Anfang Februar 1848 in dem kleinen, aber poesieumwobenen Weimar seinen Wohnsitz.

Dahin folgte ihm wenige Monate später die außerordentliche, durch souveräne Geistes- und Herzensgaben ihm wahlverwandte Frau, die wie keine andere in sein Geschick eingreifen sollte: Fürstin Carolyne von Sayn-Wittgenstein. Die Tochter eines überaus reichbegüterten Polen von altem aber kleinem Adel, hatte Carolyne von Iwanowska– so lautete ihr Mädchenname – dem Gebot ihres Vaters folgend, mit siebzehn Jahren dem als Rittmeister in russischen Diensten stehenden Fürsten Nikolaus Wittgenstein 1836 ihre Hand gereicht. Ihrer Ehe lächelte kein Glück, und längst waren ihre Fesseln der jungen Fürstin unerträglich geworden, als sie Liszt 1847 in Kiew kennen lernte. Ihr für alles Schöne und Große glühendes Herz, ihre überschwengliche Phantasie entbrannten alsbald für den unvergleichlichen Künstler und Menschen. Im Herbst kam er für längere Zeit nach Woronince, einem ihrer ausgedehnten podolischen Güter. Er machte sie mit seinen größeren kompositorischen Plänen bekannt, und von ihnen ergriffen, glaubte sie sich zu der Aufgabe berufen, ihm zur freien Entfaltung seines schöpferischen Genies zu verhelfen. Sie beschloß ihm anzugehören. So zerriß sie die nur noch äußeren Bande, die sie an ihren Gatten ketteten, und verließ, indessen Liszt in Weimar seinem Amt oblag, mit ihrer elfjährigen Tochter, Prinzessin Marie, im April 1848 Rußland. In Krzyzanowitz, einem schlesischen Schloß des Fürsten Felix Lichnowsky – der im September desselben Jahres in Frankfurt a. M. der Revolution zum Opfer fiel – traf sie mit Liszt, dessen nahem Freund, zusammen. Im Juni kam sie nach Weimar, um sich auf der »Altenburg«, einer von ihr gemieteten Besitzung der Großherzogin, deren Seitenflügel Liszt später bezog, niederzulassen. Bei der geistlichen Behörde in Rußland hatte sie eine Scheidungsklage eingereicht, wogegen ihr Gatte seinerseits beim Kaiser Nikolaus über die gewaltsame Entführung seiner Tochter und die Beraubung aller Existenzmittel Klage erhob. Auf Liszts Rat erbat die Fürstin die Vermittlung der Großherzogin-Großfürstin Maria Paulowna von Weimar, der Schwester des russischen Kaisers. Des letzteren Verlangen nachzukommen, daß Fürstin Carolyne, behufs gütlicher Auseinandersetzung mit ihrem Gatten, nach Rußland zurückkehre, weigerte sich diese jedoch standhaft, in der Überzeugung, daß man sie ein zweites Mal nicht wieder aus Rußland herauslassen werde. Demzufolge wurde nach Verlauf einiger Jahre ihr von ihrem Vater ererbtes Vermögen auf ihre Tochter übertragen und eine Vormundschaft für dieselbe eingesetzt. So lang sie bei ihrer Mutter lebte, verblieben dieser die Revenuen. Der Fürst, dem der siebente Teil des Vermögens zuerkannt wurde, erreichte als Protestant die Lösung der Ehe ohne Schwierigkeit. Er hatte längst (1857) ein zweites Ehebündnis geschlossen, als die sich zur römisch-katholischen Kirche bekennende Fürstin Carolyne noch endlose Kämpfe um den Preis ihrer Freiheit zu bestehen hatte. Ihre hochfliegende Seele kannte ja kein höher zu erstrebendes Ziel, als das Glück, an Stelle ihres Fürstenranges »Liszts ruhmreichen Namen zu tragen«. Sie lebte nur für ihn, nur in ihm. Wie sie von Anbeginn den Glauben an seinen Komponistenberuf in ihm befestigte, so wußte sie ihm auch die dazu nötige Ruhe und Konzentration zu verschaffen. »Sie wachte«, wie seine Tochter sagt, »über seine geistige Tätigkeit.« Sie inspirierte ihn zu vielen seiner Werke; umschließen doch die auf der Altenburg verlebten Jahre die fruchtbarsten seines Komponistenlebens. Sie nahm an Ausarbeitung seiner Schriften vielfach direkten Anteil. Sie schmückte sein Leben nach innen und außen und gestaltete ihr Haus, das Heim, das sie ihm schenkte, in vornehmer Gastlichkeit zu einem Musenhof, der, die auserlesensten Geister der Zeit um ihn versammelnd, zur Weltberühmtheit wurde. Authentisches über die Fürstin Wittgenstein und ihre Beziehungen zu Liszt wurde durch d. Verf. außer in den kleineren Artikeln: Münchner »Allgemeine Zeitung« 30. März 1887 (Beilage) und 22. Oktober 1893 (Feuilleton), ausführlicher mitgeteilt in den Einleitungen zu den »Briefen Liszts an die Fürstin Wittgenstein« (4 Bde. 1899-1902) und den Werken »Aus der Glanzzeit der Weimarer Altenburg« (1906) und »Liszt und die Frauen« (1911, sämtlich bei Breitkopf & Härtel erschienen).

Welchen Glanz strahlte Liszt über Weimar aus! Auf dem alten klassischen Boden rief er eine neue Kunstblüte hervor und entfaltete eine Wirksamkeit, die für das gesamte Musikleben seiner, wie der kommenden Zeit von ungeheurer Bedeutung wurde. Das Wort Beethovens: »Freiheit, Weitergehen ist in der Kunstwelt, wie in der ganzen großen Schöpfung Zweck«, schrieb er mit weithin sichtbaren Lettern auf sein Banner, um das sich die jüngeren Musiker scharten, um schaffend, ausführend oder leitend von ihm zu lernen. Neben der Pflege klassischer Werke ließ er sich daher vor allem die Förderung der aufstrebenden musikalischen Generation angelegen sein: erschien doch in ihm das Prinzip des musikalischen Fortschritts verkörpert. So ist in erster Linie die Verbreitung der Werke Wagners, die jetzt längst den eisernen Bestand jedes besseren Bühnenrepertoires bilden, sein Verdienst. Mehr, unvergleichlich mehr als irgend einer hat er für seinen großen Freund getan. Bezeichnete doch Wagner selber am Vorabend der ersten »Parsifal«-Aufführung 1882, ihn als »den großen Schirmherrn seiner Kunst, der ihn erhoben habe wie kein andrer«. Mit der Intuition des Genies erkannte er, noch ehe ein anderer sie ahnte, die Größe des ihm verwandten Kunstgeistes, die Tragweite und Bedeutung seiner neuen, unerhört kühnen Bahnen. Als Wagner als Flüchtling und Verbannter die deutsche Erde meiden mußte, übernahm Liszt, sein »zweites Ich«, wie er ihn nannte, an seiner Stelle die Aufgabe, sein Volk mit seinen Schöpfungen bekannt zu machen. In Weimar gründete er »Tannhäuser«, »Lohengrin«, »Holländer« eine sichere Heimat, von der, als festem Mittelpunkt aus, sie sich, dank seinem siegreichen Vorgehen, allmählich dies Welt eroberten. Um das Verständnis der ihrer Zeit weit vorausgeeilten und ihr darum fremdartig erscheinenden neuen Werke auf alle Weise zu fördern, veröffentlichte er Klavierbearbeitungen und Transkriptionen derselben, schrieb er seine berühmten Analysen und Artikel über die drei genannten Opern und »Rheingold«. Ges. Schriften, Bd. III. 2 deren musikalisch-poetische Wirkung durch die hinreißende Beredsamkeit seiner Feder unterstützend und motivierend. Liszts Mahnruf auch feuerte Wagner zu erneuter Tätigkeit an, als er, nach dem Scheitern mannigfacher Pläne, zu einer Zeit tiefster Niedergeschlagenheit das Ende seines Kunstschaffens gekommen glaubte. Liszt war der Erwecker der schlummernden Nibelungen-Idee. Was wir nachmals in Bayreuth zur Ausführung kommen sahen, war vor Jahren schon von ihm für Weimar geplant. Der klassische Boden, der uns die größten deutschen Dichterwerke geboren, sollte, so wollte er, auch die Geburtsstätte der größten musikalisch-dramatischen Taten der Neuzeit werden. War es Liszts Schuld, wenn seine Vorschläge an maßgebender Stelle kein Gehör fanden, wenn der Glaube an den grüßten Tongenius der Neuzeit erst langsam wachsen und reifen mußte, um dessen Ideal die Verwirklichung zu bringen? Nie, das ist gewiß, fanden große, kühne Ideen einen kühneren, kongenialeren Vorkämpfer, als die Gedanken und Ziele Wagners in Franz Liszt.

