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Carl Maria von Weber

Carl Maria von Weber

Wenn wir bei Betrachtung der Entwicklung verweilen, die sich auf dem Gebiet der Tonkunst im Verlauf der ersten Jahrzehnte des neunzehnten Jahrhunderts vollzogen hat, so begegnen wir auf der Grenzscheide der zwei großen Epochen, da, wo der in seiner höchsten Blüte ersterbende Klassizismus und die aufblühende Romantik sich berühren, dem Namen Carl Maria von Webers. Er steht in Wahrheit inmitten derselben; nach beiden Seiten hin hat er die Gaben seines Genius ausgestreut, und gleichwohl erscheint es als eine müßige Frage, nach welcher Richtung hin er sein Bestes und Unsterblichstes geleistet. Die Wurzeln seiner künstlerischen Individualität haften in der klassischen Zeit, die reifsten Blüten und Früchte derselben aber treiben hinüber in das junge Reich der Romantik, wo es in jenen Tagen gar frühlingslustig zu knospen und zu keimen begann. So bietet uns Weber das eigentümliche Bild einer Doppelerscheinung dar, wie sie gegensätzlicher kaum gedacht werden kann. Und darum, während er sich einerseits darauf beschränkte, alte gegebene Formen mehr äußerlich als innerlich auszubauen, andrerseits aber völlig neugestaltend wirkte, sehen wir sich an ihm die Konsequenz vollziehen, daß jene ersten seiner Werke mit geringen Ausnahmen als veraltet betrachtet werden, diesen anderen dagegen noch heute, nach fast hundert Jahren eine Jugendfrische innewohnt, deren Zauber nichts von seinen ersten Reizen verloren hat. Was Weber außerhalb der Bühne geleistet, liegt inmitten der Grenzen der Zeit, in der es geschaffen ward. Uns moderne Menschen zieht nur mehr ein historisches Interesse zu jenen Schöpfungen hin. Wir täuschen uns nicht über das altmodisch Gewordene einer Brillanz, die in ihrer Jugend verführerisch wirkte, und über die Vergänglichkeit dessen, dem die Tiefe des Gedankens nicht den Stempel des Ewigen aufdrückte.

Weber hat etwas von einer Mozart-Natur. Die Frische und Naivität der Empfindung, die Grazie des Ausdrucks, der Reichtum an Phantasie, die Melodienfülle gemahnen an jenen, auch wenn sich in die erste mehr Sentimentalität, in die zweite mehr Breite der Phrase mischt. Die Technik erscheint durch ihn entwickelter, die Harmonik um neue Klangwirkungen und vornehmlich um jene eigentümliche Figurierung und Ornamentik bereichert, die den Kompositionen Webers eine gewisse Familienähnlichkeit verleiht und die später so vielfältige Nachahmung gefunden hat. Über den Gedankeninhalt von Mozarts Schaffen freilich kommt Weber niemals hinaus, ja er bleibt meist wesentlich hinter demselben zurück, und noch viel weniger dürfen wir Beethovensche Gedanken- und Gefühlstiefe bei ihm suchen, dessen Muse sich mehr den Sonnen- als den Nachtseiten des inneren Lebens zuneigte. Dessenungeachtet bringt er eine eigenartige, von ihm allein beherrschte Welt zur Erscheinung, sobald sein Genius die Schwingen ausbreitet und sich großer dramatischer Formen bemächtigt. Hier tritt er uns mit dem ganzen Zauber seiner Natur, mit der ganzen Ursprünglichkeit und Liebesfülle seines Gemüts entgegen. Hier erschließt er uns das Geheimnis seines innersten Wesens, und da, wo er ganz er selber ist, gestaltet er aus sich heraus Neues, Großes, Selbständiges.

Weber war das Glück gegeben, groß zu werden in einer großen Zeit. Da unser Vaterland nach glorreicher Selbstbefreiung aus erniedrigender Fremdherrschaft seine nationale Auferstehung feierte, da ein Geistesfrühling ohne gleichen erblühte und Künste und Wissenschaften zu neuem Leben erwachten, fiel auch in Webers Seele der zündende Funke, da sang er mit heller Stimme seine Lieder für Freiheit und Vaterland und sang sich zuerst in das Herz seines Volkes hinein. Und ein deutsches Kunstbewußtsein weckte er wieder in diesem Herzen und machte ihm die deutsche Tonmuse wieder lieb, die eine fremde Kunst verdrängen wollte aus deutschen Landen.

