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Robert Schumann

Robert Schumann

Unter allen, die je in Tönen gedichtet, gab es schwerlich eine poetischere Individualität, als Robert Schumann. Es mögen ihn andere an klarer Linienführung, an plastischer Abrundung ihrer Bilder und Ideen, an dramatischer Gestaltungskraft, an Gedankenkühnheit übertroffen haben – in jenem Dichten und Träumen der Seele aber, das uns in ihre tiefsten Gründe hinabtauchen läßt, in jenem Sich-in-sich-selbst-versenken und Sich-von-innen-beschauen, das uns das geheimnisvollste Denken und Fühlen, Leben und Weben des Menschenherzens offenbart, ist ihm keiner gleichgekommen. Schumann ist eine durchaus deutsche Natur. Aller Oberflächlichkeit fremd, von unerschöpflicher Tiefe und Fülle des Gemüts, ist er, trotz des regsten Phantasielebens, völlig unsinnlicher idealistischer Art, ein echtes Kind seines Vaterlandes. Der deutsche Hang, zu sinnen und zu grübeln über sich und die ganze Welt verbindet sich in ihm mit einer anderen Eigenschaft unseres Volkes: dem Humor, der zwischen Freud und Leid schwebt und unter Tränen lächelt. Recht von Herzen heiter ist er selten. Ein Hauch von Melancholie und Weltschmerz liegt mehr oder weniger über der Mehrzahl seiner Schöpfungen ausgebreitet und verleiht ihnen einen eigentümlichen Zauber. Es ist keine absolute Schönheitswelt, die uns Schumanns Genius offenbart, sondern vielmehr eine völlig eigenartige, subjektive; eine der subjektivsten ohne Frage, die uns je eine Künstlerseele erschlossen. Er gefällt sich im mystischen Halbdunkel einer Traumwelt, die zu dem scharfen Licht, in dem unsre realistische Gegenwart lebt, in auffälligem Gegensatz steht. Ein Liebling der großen Menge ist er so lang er lebte nicht gewesen; erst sehr allmählich hat sie das rechte Verhältnis zu ihm, die gebührende Schätzung seiner Bedeutung gefunden. Sein Wesen war ihr zu abgeschlossen, seine Individualität zu individuell. Zu neu noch erschien die uns Heutigen geläufig gewordene Forderung eines liebevollen Entgegenkommens von seiten des Hörers und Spielers, eines bereitwilligen Versenkens in des Künstlers eigenste Welt, die in seinem Schaffen ausgesprochen lag, um allsobald Befriedigung zu finden. Nur langsam gewöhnte man sich daran, daß, um ihn hinnehmen zu dürfen, man sich ihm zuvor hingegeben haben müsse; aber man ward endlich dessen inne, wie überreich er jegliche Hingebung lohne. In jedem einzelnen seiner Werke hat Schumann ein Stück seines Selbst niedergelegt. Selbstbekenntnisse klingen uns insbesondere aus der Reihe seiner Klavierdichtungen op. 1 bis 23 entgegen. Da haben wir den ganzen Schumann unmittelbarer als in seinen späteren größeren und formvollendeteren Werken. Da sehen wir ihn seine ureigenen Bahnen wandeln, lernen wir ihm am tiefsten in die Seele schauen. Sein Schaffen war sein Leben, wie sein Leben Schaffen war.

In Zwickau, der sächsischen Bergstadt, erblickte Robert Schumann am 8. Juni 1810 das Licht der Welt. Dort besaß sein Vater, August Schumann, ein geborner Thüringer, eine Buchhandlung, die er, das Kind unvermögender Eltern, sich durch eine von früher Jugend an unermüdliche und gesegnete Tätigkeit erworben und zu einer allgemein geachteten emporgehoben hatte. Von fünf Kindern das jüngste und von der Natur bevorzugteste, war Robert von früh an der Liebling seiner Eltern; insbesondere hegte der Vater die Hoffnung, auf ihn dereinst die eigenen Neigungen und Fähigkeiten übertragen zu sehen. Er selbst – sein Urenkel Ferdinand Schumann erzählt es in der »Neuen Zeitschrift für Musik« (1. Juni 1911) – war als lexikographischer Schriftsteller, wie als Dichter von Novellen, Romanen, Ritter- und Mönchsmarchen, tätig und brachte der schönen Literatur ein lebhaftes Interesse entgegen. Die ersten Schuljahre seines Sohnes gingen jedoch vorüber, ohne etwas Bemerkenswertes an ihm wahrnehmen zu lassen. Er war ein Schüler wie andere auch. Nur in musikalischer Beziehung begannen sich seit seinem siebenten Jahre die Spuren einer in der Familie einzig dastehenden Begabung zu zeigen. Leider nur war der Musikunterricht, wie überhaupt die Gelegenheit, die die Stadt in damaliger Zeit zur Ausbildung eines Talentes bot, unzulänglicher Art. Nicht den erfahrenen Händen eines Künstlers von Beruf konnte Robert in Ermangelung eines solchen übergeben werden: ein Organist Kuntzsch ward sein Klaviermeister, der ihn nicht über die Anfänge seiner Kunst hinaus zu fördern vermochte und ihn schon nach wenigen Jahren für fähig erklärte, sich allein weiter zu bilden. Gleichwohl hat der spätere Meister Schumann bis in seine letzten Lebensjahre dem alten Lehrer, der seine ersten Schritte im Reiche der Tonkunst leitete, allzeit eine dankbare Erinnerung bewahrt und ihm 1845 sein op. 56 zugeeignet.

Es war, als ob der Zauber der Musik die bisher schlummernden Seelenkräfte des Knaben erst geweckt habe, denn auch der Dichtkunst erschloß sich nun sein Sinn. Nicht nur, daß er sich mit Eifer der Lektüre zuwandte, die ihm die Buchhandlung des Vaters in reicher Auswahl darbot, er versuchte sich auch in eigenen Poesien und verfaßte kleine »Räuberkomödien«, die er mit Hilfe seines Vaters, seines Bruders und mehrerer Schulkameraden sogar auf einer eigens dazu eingerichteten kleinen Bühne zur Aufführung brachte und in denen der erfreute Vater die ersten, verheißungsvollen Vorzeichen einer ruhmreicheren schriftstellerischen Laufbahn erblickte, als sie ihm selbst vergönnt gewesen war. Immer mächtiger regte sich in dem jungen Geiste eine lebhafte Produktionslust; auch in der Kunst des Komponierens und Phantasierens erprobte er, obschon ohne irgend welche grundlegende Kenntnisse, sein Glück. Die ersten selbstschöpferischen Versuche: kleine Tänze, fallen bereits zwischen das siebente und achte Lebensjahr. Auch wird erzählt, daß ihm die besondere Gabe zu eigen gewesen sei, Gefühle und charakteristische Züge in Tönen wiederzugeben; soll er doch das verschiedene Wesen seiner Spielkameraden durch gewisse Figuren und Gänge auf dem Klavier so treffend bezeichnet haben, daß dieselben staunend und lachend ihre eigenen Porträts wiedererkannten.

So schienen zwei Künste, Musik und Poesie, sich den Besitz des Knaben streitig zu machen, als Robert in Karlsbad, dahin er den Vater im August 1819 begleitete, Ignaz Moscheles, den berühmten Klaviervirtuosen, hörte und damit zum erstenmal in seinem Leben der Erscheinung vollendeter und allgemein bewunderter Meisterschaft gegenübertrat. Was war natürlicher, als daß sich dieselbe fortan zum Ideal der jugendlich empfänglichen Seele gestaltete und ihren Zukunftsträumen und Plänen eine bestimmte Richtung gab? Von nun an trat die Tonkunst in den Vordergrund der Interessen Roberts, obgleich er, dem Wunsche seiner Eltern folgend, zur Erzielung einer klassischen Bildung, Ostern 1820 in die Quarta des städtischen Gymnasiums eintrat. Auch seine freundschaftlichen Verbindungen nahmen mehr und mehr einen musikalischen Charakter an. Nur noch mit ihm ähnlich gesinnten, ihm durch gleiches Streben verwandten Naturen suchte und unterhielt er Verkehr. Sogar ein ganzes kleines Orchester wußte er aus den ihm verfügbaren Kräften seines Bekanntenkreises zu organisieren und die Übungen desselben mit Geschick zu leiten. Den 150. Psalm, den er zwischen seinem 12. und 13. Lebensjahr für Chor mit Instrumentalbegleitung vertonte, brachte er unter anderem mit seinen Kameraden zur Aufführung.

Allmählich gelangten seine musikalischen Talente auch außerhalb des Hauses zur Geltung. Er ließ sich mit Erfolg als Klavierspieler hören, so daß im Vater der Gedanke Raum gewann, ihn ganz der Tonkunst zu widmen und er mit Carl Maria von Weber in Dresden in Verbindung trat, dessen musikalischer Leitung er den Sohn anzuvertrauen gedachte. Dieser erklärte sich auch bereit; indes zerschlug sich die Sache wieder, und Robert blieb nach wie vor in musikalischer Beziehung sein eigener Führer. Da entriß ihm der Tod 1826 den geliebten Vater. Seine Mutter aber, eine gute, nur etwas schwärmerisch überspannte Frau, die trotz aller zärtlichen Liebe für den Sohn doch jeglichen Verständnisses für seine tiefere Künstlernatur entbehrte, stellte im Verein mit dem Vormund die bestimmte Forderung an ihn, ein Brotstudium zu wählen. So schwer es ihm wurde, Robert fügte sich der Mutter Wunsch und entschied sich, nachdem er zu Ostern 1828 das Gymnasium durchlaufen hatte, für das Studium der Rechtswissenschaft. Ehe er sich zu demselben anschickte, unternahm er eine an Eindrücken reiche Reise nach Süddeutschland. Jean Paul zu Liebe, für den er lebenslang schwärmte und der sein Schaffen tief beeinflußte, wurde Bayreuth besucht. Auch in Nürnberg und Augsburg ward gerastet und in München die erwünschte Bekanntschaft Heinrich Heines gemacht; dann führte ihn sein Weg nach Leipzig, einem unwillkommenen Universitätsstudium entgegen.