Auch für die in Deutschland wie in Frankreich zu jener Zeit noch nicht zu verdienter Geltung gelangten Schöpfungen Berlioz' und namentlich seine Oper »Benvenuto Cellini« wirkte Liszt mit Eifer und Nachdruck. Er war der Erste, der Schumanns »Manfred« auf die Bühne brachte, wie er auch, ungeachtet des vorausgegangenen Mißerfolges in Leipzig, dessen »Genoveva« dem Weimarer Repertoire einverleibte. Schuberts »Alfonso und Estrella« entriß er der Vergessenheit; Rubinstein, Raff, Cornelius, Lassen und andere junge Meister führte er als Opernkomponisten ein. Wegbereitend und verständnisfördernd wirkte er, der Erzieher einer ganzen musikalischen Generation, für alle. Keine neue musikalische Erscheinung irgendwelcher Bedeutung blieb von ihm unberücksichtigt, und die von ihm geleiteten Opern und Konzerte, nicht minder die allsonntäglich in der Altenburg veranstalteten Matineen, in denen man den für die Öffentlichkeit nunmehr verstummten Klavierzauberer Liszt einzig noch bewundern durfte, übten ihre Anziehungskraft bis in die weite Ferne.

Als Dirigent brachte er den Grundsatz zur Geltung, daß »die Aufgabe eines Kapellmeisters darin bestehe, sich tunlichst überflüssig zu machen und mit seiner Funktion möglichst zu verschwinden«. »Wir sind Steuermänner, keine Ruderknechte«, heißt es in seinem »Brief über das Dirigieren«, Ges. Schriften. Bd. V. und man weiß, mit welchem Erfolge sich diese Methode bewährte. Gleicherweise ließ er auch in seiner Tätigkeit als Lehrer der Individualität die größte Freiheit in der Entwicklung. Da war von Schablone keine Rede; die volle Eigentümlichkeit und Selbständigkeit blieb jedem einzelnen gewahrt, dem er die unschätzbaren Reichtümer seiner Erfahrung in der Technik seiner Kunst erschloß. Ließ sich der individuelle seelische Zauber seines Spiels, die unvergleichlich inspirierte Weise, die seinem Vortrag das Unmittelbare einer schöpferischen Offenbarung gab, auch auf keinen andern übertragen: seine Schule bleibt uns unverloren; sie ist in sicherem Bestand über alle Weltteile verbreitet. Aus ihr gingen die bedeutendsten der neueren Pianisten, an ihrer Spitze sein Liebling und nachmaliger Schwiegersohn Hans von Bülow, Tausig, Sofie Menter, Hans von Bronsart, Carl Klindworth, Dionys Pruckner, Eugen d'Albert, Alfred Reisenauer, Alexander Siloti, Bernhard Stavenhagen, Arthur Friedheim, Emil Sauer, Moritz Rosenthal. Frederic Lamond, Graf Géza Zichy, der einarmige große ungarische Künstler, Rubinstein zählt, da er nur in erster Jugend und später vorübergehend Liszts Unterricht genoß, nicht zu seinen eigentlichen Schülern. hervor, denen sich ein weiter Kreis von Kapellmitgliedern und Musikern, wie Joachim, Laub, Singer, Coßmann, Raff, Ritter, Cornelius, Lassen, anschloß.

Wenn Schumann sagt: »Bei Talenten zweiten Ranges genügt es, daß sie hergebrachte Formen beherrschen; bei denen ersten Ranges billigen wir, daß sie sie erweitern; das Genie aber darf frei gebären,« so hat Liszt seinen Anspruch auf dieses Recht mit vollem Kraftbewußtsein geltend gemacht. Wie er als Pianist auf seinem Instrument gleichsam eine neue Welt entdeckte, die in ihm schlummernden orchestralen Kräfte erweckte und dessen höchste Glanzzeit herbeiführte, mußte er auch als Komponist neue selbständige Bahnen einschlagen. Während seines Wander- und Virtuosenlebens bereits hatte er neben einigen Liedern und Chören eine beträchtliche Anzahl von Klavierwerken geschaffen, die zunächst der Ausdruck seiner Virtuosität waren. Gleichzeitig mit der neuen, im Vergleich zu dem bisher Vorhandenen unerhört vervollkommneten Technik, die sie begründen halfen, versinnlichten sie meist eine poetische Idee. Nachdrücklicher als vor ihm Robert Schumann gab Liszt von je die Überzeugung kund, daß das Reich der Musik unbegrenzter sei als daß der Empfindung, daß es sich auch die Gedankenwelt zu erschließen vermöge. »Die Vokalmusik vermag es durch die Wahl ihrer Texte, deren Sinn durch ihre Hilfe zu erhöhtem Ausdruck gelangt; die instrumentale kann es durch Programme,« sagt er selbst. An Stelle des reinen Musikschönen tritt somit bei ihm, ähnlich wie bei Berlioz, das »Gedankenhafte«. Eine poetische Idee liegt seinen Konzertparaphrasen und Phantasien, die ein bisher in Mißkredit geratenes Genre künstlerisch adelten und mit völlig neuem charakteristisch-dramatischem Leben füllten, seinen den Gipfel der Virtuosität bezeichnenden Etüden, den Nocturnes, Polonaisen und Balladen, den »Consolations«, »Apparitions«und »Harmonies poétiques et religieuses« zugrunde. In den »Années de pèlerinage« haben Natur- und Kunsteindrücke aus der Schweiz und Italien sich zu lyrisch-malerischen, überaus reizvollen Tonbildern umgesetzt. In den »Glanes de Woronince« band er Ukrainer Volksmelodien und -szenen zum Strauß. In den »Ungarischen Rhapsodien« ließ das Volksleben seiner Heimat sein aus den Liedern, Tanzen und Märschen der Ungarn und Zigeuner zusammengewobenes phantastisches Spiegelbild zurück. In den viel später, erst in Rom entstandenen »Franziskus-Legenden« werden – beigegebene Programme verständigen uns des näheren darüber – fromme Wunder der Heiligengeschichte in Tönen illustriert.