Weber lebte nicht nur in seiner Zeit, er lebte auch mit ihr im engsten Zusammenhange. Wie es die Zeit der Romantik war, so war auch er seiner innersten Natur nach Romantiker. Was die romantische Schule in der Poesie kennzeichnet: das Streben nach erweiterten Kunstzielen, nach engerer Verbindung zwischen Kunst und Leben, die Vorliebe für das Volkslied, der rege Anteil an fremdländischer Kunst und Kultur, das charakterisiert auch Weber. Selbst sein Leben gestaltet sich romantisch genug, wenn er als fahrender Spielmann und Sänger durch die Lande zieht, bevor die Bühne ihn fesselt und sich ihm die Erkenntnis seines eigentlichen Berufs als Dramatiker erschließt. Heißes Bühnenblut pulsiert schon als Erbeigentum in seinen Adern. Schafft er doch, durch und durch dramatisch veranlagt, selbst aus Lied und Instrumentalkomposition – »Reigen«, »Bettlerlied«, »Aufforderung zum Tanz«, »Konzertstück« beweisen es – gern ein Situationsbild, eine dramatische Szene. Was Wunder, wenn er auf dramatischem Gebiet sein Unsterblichstes gab? Was Carl Maria von Weber im Bereich des musikalischen Dramas vollbracht, bezeichnet nicht nur den Höhepunkt seiner künstlerischen Wirksamkeit, sondern den Inbegriff der Bedeutung, die sich an seinen Namen knüpft. Er trägt die Romantik in die Oper und wird so der Schöpfer der romantischen Oper. Aus Sage und Märchen wählt er sich seine Stoffe und belebt sie mit dem Zauber einer Musik, die der Natur selber abgelauscht scheint und in der sich Schönheit, Wahrheit und Reinheit zu unauflöslichem Einklang verbinden. Was wir musikalisches Lokalkolorit nennen, haben wir, von einem Versuche Glucks in »Paris und Helena« abgesehen, erst von Weber gelernt, der, einer der genialsten Koloristen seiner Kunst, die verschiedenen Völker und Zeiten zuerst in Tönen zu charakterisieren wußte. Mit der gleichen Plastik und Farbenlebendigkeit führt er uns im »Freischütz« deutsches Natur- und Volksleben, in »Preziosa« spanische Zigeunerromantik, in »Euryanthe« französisches Rittertum, in »Oberon« des Orientes Märchenwelt vor Augen. Nationalthemen, wie man sie längst mit Vorliebe verwendet, hat Weber zuerst eingeführt, und für die Wahl charakteristischer Tonmittel ist sein erfinderisches Genie vorbildlich geworden. Das neuere Opernorchester ist seine Schöpfung.

Bewußt reformatorisch griff er in die Entwicklung der deutschen Oper ein. In höherem Grade selbst als seinen Vorgängern, den größeren und universelleren Tongenien Mozart und Beethoven, ging ihm die Erkenntnis dessen auf, daß der Lebensnerv des musikalischen Dramas das Dramatische sei, daß die Träger des Dramas Charaktere sein, daß zwischen Wort und Ton ein innerster Zusammenhang stattfinden, daß sie ineinander aufgehen müssen zur Erzeugung eines wahrhaft dramatischen Kunstgebildes. Als Ideal schwebt ihm ein einheitlicher dramatischer Stil in der Oper vor. »Ein in sich abgeschlossenes Kunstwerk, wo alle Teile und Beiträge der verwandten und benutzten Künste ineinanderschmelzend verschwinden und auf gewisse Weise untergehend eine neue Welt bilden,« – dahin formuliert er seine Forderung an die Oper, »wie sie der Deutsche will«, und wie sie in ihren letzten Konsequenzen im musikalischen Drama Richard Wagners verwirklicht erscheint. Zu ihm, unserm größten musikalischen Dramatiker, desgleichen zu Marschner und Mendelssohn, selbst in gewisser Beziehung zu Meyerbeer führt der Weg über Weber, der vielen vorangeleuchtet und auf die moderne Entwicklung der Musik weittragenden Einfluß geübt hat. Und Eins noch fällt bei Schätzung Webers ins Gewicht: daß er der Erste gewesen, dem unser Volk das Geschenk einer wahrhaft nationalen Oper dankt. Die Bühnenwerke seiner großen Vorgänger Gluck, Mozart und Beethoven sind mehr klassisches Gemeingut, als spezifisch nationale Schöpfungen, weniger das Ergebnis eines besonderen, als vielmehr eines allgemeinen klassischen Kunstideals, an dessen Ausbildung unsern Nachbarn im Süden und Westen nicht minderer Anteil als uns selber gebührt. Die Gunst Frankreichs hat Glucks, der Einfluß Italiens Mozarts Meisterschaft gereift und in ihre Bahnen geleitet. Aber selbst des urdeutschen Beethoven herrlicher »Fidelio« spricht mehr in allgemein menschlicher als spezifisch deutscher Sprache zu uns. Die Region des Ideals ist seine Heimat, sein Wesen so hoch und tief geartet, daß, ob wir ihn auch als höchste Zier unsrer heimischen Gesangsbühne betrachten, der schlichte Sinn des Volks ihm gleichwohl in ehrerbietiger Ferne gegenüber steht und seine ganze Größe mehr ahnt, als zu begreifen imstande ist. Anders bei Weber. Sein Kunstwerk, mag er auch ab und zu ins bunte Traumreich der Phantasie entfliehen, haftet am Boden der Wirklichkeit. Er greift hinein ins volle Menschenleben. Der schlichten Alltagswelt entnimmt er seine Gestalten, nicht Idealgebilde, sondern leibhaftige Menschen, wie sie rings um ihn atmen, Kinder echt deutschen Gemüts und Geblüts. Das ists, was ihm die Liebe seines Volkes dauernd zum Preis gewann. Von allen Opernkomponisten steht keiner dem Volksherzen näher als der Sänger des »Freischütz«, der seine Weisen direkt aus der deutschen Volksseele schöpfte und die eigensten Laute seiner Nation sang.

Nichtsdestoweniger sind auch Carl Maria von Weber, gleich vielen seiner Kunstgenossen, die trüben Erfahrungen nicht erspart geblieben, von denen das Neuerstehende im Reiche der Kunst zumeist begleitet zu sein pflegt. Er gehörte nicht zu den bevorzugten Naturen, denen ein freundliches Geschick die Pfade ebnet zu gefahrloser Wanderung. Durch Berg und Tal, über Klippen und rauhes Gestein hat ihn der Weg seines Lebens geführt, und als er endlich nach mühevoller Pilgerschaft den Gipfel der Höhe erklommen, als sich seinen Augen der Blick in eine verheißungsreiche Zukunft auftat, da schlossen sie sich müde zum ewigen Schlummer, und die rastlos strebende Künstlerseele war am Ende alles irdischen Kampfes.