Ob es Schumann mit der Aufnahme desselben jemals rechter Ernst war? Wer weiß es. Genug, es schien, als bäume sich der Genius in ihm auf gegen das dem guten Herzen abgerungene Versprechen. Und der achtzehnjährige Jüngling war zu lange der verzogene Liebling des Hauses gewesen, um sich leicht darein zu ergeben, dem höchsten seiner Wünsche zu entsagen. Er folgte seinem Impuls, nach Künstlerart im Augenblick lebend und der Zukunft das Weitere anheimstellend. Mochte er sich wohl auch das studentische Leben in seiner Phantasie idealer ausgemalt haben, als er es in Wahrheit fand? Durch seine uns aus jener Zeit erhaltenen Briefe wenigstens geht mehr als ein Ausspruch der Enttäuschung. Die Juristerei dünkte ihm »eiskalt und trocken«, und immer entschiedener gab sich seine Abneigung gegen dieselbe kund. Das politische Treiben der Burschenschafter widerte ihn an. Er zog sich in sich selbst zurück, mehr mit den Geistern seiner Träume als mit Menschen verkehrend und seinen Umgang nur auf wenige alte Freunde beschränkend, die er in Leipzig wiedergefunden hatte. Das heitere, neckische Wesen, das seine Kindheit kennzeichnete, war ohnehin längst einer träumerischen, melancholischen Weise gewichen, die ihm sein ganzes späteres Leben hindurch treu blieb. Sinnend und schweigsam, verschlossen und nach innen gekehrt sah man ihn selbst feinen Freunden gegenüber. Was man gemeinhin liebenswürdig nennt, das war er nicht. Reizbaren, empfindlichen Naturells, wies er alle Eindrücke von sich, die das Gleichgewicht seines Innern zu beunruhigen drohten, und nur dem Einfluß ihm zusagender Elemente verhielt er sich zugänglich. Die Geselligkeit fand ihn meist einsilbig, zerstreut, teilnahmlos. So reich es um sein Innenleben bestellt war, er zeigte der Welt eine stumme passive Außenseite, sich frühzeitig daran gewöhnend, die Tiefe und Fülle seines Gemüts mehr in Tönen als in Worten auszusprechen und die schriftliche Aussprache der mündlichen vorzuziehen. Erst der sich ihm darbietende musikalische Verkehr veranlaßte ein allmähliches Hervortreten aus seiner Abgeschiedenheit. Vornehmlich das Haus einer ihm von früher her bekannten kunstsinnigen Frau, der Gattin des berühmten Mediziners Carus, öffnete sich ihm gastlich und bot ihm willkommene Gelegenheit, hervorragendere Persönlichkeiten, wie Marschner und Friedrich Wieck, kennen zu lernen.

Als Zeugnis der bedeutenden Lehrkraft des letzteren trat seine Tochter Clara, ein neunjähriges Mädchen, auf, deren schon damals erlangte Virtuosität Schumanns Aufmerksamkeit und den Wunsch erregte, einer gleichen Ausbildung teilhaftig zu werden. Auf seine Bitte nahm Wieck ihn als Schüler an. Was seiner durch Selbststudien gewonnenen Technik an künstlerischer Durchbildung mangelte, das empfing er nun durch den Unterricht des trefflichen Meisters, durch den er zuerst eine rationelle Methode des Klavierspiels kennen lernte. Dabei fehlte es nicht an erneuten Anläufen zum Produzieren. Hatte er es in Zwickau bereits zu Opern- und Ouvertürenanfängen gebracht, so entstanden nun die Kompositionen mehrerer Byronscher Gedichte, vierhändige Polonaisen, sowie ein Quartett für Pianoforte und Streichinstrumente, die er jedoch sämtlich unveröffentlicht ließ. Daneben machte er sich besonders mit Franz Schuberts Werken, wie mit denen Beethovens und Bachs vertraut und bildete sich, um Kammermusik zu treiben, einen musikalischen Freundeskreis. Das ganze musikreiche Leben Leipzigs, das in den berühmten Gewandhauskonzerten gipfelte, begünstigte seine Neigung. Die Jurisprudenz blieb dagegen vernachlässigt, während die Philosophie ihn anzog und zu eigenen Studien wie zu fleißigem Besuch der betreffenden Kollegien anregte. Nebenher beschäftigte ihn die eifrige Lektüre der neueren Poetischen Literatur. Byron, Goethe, Heine, die Romantiker – Tieck und E. T. A. Hoffmann voran – waren seine Lieblinge. Ganz besonders tat Jean Paul es ihm an; er brachte ihn, seinen eigenen Worten zufolge, »oft dem Wahnsinn nahe«. Die empfindsame, überschwengliche, durchaus unplastische Art des vergötterten Dichters weckte ein musikalisches Echo in seiner schon frühzeitig zur Gefühlsschwelgerei neigenden Seele. Nicht nur daß er später bei Veröffentlichung seiner »Papillons« seine Freundin Frau Henriette Voigt auf die »Flegeljahre« als den Schlüssel zum eigentlichen Verständnis dieser seiner Phantasiegestalten hinweist, auch seine briefliche Ausdrucksweise verrät deutlich genug die Jean Paulsche Einwirkung. So lesen wir in einem Schreiben vom Jahre 1828: »Ach, eine Welt ohne Menschen, was wäre sie? ein unendlicher Friedhof, ein Totenschlaf ohne Träume, eine Natur ohne Blumen und ohne Frühling, ein toter Guckkasten ohne Figuren – und doch! – diese Welt mit Menschen, was ist sie? ein ungeheurer Gottesacker eingesunkener Träume, ein Garten mit Zypressen und Tränenweiden, ein stummer Guckkasten mit weinenden Figuren!« –

»Zur Fortsetzung seiner Studien« ging Schumann zu Ostern 1829 nach Heidelberg. Aber die Jurisprudenz kümmerte ihn in Wahrheit wenig. Er gab sich seiner Kunst und dem Genuß der schönen Natur hin. Während er Ausflüge zu Wagen in die herrliche Umgebung unternahm, versäumte er nicht, seine Fingerübungen auf einer stummen Klaviatur anzustellen. Im August führte ihn eine Reise nach Oberitalien. Seine Briefe im Verlauf derselben berichten von musikalischen Eindrücken. Die italienische Sprache ist ihm »eine ewige Musik«, einem »lang ausgehaltenen A-moll-Akkord« vergleichbar. Was er schaut und erlebt, wird ihm eben unwillkürlich zu Musik. Vergeblich weist ihn das Vorbild seines Heidelberger Lehrers Thibaut darauf hin, daß man zugleich ein berühmter Rechtsgelehrter und ein ernsthafter Musiker sein könne. »Der Weg zur Wissenschaft,« schreibt er an Wieck, »geht über Alpen und über recht eisige; der Weg zur Kunst hat seine Berge, aber es sind indische, voller Blumen, Hoffnungen und Träume«; ja er erklärt gerade heraus, daß er den ihm aufgedrungenen Beruf »nicht zu lieben, kaum zu achten« vermöge. Dennoch zögert er, in Rücksicht auf das der Mutter gegebene Versprechen, sich von demselben völlig loszusagen. Aber ihn fesselt nur Musik. Oft spielt er am Morgen sieben Stunden lang. In dem Maß als seine Virtuosität sich vervollkommnet, wachsen auch seine improvisatorischen Leistungen. Erzählt doch einer seiner Studiengenossen, Töpken, später, daß er, so große Künstler er auch gehört, doch nie wieder gleich unvergeßliche musikalische Eindrücke empfangen habe. Roberts Ruf als Klavierspieler verbreitet sich demgemäß mehr und mehr; er läßt sich sogar bestimmen, im Konzert eines Musikvereins öffentlich aufzutreten. Der rauschende Beifall, den er bei dieser Gelegenheit erntet, bleibt jedoch der einzige Lorbeer, der ihm als Virtuos bestimmt ist, und der so verheißungsvolle Beginn seiner Pianistenlaufbahn bildet zugleich den Abschluß derselben.

Ein musikalisches Ereignis ruft ihn Ostern 1830 nach Frankfurt. Paganini, der wunderbarste Meister des Violinspiels, den die Welt bis dahin gesehen, tritt daselbst auf, und Schumann hört ihn. Es scheint, daß der gewaltige Eindruck, den er hiermit empfing, den letzten entscheidenden Anstoß gab zu seinem bald daraus kundgegebenen Entschlüsse, sich ganz der Musik zu widmen. Er bat seine Mutter, die Entscheidung von Wieck abhängig zu machen. Und Wiecks Ausspruch lautete günstig: er stellte der Begabung seines ehemaligen Schülers das beste Zeugnis aus und erklärte sich gleichzeitig zur Übernahme von dessen Ausbildung bereit. Nun widerstrebte die Mutter nicht länger. Sie ließ es geschehen, daß ihr Sohn Heidelberg und dem juristischen Studium nunmehr den Rücken kehrte und in Leipzig, im Hause seines musikalischen Lehrers ein neues Leben begann, das ihm die Erfüllung seiner Wünsche bringen sollte – freilich in andrer Weise als er geglaubt.

Um sich für die Virtuosenlaufbahn vorzubereiten, hatte Robert sich der Führung Friedrich Wiecks übergeben. In dem brennenden Verlangen, sich in möglichster Kürze größte Fingerfertigkeit anzueignen, befaßte er sich dabei im geheimen mit einem wunderlichen Experiment. Er ersann sich eine Vorrichtung, vermittelst welcher der vierte Finger emporgezogen und unbeweglich erhalten wurde, indes die andern Finger Übungen ausführten. Infolge Überspannung der Sehnen erlahmte jedoch der vierte Finger, so daß Schumann den Gebrauch desselben und zeitweise den der ganzen rechten Hand für das Klavierspiel verlor. Seinem Virtuosenberuf war damit für immer ein Ziel gesetzt. Er sah sich, wollte er an der Musik festhalten, auf den beschwerlichen Weg des Komponisten hingewiesen. Zum Glück war er im Besitz eines Vermögens, das, wenn auch keineswegs groß, ihn doch wenigstens vor dem Kampf mit gemeiner Not schützte. In Heinrich Dorn, dem damaligen Musikdirektor am Leipziger Theater und späteren Berliner Hofkapellmeister, wählte er sich seinen Kompositionslehrer, wenngleich er, ein Genie, wie er war, mehr nach seiner eignen Methode als nach der seines Meisters lernte.