Musikalische Poesie webt nicht minder in den berühmten Transkriptionen Beethovenscher, Weberscher, Mendelssohnscher, Schumannscher, Franzscher, Lassenscher, Rossinischer und vor allen Schubertscher Lieder, die eine neue Ära auf dem Feld der musikalischen Übertragung begründeten und, dem Geist der Originale bis in die Einzelstimmung hinein Rechnung tragend, denselben der Individualität des Klaviers angemessen, durchaus eigenartig reproduzieren. Gegen sechzig Transkriptionen Schubertscher Lieder allein besitzen wir, denen das Publikum zum Teil erst die Bekanntschaft mit den damals noch wenig verbreiteten Originalgesängen dankte. Daneben stellten seine »Bravourstudien nach Paganinis Capricen«, seine »Klavierpartituren« der Beethovenschen Symphonien und der »phantastischen Symphonie« von Berlioz – welche letztere als die genialste aller Klavier-Übertragungen von Orchesterwerken bewundert wird –, sowie seine Bearbeitungen Wagnerscher, Berliozscher, Rossinischer, Weberscher Ouvertüren, Schubertscher Klavier- und Bachscher Orgelkompositionen, sein unübertroffenes Genie als musikalischer Übersetzer ins hellste Licht.

Größere musikalische Taten kamen während seines Weimarer Aufenthaltes zur Vollendung. Hier entstanden, gleich der Schumann gewidmeten H-moll-Sonate, einem Unikum in des Meisters Schaffen und dem bedeutendsten seiner Klavierwerke, seine beiden Klavierkonzerte in Es und A. Sie zeigen, diese wie jene, trotz einer bei näherer Betrachtung unverkennbaren Verwandtschaft der Grundzüge des inneren Baues, eine von den herkömmlichen Formen veränderte Physiognomie. In einem Satze geschaffen, bringen sie ein neues Prinzip thematischer Einheit zur Erscheinung. Liszt spinnt seine Antithesen gern aus der These heraus; ein Hauptthema und ein Gegenthema verarbeitet er durch rhythmische und harmonische Veränderungen zu den frappantesten Gestaltungen. Dabei legt er in seinen Konzerten, mehr als hergebracht, den Schwerpunkt auf das Pianoforte und verleiht diesem vornehmlich durch ausgedehntere Kadenzen besonderen Glanz. Von Bülow und Bronsart (1851 und 1857) zuerst in die Öffentlichkeit eingeführt, gewannen sie, zumal das erste, sich verhältnismäßig bald das Publikum; sie finden sich seit langem auf dem Repertoire der Pianisten. Laute Opposition dagegen widerfuhr bei Bülows erstem Vortrag dem grandiosen »Totentanz«, Variationen über die alte Melodie des » Dies irae«, zu denen der Tondichter durch das berühmte Fresko »Der Triumph des Todes« im Campo Santo zu Pisa die Anregung empfing. Erst Alexander Siloti, von dem eine neue Ausgabe des außerordentlichen Werkes herrührt, blieb es vorbehalten, ihm durch öftere Vorführung zur gebührenden Würdigung zu verhelfen. Eine solche ist endlich auch der Sonate zuteil geworden, der man lange Zeit fremd gegenüber stand. Neuerdings will kein hervorragender Klavierkünstler sie mehr in seinen Programmen missen.

Vor Jahren schon war die Mahnung laut geworden, Liszt möge »das weitere Feld der symphonischen und dramatischen Komposition« bebauen. Mit einem Male trat er jetzt als Beherrscher großer orchestraler Formen hervor: er überraschte die musikalische Welt mit seinen, in den Jahren 1847–58 entstandenen zwölf »Symphonischen Dichtungen«, denen er 1881 noch eine dreizehnte: »Von der Wiege bis zum Grabe« (nach einer Zeichnung Michael Zichys), wie zuvor einen »Epilog zu Tasso«: » le Triomphe funèbre du Tasse« folgen ließ. Völlig neue Erscheinungen ihrer Art, waren sie in ihrer Einsätzigkeit und thematischen Einheit, der Form wie der Idee nach, seine eigensten Geschöpfe. Eine Dichtung, einen poetischen Vorwurf bringt Liszt, indem er ihm seine musikalischen Seiten abgewinnt, zu tonkünstlerischer Darstellung. Die äußere Gestalt wächst, Liszts Grundsatz gemäß, daß der Inhalt die Form zu bestimmen habe, aus dem Inhalt heraus, sie ist so mannigfaltig wie dieser Inhalt selbst und eher der Ouvertüre als der Symphonie verwandt. Der Sonatensatz, auf dem die letztere beruht, erwies sich als nicht elastisch genug zur Aufnahme eines neuen poetischen, einen fortlaufenden Ideengehalt repräsentierenden Inhaltes, und so griff Liszt zur freien Variationenform, wie sie Beethoven im Vokalsatz seiner neunten Symphonie – dem Ausgangspunkte für Liszts gesamtes instrumentales Schaffen – anwandte. Aus einem oder zwei gegensätzlichen Themen – oder Leitmotiven, wenn man will – heraus entwickelt er eine Folge verschiedenartigster Stimmungen, die durch rhythmische und harmonische Veränderungen in immer neuer Gestalt erscheinen, dem Gesetze des Wechsels, des Gegensatzes und der Steigerung entsprechend. Das auf diesem Gesetz beruhende Prinzip des Sonatenbaus ist demnach, trotz der thematischen Einheit und der eine freiere Periodengliederung aufweisenden einsätzigen Form, auch hier wie in seinen Konzerten und der Sonate wirksam, und die Umrisse der herkömmlichen vier Sätze blicken, freilich zusammengedrängt, mehr oder minder kenntlich noch immer hervor. Bei seinen Wagner und Berlioz gewidmeten beiden umfangreichsten und großartigsten Instrumentaldichtungen »Dante« und »Faust« – neben »Graner Messe« und »Christus« seinen größten musikalischen Taten überhaupt – bei denen er die Bezeichnung Symphonie beibehielt, beließ er es auch bei der Teilung in selbständige Sätze; aber er schaltet innerhalb derselben auf seine eigene Weise. In beiden, welche die tiefsinnigsten Dichterwerke, die wir besitzen: »die göttliche Komödie« und Goethes »Faust«, in Tönen illustrieren, brachte er, wiederum nach Vorbild der neunten Symphonie, im Schlußsatz Chöre zur Anwendung. Den einzelnen Sätzen fügte er erläuternde Titel (hier Infero, Purgatorio, Magnificat, dort Faust, Gretchen, Mephistopheles) bei. Hier werden wir von den Bildern höllischer Qualen und Verzweiflung zur Extase der Erlösung geführt; dort sehen wir in drei mit genialer Schärfe gezeichneten Charakterbildern und dem abschließenden Chorus mysticusdie Faustidee zu ergreifendem Ausdruck gebracht.

Über die Dantesymphonie äußert sich Wagner bewundernd: »Nachdem ich kurz zuvor mit der Lektüre der ›Göttlichen Komödie‹ beschäftigt gewesen und hierbei neuerdings alle die Schwierigkeiten der Beurteilung dieses Werkes erwogen hatte, trat jetzt jene Lisztsche Tondichtung mir wie der Schöpfungsakt eines erlösenden Genius entgegen, der Dantes unaussprechlich tiefsinniges Wollen aus der Hölle seiner Vorstellungen durch das reinigende Feuer der musikalischen Idealität in das Paradies seligst selbstgewisser Empfindung befreite. Dies ist die Seele des Danteschen Gedichtes in reinster Verklärung. Solchen erlösenden Dienst konnte noch Michel Angelo seinem großen dichterischen Meister nicht erweisen; erst als durch Bach und Beethoven unsere Musik auch des Pinsels und Griffels des ungeheuren Florentiners sich zu bemächtigen angeleitet war, konnte die wahre Erlösung Dantes vollbracht werden«. Sämtl. Schriften X, Das Publikum in Zeit und Raum.