Im Norden Deutschlands, in der holsteinschen Stadt Eutin, stand Carl Marias, oder wie sein vollständiger Name lautet, Carl Maria Friedrich Ernest von Webers Wiege. Dort ward er am 18. Dezember (nach Angabe seines Vaters, während das Kirchenbuch wohl irrtümlich den 20. November als seinen Tauftag bezeichnet) im Jahre 1786 als erstes Kind einer zweiten Ehe geboren, die sein schon alternder Vater, Franz Anton Freiherr von Weber – der Onkel von Mozarts Gattin Constanze – in Wien mit der schönen achtzehnjährigen Genoveva von Brenner aus Oberdorf in Bayern geschlossen hatte. In seiner dem sechzehnten Jahrhundert entstammenden, einst in Niederösterreich begütert gewesenen Familie war seit Generationen eine an Manie grenzende Leidenschaft für Musik und Bühnenwesen erblich, die endlich für Franz Anton verhängnisvoll werden und, bei einem ohnehin haltlosen Charakter, die völlige Zerrüttung seiner äußeren Verhältnisse herbeiführen sollte. So war aus dem ehemaligen kurpfälzischen Offizier nach mannigfachen Wandlungen ein wandernder Schauspieldirektor und schließlich ein schlichter Stadtmusikus in Eutin geworden. Noch den unruhvollen Geist litt es auch da nicht lange. Wenige Monate nach Carl Marias Geburt gab er seine Stellung wieder auf; eine neue Schauspielergesellschaft wurde mit Hilfe seiner Kinder aus erster Ehe – er besaß deren acht – gebildet, und von neuem begann das alte Wanderleben durch Deutschland.

Während eines längeren Aufenthaltes in Salzburg verlor der elfjährige Carl Maria im März 1798 die junge Mutter, an die er, zart und kränklich von Natur, dazu durch ein Hüftleiden von Kindheit an lahm, sich mit Innigkeit angeschlossen, und deren sanfte Obhut ihn bisher vor den gefährlichen Einflüssen eines abenteuerlichen Lebens behütet hatte. Dem Vater lag vor allem die künstlerische Bildung des Knaben am Herzen. Von jeher war es sein heißester Wunsch gewesen, sich und der Welt in einem seiner Kinder ein musikalisches Genie zu erziehen. Er hatte, dieser Hoffnung hingegeben, mit jedem Kind, das ihm der Himmel schenkte, allerhand musikalisch-pädagogische Experimente angestellt und zwei seiner Söhne sogar der Führung Joseph Haydns in Wien anvertraut, ohne seine Bestrebungen durch hervorragende Resultate belohnt zu sehen. Auch bei Carl Maria zeigte sich auf solche zunächst so wenig Aussicht, daß sein ältester Stiefbruder, der ihn mit dem Vater unterrichtete, einmal voll Unmut ausrief: »Carl, du kannst vielleicht alles werden, aber ein Musiker wirst du nimmermehr!«

Erst der Unterweisung des Kammermusikus Heuschkel in Hildburghausen (1796) gelang es, die tonkünstlerische Begabung des nachmaligen Freischütz-Komponisten zu wecken. Dieser selbst bekennt in dem von ihm verfaßten kurzen Lebensabriß, Hinterlassene Schriften, herausgeg. von Th. Hell. Bd. I. Dresden u. Leipzig. Arnoldische Buchhandlung. 1828. daß er »den wahren, besten Grund legte zur kräftigen, deutlichen und charaktervollen Spielart und zu gleicher Ausbildung beider Hände auf dem Klavier.« In Salzburg, wo Carl Maria 1797 als Kapellknabe in das fürsterzbischöfliche Institut eintrat, nahm sodann Michael Haydn, der Bruder des großen Haydn in Wien, durch die Talente des Knaben aufmerksam gemacht, denselben unter seine besondere Zucht. Als Ergebnis dessen trat denn auch ein erstes Opus seines Schülers in Gestalt von »Sechs Fughetten« im Sommer 1798 an die Öffentlichkeit. Doch die von Michael Haydn vertretene Kunstrichtung vermochte den Absichten Franz Anton von Webers für die Zukunft seines Sohnes nicht auf die Dauer zu entsprechen. Um ihn, das Kind der Bühne durch Geburt und Erziehung, der ihm zugedachten Bestimmung zum dramatischen Komponisten möglichst schnellen Schrittes zuzuführen, wurde vielmehr die Fortsetzung seiner Studien in München beschlossen, woselbst die damals von Winter und Danzi geleitete Oper seit dem kunstliebenden Regiment Carl Theodors von der Pfalz in hoher Blüte stand. Dahin siedelte die Familie Weber denn gegen Ende des Jahres 1798 über. Das Glück bescherte Carl Maria hier in Nepomuk Kalcher, dem nachmaligen Hoforganisten, einen Lehrer, dessen »klarem, stufenweise fortschreitenden, sorgfältigen Unterricht« er, seinen eigenen Worten zufolge, »größtenteils die Herrschaft und Gewandtheit im Gebrauche der Kunstmittel, vorzüglich in bezug auf den reinen vierstimmigen Satz dankte.« Bereitwilliger als die früheren Lehrmeister ging er auf die individuelle Begabung des Knaben ein, dessen Produktionsvermögen sich dank seinem Einfluß auffällig steigerte. Eine Partitur nach der andern entstand im Laufe eines Jahres, darunter eine Oper »Die Macht der Liebe und des Weins«, eine Messe, Trios, Sonaten, die sämtlich nachmals ein Raub der Flammen wurden. Webers Sohn und Biograph, Max Maria v. W., berichtet, daß diese Jugendarbeiten seines Vaters auf rätselhafte Weise in und mit einem Schrank in Kalchers Wohnung verbrannt seien, während nachmals Musiol (»Weberiana«, N. Berliner Musikzeit., 1879) im Einverständnis mit Jähns, der ersten Autorität in Sachen Webers, die Ansicht vertrat, daß Weber bei erwachender Reife, nach Wiederaufnahme seiner Studien in Salzburg, jene Kompositionen eigenhändig vernichtet habe. Daneben errang der zwölfjährige Tonschöpfer, der bei dem berühmten Sänger Wallishauser oder Vallesi auch seine gesangliche Ausbildung betrieb, gleichzeitig als Sänger und Klavierspieler seine ersten Triumphe.