Als Resultate seiner Studien gelangten im Jahre 1832 verschiedene Klavierkompositionen an die Öffentlichkeit. Unter ihnen zeigt sich schon op. 2, die »Papillons«, als ein echtes Kind Schumannschen Geistes. Es sind kurze, in buntem Wechsel aneinandergereihte Tonsätze graziös-phantastischer Art, in denen sich dem Tieferblickenden mehr enthüllt, als sie dem Flüchtiggenießenden darbieten zu wollen scheinen. Schon hier – wie in den Abegg-Variationen op. 1, die er über den Namen eines schönen Mädchens schrieb, das auf einem Mannheimer Balle sein Interesse erweckte – gewahren wir die Schumann eigene Weise, in seinem Schaffen einen symbolischen Ausdruck zu finden für irgend ein Poetisches oder wirkliches Erlebnis, das ihn eben erfüllt. Aus der alten absolut-musikalischen Sphäre tritt er in eine poetisch-musikalische – eine Richtung, die für die gesamte romantische Schule charakteristisch ist. Er zieht die äußeren anregenden Objekte hinein in seine künstlerische Darstellung und regt so nicht allein den empfindenden, sondern auch den denkenden Menschen an; wie Liszt ihn ja als »den Tonsetzer dieser Epoche« bezeichnet, »der am meisten Musik denkt.« Neu dem Gedanken wie dem Ausdruck nach stellen sich diese seine Klavierdichtungen dar. Eine »Fähigkeit, im kleinsten Raum ein unendliches Volumen auszudrücken, wie sie weder vor noch nach ihm vorgekommen ist«, rühmt Louis Ehlert Schumann nach, der »die Kunst der musikalischen Diminutivpoesie erst geschaffen hat.« Das Vermögen durch Töne zu charakterisieren und individualisieren war ihm von je so geläufig, daß er es, wie erwähnt, schon von Kindheit auf übte, und mit Vorliebe pflegte er in seinen Klavierkompositionen die musikalische Porträt- und Genremalerei. Es sei hier nur beispielsweise an die Porträtskizze Chopins im »Karneval«, an die Mendelssohns Züge tragende »Erinnerung« im »Jugendalbum«, an »Vogel als Prophet« in den »Waldszenen«, an »Versteckens« oder »Gespenstermärchen« in den vierhändigen Klavierstücken erinnert. Dabei tummelt sich sein feiner Humor in voller Freiheit. Schumann gefällt sich als echter Romantiker in einer mystischen Symbolik, er gibt uns gerne Rätsel auf und verbirgt eher den mitzuteilenden Inhalt, als daß er ihn offenbarte. Zuweilen deutet er durch eine kurze Überschrift, einen Vers oder dergleichen die poetische Grundlage an, sich hiermit praktisch den Anhängern der »Programmusik« anschließend. Zu andern Malen überläßt er es uns selber, dem roten Faden auf die Spur zu kommen, der das Geheimnis lichtet. Bekenntnisse persönlichster Art, – »Ohrenbeichten« nannte sie Gumprecht Nord u. Süd, Febr. 1883. – vernehmen wir in seinen Klavierwerken, in denen sich seine reiche Innerlichkeit am ungefesseltsten äußert. Es find »Gelegenheitsgedichte« im Goetheschen Sinne. Entsprang doch das Einzelwerk bei Schumann nach Lists Worten Ges. Schriften IV. »weniger aus dem Bedürfnis, den Gegenstand selbst zu formen und zu schildern, als um der Gelegenheit willen, die es ihm bot, seinen eigenen Gefühlen und Gedanken durch den behandelten Stoff Ausdruck zu verleihen,« und gilt es doch somit, in ihnen mehr das Subjekt, als das Objekt, mehr den Schöpfer, als das Geschaffene zu suchen, welches letztere sich nicht wie im klassischen Kunstwerk von seinem Urheber vollkommen abgelöst hat, sondern in ihm seinen Kommentar findet.

Auch in seiner literarischen Tätigkeit kommt Schumanns Subjektivismus zum Ausdruck. Der originelle schriftstellerische Erstlingsversuch, mit dem er, durch Chopins Erscheinen in der musikalischen Welt veranlaßt, in der »Allgemeinen musikalischen Zeitung« 1831 debütierte, ist ein ebenso lebendiges Zeugnis dafür, als seine mehrjährige Wirksamkeit an der 1834 von ihm selbst begründeten und finanziell getragenen »Neuen Zeitschrift für Musik«. Der Plan zu deren Herausgabe war im Winter 1833 bis 1834 bei den allabendlichen Zusammenkünften Schumanns mit einigen gleichgesinnten Freunden im »Kaffeebaum«, einem Restaurationslokal, entstanden. Nur anfänglich von Wieck, Knorr und Schuncke in der Redaktion unterstützt, widmete Schumann zehn Jahre hindurch seine Kräfte der Zeitung, deren kunstförderlicher Einfluß in jenen Tagen musikalischer Lauheit und kritischer Oberflächlichkeit nicht hoch genug anzuschlagen ist. Es galt, wie er selber sagt, kein geringeres Ziel, als die »Poesie der Kunst wieder zu Ehren zu bringen«, »die Erhebung deutschen Sinnes durch deutsche Kunst«; und der Weg, auf dem dies erreicht werden sollte, war: »anerkennungsvolles Hinweisen auf die älteren großen Meisterwerke, offener Kampf gegen die gehaltlosen, unkünstlerischen Erzeugnisse der Neuzeit und Aufmunterung junger strebsamer Talente.«

Wohl nie vor Schumanns literarischem Auftreten ist die Aufgabe der Kritik so ideal aufgefaßt worden, als von ihm, der dieselbe also bezeichnet: »Törichten, Eingebildeten schlägt sie die Waffen aus der Hand, Willige schont, bildet sie; Mutigen tritt sie rüstig freundlich gegenüber; vor Starken senkt sie die Degenspitze und salutiert.« Oder: »Wir gestehen, daß wir die für die höchste Kritik halten, die durch sich selbst einen Eindruck hinterläßt, dem gleich, den das anregende Original hervorbringt.« In der Tat dürften sich außer den späteren Schriften Liszts, wenig kritische Arbeiten finden, die solcher Forderung gleichermaßen gerecht werden, als die seinen, die – freilich mehr Dichtungen als eigentliche Kritiken – sich durch die Fülle geistreicher Einfälle, die Anmut der Form, die Gewandtheit in Bild und Rede als kaum minder wertvolle Kunstwerke darstellen, als er sie uns in Tönen gab. Recht im Gegensatz zur trocken anatomischen Weise der früheren handwerksmäßigen Kritik, die nur das Technische des Tonwesens ins Auge faßt, erscheint Schumann als Hauptvertreter der bereits durch E. T. A. Hoffmann angebahnten phantastisch -poetischen Richtung, die den Wert einer Komposition zunächst nach ihrem dichterischen Gehalt, erst in zweiter Linie nach der Schulrichtigkeit ihrer Form bemißt. Dabei setzt uns der weitaussehende objektive Blick des im übrigen so subjektiven Künstlers in Staunen. Selbst für das der eignen Art fremdest Gegenüberstehende fehlt ihm nicht die liebevolle Erkenntnis – wie beispielsweise seine berühmte Beurteilung der Berliozschen » Episode de la vie d'un artiste« beweist – und gar selten nur (wie in seiner »Hugenotten«-Kritik), gerät er in Übertreibungen und die gewohnte Gerechtigkeit kommt ihm abhanden. Jedenfalls gebührt Schumann das große Verdienst, die Literatur der Musik angenähert zu haben, indem er die musikalische Kritik zu einem literarischen Gegenstand umschuf. Auch durfte die »Neue Zeitschrift für Musik« sich alsbald rühmen, als ein die Kunstinteressen jener Zeit wesentlich beeinflussendes Organ, den Ruf einer Anzahl berühmter Namen teils begründet, teils befestigt zu haben. Nennen wir unter den letzteren nur Franz Schubert, Mendelssohn, Chopin, Franz, Gade, Henselt, Heller, Berlioz, Kirchner, Brahms, und bedenken wir, wie Schumann dabei auch für ein besseres Verständnis unserer größten Tonheroen: Bach und Beethoven, unablässig wirkte, so genügt dies, um die Bedeutung seiner schriftstellerischen Tätigkeit zu erkennen. Sein eigenes schöpferisches Wirken blieb übrigens innerhalb der Zeitschrift ganz außer Betracht. Nur als Rückhalt gegenüber den Verlegern, die, laut seinen Klagen, »nichts von ihm wissen wollten«, erwies sie sich ihm selber nutzbringend. »Sie können glauben«, schreibt er an Dorn, »daß, fürchteten die Verleger nicht den Redakteur, auch von mir die Welt nichts erfahren würde, vielleicht zum Besten der Welt.« Schmerzlich genug entbehrte er die Aufmunterung, ohne die, wie er selbst sagt, »keine Kunst gedeiht«, ob er selber sich auch nie genug tat und sich bewußt war, als Komponist »einen vielleicht von allen andern verschiedenen Weg zu gehen«. Sein Streben aber blieb, »unbekümmert um Lob und Tadel«, immer dasselbe hohe, reine, seine Tätigkeit immer die gleiche hingebende, dem Ideal zugewandte.