Die Mehrzahl seiner symphonischen Dichtungen begleitete Liszt, um Genuß und Verständnis derselben zu erleichtern und den Hörer über den Gedankengang, den er beim Schaffen wesentlich verfolgte, klarzustellen, mit Programm men. Er gibt uns in denselben entweder ganze oder fragmentarische Dichtungen, wie die Verse Victor Hugos und Lamartines zur »Bergsymphonie«, zu »Mazeppa« und den »Préludes«, oder er knüpft, wie in »Tasso« und »Prometheus«, an bekannte Dichterwerke, oder wie in der »Heldenklage«, an ein historisches Ereignis an, oder er feiert in der mythischen Gestalt des »Orpheus« die Kunst selber in ihrer erlösenden Macht. Die »Festklänge« und »Hungaria«, sowie »Hamlet«, die »Hunnenschlacht« (nach Kaulbach) und die »Ideale« (nach Schiller) ließ er ohne Programm, da ihm die Titel für eine richtige Auffassung derselben ausreichend dünkten.

Nach Wagners Worten konnte die Erfindung der neuen Kunstform der »symphonischen Dichtung«, die für Liszt »zum Ausdruck unsäglicher Seelen- und Weltvorgänge wird, nur einem höchstbegabten Auserlesenen vorbehalten sein, der, durch und durch vollendeter Musiker, zugleich durch und durch anschauender Dichter ist«. Sämtl. Schriften V, Über Liszts symphonische Dichtungen. Und Hermann Kretzschmar, der vornehmste der gegenwärtigen deutschen Musikhistoriker, gibt das Urteil ab: »Als musikalischer Architekt bleibt Liszt neben Wagner der erste Meister des 19. Jahrhunderts; er ist der Gluck der Symphonie«. Gewandhaus-Konzertbericht, Leipziger Neueste Nachrichten, 6. Febr. 1904.

Nicht allein ihre poetisch-musikalische Doppelnatur, wohl mehr noch die Neuheit ihrer Form, die man als Formlosigkeit ansehen wollte und die doch eben das Resultat eines neuen Inhaltes ist, hat das Verständnis der großen Orchesterschöpfungen Liszts von vornherein erschwert. Alsbald nach dem ersten Bekanntwerden der symphonischen Dichtungen erhob sich ein erbitterter Federstreit, dem Liszt selbst in gewohnter Vornehmheit fern blieb. Man redete von der Unverletzlichkeit »geheiligter Formen«, als ob ohne erweiterte Formen überhaupt die Entwicklung der Symphonie von Lully und Scarlatti bis Beethoven möglich gewesen wäre! Man stieß sich an das stark Subjektive des Lisztschen Kunstausdrucks. Und in der Tat, seine kühne, sich mit Vorliebe übermäßiger und verminderter Intervalle bedienende Harmonik, seine von Fétis übernommene Praxis der »freien Tonalität«, die jeden Ton als Leit- oder leitereigenen Ton aufzufassen erlaubt, seine vorwiegend homophone Schreibart, die häufigen Sequenzen, insbesondere seine eigentümliche Tonsymbolik mit ihren Akzenten und Interpunktionen, ihren rezitativischen Stellen und Generalpausen durften manchem befremdend dünken. Auch erhöhten sie die Schwierigkeit ihrer Interpretation. Doch bemühte man sich wenig um eine solche. Die Vertreter des starren Klassizismus verschlossen einfach den Werken des als Propagandist Wagners und Berlioz' Mißliebigen, und mit ihnen zuvörderst auch seinen Schülern die Pforten ihrer Konzertsäle, Es währte lange bis des Meisters Wort: »Ich kann warten!«, das er allen Verneinungen und Anfeindungen ruhig entgegensetzte, sich bewährte. Doch konnte man nicht dauernd hindern – und der Taktstock und die Feder Bülows, die Schriften Brendels, Pohls, Kohlers, Weitzmanns, Dräsekes, Porges' taten dabei das ihre – daß die von Liszt vertretene poetisierende Richtung in allen Gattungen der Musik zu energischem Ausdruck gelangte und daß seine symphonischen Dichtungen und andere seiner Orchesterwerke, wie seine geistreichen »Faustepisoden« (nach Lenau), wenn auch bedauerlich langsam und verspätet, in die Konzertsäle eindrangen. Scheint auch die aristokratische Natur der bühnenfremden Lisztschen Muse, ihr feinfühlig dichterisches Wesen, ihr mehr kosmopolitischer als spezifisch deutscher Geist von Haus aus weniger bei uns zur Popularität angelegt, als das ganz im deutschen Gefühls- und Gedankenleben wurzelnde dramatische Kunstwerk des urdeutschen Wagner, das von der Bühne herab täglich vor Tausenden und Abertausenden seine lebendigen Wunder wirkt: das sich immer unaufhaltsamer ausbreitende Verständnis für dieses wirkte endlich auch für jene förderlich. Genug, wir sahen seit Beginn der achtziger Jahre Deutschland, Österreich, Ungarn, Belgien, die Schweiz, Italien wetteifern, Franz Liszt und sein Werk in glänzenden Festen zu feiern.

Nicht minder als seine instrumentalen Schöpfungen haben sich die Vokalwerke des Meisters, allen voran seine herrlichen farbenfreudigen Chöre zur symphonischen Dichtung »Prometheus«, seine Lieder, seine Oratorien und Kirchenkompositionen nach anfänglichem Widerstand Boden gewonnen. Im Liede, das in Hugo Wolf seinen Fortsetzer fand, vertritt er die Durchführung des poetischen Prinzips bis zu seinen äußersten Konsequenzen. Vom Dichter läßt sich der Musiker ganz durchdringen, er geht in ihm auf. Das über eine bloße Begleiterrolle weit hinausgehobene Klavier bildet den ton- und stimmungsmalerischen Untergrund. Bei voller Freiheit in Behandlung des Rhythmischen und Melodischen waltet ein deklamatorisches Element vor, das Wagners »Sprechgesang« verwandt ist. Es sei hier nur an das gefühlsinnige »Ich liebe dich« (von Rückert), an »Mignon« und »Loreley« erinnert, wogegen sich das populärste von Liszts Liedern: »Es muß ein Wunderbares sein« der älteren Liedform am meisten nähert.

Auch der Mischform des Melodrams, der Deklamation mit begleitendem Klavier, wandte Liszt seine Teilnahme zu. Durch die fünf Werke dieser Art, die er uns schenkte: »Lenore«, »Der traurige Mönch«, »Helges Treue« (nach Dräsekes Ballade), »Des toten Dichters Liebe« und »Der blinde Sänger« adelte er die Gattung und bereicherte sie – insbesondere durch die zwei erstgenannten – um dichterisch-musikalische Meistergebilde eigensten Gepräges.

Das poetisch charakterisierende Prinzip, das Liszt im Liede und Melodrama, wie in seinem Schaffen überhaupt, das thematische Einheitsprinzip, das er in seinen Instrumentalwerken verfolgte, gelangt auch in seinen Oratorien und Kirchenkompositionen zum Rechte. Der Leitmotive, aus denen Wagner das Gewebe seines musikalischen Dramas spinnt, bedient Liszt sich zuerst für Messe und Oratorium. Neues, Großes schuf er, den Bedürfnissen seiner Natur gemäß, auch auf diesem Gebiet. Wie überall, gab er auch hier, wo es ihm um nichts Geringeres als um die Regeneration der katholischen Kirchenmusik zu tun war, mit vollen Händen. Wir können bei der Fülle des Gegebenen an dieser Stelle nur der im Beethovenschen Geiste gehaltenen, durch die kühn-dramatische Behandlung des Meßtextes insbesondere imponierenden Graner Festmesse (1855) – von der Liszt selbst sagt, daß er sie »mehr gebetet als komponiert« habe –, der für die Krönung des österreichischen Kaiserpaares in Budapest (1867) geschriebenen ungarischen Krönungsmesse – in der sich das nationale Element den strengen kirchlichen Formen verbindet –, der tiefen Missa choralis, der Messe und des Requiems für Männerstimmen, der Psalmen, Kirchenchorgesänge und Orgelwerke, sowie der Oratorien »Die heilige Elisabeth« und »Christus« gedenken.