So wenig auch diese vorzeitig angestrengte Geistestätigkeit der zarten Organisation seines Kindes zuträglich schien: den in der Schwäche der Eitelkeit befangenen Vater erfüllte sie trotzdem mit Stolz und Freude. Vergebens bemühte er sich fort und fort, für die jugendlichen, von ihm überschätzten Werke Carl Marias einen Verleger zu gewinnen. Da kam er, durch die Bekanntschaft mit Sennefelder, dem Erfinder des Steindrucks, auf den Gedanken, daß sein Sohn ja sein eigner Drucker und Verleger werden könne. Das Geheimnis Sennefelders war ihm bald abgelauscht. Carl Maria begann selbst in dessen Werkstätte eifrig zu arbeiten und, durch frühere Übungen im Zeichnen und Kupferstechen unterstützt, sich die Technik der neuen Kunst so vollständig zu eigen zu machen, daß er binnen kurzem sechs eigenhändig lithographierte Variationen, sein opus 2, erscheinen lassen konnte. »Der rege jugendliche Geist, der alles Neue und Aufsehenerregende mit Hast sich anzueignen suchte«, erweckte, so erzählt Weber selbst, in ihm die Idee, vermittelst einer von ihm und seinem Vater konstruierten verbesserten Presse, Sennefelder »den Rang abzulaufen. Der Wille, diese Sache ins Große zu betreiben«, bewog sie, im Frühling des Jahres 1800 ihren Wohnsitz nach Freiberg zu verlegen, »wo alles Material am bequemsten zur Hand schien. Die Weitläufigkeit und das Mechanische, Geisttötende des Geschäfts ließen Carl Maria aber bald die Sache aufgeben und mit verdoppelter Lust die Komposition fortsetzen.«

Ein Opernplan, zu dem er durch den Direktor der Freiberger Schauspielgesellschaft, Steinsberg, die Anregung empfing, drängte wohl hauptsächlich das Lithographieren bei ihm in den Hintergrund. Genug, am 24. November 1800 gelangte die binnen wenig Wochen geschaffene Oper »Das stumme Waldmädchen« in Freiberg und bald darauf auch in Chemnitz zur Aufführung. Weber selbst bezeichnete sie späterhin als »ein höchst unreifes und nur hier und da nicht ganz an Erfindung leeres Produkt.« Als jedoch die Kritik aussprach, daß man sie »nur als Blüten betrachten dürfe, die erst in der Folge schöne und reifere Früchte versprechen«, entspann sich zwischen dem dreizehnjährigen Komponisten, oder richtiger dessen Vater, und dem Rezensenten ein Federstreit, der den Entschluß Webers, Freiberg wiederum zu verlassen, nach sich zog. Abermals begab man sich auf die Wanderschaft, und im Frühjahr 1802 kam, nach wiederaufgenommenen Studien bei Michael Haydn, in Salzburg eine dritte (komische) Oper: »Peter Schmoll und seine Nachbarn« ans Licht. Zu sonderlichem Erfolg brachte sie es bei ihrer ersten Vorführung in Augsburg (1803) ebensowenig als die ihr vorangegangene.

Nach Wien wandten sich nun zu Beginn des Sommers 1803 die beiden Weber. Die Blütestätte musikalischer Klassizität war schon längst das Ziel der Sehnsucht Carl Marias gewesen. Doch vergeblich hatte er gehofft, daß Joseph Haydn ihn zum Schüler annehmen werde: der greise Meister erwies sich seinen Wünschen unzugänglich. So ward denn statt seiner Abt Vogler, der als Theoretiker und Komponist, als Orgelspieler und Lehrer eines weit verbreiteten Rufes genoß, dazu erlesen, die mannigfachen Lücken in Carl Marias Wissen und Können auszugleichen, die sein ungeregelter Bildungsgang verschuldet hatte. Ein Jahr lang wurde fleißig studiert und – so schwer dies Weber, laut seinem eignen Zeugnis, auch fiel – auf alles Schaffen verzichtet; dann erklärte Vogler ihn zur Annahme einer selbständigen Stellung reif. Mit achtzehn Jahren trat Weber im November 1804 das Amt eines Kapellmeisters am Breslauer Stadttheater an.