Solchergestalt als produzierender Künstler und wissenschaftlich gebildeter Kritiker eine zwiefache Wirksamkeit auf die Kunst seiner Zeit ausübend, wie sie unter seinen musikalischen Vorgängern ohne Beispiel war, bezeugte Schumann die ihm innewohnende seltene Arbeitskraft. Nicht nur, daß nach dem schon Ende 1834 erfolgten Tode seines Freundes und Mitredakteurs Ludwig Schuncke und dem wohl damit in Verbindung stehenden Rücktritt Wiecks und Knorrs von der Redaktion, er als alleiniger Herausgeber und Träger der Zeitschrift übrig blieb: er wußte, trotz aller literarischer Fesseln, noch Muße für sein musikalisches Schaffen zu gewinnen, das ihm begreiflicherweise als die »höhere Bestimmung erschien, die er in diesem Leben zu erfüllen habe.« Siehe Jansen, Die Davidsbündler. Leipzig, Breitkopf & Härtel, 1883. Und auch in seinem tonschöpferischen Gestalten begegnen wir dem Dichter, wo wir oft nur dem Musiker zu begegnen meinen. Beide verknüpfen sich in ihm zu so engem Bündnis, daß wir oft kaum wissen, ob der dichterische oder der rein musikalische Gehalt der bedeutsamere sei. Namentlich in seiner ersten, der für ihn charakteristischsten Schaffensperiode – etwa bis zur B-dur-Symphonie op. 38 – überwiegt die poetische Intention; die Fülle und Tiefe der Ideen strebt über die alten Formen hinaus zu neuen Bildungen. Ganz Und gar in die Wundertiefen des romantischen Inhalts versenkt, die zu ergründen er vor andern berufen war, verliert er selber zuweilen die Gewalt, die Gestalten, die er emporrief, in fest umrissene Formen zu bannen, in klar erkennbare Gruppen zu sondern. Das »Klavier«, schreibt er damals, »möchte ich oft zerdrücken und es wird mir zu eng in meinen Gedanken.« Ausschließlicher als seine Vorgänger Weber, Schubert und Mendelssohn, die Vermittler zwischen Klassizität und Romantik, steht Schumann, dessen gesamtes Denken und Empfinden schon von früh an durch die Romantik gefangen genommen war, auf dem Boden der jüngeren Richtung. Mochte er immerhin in seinen späteren umfangreichen Instrumentalwerken, durch Mendelssohns Vorbild geblendet, zu den klassischen, den von Beethoven erweiterten Formen zurückgreifen, der in ihnen niedergelegte Gefühlsinhalt bleibt auch hier ein romantischer, wie Liszt es ja als den »geheimen Gedanken Schumanns« bezeichnet, »die klassischen Formen mit Romantik zu durchdringen«. Indem er sie mit Geist von seinem Geist erfüllt, gelingt es ihm – wie in den Symphonien in B-dur und D-moll – selbst innerhalb vollkommen ausgestalteter Kunstgattungen Originelles zu geben, ob auch nicht so völlig Neues und berückend Eigentümliches als in seinen Klavierwerken, darin er sich selbst seine Form und seinen Stil schuf.

Durchaus romantischer Natur ist die Idee der »Davidsbündlerschaft«, die sich nicht nur, nach Schumanns Worten »wie ein roter Faden durch die Zeitschrift hinzieht, ›Wahrheit und Dichtung‹ in humoristischer Weise verbindend«, sondern auch mehrfach in seine Tonwerke – »die Davidsbündlertänze« op. 6, den »Karneval« op. 9 – hereinklingt. Wir haben uns unter derselben einen Bund zu denken, der »nur im Kopf seines Stifters existierte« und dessen gegensätzliche Künstlercharaktere: Florestan und Eusebius (Schumann), Raro (Wieck), Chiara (Clara Wieck), Jonathan (L. Schuncke), Serpentinus (Carl Banck), Gottschalk Wedel (Anton von Zuccalmaglio) usw., ihm, als Spiegelbilder einzelner Persönlichkeiten des damaligen Leipziger Musikkreises, dazu dienten, verschiedene Kunstanschauungen und eine reiche Mannigfaltigkeit der Stimmungen zur Aussprache zu bringen. Ziel und Aufgabe des phantastischen Bundes war die Bekämpfung des musikalischen Philistertums; daher David, der alte Sängerheld und siegreiche Philisterfeind, zum Schutzpatron desselben erkoren ward. Schumann selbst, der auch einen Roman »Die Davidsbündler« plante, liebte es, sich hinter den Pseudonymen Florestan und Eusebius zu verbergen, in denen er seine Doppelnatur (und zwar in Florestan die feurige, leidenschaftliche, in Eusebius dagegen die weiche, träumerische Seite seines Gemüts) personifizierte. Sie sind auch als Autoren auf dem Titel der Klaviersonate in Fis-moll op. 11 genannt, die Liszt als das bedeutendste Werk dieser Gattung seit Beethoven bezeichnet hat. Schumanns ganze Eigentümlichkeit zeigt sich in ihr enthüllt. Schwärmerischmelancholisch, leidenschaftlich, humoristisch, grüblerisch und dabei kräftig, energisch zugleich, zieht sie uns in ihre Zauberkreise, samt den »Phantasiestücken« op. 12, den »symphonischen Etüden« op. 13, dem »Konzert ohne Orchester« op. 14, den »Kinderszenen« op. 15, der »Kreisleriana« op. 16, der Liszt gewidmeten wunderbaren »Phantasie« op. 17, der »Humoreske« op. 20, den »Novelletten« op. 21, der G-moll-Sonate op. 22, den »Nachtstücken« op. 23, dem »Faschingsschwank« op. 26, den »Romanzen« op. 28 zu den genialsten Klavierdichtungen zählend, die wir überhaupt besitzen. Sie ist Clara Wieck gewidmet, seiner Freundin und Kunstgenossin, die schon als Kind das lebhafteste Interesse in ihm erweckt hatte. Die freundschaftlich -künstlerische Teilnahme, die er während eines jahrelangen nahen Verkehrs für sie empfunden und die sich stets in warmer Anerkennung ihres Genius geäußert hatte, verwandelte sich inzwischen in eine tiefe Herzensneigung, als das Mädchen zur Jungfrau erblüht war. Eine reiche Fülle herrlichster Tonpoesien entlockte die Liebe der Künstlerbrust. »Das Konzert, die Sonate, die Davidsbündlertänze, die Kreisleriana und die Novelletten hat sie beinahe allein veranlaßt,« schreibt er an einen Freund. Aber es waren nicht zarte Blüten, von Glück und Sonnenschein gezeitigt – unter bitterem, schmerzlichen Kampf vielmehr, unter Kummer und Herzeleid waren sie geboren. Friedrich Wieck verweigerte seine Einwilligung zur Verbindung seiner Tochter mit Schumann, da dieser, wie er meinte, ihr noch keine gesicherte Lebensstellung bieten könne und er selbst zuvor noch weiter für die Zukunft und den Ruhm Claras sorgen wollte. Erst nach jahrelangem Hoffen und Harren sollten die beiden ans Ziel gelangen. In die Kämpfe, die sie zu bestehen hatten, wie überhaupt in ihr Leben, gewährt das reichhaltige, viele Briefe und Tagebuchblätter mitteilende Werk Berthold Litzmanns: »Clara Schumann« 3 Bde. Breitkopf & Härtel, 1902/8. 4, 3. u. 2. Aufl. Siehe auch Marie Wieck »Aus d. Kreise Wieck-Schumann«. Dresden, Pierson. 1912. klaren Einblick. Schumanns Plan, behufs schnelleren Erreichens ihrer Wünsche mit seiner Zeitschrift nach Wien überzusiedeln, stellte sich während seines halbjährigen Probeaufenthaltes daselbst vom Oktober 1838 bis April 1839 als unvorteilhaft heraus. Er sah davon ab, obgleich es eine wirkliche Musikzeitung zu jener Zeit in dem musikalischen Wien nicht gab. »Er passe nicht unter diese Menschen,« schreibt er schon bald nach seiner Ankunft im Oktober 1838 an Zuccalmaglio, und in der Tat kam und ging der geniale Mann, fast ohne von den Wienern beachtet zu werden. Auch an eine Umsiedlung nach England dachte er vorübergehend, doch hatten sich mittlerweile seine Verhältnisse derart gestaltet, daß er sich auch in Leipzig ohne Bedenken einen häuslichen Herd bauen konnte. Freilich sah er sich genötigt, um Wiecks dauernden Widerstand zu besiegen, den Beistand der Gerichte anzurufen. Sie erklärten Wiecks Einspruch für unbegründet. Um gegenüber den Auszeichnungen, die seine Braut von verschiedenen Höfen trug, auch seinerseits einen Titel in die Wagschale werfen zu können, bewarb sich Schumann bei der Universität Jena um die philosophische Doktorwürde. Sie wurde ihm bereitwilligst, auf Grund seiner ruhmreichen Tätigkeit als schaffender Künstler sowie als Kritiker und Ästhetiker, im Februar 1840 erteilt.