Die am 15. August 1865, gelegentlich des großen Budapester Nationalmusikfestes zuerst aufgeführte »Elisabeth«, die Schwinds bekannten Gemälden auf der Wartburg die nächste Anregung dankt, ist ein auf Text von Roquette geschaffenes musikalisches Drama, das eine Folge von sechs einzelnen abgerundeten Szenen aus dem Leben der Heiligen, zwar ohne den Apparat der Bühne, wie ohne äußerlich entwickelten Zusammenhang, doch mit allen musikalischen Mitteln charakteristischer Individualisierung der Situationen und Personen darstellt. Ganz in Legendenromantik getaucht, eine Art »geistlicher Oper«, wie sie Rubinstein anstrebte, tritt bei ihr das dramatische Element dergestalt in den Vordergrund, daß man in Weimar (bei Gelegenheit des siebzigsten Geburtstages des Tondichters) eine szenische Darstellung wagte, an die er selbst nie gedacht hatte, die sich aber als in so hohem Maße wirksam erwies, daß die Wiener, Münchner, Karlsruher, Pester Hofoper, die Kölner, Prager, Hamburger, Brünner und andere Bühnen auf das erfolgreichste dem von Weimar gegebenen Anstoß folgten. In Wien sieht man das Werk am 19. November, dem Elisabethtag, ständig wiederkehren.

Dagegen ward beim »Christus«, der am 29. Mai 1873 in Weimar seine erste vollständige, vom Komponisten geleitete Aufführung erlebte, das dramatische Element vollständig ausgeschieden. Vorwiegend Chor-Oratorium, mehr Betrachtung und Empfindung als Handlung, bringt derselbe nicht, wie verwandte Werke Händels, Bachs, Mendelssohns, Kiels, die Person des Heilands oder andere Persönlichkeiten der heiligen Tragödie, sondern die Christus idee in ihren Hauptmomenten zum Ausdruck. Das dreiteilige Ganze: »Weihnachtsoratorium«, »Nach Epiphania« und »Passion und Auferstehung«, gliedert sich, mit nur sparsamer Verwendung von Soli, in abgeschlossene charakteristische Instrumentalbilder und Vokalsätze, die durch Leitmotive stellweise, wie in der »Elisabeth« und der Graner Messe, auf altkirchlichen Intonationen beruhende in innere Beziehung zueinander gesetzt sind und deren Text Liszt selbst aus Worten der heiligen Schrift und der katholischen Liturgie zusammenstellte. Die ehrwürdigen Traditionen des katholischen Kirchengesangs erscheinen dabei mit den Glanzwirkungen des modernen, echt Lisztisch behandelten Orchesters in Harmonie gebracht. Wie einst Palestrina verwendet auch Liszt Gregorianische Choralmelodien als Fundament seines transzendentalen Tongedichts, das sich zumal im »Stabat mater dolorosa« zu heiliger Ekstase steigert. Wir sehen im »Christus«, dem idealen Ausdruck katholischen Geistes, Liszts gewaltigste Tat im Bereich der geistlichen Musik, eine Schöpfung voll unvergleichlicher Geistes- und Seelentiefe; – durfte man sie doch als die größte oratorische Erscheinung des neunzehnten Jahrhunderts bezeichnen. Durch Propaganda für das machtvolle Werk haben sich in München Hoffbauer, Porges, Mottl, in Wien Löwe, in Leipzig Riedel und Göhler, in Berlin Kellermann, Holländer, in Heidelberg Wolfrum besondere Verdienste erworben.

Ein drittes Oratorium: »Stanislaus«, das zu einzelnen Teilen aufgeführt und veröffentlicht wurde, blieb unvollendet. Aus dem der polnischen Geschichte entnommenen Stoff gestaltete die Fürstin Wittgenstein, wie schon früher bei der »heiligen Elisabeth«, einen ersten Entwurf. Mit dessen dichterischer Ausarbeitung ward Cornelius betraut; aber sie sagte Liszt nicht zu. Ein andrer von Dingelstedt herrührender Text begegnete wiederum seitens der Fürstin lebhaftem Widerspruch. Endlich verfaßte K. E. Edler – früher Erzieher der Söhne der Fürstin Hohenlohe, der als Autor geschätzter Novellen in Wien lebt – nach Liszts Angaben einen dritten Text, der des Meisters Beifall fand. Die Fürstin sollte ihn erst als vollendetes Werk kennen lernen. Doch kam es nicht mehr dazu. Näheres hierüber siehe: »Franz Liszt und sein unvollendetes Stanislaus-Oratorium« von La Mara. »Österreichische Rundschau«, Oktober 1911.

Weitaus die Mehrzahl der geistlichen Kompositionen Liszts entkeimte übrigens nicht mehr dem Weimarer, sondern dem römischen Boden. Mehr und mehr war Liszt seiner Stellung in Weimar müde geworden, seit mit Dingelstedts Eintritt in die Generalintendantur (im September 1857) das Hauptgewicht des Theaters auf das Drama gelegt ward, während andrerseits die Gründung der Malerschule zu viel Mittel in Anspruch nahm, um bei dem beschränkten Hofbudget noch für Oper und Orchester Ersprießliches so fördern zu können, wie es eines Liszt würdig war. Auch das öfters aufgetauchte und von Liszt unterstützte Projekt einer Musikschule mußte wegen der Malerschule fallen, und die Schillerstiftung trat dagegen in den Vordergrund. Als im Dezember 1858 die Oper »Der Barbier von Bagdad« von Peter Cornelius, einem der trefflichsten Schüler des Meisters, als Opfer einer Koterie, die sich gegen Liszt gebildet hatte, unter Duldung seitens des durch ihn erst berufenen Dingelstedt, durchfiel, nahm Liszt dies zur Veranlassung, von der Leitung der Oper für immer zurückzutreten. Damit leistete er zugleich auf seine Direktionstätigkeit außerhalb Weimars, wie auf das bisher gewohnte öffentliche Eingreifen in das musikalische Leben Verzicht. Im Sommer 1861 organisierte und leitete er zwar wieder das Weimarer Sängerfest und das Musikfest des unter seinem Präsidium 1859 gegründeten »Allgemeinen deutschen Musikvereins«, das Wagner nach langen Jahren der Verbannung zum erstenmal wieder auf deutschem Boden mit deutschen Kunstgenossen zusammenführte; doch sollte dies seine letzte Kundgebung als weimarscher Hofkapellmeister sein. Bald darauf, im August 1861 verließ er den Ort seines langjährigen Wirkens und begab sich über Paris, woselbst seine Mutter bis zu ihrem 1866 erfolgenden Tode lebte, nach Rom.