Ungern nur schied er von Wien, dessen heiteres, genußfrohes Leben ihn mehr als heilsam in Bann genommen hatte. Doch mit allem Feuereifer seiner Natur, der noch durch das Bemühen gesteigert ward, die gegen seine Jugendlichkeit laut werdenden Vorurteile durch seine Leistungen zu besiegen, begann er seine Wirksamkeit, und der erste Verlauf derselben bereits bekundete das ihm angeborene organisatorische Genie, dem bei seiner späteren umfassenderen Bühnentätigkeit so großartige Resultate entspringen sollten. Schon das erste Jahr seiner Leitung des Breslauer Theaters bereicherte dessen Repertoire durch eine Anzahl der besten klassischen Opern, während er gleichzeitig für Verbesserung und Komplettierung des Orchester- und Bühnenpersonals wirkte und eine neue Orchesterordnung einführte. Nur ward leider die Freiheit seiner Bewegungen durch das intrigante Treiben einer Oppositionspartei gehemmt, deren eifriges Bestreben dahin ging, ihn vom Ruder zu bringen. Als sodann noch Zerwürfnisse mit der Direktion hinzukamen, sah er sich veranlaßt, im Mai 1806 seine Entlassung zu nehmen.

Zum Glück bot sich ihm, dem die Sorge für seinen alten kränkelnden Vater oblag, als »Musikintendant« des kunstliebenden Herzogs Eugen von Württemberg in Karlsruhe in Oberschlesien, ein neuer, ihm sympathischer und seine Dirigentenbegabung fördernder Wirkungskreis dar. Auch schöpferisch war er für Karlsruhe tätig, und wie er in Breslau ein Opernfragment »Rübezahl« und eine » Overtura chinesa«, die er später in »Turandot«-Ouvertüre umtaufte, geschrieben hatte, so entstanden hier u.a. ein Hornkonzert, die Variationen über » Vien quà, Dorina bella« und zwei Symphonien. Wer kennt dieselben heute noch? Und doch verdient die zweite Symphonie in C-dur (die Prof. Hermann Kretzschmar in den von ihm geleiteten Akademischen Konzerten in Leipzig 1892 wieder aus dem Schlummer erweckte) gehört zu werden. An Schwung und innigem Gesang, an sprudelndem Humor, wie an instrumentalem Farbenreichtum ist sie ein echter phantastischer, wenn auch sehr jugendlicher Weber, der dem »Freischütz«-Komponisten präludiert. Die Kunst der thematischen Arbeit, der strengen organischen Entwicklung ist freilich hier ebensowenig als in seinen späteren Kammerkompositionen – einem Quintett, Quartett, Trio und Duo, sowie einer Reihe Sonaten – Webers starke Seite. Seine Größe lag anderswo. Er war kein absoluter Musiker. Seine Tonsprache liebt den Anschluß an einen poetischen Stoff; seine Ouvertüren wie seine schönsten Klavierwerke tragen ein Programm in sich. Er ist in erster Linie Dramatiker. Demgemäß drängte ihn sein Genius nicht zu der reinen Instrumentalkunst und deren sich selbst genügenden Gattungen Symphonie und Sonate, sondern zur Oper hin.

Leider machte der ausbrechende Krieg dem glücklichen Karlsruher Stilleben ein rasches Ende. Der Herzog wurde zur Armee abberufen, die Kapelle aufgelöst und ihr brotlos gewordener Intendant vom Herzog an seinen Bruder, Herzog Ludwig von Württemberg, empfohlen. Als dessen »Geheimsekretär« zog Carl Maria nun im Juli 1807 mit seinem Vater nach Stuttgart.

»Der Not gehorchend« übernahm Weber ein Amt, das seine musikalischen Fähigkeiten nur nebenher, als Lehrer der herzoglichen Kinder, in Anspruch nahm, ihm im wesentlichen aber außer der zu besorgenden Korrespondenz die Ausgabe stellte, in die äußerst derangierten Kassenverhältnisse seines üppig lebenden Herrn Ordnung zu bringen und für neue Geldzuflüsse mit möglichst geschickter Hand zu sorgen. Die Aufgabe war schwierig, insofern sie für den jungen Sekretär häufige Szenen mit den Gläubigern des Herzogs, wie mit dem über dies Gebaren erzürnten königlichen Bruder des letzteren herbeiführte. Sie war nicht minder gefährlich für den ohnehin leichtlebigen Künstler, den das Schicksal in Gestalt seines Vaters bisher ziemlich planlos umhergeworfen hatte, und der, seit seinem Wiener Aufenthalt an eine heitere Auffassung des Lebens gewöhnt, bei erregbarer Phantasie und allen Eindrücken offenstehenden Sinnen sich unbedenklich dem ungebundensten Lebensgenuß hingab. An lustigen Genossen fehlte es ihm, dessen gesellige Talente und liebenswürdiger Frohsinn ihm allerwärts Freunde erweckten, auch an dem damals ziemlich locker lebenden Stuttgarter Hofe ebensowenig, wie andrerseits an Umgang mit geistig hervorragenden Männern, die ihn, Kapellmeister Danzi und Bildhauer Dannecker an der Spitze, zu erneuter Bildungsarbeit an sich selber anregten. Seine Arbeiten aus dieser Zeit – wie die Es-dur-Polonaise, die Kantate »Der erste Ton«, die aus einer Neubearbeitung von Text und Musik des »stummen Waldmädchens« entstandene Oper »Silvana« – gewinnen bereits ein individuelleres und jenes gesangfreudige Gepräge, das den späteren Weber kennzeichnet. Schon stand die Aufführung der »Silvana« auf der Stuttgarter Bühne bevor, als ein verhängnisvolles Ereignis dem heiteren Leben des jungen Musikers eine unerwartet ernste Wendung gab.