Am 12. September desselben Jahres endlich durften Robert Schumann und Clara Wieck in der Kirche zu Schönefeld bei Leipzig ihre Hände ineinanderlegen zum Bunde fürs Leben. Es war ein stilles häusliches Glück, das er sich gründete, ein ganz seinem Beruf geweihtes, nur von zeitweiligen Kunst- und Erholungsreisen unterbrochenes Leben, noch beschaulicher und zurückgezogener als dasjenige, dem er sich vordem hingegeben hatte. Aber dies stille friedliche Glück schien eine fruchtbare Atmosphäre für sein Schaffen, denn Blüten und Knospen reich an Zahl förderte es ans Licht. Man hat dies erste Jahr seiner Ehe Schumanns »Liederjahr« genannt und mit Recht: es waren ja eben nur lyrische Ergüsse, die dem Herzen entsprangen, das seine junge Seligkeit in die Welt hinaussang und das sich in einer Fülle von weit über hundert Liedern binnen Jahresfrist kaum genug tun konnte. Wer kennte sie nicht, jene Schätze, die der Sänger uns in ihnen geschenkt, und die erklingen werden, so lange es deutsche Zungen und deutsche Herzen gibt? Er hat es verstanden, mit seinem dichterischen Sinn die künstlichsten Perlen auszulesen, die unsere Lyrik hervorgebracht. Goethe und Rückert, Heine und Chamisso, Eichendorff und Kerner, Geibel und Lenau, Hebbel und wie sie alle heißen, haben ihm ihre Gaben dargeboten, und er hat ihnen seinen lebendigen Odem eingehaucht und mit der musikalischen Wiedergeburt unsterbliches Leben verliehen. Gedenken wir nur der Rückertschen »Widmung« op. 25, des »Nußbaums«, der »Mondnacht«, der »Frühlingsnacht«, wie des ganzen Eichendorffschen »Liederkreises« op. 39, der Justinus Kernerschen Lieder op. 35, der berühmten Zyklen »Frauenliebe- und Leben« op. 42 und »Dichterliebe« op. 48, oder der späteren Gesänge »Meine Rose« op. 90, »Dein Angesicht« op. 127, sowie der zweistimmigen Lieder op. 43 usw., so bezeichnen wir mit das Herrlichste, was wir in dieser Art überhaupt unser Eigentum nennen Schumann selbst sagt einmal: »Ich getraue mir nicht, mehr versprechen zu können, als ich gerade im Lied geleistet, und bin auch zufrieden damit.« Das romantische Kunstlied erreicht mit ihm seine Höhe. Als Liederkomponisten gebührt ihm im Verein mit Franz Schubert die oberste Stelle. In unmittelbarer Nachbarschaft des Wiener Meistersängers hat er seinen Platz. Er ist der Charakteristischere, Pathetischere. Der Größere bleibt wohl Schubert, der, aus einem reicheren Urvermögen schaffend, mit geringeren Mitteln prägnanter im Ausdruck ist. Auf dem von Schubert Überkommenen fußt Schumann; aber er führt es nach einer selbständigen Richtung hin weiter. Sein dichterisches Naturell läßt ihn dem Liede nicht wie jenen von der rein musikalischen, sondern vielmehr von der poetischen Seite beikommen. Die poetische Stimmung rückt er in den Vordergrund und bildet demgemäß das deklamatorische Element mit Vorliebe aus. Vermittelst einer sorgfältigen Auswahl der Texte – die ihm seine Zeit in ungleich reicherer Fülle darbot, als sie einst Schubert zur Verfügung stand – und einer auch den Einzelmomenten des Gedichts gerecht werdenden Feinheit der Charakteristik weiß er eine gesteigerte Einheit zwischen Ton- und Dichtwerk zu erzielen. Das Klavier hebt er aus seiner bisherigen nebensächlichen, dem Gesang gänzlich untergeordneten Rolle zur Gleichberechtigung mit diesem empor. Ihm überträgt er die seelenmalerische Deutung des Textes und macht es zur eigentlichen Trägerin des Ganzen, so daß der Musikhistoriker Brendel Schumanns Lieder Musikstücke für Klavier und Gesang nannte. Eine vor ihm ungeahnte Bedeutung weiß er dem Nachspiel zu geben, das er ganz eigen dichterisch behandelt. Man vergegenwärtige sich z.B. den Schluß von »Frauenliebe und -Leben«, wo er das erste Liebesbegegnen noch einmal in der Erinnerung zurückruft; oder das Ende von »Stille Tränen«, das trotz aller Wehmut doch in einem leisen Troste ausklingt.

Die Aufgaben, die er dem Klavierspieler stellt, sind schwierigerer Art als man sie vor ihm kannte. Seine Technik ist überhaupt keineswegs leicht und handlich, und an »Häkelperioden«, wie er sie bei Chopin bemängelt, fehlt es auch seiner eigenen Schreibweise nicht, wie sie ja ohnehin – wir erinnern nur an die weitgriffigen Akkorde, die gewagten Sprünge, das verschwimmende Helldunkel des Kolorits, die ungewöhnlichen Begleitungsfiguren – eine leise Wahlverwandtschaft mit diesem seinem Lieblinge offenbart. So spricht auch Bülow von den »unendlich interessanten und schönen Labyrinthen« Schumanns. Charakteristisch für diesen ist beiläufig die häufige Verwendung von Synkopen, die seinen Rhythmen etwas seltsam Kurzatmiges, verhalten Leidenschaftliches, ja Fieberhaftes gibt; desgleichen die Vermischung gerader und ungerader Bewegungen. Seine Rhythmik ist originell und interessant, wenn sie in seinen schwächeren Werken auch von einer gewissen Monotonie nicht frei ist. Trivial wird er nie. Seine Harmonik ist pikant. Er scheut keine Härten, wo sie am Platze sind. Die Genoveva-Ouvertüre z.B. beginnt er mit einem frei anschlagenden kleinen Nonenakkord, und das Larghetto der B-dur-Symphonie schließt er mit einer Harmoniefolge, die Wagner zum Verfasser haben könnte. Die Rücksicht auf sinnlichen Reiz gilt ihm wenig, und wenn seine Melodik an schmeichelndem Wohllaut und frischer Sinnlichkeit hinter der des von ihm so hoch gehaltenen Schubert zurücksteht, so wohnt ihr dafür ein geistigeres Wesen inne.

Sind nun Bach und Beethoven, Schubert und Chopin als diejenigen zu bezeichnen, denen sich Schumanns Genius am verehrungsvollsten zuneigte und somit auch auf seine eigene Entwicklung tieferen Einfluß gestattete, ohne daß sich dieser etwa in Anklängen kund gäbe, denen wir bei ihm fast nirgend begegnen, so dürfen wir auch Mendelssohn zu nennen nicht vergessen. In dessen Bann geriet er zum Schaden seiner eignen Originalität mehr und mehr, denn er wohl vorzugsweise veranlaßte ihn, statt der bisher so glücklich verfolgten eigenen Bahnen, klassische, ihm, dem Romantiker, ferner liegende einzuschlagen. Hatte er sich, wie er überhaupt vom Klavier aus den Weg zum Komponisten genommen und lange Zeit hindurch einzig am Klavier zu komponieren pflegte, während der ersten Epoche seines Schaffens (bis 1840) fast lediglich auf Pianoforte- und sodann auf Gesangkompositionen beschränkt – seine ersten 23 opera umfassen ausschließlich Klaviermusik, die nächsten bis op. 37 vorwiegend Lieder – so wandte er sich nun den großen Formen der Instrumentalmusik zu. Als das erste Ergebnis dieser neuen Phase erschien die B-dur-Symphonie op. 38, die durch Böttgers Gedicht: »Du Geist der Wolke« angeregt wurde. »Frühlings -Symphonie« wollte Schumann sie ursprünglich nennen und den ersten Satz als »Frühlings Erwachen«, den letzten als »Frühlings Abschied« bezeichnen. Sie ist die lichtvollste seiner symphonischen Arbeiten, und Louis Ehlert meint, sie habe etwas so Hochzeitliches, Freudiges, als feiere Schumann darin seine symphonischen Flitterwochen. Am 31. März 1841 erlebte sie, von Mendelssohn geleitet, der Leipzig seit 1835 angehörte, im Gewandhaus ihre erste, sehr beifällig aufgenommene Aufführung. Ihr folgte noch im selben Jahre die am 6. Dezember als »zweite Symphonie« erstmalig gehörte D-moll-Symphonie in einem Satze, die zuerst »symphonistische Phantasie« heißen sollte, aber erst 1851 die Gestalt empfing, in der sie als »vierte Symphonie« op. 120 veröffentlicht wurde. Ihrer älteren Schwester musikalisch an Wert nicht nachstehend, bringt sie mit ihrer thematischen Einheit auch formell Neues und Interessantes. Poetische Bilder schwebten ihrem Urheber wohl auch bei ihr vor. Noch ein drittes symphonisches Werk: die unter dem Titel »Ouvertüre, Scherzo und Finale« ( op. 52) bekannt gewordene reizvolle Sinfonietta, fällt in das Jahr 1841. Das folgende gehörte der Kammermusik. Es sah die herrlichen drei Streichquartette op. 41, das mit Recht vielgeliebte Quintett op. 44, das Klavierquartett op. 47, die Phantasiestücke op. 88 entstehen.

Anderer Natur waren die Arbeiten Schumanns, die im Jahr 1843 reiften. Sie bestanden, außer in den seinen Variationen für zwei Klaviere op. 46, die Mendelssohn mit Clara Schumann im August 1843 zuerst öffentlich zu Gehör brachte – ihnen waren ursprünglich noch zwei Violoncelle und Horn beigegeben –, in seiner ersten großen Vokalkomposition und einer seiner edelsten Schöpfungen überhaupt: »Paradies und Peri«. Mit ihr ergriff er als Erster nach Haydns »Jahreszeiten« vom weltlichen Oratorium Besitz. Das zu Grunde gelegte Gedicht aus der » Lalla Rookh« des englischen Dichters Thomas Moore bearbeitete er selbst für die Komposition. Diese kam am 4. Dezember 1843 in Leipzig (mit Frau Livia Frege als Peri) zur ersten Aufführung und mußte schon am 11. wiederholt werden. An Reichtum melodischer Kraft und poetischem Reiz wird sie von keinem andern Werke Schumanns übertroffen. Nur macht sich eine unleugbare Einförmigkeit dadurch fühlbar, daß der der Objektivität ermangelnde Tonschöpfer das Ganze aus der Empfindung der Hauptgestalt heraus behandelt. Heute verhält sich unsre an grellere Wirkungen gewöhnte Zeit der zarten Romantik Schumanns gegenüber kühler, und so hat auch diese vornehme Schöpfung Einbuße erlitten an der einst genossenen Gunst.