Schon im Frühjahr 1860 war ihm die Fürstin, nachdem sie im Oktober 1859 die Hand ihrer Tochter in die des Prinzen Konstantin zu Hohenlohe-Schillingsfürst – damals Flügeladjutant, später erstem Obersthofmeister des Kaisers von Österreich – gelegt hatte, nach der ewigen Stadt vorangegangen. Mit der ihrem leidenschaftlichen Naturell eignen Energie und Beharrlichkeit wollte sie die bisher noch immer vergeblich erstrebte kirchliche Lösung ihrer Ehe daselbst persönlich bewirken. Sie stellte sich auf die Basis des ihr auferlegten Zwanges, um zu beweisen, daß ihre Ehe eine unfreiwillige gewesen sei. Endlich gelang es ihr, ungeachtet des gegnerischen Zeugnisses ihrer ihren Wünschen feindlich gesinnten polnischen Anverwandten – denn nur diese, nicht, wie man fälschlich behauptete, die Hohenlohes, intrigierten gegen ihre Heirat mit Liszt – alle Hindernisse zu überwinden. Der in Rußland geführte Scheideprozeß war zu ihren Gunsten entschieden worden, und der heilige Vater erteilte seine Sanktion. Sie aber wollte einen vollen Sieg erringen: in Rom selbst wollte sie ihre Vermählung mit Liszt begehen. In aller Stille sollte er in Rom eintreffen, an seinem fünfzigsten Geburtstag, dem 22. Oktober 1861, die Trauung stattfinden und die Welt damit überrascht werden. Alles glückte. Liszt war angekommen, der Altar der Kirche San Carlo schon geschmückt, der Priester bereit, die heilige Handlung zu vollziehen. Da erhielten die gerade nach Rom gekommenen polnischen Verwandten der Fürstin zufällig hiervon Kunde und beschworen vermittelst eines hohen Würdenträgers den Papst, den »Meineid« der Fürstin, wie sie es nannten, in letzter Stunde noch zu verhindern. Pius IX. wurde erschüttert: er befahl einen Aufschub. Als Liszt am Vorabend, nachdem er mit der Fürstin die Kommunion empfangen, bei ihr weilte, erschien zu später Stunde ein Abgesandter des heiligen Vaters, der die Prozeßakten zu nochmaliger Einsicht begehrte und eine Verzögerung der Trauung anordnete. Dieses Ereignis wirkte auf die Fürstin niederschmetternd, es erfüllte sie mit einer Art abergläubischer Scheu. Von stundan verzichtete sie in ihrem Innern auf die eheliche Verbindung mit Liszt, das heißersehnte, mit Aufgebot aller Mittel und Kräfte angestrebte Ziel vierzehn langer Jahre. Sie weigerte sich, ihre Akten einer abermaligen Durchsicht zu unterwerfen, und als im März 1864 Fürst Nikolaus Wittgenstein starb, sprach sie nicht mehr davon, ihre endlich erlangte Freiheit Liszt Zu widmen. Das Anerbieten des Kardinals Hohenlohe – des Schwagers ihrer Tochter – sie selbst in seiner Kapelle zu trauen, erfuhr keine zustimmende Antwort.

Der vollkommene Einklang ihrer Seelen war ohnehin durch die anderthalbjährige Trennung nicht unberührt geblieben. Rom übte einen überwältigenden Einfluß auf die Fürstin aus. Hatte sie sich in Deutschland Liszt völlig untergeordnet und seine Angelegenheiten ganz zu den ihren gemacht, so nahm sie in der Stadt der Päpste den regsten persönlichen Anteil an allen brennenden geistlichen Fragen. Sie wandte sich dem Studium der Theologie zu und beschäftigte sich mit Ausarbeitung kirchenpolitischer Schriften, die sie drucken, wenn auch nicht bei Lebzeiten in die Öffentlichkeit gelangen ließ. Die Interessen der Kirche erschienen ihr jetzt höher als die der Kunst, an denen sie sich nur mehr mittelbar beteiligte. Sie beschloß, ihr Glück der Kirche zum Opfer zu bringen und sich schriftstellerisch in ihren Dienst zu stellen. Liszts Einverständnis mit dem Verzicht seiner Freundin lassen briefliche Äußerungen an sie, auf die wir in der Einleitung zum dritten Bande seiner Briefe an die Fürstin, wie in dem Buch »Aus der Glanzzeit der Weimarer Altenburg« ausdrücklich hinweisen, mehr als zweifelhaft erscheinen. Er fügte sich anscheinend nicht ohne Bitterkeit. Nun sie ihm aber nicht als Gattin angehören wollte, überraschte er die Welt durch einen ihr unverständlichen Entschluß: am 25. April 1865 empfing er vom Kardinal Hohenlohe, dem damaligen Großalmosenier des Papstes, in dessen Kapelle im Vatikan die niederen priesterlichen Weihen, die ihm den Rang eines Abbate verliehen, zu dem man später noch die Würde eines Kanonikus (zu Albano) fügte.

Ungeheures Aussehen erregte dieser Schritt des großen Künstlers; ein anscheinend Rätsel, rief er die vielfältigsten Deutungen und Mißdeutungen in der Gesellschaft, wie in der Presse hervor. Wollte man doch sogar behaupten, Liszt habe sich vor der Ehe mit der Fürstin in das Priestertum geflüchtet. Liszt selbst sagt darüber in einem Schreiben an seinen Gönner und Freund, den Fürsten von Hohenzollern-Hechingen: Siehe »Franz Liszts Briefe«. Gesammelt und herausgegeben von La Mara. Bd. II, Nr. 39. Leipzig, Breitkopf & Härtel. 1893.: »Ich tat jenen Schritt ohne jegliche Überwindung, in aller Einfalt und Redlichkeit der Absicht. Er entspricht überdies den Antezedentien meiner Jugend wie der Entwicklung meines musikalischen Schaffens innerhalb der vier letzten Jahre, das ich mit erneuter Kraft fortzusetzen gedenke, da ich es als den wenigst mangelhaften Ausdruck meiner Natur betrachte.« Und einer Freundin schreibt er im Hinblick auf das geistliche Gewand, das er nun trägt: »Ich fühle mich darin vollkommen wohl und so glücklich, als ich nur zu sein vermag!« Franz Liszts Briefe. Band III. Nr. 107. Ebd. 1894.

Liszts hauptsächlicher Beweggrund war der Wunsch, eine Reform der in Rom tief darniederliegenden Kirchenmusik herbeizuführen und damit seine künstlerische Laufbahn in würdiger Weise abzuschließen. Einzig von Leitung der Sixtinischen Kapelle aus konnte eine solche Reform ausgehen. Da diese aber keinem Laien anvertraut zu werden pflegte, wollte Liszt durch Eintritt in den geistlichen Stand, der ihm überdies durch die niederen Weihen kein priesterliches Gelübde, demnach keine Änderung seiner bisherigen Lebensweise auferlegte, das im Wege stehende Hindernis beheben. Der Vatikan zeigte gleichwohl, ohne daß es zu einer Anfrage und Ablehnung kam, kein Entgegenkommen, mochte Papst Plus IX. seinen »modernen Palestrina« immerhin mit seiner besonderen Gunst beschenken. Erwies er ihm doch sogar »die unvergleichliche Ehre«, ihn in seiner Wohnung in Madonna del Rosario zu besuchen und daselbst seinem Spiele zu lauschen, worauf er ihn, wie Liszt selbst erzählt, Briefe Bd. II. Nr. 18. »ermahnte, dem Himmlischen im Irdischen nachzustreben und sich durch seine vorüberhallenden Harmonien auf die ewig bleibenden vorzubereiten.«

Zum Besten des heiligen Stuhls auch trat Liszt nach langen Jahren der Zurückgezogenheit als Virtuos wieder vor die Öffentlichkeit. Eine am 21. März 1864 veranstaltete accademia sacra, die das imponierende Resultat einer Einnahme von einigen zwanzigtausend Francs ergab, nannte unter den stolzen Namen ihrer Mitwirkenden auch Franz Liszt. Reden der Kardinale Reisach, Pitta und Guidi und des Erzbischofs von Westminster, Monsignore Manning, die in deutscher, französischer, italienischer und englischer Sprache die lehrende, streitende, segnende und endlich triumphierende Macht der Kirche zum Gegenstand hatten, wechselten mit Liszts Vortrag mehrerer Klavierstücke und Gesängen der päpstlichen Kapelle; während der Dichter Tarnassi den poetischen Teil der Feier übernahm und Monsignore Nardi in einem italienischen Epilog dem ebenso glänzenden als zahlreich versammelten Publikum seinen Dank für die Teilnahme an »dem Ärmsten der Souveräne« aussprach.