Immer mißlicher hatten sich die finanziellen Verhältnisse des Herzogs gestaltet. Zu immer verzweifelteren Mitteln nahm man die Zuflucht, ja der fürstliche Herr verschmähte es sogar nicht, seine Einkünfte durch die Dankbarkeit begüterter Familien vermehren zu lassen, deren Söhne, durch nur scheinbare Einverleibung in seinen Hofdienst, der in den damaligen Kriegszeiten besonders gefürchteten Militärpflicht entbunden wurden. Obwohl nur der Mitwissenschaft um den unrechtmäßigen Handel schuldig, ward Weber, als Opfer einer gemeinen Intrige, des Unterschleifs angeklagt und auf Befehl des Königs am 9. Februar 1810 inmitten des Theaterorchesters in Haft genommen. Die Untersuchung ergab zwar seine Unschuld, da aber dabei seine und seines leichtfertigen Vaters Schulden an den Tag kamen, wurden sie beide am 26. Februar über die Grenze gebracht und aus württembergischen Landen zeitlebens verwiesen.

Die Erfahrung war bitter, doch gereichte sie Carl Maria von Weber zum Heile. Eine ernstere Anschauung des Lebens und seiner Pflichten griff fortan in ihm Platz, und was der Jüngling gefehlt, das suchte der Mann zu sühnen und vergessen zu machen. Durfte er doch schon zu Ende dieses ereignisschweren Jahres (1810) in sein Tagebuch schreiben: »Ich kann mit Beruhigung und Wahrheit sagen, daß ich diese zehn Monate über besser geworden bin; meine traurigen Erfahrungen haben mich gewitzigt, ich bin ordentlich in meinen Geschäften, anhaltend fleißig geworden.«

Wieder folgten drei Wanderjahre (1810–12). Bald verweilte Carl Maria in Mannheim, wo er mit dem Musiktheoretiker Gottfried Weber ein dauerndes Freundschaftsbündnis schloß; bald trieb er in Darmstadt, mit Meyerbeer und Gänsbacher – dem nachmaligen Kapellmeister an der Wiener Stefanskirche – um die Wette, bei seinem alten Lehrer Abt Vogler erneute Studien. Mit besonderem Stolze nannte Vogler Weber und Meyerbeer seine Jünger. »O«, rief er einst aus, »wenn ich hätte von der Welt gehen sollen, ehe ich diese beiden ausgebildet hatte, welches Weh würde ich empfunden haben! Es ruht etwas in mir, was ich nicht herausrufen konnte; diese beiden werden es tun! Was wäre Perugino, was Fra Bartolommeo ohne Rafael.«

Jenen Jahren entstammt ein großer Teil der Lieder, deren uns Weber eine reiche Anzahl – im ganzen 128 – geschenkt hat und in deren Vortrag er selber als unübertroffener Meister geschildert wird. Heutzutage wenig mehr gekannt, sind sie der schlichte Ausdruck einer in ihrer naiven Reinheit wahrhaft volkstümlichen Lyrik. Auf Mozarts Liedern und den einfachen Strophengesängen der älteren Meister fußend, herrscht in ihnen die strophische Form vor; die allgemeine Grundstimmung ist meist in eine einfache Melodie zusammengefaßt, die, dem Texte folgend, sich unverändert wiederholt. Auch die Begleitung ist auf die unentbehrlichste harmonische Unterlage beschränkt. Gleichwohl enthüllt sich uns in diesen schlichten Gesängen manches lebendige Situationsbild, manch' anmutige Blüte musikalischer Genremalerei. Es sei nur beispielsweise der »Serenade«, des »Bettlerliedes«, »Heimlicher Liebe Pein«, »Unbefangenheit«, des »Schneeglöckchens« gedacht. Das Wiegenlied »Schlaf Herzenssöhnchen« – samt dem Jungfernkranz im »Freischütz« wohl das populärste der Weberschen Lieder – lebt trotz seiner hundert Jahre noch immer im Munde des Volkes.

Der gesangsfrohen Zeit dieser Lieder gehören weiter das Klavierkonzert in C-dur op. 11 und die komische Operette »Abu Hassan« an, deren Stoff, Webers eigenem Leben entnommen, von seinem Freund, dem Stuttgarter Schriftsteller Hiemer, bearbeitet war, der schon das alte Libretto vom »Waldmädchen« zu dem der »Silvana« für ihn umgeschaffen hatte. »Silvana« erlebte am 16. September 1810 in Frankfurt a. M. ihre erste, beifällig aufgenommene Aufführung. Dabei lernte der dirigierende Tonsetzer in der Darstellerin der Titelrolle, Caroline Brandt, seine nachmalige Gattin kennen. Der lustige »Abu Hassan« ging, dank dem Schutze des bayerischen Königspaares, am 4. Juni 1811 im Münchner Hoftheater erstmals in Szene. Beide Bühnenwerke erfuhren nach einem reichlichen halben Jahrhundert der Ruhe eine Wiederaufnahme. Das Jahr 1872 sah sowohl die »Silvana« im Théâtre lyrique zu Paris, als den »Abu Hassan« in der Wiener Hofoper wieder aufleben, worauf letzterer auch in München, Leipzig, Wiesbaden, Berlin und anderwärts wieder auftauchte. Die in ihrer Originalgestalt völlig veraltete »Silvana« wurde, mit Unterlegung eines neuen Textes und einer neuen Handlung von E. Pasque, 1885 durch Ferdinand Langer, unter Zuhilfenahme zahlreicher Weberscher Fragmente (darunter die »Aufforderung zum Tanz«, die Es-dur-Polonaise, Sonatenteile usw.) einer musikalischen Neubearbeitung unterworfen, die zuerst in Hamburg, Leipzig, Mannheim zu Gehör kam. Sie glich freilich mehr einem Potpourri denn einem einheitlichen dramatischen Kunstwerk, so daß auch diese neue »Silvana« bald wieder hinter den Kulissen verschwand. Als ein gelungeneres Experiment stellte sich später die Vollendung der »Drei Pintos«, des aus sieben Nummern bestehenden Bruchstücks einer komischen Oper Webers aus den Jahren 1820 und 1821 dar, aus dem des Meisters Enkel, Carl von Weber (als Textverbesserer), in Verbindung mit Gustav Mahler eine durch allerhand Webersche Manuskripte vervollständigte Partitur herstellte. Sie, die freilich nicht als ein stilvolles, echt Webersches Werk gelten kann, begann am 20. Januar 1888 in Leipzig ihre Bühnenlaufbahn mit Glück, hat sich jedoch nicht dauernd auf den Brettern behauptet.