Des Meisters äußeres Leben ging mittlerweile seinen gewohnten stillen Gang. Sein Verkehr beschränkte sich auf wenige Freunde und namhafte Kunstgenossen. Im übrigen bildete seine Gattin, die in treuer, aufopfernder Fürsorge bemüht war, dem reizbaren Mann alles Störende, Unliebsame fernzuhalten, die liebevolle Vermittlerin zwischen ihm und dem praktischen Leben, wie sie auch als ausführende Künstlerin die berufenste Interpretin seiner für sie gedachten und empfundenen Schöpfungen blieb. Als im April 1843 das Leipziger Konservatorium unter Felix Mendelssohns Leitung eröffnet wurde, ließ, gemeinsam mit mehreren anderen hervorragenden künstlerischen Persönlichkeiten, auch Robert Schumann sich zur Mitwirkung an demselben bereit finden. Die ihm zuerteilten Lehrfächer waren: Klavier- und Partiturspiel, sowie Kompositionsübungen. Ein sehr tätiges Interesse vermochte er freilich dem neuen Amt nicht abzugewinnen. Sein Naturell war zu abgeschlossen und unmitteilsam, es entbehrte der Fähigkeit, sich leicht verständlich zu machen. Dennoch erhielt er bis zu seiner Übersiedlung nach Dresden seine Beziehungen zur Musikschule, als deren stolzester Schmuck er neben Mendelssohn diente, aufrecht. Eine längere Unterbrechung seiner Tätigkeit gestattete er sich nur, indem er mit seiner Frau im Januar 1844 eine größere Kunstreise nach Rußland unternahm, zu der er sich zwar schwer genug entschloß, von der sie aber reich an Triumphen im Juni zurückkehrten. Bald darauf erfolgte sein Rücktritt von der Leitung der musikalischen Zeitschrift, wenige Monate später, mit Beginn des Winters sodann sein Umzug nach Dresden, nachdem er mit seiner Gattin in einer musikalischen Matinee am 8. Dezember öffentlich von Leipzig Abschied genommen hatte.

»Um der Musik ganz als Künstler zu leben,« hatte Schumann Leipzig mit Dresden vertauscht. Doch war er während des ersten Jahres dort zu leidend, als daß es nicht zunächst der Wiederherstellung seiner Gesundheit dringend bedurft hätte. Ein Zustand äußerster Nervenerregtheit, wie er schon einmal vor Jahren (im Oktober 1833) seine Leipziger Freunde in Schreck und Besorgnis versetzt hatte, trat, während er mit Komposition des »Faust«-Epilogs beschäftigt war, mit gesteigerter Heftigkeit auf und erfüllte seine Familie mit ernster Sorge. Derselbe äußerte sich insbesondere durch Arbeitsunfähigkeit, Mattigkeit, Gehörstäuschungen und qualvolle Beängstigungen, die eine seltsame Todesfurcht im Gefolge hatten. Vor hohen Wohnungen und Bergen, vor metallenen Werkzeugen, Vergiftung empfand er eine peinvolle Angst. Der Anblick des Sonnensteins z. B., einer Irrenanstalt bei Pirna an der Elbe, dünkte ihm unerträglich, den Umgang mit Menschen aber mied er sorgfältiger denn je. Eine »Virtuosität im Festhalten unglücklicher Ideen« war ihm ohnehin eigen, und düstere Ahnungen bemächtigten sich seiner. Der Arzt suchte die Veranlassung der Krankheit in geistiger Überanstrengung und verordnete eine veränderte, ihn zerstreuende Beschäftigung und kalte Sturzbäder. Durch den Gebrauch derselben hob sich der Zustand des Kranken tatsächlich so weit, daß er seine gewohnte Tätigkeit wieder aufnehmen konnte; doch blieb seine Gesundheit von dieser Zeit an schwankend. Nachdem sie sich wiederum besserte, ward er zugänglicher und pflog namentlich mit der Witwe C. M. von Webers, mit seinem Kunstgenossen Ferdinand Hiller, den Dichtern Auerbach und Reinick und den Malern Bendemann und Hübner freundschaftlichen Umgang. Mit Richard Wagner, so sehr ihn dessen »Tannhäuser« interessierte, ließ die Verschiedenheit ihrer Naturen es nur zu vorübergehender Berührung kommen. Hatte doch auch Schumanns Schweigsamkeit zu dieser Zeit schon derart zugenommen, daß, laut Moscheles, ein Gespräch mit ihm fast nicht mehr zu führen war.

Fragen wir nach den künstlerischen Ergebnissen der nächstfolgenden Jahre, so erscheinen diese, zufolge des wechselnden Befindens des Künstlers, in quantitativer Beziehung weniger reichhaltig. Kompliziertere kontrapunktische Formen zogen ihn jetzt vorzugsweise an. Ein vortrefflicher Kontrapunktiker wie er war, von Haus aus zum polyphonen Stil neigend, stellte er in den »Studien« und »Skizzen für Pedalflügel« op. 56 und 58, den »Sechs Fugen« über BACH op. 60, den »Vier Fugen« op. 72 Werke hin, die in ihrer Art für die Klaviermusik dieser Zeit kaum minder neu waren als seine Klavierkompositionen freien Stils. Als Schöpfungen von hoher Bedeutung find ferner zu bezeichnen: das Klavierkonzert op. 54, eins der poesievollsten, die wir besitzen, – der erste Satz war vier Jahre früher geschrieben und zunächst als selbständiges Ganzes unter dem Namen »Phantasie« gedacht – zwei Klaviertrios op. 63 und 80, und die C-dur-Symphonie op. 61. An Pathos und Leidenschaft überragt letztere die beiden früher geschriebenen, steht ihnen aber an Frische der Gestaltungskraft nach.

Hauptsächlich die Rücksicht auf den Gesundheitszustand ihres Gatten wohl bestimmte Clara Schumann, gegen Ende des leidenvollen Jahres 1846 in seiner Begleitung eine Kunstreise nach Wien anzutreten. Die außerordentlichen Erfolge, die sie daselbst errang, traten in seltsamen Gegensatz zu der Teilnahmlosigkeit, mit der die musikliebende Kaiserstadt an den Kompositionen ihres Mannes, der B-dur-Symphonie und dem A-moll-Konzert, die sie am Neujahrstag 1847 hörte, vorüberging. »Sind Sie auch musikalisch?« fragte ein hoher Herr in jenen Tagen den Gatten der Virtuosin, der er soeben seine Bewunderung ausgesprochen hatte. Was Wien versäumte, suchte Prag wieder gut zu machen, das dem Künstlerpaar auf der Durchreise die wärmste Aufnahme bereitete, wogegen Berlin für »Paradies und Peri« – als Schumann dasselbe nach der Wiener Reise dort persönlich leitete – geringes Entgegenkommen zeigte.

Seit Jahren schon hatte sich Meister Robert mit Operngedanken getragen. Mehr denn zwanzig Stoffe verschiedenster Art (darunter Faust, Nibelungen, Wartburgkrieg, Janko, Sakontala) hatte er sich nach und nach vermerkt und wieder verworfen. Endlich kam er zu einem Entschluß: die Jahre 1847 und 1848 zeitigten sein Opern-Unikum »Genoveva«. Es hat innerhalb des ersten Vierteljahrhunderts nur wenig Aufführungen erlebt: die Leipziger und die Weimarer Bühne nur, die eine 1850 unter Schumanns, die andre 1855 unter Liszts Leitung, sahen es erscheinen, eine kurze Zeitlang wiederkehren und verschwinden. Ganz vorübergehend tauchte es dann 1859 und 60 noch einmal auf. Erst von 1873 an ward es in München, Wien, Wiesbaden, Hannover, Karlsruhe, Mannheim, Leipzig, Berlin, Hamburg, Köln, Dresden u. a. O. wieder lebendig; doch ohne sich, trotz seiner edlen reizvollen Musik, irgendwo dauernd auf dem Repertoire zu erhalten. Denn wenn der Komponist selbst auch meinte, daß in seiner »Genoveva« »kein Takt zu finden sei, der nicht durch und durch dramatisch wäre«, so sind wir heute doch längst darüber einig, daß ihr nichtsdestoweniger alles Bühnenblut mangelt. So fein der große Lyriker Schumann innerhalb des Liedes zu charakterisieren versteht, so sehr gebricht ihm die Gabe, dramatische Persönlichkeiten objektiv zu schauen und zu gestalten. Der Sinn für Kontraste und Wirkungen, wie sie die Bühne fordert, geht dem sensitiven, ganz in sich gekehrten Künstler ab. So sind die Höhepunkte der Oper – begreiflich bei der lyrischen, subjektiven Natur des Tondichters – die lyrischen Momente, wie die Ouvertüre, das Gebet der Genoveva, das Duett zwischen ihr und Solo im zweiten Akt. Bedenklich zumal schwächt sich der vierte Akt mit seinem konventionellen Opernschluß, trotz der poetischen Szene am Kreuz, nach dem Vorausgegangenen ab. Freilich ist der aus Tiecks und Hebbels gleichnamigen Dichtungen zusammengestellte Text, in dessen Autorschaft sich Reinick und Schumann teilen, ein wenig glückliches Produkt. Gänzlich umgangen ist – ebenso wie in der »Peri« und Schumanns andern großen Gesangswerken – der eigentliche Träger der Handlung in der Oper: das Rezitativ, das sich nach Ansicht des Komponisten »durchaus überlebt« hat. Eine Auflösung der alten geschlossenen Form der Arie usw. ist angestrebt und eine Verschmelzung der Melodie dieser aufgelösten Arienform mit dem Rezitativ angebahnt, die auf den Weg zu Wagners Sprachmelodie hindeutet. Das Ganze ist ein interessanter Versuch, mit der alten Opernschablone zu brechen, freilich ein Versuch, dem die Konsequenz der Methode und der Preis des Gelingens fehlt.