Im übrigen lebte Liszt still im Hause der Oratorier Madonna del Rosario auf dem Monte Mario, das er 1863 bezog und mit Unterbrechung eines Jahres bis 1867 bewohnte, wo er es mit dem inmitten der Ruinen des Forum Romanum gelegenen Kloster Santa Francesca Romana vertauschte. Mit Vorliebe zog er sich nach Villa d'Este in Tivoli, dem damaligen, wahrhaft königlichen Besitztum des Kardinal Hohenlohe zurück, mit dem ihn ein freundschaftliches Verhältnis verband und bei dem er, nachdem er die Weihen erhalten, über ein Jahr lang im Vatikan lebte. Einem Orden trat er nicht bei, doch hielt er sich zu den Franziskanern, denen er schon seit 1856 als Tertiarier angehörte.

Der Natur der Verhältnisse nach konnte es nur leider nicht fehlen, daß der Verzicht der Fürstin die Vereinsamung ihres, die Ruh- und Heimatlosigkeit seines Lebensabends zur verhängnisvollen Folge hatte. Gleicherweise zog der reinstem Idealismus und innerster Religiosität entsprungene Eintritt Liszts in den geistlichen Stand für ihn und seine Freundin manch herbe Enttäuschung nach sich. Das »klösterlich-künstlerische Leben«, das er sich in und um Rom geschaffen und dem er sich bleibend hinzugeben gedachte, ward ihm auf die Dauer doch zu eng. Zum Musiker war er geboren, Musiker war er gewesen, bevor er Priester geworden war – und der Musiker in ihm forderte allgemach wiederum sein Recht. Aus dem heiligen Priestertum seines Herzens heraus schuf er seine Oratorien und Kirchenwerke. Aber Rom mit seiner aus vergangenen Jahrhunderten erwachsenen Kunst wußte mit Liszts dem Leben und Bewußtsein der Gegenwart entströmter Musik nichts anzufangen, es stand ihr fremd gegenüber. Seine auf Regeneration der katholischen Kirchenmusik gerichteten großen Pläne ließen sich daselbst nicht verwirklichen. Aus der stillen Abgeschiedenheit von Madonna del Rosario und Santa Francesca Romana drängte es ihn – mochte er sich selbst auch dagegen wehren – denn endlich zurück in den frischen Strom künstlerischen Lebens. Das Karlsruher Musikfest fand ihn im August 1864 zum erstenmal wieder in Deutschland. Auch Weimar und die ihm freundschaftlich nahestehende, ihn fort und fort zurückverlangende großherzogliche Familie suchte er wieder auf, und nachdem er im August 1867 auch die Wartburgfeier durch Aufführung seiner »heiligen Elisabeth« verherrlicht hatte, kehrte er seit 1869 wieder als regelmäßiger Gast für mehrere Monate jährlich in der sächsischen Residenz an der Ilm ein, wo sich ihm in der »Hofgärtnerei« ein neues poetisches, freilich ziemlich anspruchsloses Heim erschlossen hatte. Es blieb nach seinem Hingange als »Liszt-Museum« in der alten Einrichtung erhalten und birgt, dank einer großherzigen Schenkung der Fürstin Marie Hohenlohe, der Tochter der Fürstin Wittgenstein – die auch für die am 22. Oktober 1887 ins Leben getretene »Liszt-Stiftung« ein Stammkapital von 70 000 Mark spendete – eine kostbare und reichhaltige Sammlung von Erinnerungen an den Meister und von Gegenständen aller Art, die aus seinem Besitz stammen; obgleich auch die Stadt Wien und das Nationalmuseum zu Budapest mit wertvollen Andenken reich bedacht wurden.

In Weimar organisierte Liszt im Mai 1870 das Beethovenfest, bei welcher Gelegenheit er eine neu komponierte Beethoven-Kantate zu Gehör brachte, um im Dezember desselben Jahres auch die Beethoven-Säkularfeier in Pest zu leiten. Nur bei besonderen Anlässen gestattete er sich ja jetzt noch die öffentliche Ausübung seiner Kunst, sei es am Klavier oder mit dem Taktstock in der Hand. Seine Situation war eben mittlerweile eine andere geworden. Die Wege, die ihm sonst zur Aufführung seiner Werke offen gestanden hatten, verschloß ihm jetzt das priesterliche Kleid, das er trug. Man vernahm von seinen Lippen kein Wort der Klage; doch wird ihm dies Verzichten nicht leicht geworden sein. Bedurften doch gerade seine Kompositionen mehr als die anderer öfteren Gehörtwerdens, sollte sich ihnen das Verständnis des Publikums eröffnen. Es gehört zur Tragik in Liszts Leben, daß er, der in beispielloser Uneigennützigkeit zeitlebens für andere wirkte, der für die neuere Kunst und ihre Vertreter ebenso tatkräftig als erfolgreich eintrat, sein eignes Schaffen – »das am Ende unser Herzensblut sein muß« – nicht nur mit Kälte und Feindseligkeit aufgenommen, sondern sich schließlich sogar der Mittel beraubt sah, sie zur Geltung zu bringen. Mit der edlen Resignation einer von Grund aus hochgearteten Seele ließ er alle Schmähungen über sich und seine Werke ergehen; ja er riet selbst seinen Freunden ab, sich mit dem »Wagnis« ihrer Aufführung zu befassen. Aber so bescheiden er auch von seinem großen Lebens- und Tagewerk dachte – er glaubte und hoffte doch, daß seine Stunde einst kommen werde. Und sein Glaube hat ihn nicht getrogen. –

Weiterhin um künstlerischer Zwecke willen nebenbei noch vielfach reisend, auch seine Tochter und Wagner häufig in Bayreuth aufsuchend, teilte er seinen Aufenthalt alljährlich zwischen Weimar, Rom und Budapest. Sein ihm am letzteren Orte 1875 übertragenes Amt als Präsident der ungarischen Landes-Musikakademie trat er im Februar 1876 offiziell an, nachdem er am 18. November 1873 dort sein fünfzigjähriges Künstlerjubiläum festlich begangen hatte. Wo immer er auch weilte, überall umdrängten ihn, der unbeschränkte Gastfreundschaft übte, Freunde und Verehrer, Scharen Kunstbeflissener, die von ihm zu lernen begehrten. Noch bis in seine allerletzte Lebenszeit widmete er mehrere Tage der Woche dem Unterricht, mit dem er seinen zahlreichen Schülern ausnahmslos ein Geschenk machte. Es ist wahr, nicht alle, die sich um dies großmütige Geschenk bewarben, erwiesen sich der Ehre gewachsen, Liszts Schüler zu sein. Aber er war zu grundgütig, um denen zu wehren, die sich an seinem Genie zu sonnen kamen, damit ein Widerschein seines Lichts ihr eignes kleines Ich vergolde. Er wäre nicht Liszt gewesen, hätte er anders gedacht und getan. Unablässig wirkte er zu Nutz und Frommen der Kunst und Künstler. Unzähligen bahnte er den Weg in die Öffentlichkeit, allen künstlerischen Bestrebungen zeigte er ein offnes Herz und offne Hände. Er war der Begründer des »Allgemeinen deutschen Musikvereins«, blieb auch bei dessen alljährlichen Tonkünstlerversammlungen stets der stärkste Magnet. Seine herrlichen Briefe, die den großen Künstler und Menschen aufs schönste widerspiegeln, bezeugen, wie er die Aufgaben und Angelegenheiten des Vereins auf der Seele trug. Das Bayreuther Unternehmen förderte er von Anbeginn bis in seine letzten Tage. Für wie viele humanitäre Zwecke aber setzte er von je seine Künstlerschaft ein! Der Wahlspruch seines Schutzheiligen Franz von Paula: » Caritas« war auch der seine, treulich hat er ihm nachgelebt. Seine Wohltätigkeit kannte keine Grenzen. Ohne für sich und sein Alter genügend gesorgt zu haben, gab er, wo es fremde Not zu lindern galt, mit voller Hand. Für sich selbst war er bedürfnislos und schlicht. »Ohne jeglichen Prunk, so einfach und sparsam als möglich« auch wollte er einst begraben sein. Aber er sah – eine seltene Ehrung hienieden! – sich doch schon bei Lebzeiten ein Denkmal gesetzt, das ihm der Kardinal Hohenlohe zu Schillingsfürst, dem Stammsitz seines Geschlechts in Bayern, im Juli 1884 errichtete. Nach seinem Tode war Ödenburg der erste Ort, der den großen Mann mit einem Monument feierte, das, eine von Tilgner modellierte Büste darstellend, am 3. September 1893 enthüllt wurde. In mächtigen Stein- und Erzgebilden verewigte nachmals Budapest Gestalt und Züge des größten ungarischen Tonmeisters am Haupteingang des königlichen Opernhauses, sowie über dem Portal der Landes-Musikakademie. Weimar stellte inmitten des klassischen Parks sein marmornes Standbild auf, das während einer imposanten mehrtägigen Feier am 31. Mai 1902 eingeweiht wurde. Weiter widmete in Stuttgart die Dankbarkeit seiner Schülerin Johanna Klinckerfuß-Schulz, in Preßburg die Pietät seines Freundes Johann Batka dem Vielgeliebten ein Denkmal. Auch in seinem Geburtsort Raiding plant man, ein solches in einer neu zu erbauenden Kirche zu errichten, die an Stelle der baufällig gewordenen treten soll, in der er als Kind gebetet. Angesichts des hundertsten Geburtstags des Meisters hat man ferner, wie erwähnt, die schlichte Wohnung, die ihn geboren werden sah, in ein Liszt-Museum umgewandelt, das allerlei historisch interessante Reliquien birgt. So ist man bemüht, die Erinnerung an eins der größten musikalischen Genies der Neuzeit lebendig zu erhalten.