In die Mannheim-Darmstadter Periode fällt Webers erste schriftstellerische Betätigung. Sie wurde durch einen von ihm und seinen Mannheimer Freunden gegründeten »Harmonischen Verein«, der sich eine objektive Kritik zur Aufgabe stellte, hervorgerufen. Weber war der erste unserer großen Musiker, deren kritisches Wirken mit ihrem künstlerischen Hand in Hand ging. Somit eröffnete er auch nach dieser Richtung neue Bahnen.

In den verschiedensten Zeitschriften zerstreut sind seine literarischen Arbeiten erschienen. Erst nach seinem Tode stellte sie Theodor Hell und später noch vollständiger Max Maria von Weber, der Sohn, zusammen. Dem letztgenannten, der als Geheimer Regierungsrat im Ministerium der öffentlichen Angelegenheiten 1881, 59 Jahre alt, in Berlin starb, danken wir auch das wertvolle Geschenk einer umfangreichen Biographie seines Vaters, C. M, v, Weber, 3 Bde. Leipzig Keil, 1864-66., an der die vorliegende Skizze ihre wesentlichste Basis fand. Eine willkommene Ergänzung erfuhr diese Biographie am 100jährigen Geburtstag Carl Marias durch seine von seinem Enkel Carl von Weber herausgegebenen »Reisebriefe an seine Gattin Carolina«. Leipzig, Alphons Dürr. 1886. Sie rücken uns den großen Tonmeister auch menschlich in traute Nähe und enthüllen uns die Tiefen eines Künstlergemüts, wie es reiner und edler sich wohl selten auf Erden findet. Vielseitige Verdienste um die Weber-Literatur hat sich ferner der 1888 verstorbene Weberforscher Professor F. W. Jähns in Berlin durch sein Quellenwerk »C. M. von Weber in seinen Werken«, Berlin, Schlesinger. 1871. durch eine kurze »Lebensskizze«, C. M. v. Weber. Leipzig, Grunow. 1873. durch zahlreiche Ausgaben und Arrangements Weberscher Kompositionen, wie endlich durch die äußerst reichhaltige Sammlung »Weberiana« erworben, die 1881 in den Besitz der Berliner königl. Bibliothek überging.

Kunstreisen, die Weber meist in Begleitung seines Freundes, des Klarinettvirtuosen Bärmann, unternahm, für den er mehrere Konzerte schrieb, gaben München, der Schweiz und Norddeutschland Gelegenheit, ihn gleichzeitig als Klavierspieler und als Komponisten zu bewundern.

Leipzig, so wenig sympathisch es Weber berührte, wurde durch die erneute Bekanntschaft mit Rochlitz, dem Dichter seines »ersten Tons«, wie durch die mit Mahlmann und andern Schöngeistern angeknüpften Verbindungen für Webers literarische Neigungen derart anregend, daß der ihn schon seit längerem beschäftigende Plan eines Romans: »Tonkünstlers Erdenwallen« wieder in den Vordergrund trat. Als Abbild seines eigenen künstlerischen Lebens war derselbe gedacht, und das noch erhaltene Fragment enthält so viel des Anziehenden und Originellen, daß man die Nichtvollendung eines Werkes, das mit E. T. A. Hoffmanns Weise manches Verwandte zeigt, bedauern darf. Von den darin niedergelegten Aussprüchen über seine Kunst sei hier nur des einen charakteristischen gedacht: »Was die Liebe den Menschen, ist die Musik den Künsten wie den Menschen, denn sie ist wahrlich die Liebe selbst.«