Ein anderes, tief bedeutungsvolles Werk noch, das, obwohl zunächst nicht für die Bühne gedacht, dieselbe doch zuweilen überschreitet, auch wenn es im Konzertsaal seine eigentliche Heimat hat, gewann zu jener Zeit (1848 und 49) Leben: die Musik zu Byrons »Manfred«, deren erste szenische Aufführung Liszt am 13. Juni 1852 in Weimar veranstaltete. Sie setzt sich aus Ouvertüre, Melodramen und Gesängen zusammen. Schumann selbst sagt, er habe sich noch nie einer Komposition mit so viel Liebe und Aufwand von Kraft hingegeben, wie dieser einen, mit deren Dichter ihn Wahlverwandtschaft verband. Gewiß ist sie mit ihrer düsteren Poesie und meisterlichen Charakteristik, ihrem tragischen Schwunge und ihrer ins Herz treffenden Empfindungsgewalt das grandioseste, in seiner Totalität vollkommenste Vermächtnis, das er uns hinterlassen. Es ist ein ergreifendes Seelengemälde seiner selbst, von dem wir fühlen, daß es mit des Künstlers Herzblut geschrieben ward. »Ich denke, meine Musik hat nichts vom Handwerk an sich und kostet dem Herzen mehr als man ahnen mag.« Wer denkt beim »Manfred« nicht an die Worte Schumanns, die man als Motto über seine Werke setzen könnte?

Auch das Adventlied für Solo, Chor und Orchester op. 71 entstammt, gleich einigen kleineren Gesang- und Klavierkompositionen, dieser Periode, unter ihnen namentlich das für seine Kinder geschriebene »Jugendalbum« op. 68, das im Verein mit den »Kinderszenen« seinem Autor die Herzen der Jugend erschlossen hat. Und nicht nur die Herzen der kleinen, sondern auch der großen Kinder; denn wer möchte sich des Reizes erwehren, den diese liebenswürdigen Tonbilder auf uns üben?

Das Jahr 1848 sollte durch Gründung des »Dresdner Chorgesangvereins«, zu dessen Leitung Schumann berufen ward (die Direktion der »Liedertafel« hatte er schon 1847 übernommen), einige Abwechselung in sein zurückgezogenes Leben bringen. Der Verkehr mit den jungen Elementen tat ihm wohl, die veränderte Tätigkeit belebte ihn und gab ihm willkommene Anregung zu den im Laufe des nächstfolgenden Jahres entstandenen Chorwerken. Er selbst bezeichnete das Jahr 1849 als sein »fruchtbarstes Jahr«. Die »Waldszenen« op. 82, die vierhändigen Klavierstücke op. 85, das »spanische Liederspiel« op. 74, das Konzertstück für Pianoforte und Orchester op. 92, das »Neujahrslied« und vieles andere ward innerhalb desselben geschaffen. Vorzugsweise entzündete sich seine Begeisterung an Goethe. Die »Lieder und Gesänge«, wie »das Requiem für Mignon« aus Wilhelm Meister op. 98, desgleichen die »Szenen aus Faust«, an denen er von 1844 bis 50 arbeitete (die Ouvertüre schrieb er erst 1853 in Düsseldorf), beschäftigten ihn zu dieser Zeit. Zumal der zuerst geschriebene dritte Teil des »Faust«, der weitaus reichste des Ganzen, wo die Dichtung den Boden der Realität verläßt und die mystisch-ekstatische Weise des Dichters eine verwandte Seite in Schumanns künstlerischem Naturell berührt, gehört zu den unvergänglichsten Eingebungen seines Genius. Mit ihm ward Goethes 100jähriger Geburtstag gleichzeitig in Dresden, Leipzig und Weimar gefeiert.

Der Frühling des kommenden Jahres sah Robert und Clara wieder einmal auf Reisen. In Leipzig, Bremen und Hamburg wurden sie, wie Clara schreibt, »auf Händen getragen«. An ersterem Orte leitete er sodann am 25. Juni 1850 die erste Aufführung seiner Oper »Genoveva«. Ihr kühler Empfang enttäuschte und verstimmte ihn tief. Noch im Spätsommer erfuhr sein Leben eine entscheidende Wendung: er verließ Dresden und trat als Nachfolger Hillers die Stelle eines städtischen Musikdirektors in Düsseldorf an. Nicht leicht hatte er sich zur Annahme derselben entschlossen. Die Hoffnung, mit dem Amt eines zweiten Kapellmeisters am Dresdner Hoftheater betraut zu werden, die sich ebenso vereitelte als die frühere Aussicht einer Berufung als Dirigent der Leipziger Gewandhauskonzerte, verzögerte seine Entscheidung. Zuletzt noch schreckte ihn ein Bedenken seltsamer Art: die gefürchtete Existenz einer Irrenanstalt in der Nähe Düsseldorfs. Doch verstand es sein Freund Hiller, seine Besorgnisse zum Schweigen zu bringen, und so fand schließlich am 2. September 1850 die Übersiedelung statt.

Mit Jubel wurde das berühmte Künstlerpaar in der neuen Heimat empfangen. Eine Festfeier ward zu seiner Begrüßung veranstaltet, und der Meister, als er am 24. Oktober sein Amt offiziell antrat, mit Aufmerksamkeiten und Ehren überschüttet. Man war stolz auf seinen Besitz und bemühte sich, dies auf jede Weise an den Tag zu legen; aber er selber auch suhlte sich zufrieden und behaglich in dem neuen Wirkungskreise. Nur von kurzer Dauer sollte jedoch diese allseitige Zufriedenheit sein. In Schumanns passivem, unmitteilsamen Naturell lag weder die Befähigung zum Dirigenten noch zum Lehrer; sogar die dazu nötige physische Kraft und Ausdauer gingen ihm ab, und selbstverständlich konnte dieser Mangel nicht lange ein Geheimnis bleiben in den betreffenden Kreisen. Eine sich steigernde allgemeine Mißstimmung machte sich gleichzeitig mit der überhandnehmenden Krankheit des Künstlers fühlbar, und endlich, im Herbst 1853, nachdem er zu Pfingsten noch das niederrheinische Musikfest teilweise geleitet hatte, war ihm der Schmerz beschieden, sich seines Amtes enthoben und einen anderen an seine Stelle gesetzt zu sehen.

Künstlerische Zwecke hatten ihn im Sommer 1851 nach Antwerpen, im März 1852 mit seiner Frau nach Leipzig geführt, wo man ihn mit einer »Schumann-Woche« ehrte, zu der auch Liszt und Joachim herbeigekommen waren. Aber einen warmen Empfang bereiteten die Leipziger, in deren Mitte er doch vierzehn Jahre gelebt hatte, ihm und seinen Werken nicht. »Ich bin daran gewöhnt,« schrieb er schon 1851 resigniert an Richard Pohl, »meine Kompositionen, die besseren und tieferen zumal, auf das erste Hören vom größeren Teil des Publikums nicht verstanden zu sehen.«

Opernpläne, auch die Idee eines Oratoriums »Luther«, das R. Pohl für ihn bearbeiten sollte, beschäftigten ihn. Er produzierte auch in den letzten Jahren noch vielfältig. Die Es-dur-Symphonie (die sogenannte »rheinische«, fünfsätzige, op. 97, zu der er durch den Anblick des Kölner Domes und allerlei rheinländische Eindrücke die Anregung empfing), die Ouvertüren zu Schillers »Braut von Messina«, Shakespeares »Julius Cäsar«, Goethes »Hermann und Dorothea«, über das »Rheinweinlied« und zu den erwähnten »Faust-Szenen«, eine Messe, ein Requiem, »Die Pilgerfahrt der Rose«, die Uhlandschen und Geibelschen Balladen für Chor und Orchester: »Der Königssohn«, »Des Sängers Fluch«, »Das Glück von Edenhall« und »Vom Pagen und der Königstochter«, die Melodramen: »Schön Hedwig« op. 106, »Die Flüchtlinge« und »Der Heideknabe« op. 122, ein drittes Klaviertrio op. 110, zwei Violinsonaten op. 105 und 121, ein Cellokonzert op. 129, eine Phantasie mit Violine und Orchester op. 131, eine dergleichen für Piano und Orchester op. 134, ein noch unveröffentlichtes Violinkonzert in D-moll sind, von Klavier- und ein- und mehrstimmigen Vokalkompositionen ganz zu geschweigen, als das Wesentlichste zu nennen. Dauernd behauptete sich von alledem nur die Es-dur-Symphonie. Im ganzen waren es 135 Opera, die zu des Meisters Lebzeiten erschienen. Eine Anzahl nachgelassener Werke (bis op. 148, auch Verschiedenes ohne Opuszahl) kam nach seinem Tode ans Licht. Selbstverständlich verleugnen die letzten seiner Schöpfungen nicht die Spuren des körperlichen und seelischen Leidens, unter dem sie entstanden. Die Ermüdung einer ehedem reichen Phantasie gibt sich schmerzlich in ihnen kund und deutet auf das tragische Ende hin, das dem herrlichen Genius beschieden war.