Machte Liszt schon während seiner Virtuosenlaufbahn seinen Genius unvergleichlich mehr dem Vorteil anderer als seinem eigenen dienstbar – denn von den Millionen, die er erspielte, erübrigte er für sich selbst nur auf Mahnung seines Vetters eine bescheidene Summe, während er allein für den Ausbau des Kölner Doms, das Bonner Beethoven-Denkmal, dessen Kosten er zum vollen Drittteil deckte, die Hamburger Abgebrannten viele Tausende mit fürstlicher Freigebigkeit spendete – so war seit seiner Niederlassung in Weimar seine öffentliche künstlerische Tätigkeit ausschließlich dem Besten anderer, sei es künstlerischen oder mildtätigen Zwecken geweiht. Wie oft, noch bis in das Jahr 1882 hinein, erschien er, dank seiner unerschöpflichen Güte und Nächstenliebe, öffentlich an dem Instrument, das er wie kein anderer zu beseelen und zu beflügeln verstand! Und doch floß seit Ende 1847 weder durch Klavierspielen und Dirigieren, noch durch Unterrichten ein Heller in seine eigene Tasche. Dies alles, was andern reiche Kapitalien und Zinsen eintrug, kostete ihm selbst nur Opfer an Zeit und Geld.

Dem Wahlspruch seiner Jugend » Génie oblige« lebte der edle Menschenfreund nach bis in sein Alter, das, zufolge der wunderbaren Spannkraft seines Geistes und Körpers, lange nur einer verlängerten Jugend glich. Auch als es sich endlich gebieterischer geltend machte, änderte er nichts an seinen Lebensgewohnheiten, wollte er von Ruhe und Schonung nichts hören. Die Vorboten der tückischen Krankheit, die Beethoven hinweggerafft, tauchten drohend auf, sein Augenlicht begann sich zu trüben; doch mit dem Gleichmut einer großen, durch nichts zu beugenden Seele sah er seiner völligen Erblindung und einer bevorstehenden Staaroperation entgegen.

Nachdem er den größten Teil des Winters 1885 – 86, wie zumeist, in Rom, die letzten Monate desselben in Budapest zugebracht hatte, verweilte er im März einige Tage in Wien, wo er noch bei dem Komponisten Adalbert von Goldschmidt vor geladenem Kreise spielte, und trat sodann, wie er lächelnd sagte, »seine letzte Kunstreise« an. In Lüttich, Brüssel, Paris, London, wo man seine Graner Messe, die »Elisabeth« und andere seiner Werke zur Aufführung brachte, feierte man ihn mit königlichen Ehren. Die Größten drängten sich in seine Nähe. Alle ersinnlichen Auszeichnungen häufte man auf den Greis mit dem »Jupiterprofil« und dem wallenden Silberhaar, der sich schon als Jüngling die Welt eroberte. An Huldigungen von je gewöhnt, ertrug er ihre Überlast, die den Jüngsten zu Boden gedrückt hätte, leicht, als fühle er sie kaum. Doch verschob er eine Reise nach St. Petersburg, die zufolge einer Einladung des Großfürsten Konstantin auf seinem Programm stand, bis zum Herbst. Im Mai war er wieder in Weimar und schenkte der Tonkünstlerversammlung des »Allgemeinen deutschen Musikvereins« in Sondershausen zum letzten Male seine Gegenwart. Am 30. Juni verließ er sein »Ilm-Athen«, um die Hochzeit seiner Enkelin Daniela von Bülow in Bayreuth feiern zu helfen. Zu Beginn der Festspiele kehrte er sodann, nach einem Besuch bei dem ihm befreundeten Munkacsy in Kolpach im Luxemburgschen, dahin zurück; doch krank kam er wieder. Noch gehorchte der ermattete Körper seiner unerbittlichen Willenskraft: er wohnte der ersten Vorstellung des »Parsifal« und der des »Tristan«, trotz ärztlichen Widerspruchs, bei, wiewohl er sich, da seine Füße den Dienst versagten, zur letzteren die Treppe hinauftragen lassen mußte. Einer ausbrechenden Lungenentzündung aber vermochte auch sein felsenfester Wille nicht mehr Widerstand zu leisten, und in der letzten Stunde des 31. Juli 1886 stand dies große edle Herz für immer still.

Inmitten der widerspruchsvollen Klänge des Festjubels, der bei Anwesenheit des deutschen Kronprinzen die Festspielstadt durchdrang, hat man den hohen Meister am 3. August zu Grabe getragen. In der grünen Stille des Bayreuther Friedhofs ruht er nun, indes seine Werke erst recht zu leben beginnen.

Die Freundin aber, die er zur Universalerbin und Vollstreckerin seines letzten Willens bestimmt hatte, überlebte ihn nicht lange. Sieben Monate, nachdem ihre Lebenssonne mit Franz Liszt erloschen war, am 8. März 1887 ging auch die Fürstin Carolyne Wittgenstein in Rom dahin, von wannen keiner wiederkehrt.

   

Mehr denn fünfundzwanzig Jahre sind verflossen, seit sich das Grab über Franz Liszt geschlossen hat, und ein Jahrhundert vollendete sich über seiner Geburt. Feste feierten den Großen. Statt der Dornen, mit denen man einst den Pfad des Lebenden freigebig bestreute, windet ihm eine hellsehendere Nachwelt Kränze. Konzertsaal und Kirche hallen wieder von den Klängen, die seiner Seele Tiefen entströmten. Nicht in aller Herzen noch finden sie ein Echo, indes man den kühnen Verstandesgebilden Neuerer, denen er erst die Bahn frei gemacht hat, freudig zujubelt. Immerhin – es ist doch um vieles besser geworden. Man hat mindestens, vornehmlich durch Bekanntwerden seiner Briefe, den Weg zur menschlichen Größe Liszts gefunden. Möge auch die Zeit einer vollen Erkenntnis seiner künstlerischen Größe nicht mehr fern sein!


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