Und so entwickelte sich denn die furchtbare, unheimlich lauernde Krankheit, die Schumann frühzeitig von dieser Erde hinwegnehmen sollte, mehr und mehr. Die alten unheilverkündenden Anzeichen, die einst vor Jahren geheimnisvoll aufgetaucht und wieder verschwunden waren, wiederholten und steigerten sich; auch die Gehörstäuschungen, die ihn früher heimgesucht hatten, stellten sich wieder ein. Eine in Scheveningen gebrauchte Badekur (1852) veranlaßte nur vorübergehende Besserung, und im Juli 1853 wurde er bei einem Besuche in Bonn von einem ihn betäubenden, einem Nervenschlag ähnlichen Zustande befallen, der seine eigene schwere Besorgnis erregte. Es war nach dem Ausspruche seines Arztes ein organisches Gehirnleiden, das durch überangestrengte Tätigkeit, »geistige Ausschweifung«, wie er's nannte, zur unglückseligen Entwicklung kam. Die später ausgesprochene Ansicht des Leipziger Nervenarztes Dr. Paul Möbius aber lautete vielmehr dahin, daß nicht in Überanstrengung, sondern in einer ererbten Anlage zum Wahnsinn, in einer von vornherein abnormen Beschaffenheit des Gehirns die Ursache von Schumanns Erkrankung zu suchen sei. »Robert Schumanns Krankheit.« Halle, Marhold 1906. Doch trat wiederum ein Stillstand im Verlauf der Krankheit ein, und die Sonne schien noch einmal hell und freundlich in das umflorte Leben. Die Begegnung mit Johannes Brahms, den Schumann im Oktober 1853 in der einst von ihm begründeten »Neuen Zeitschrift für Musik«, begeistert in die Musikwelt einführte, fällt wie ein Lichtstrahl in jene dunklen Tage. Damals entstand, wie Spitta erzählt, eine noch im Manuskript vorhandene Sonate für Klavier und Violine, die Schumann mit Brahms und Albert Dietrich »in Erwartung des verehrten und geliebten Freundes Josef Joachim«, wie es auf dem Titel heißt, schrieb. Auch eine Musikfahrt nach den Niederlanden, die letzte Kunstreise, die Schumann im November 1853 mit seiner Gattin unternahm, glich einem Triumphzuge. »In allen Städten sah er sich mit Freuden, ja mit vielen Ehren bewillkommnet«, und »mit Verwunderung sah er, daß seine Musik in Holland beinahe heimischer sei, als im Vaterlande.«

Zu Ende des Jahres kehrte er nach Düsseldorf zurück, wohl ahnungslos, welch' entsetzliches Geschick sich binnen wenigen Wochen an ihm erfüllen werde. Zurückgezogener denn je verbrachte er dieselben im Kreise seiner Familie. Literarische Arbeiten beschäftigten ihn. Er bereitete seine »Gesammelten Schriften über Musik und Musiker« zur Herausgabe vor. Auch eine Zusammenstellung der Aussprüche unserer großen Dichter über Musik, die er »Dichtergarten« zu nennen gedachte, wollte er vollenden. Während dieser Arbeit steigerten sich die unheilvollen Anzeichen seiner Krankheit in erschreckendem Maße, tiefer und tiefer senkten sich über ihn die Schatten der Nacht herab, auf die kein Morgen der Genesung folgen sollte. Wieder zeigten sich die Gehörstäuschungen, in denen er bald einen ihn unablässig verfolgenden einzelnen Ton, bald ganze Harmonien und Tonstücke zu hören glaubte. Auch Geisterstimmen und deren Einflüsterungen vernahm er und fühlte sich denselben Tag und Nacht preisgegeben. So zeichnete er eines Nachts – am 7. Februar 1854 – als sein letztes Werk ein Thema auf, das, wie er sagte, Franz Schubert und Mendelssohn ihm gesandt hätten, und über welches er noch während des Ausbruchs der Krankheit fünf Variationen geschrieben hat. Das Thema wurde im Supplementband der Gesamtausgabe von Breitkopf & Härtel veröffentlicht. Brahms schrieb darüber 1863 seine ergreifenden Variationen op. 23. Dann verlangte er der Pflege eines Arztes und einer Heilanstalt übergeben zu werden, »da er zu Hause nicht wieder genesen könne.« Er erkannte seinen Zustand mit furchtbarer Klarheit und bereitete alles zum Abschied vor, ja er bat, ihm während der aufgeregten Momente fern zu bleiben. Was half es, daß seine Gattin alles aufbot, den ruhelosen Geist zu bannen mit der Macht ihrer Liebe und die Wahnbilder zu verscheuchen, die ihn schreckten? Nur einen Augenblick lang währte die heilsame Wirkung – dann hielt ein neues Phantom den Umdüsterten gefangen. So währte es vierzehn Tage, da trieb die qualvolle Seelenangst den Kranken zu einem Schritt der Verzweiflung.

Am Fastnachtsmontag, den 27. Februar 1854, um die Mittagszeit wars, als Schumann den Besuch seines Arztes und eines Freundes empfing. Inmitten des Gesprächs entfernte er sich schweigend. Als er nach längerer Zeit nicht zurückkehrte, suchte ihn seine Gattin: er war im Hause nirgends zu finden. Unbemerkt war er entkommen, der Rheinbrücke zu, und hatte dort durch einen Sturz hinab in den Strom seinem traurigen Leben ein Ende zu geben versucht. Aber Schifferknechte waren in der Nähe, sie retteten den unglücklichen Meister aus den Fluten. Flehentlich soll er sie gebeten haben, ihn doch sterben zu lassen, und noch einmal versucht haben, aus dem Kahn zu entspringen – vergebens! Der Kelch des Leidens war noch nicht bis zur Neige geleert, er sollte noch weiter leben – aber wie!

Wenige Tage später, am 4. März, ward er auf Anraten der Ärzte in die Privatheilanstalt des Dr. Richarz zu Endenich bei Bonn gebracht, daselbst seine rastlose Seele endlich nach langem Kampfe zur Ruhe kommen sollte – zur letzten, ewigen Ruhe freilich. Er empfing während seines zweijährigen Aufenthalts dort noch Besuche von Joachim, Brahms und Bettina von Arnim, die jedoch, der sich infolge derselben kundgebenden heftigeren Aufgeregtheit des Kranken halber, fernerhin unterbleiben mußten. Auch sein Biograph und Schüler Josef von Wasielewski, dem wir neben der späteren, mehr kritischen Arbeit Reißmanns Robert Schumann. 3. Aufl. 1879, Leipzig, List & Franke. und einem kurzen, hier mehrfach benutzten »Lebensbild« Spittas Leipzig, Breittopf & Härtel. 1882. die eingehendsten Forschungen über Schumanns Leben und Schaffen verdanken und dessen Werk Robert Schumann. Dresden 1858, 4. Aufl. Leipzig, Breitkopf & Härtel 1906. auch ein wesentliches Fundament dieser Skizze bildet, sah ihn noch einmal wieder. Selbst ungesehen, belauschte er den kranken Künstler, am Klavier sitzend, in Phantasien verloren, die ein erschütterndes Zeugnis des Gebrochenseins seiner geistigen und physischen Kräfte gewährten. Mit seiner Gattin wechselte der tief Melancholische zuweilen Briefe. Erst am 27. Juli 1856, zwei Tage vor seiner Erlösung, sah sie ihn wieder. Hören wir sie darüber selbst: Litzmann, »Clara Schumann«. Bd. II. »Es war abends zwischen 6 und 7 Uhr. Er lächelte mich an und schlang mit großer Anstrengung, denn er konnte seine Glieder nicht mehr regieren, seinen Arm um mich – nie werde ich das vergessen. Um alle Schätze gäbe ich diese Umarmung nicht wieder hin. Mein Robert, so mußten wir uns wiedersehen, wie mühsam mußte ich mir deine geliebten Züge hervorsuchen; welch ein Schmerzensanblick! – Er sprach viel immer mit den Geistern, wie es schien ... verstehen aber konnte man fast nichts mehr ...

Montag den 28., waren wir, Johannes [Brahms] und ich, den ganzen Tag draußen ... Er litt schrecklich. – Ach ich mußte Gott bitten ihn zu erlösen, weil ich ihn ja so lieb hatte ...

Dienstag, den 29., sollte er befreit werden von seinen Leiden – nachmittag 4 Uhr entschlief er sanft. Seine letzten Stunden waren ruhig, und so schlief er auch ganz unbemerkt ein, niemand war in dem Augenblick bei ihm ...

Ich stand an seiner Leiche, des heißgeliebten Mannes, und war ruhig; all mein Empfinden ging auf in Dank zu Gott, daß er endlich befreit, und als ich an seinem Bette niederkniete, da wurde mir so heilig zumute, mir war, als schwebe sein herrlicher Geist über mir – ach, hätte er mich mit sich genommen! .. Einige Blumen legte ich ihm noch aufs Haupt – meine Liebe hat er mit sich genommen!«

Am 31. Juli ward die sterbliche Hülle Robert Schumanns auf dem Friedhof zu Bonn in die Erde gebettet. Brahms und Joachim, seine besten Freunde, gingen dem Sarg voran, Clara »hinterher, unbemerkt«, wie sie schreibt. Hiller sprach am Grabe.

Clara überlebte den geliebten Mann vierzig Jahre. Erst am 20. Mai 1896 wurde sie ihm in Frankfurt nachgerufen. Drei Tage darnach nahm sie die Gruft im Bonner Friedhof auf, in der sie nun zur Seite ihres Robert ruht.

Es hat lange gewährt, bevor Schumanns Schöpfungen Eingang fanden in die Herzen seines Volkes, die sich dem ihm durch Freundschaft und Streben verbundenen Mendelssohn doch leicht und willig erschlossen. Auch hat die Kritik ihre Pflichten vielfach verabsäumt ihm gegenüber, der doch in offener Darlegung der Bedürfnisse seiner Natur mit Jean Paul sagte: »Luft und Lob sind das Einzige, was der Mensch nicht entbehren kann.« Nur bei den Koryphäen seiner Kunst, wie gleich beim Beginn seiner Komponistenlaufbahn bei Moscheles und Franz Liszt, fand er die Anerkennung, die ihm gebührt und die ihm die Nachgeborenen denn auch freudig spendeten. Wir wissens längst: er brauchte Mendelssohn den Preis der früh erlangten Popularität nicht zu beneiden; denn reichlich aufgewogen ward die schnellere, unmittelbare Einwirkung, die jener auf das Tonleben seiner Zeit geübt, durch die ungleich tiefere und nachhaltigere, die dem Schöpfer des »Manfred« beschieden war. Ward doch durch ihn die Weiterentwicklung der Musik wesentlich beeinflußt. Und darum tat man wohl daran, sein Denkmal aufzurichten, nicht nur in Leipzig, der musikreichen Stadt, die am längsten Zeuge seines Wirkens gewesen, Es wurde daselbst durch Dr. Philipp Fiedler gestiftet. nicht nur am Rheine, wo er die letzte Ruhe fand, sondern auch in Zwickau, seiner Vaterstadt, die im Juni 1910 den hundertsten Geburtstag ihres berühmten Sohnes festlich beging. Denn ob er selbst sich auch bescheiden mochte mit dem Bewußtsein, den Besten seiner Zeit genügt zu haben – der Spruch der Nachwelt hat ihn für alle Zeiten in die Reihe derer gestellt, die nicht sterben hienieden!


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