Tieferen Einfluß auf Webers innere Entwicklung gewann Berlin, dessen scharfe kritische Luft auf den bisher an süddeutsche Art Gewöhnten, naiv Schaffenden klärend wirkte und seine Bestrebungen bewußteren Zielen zulenkte. Offenen Blicks erkannte er die Schwächen seiner Schreibweise. »Ich habe bemerkt, daß ich sehr über meine Manieren wachen muß«, bekennt er sich selbst in seinem Tagebuch. Auch die Berechtigung des häufig gehörten Vorwurfs der Kritik, daß seine Schöpfungen die strenge Architektur des Aufbaues, die Plastik der Form vermissen ließen, daß sie, in einem malerischen, koloristischen Element ihren Reiz suchend, dem Zeitgeschmack und dem Effekt huldigten, blieb ihm nicht verborgen. Ein üppiges Schmuckwerk überwuchert tatsächlich in seinen Instrumentalkompositionen – auch in seinen Klavierwerken – vielfach die strenge Gliederung der Form, und die Gedanken zeigen sich durch Phrasen überdeckt, die bei aller Fülle an melodischer Erfindung doch eine gewisse Verwandtschaft untereinander bekunden. Mag seine Melodik auch vielfach an Mozart – sein Ideal – erinnern, so verrät doch eine jeder seiner Wendungen und namentlich das ihm spezifisch eigentümliche Figurenwerk, das ihn zum Schöpfer einer neuen Klaviertechnik werden ließ, das Kind einer jüngeren nachklassischen Zeit. Webers Weise trägt eine ganz bestimmte Physiognomie, über die wir uns nirgend zu täuschen vermögen. Als sein Freund Drieberg ihn, gelegentlich seiner ungeschminkten Beurteilung der »Silvana«, auf eben diese Familienähnlichkeit der einzelnen Stücke untereinander hinwies, unterwarf der gewissenhafte Komponist sich einer ernsten Selbstprüfung. »Sollte ich keine Mannigfaltigkeit der Ideen besitzen,« heißt es am 13. Mai 1812 in seinem Tagebuch, »so fehlt mir offenbar Genie, und sollte ich mein ganzes Leben hindurch alle mein Streben, alle meinen Fleiß, alle meine glühende Liebe einer Kunst geopfert haben, zu welcher Gott nicht den echten Beruf in meine Seele gelegt hätte? – Diese Ungewißheit macht mich höchst unglücklich; um keinen Preis möchte ich in der Mittelklasse von den 1000 und 1000 Kompositeurleins stehen; kann ich nicht eine hohe eigne Stufe erklimmen, möchte ich lieber gar nicht leben, oder als Klavier-Professionist mein Brot mit Lektionen zusammenbetteln.« Am 10. Juli, nach Aufführung der »Silvana« auf der Berliner Hofbühne, aber schreibt er, durch den guten Erfolg derselben beruhigt, nieder: »Selbst meine Feinde gestehen mir Genie zu, und so will ich denn bei Anerkennung meiner Fehler doch mein Selbstvertrauen nicht verlieren und mutig und vorsichtig über mir wachend, fortschreiten auf der Bahn der Kunst.«

Der Verkehr mit den Berliner Musikgrößen gestaltete sich übrigens wenig erfreulich für ihn. Kalt und ablehnend traten Bernhard Anselm Weber, Righini, Zelter ihm gegenüber. Um so wärmer schlossen sich ihm der berühmte Zoolog Hinrich Lichtenstein, Friedrich von Drieberg, Fürst Anton Radziwill, der »Faust«-Komponist, wie später auch der Generalintendant des Theaters Graf Brühl, Tieck, Brentano und andere bedeutende Männer an. Herzliche Aufnahme bereiteten ihm besonders die Eltern Meyerbeers, die ihn während seines halbjährigen Aufenthaltes in der norddeutschen Hauptstadt gastlich beherbergten.

Mit dem Berliner Aufenthalt (in dessen Verlaufe er die Nachricht von dem in Mannheim erfolgten Tod seines Vaters erhielt) schließt Webers Jugendperiode ab; sein Schaffen nimmt nun den Aufschwung, der in der Vollendung seiner Dramen gipfelt. Aber auch die Wanderjahre des Künstlers erreichten bald darauf ihr Ende. Mit einem mehrmonatlichen Verweilen am Hofe des Herzogs Leopold August von Gotha und einem Besuch Weimars, zu dem ihn die kunstliebende Großherzogin Maria Paulowna veranlaßte und der ihm die persönliche Bekanntschaft mit Goethe und Wieland vermittelte, beschloß Weber das Jahr 1812, den 1. Januar 1813 durch ein glanzvolles Debüt im Leipziger Gewandhaus mit seinem neuen brillanten Klavierkonzert in Es-dur feiernd. Als er wenige Tage darnach, eine Reise nach Italien, der Schweiz und Südfrankreich planend, Prag berührte, traf ihn der ehrenvolle Antrag, die Direktion der daselbst neu zu organisierenden deutschen Oper zu übernehmen. Allen weitergehenden Plänen entsagend, schlug er ein und ließ sich, wie er selbst sagt, ein Joch anlegen.

Sein angebornes Direktionstalent zu bewähren fand Weber in Prag Gelegenheit. In Kürze brachte er das vollkommen neugeschaffene Operninstitut, dessen erste Leistung: Spontinis »Cortez«, am 9. September 1813 schon laute Anerkennung erntete, zu schönstem Gedeihen. Die erste Sängerin, die er engagierte, war seine Frankfurter Silvana, Caroline Brandt, die anmutige und gefeierte Soubrette, die bald sein Herz gefangen nahm. Schwer entbehrte er indessen die künstlerische Anregung und Berührung mit verwandten Elementen, deren er bedurfte. »Ich bin ganz isoliert und auf mich selbst beschränkt, eine unendliche Verstimmung geht durch mein ganzes Wesen«, klagt er seinen Freunden, und an anderer Stelle: »Der Trieb zum Arbeiten, zu schaffenden Leistungen ist so hohen Ursprungs wie die Liebe und läßt sich ebensowenig erzwingen.«

Er konnte nicht heimisch werden in der böhmischen Königsstadt, deren Kunstleben er als »ein immerwährendes Sterben« bezeichnete. Kurz, als er nach drei Jahren uneigennützigen Wirkens erfuhr, daß weder Publikum noch ständische Verwaltung seine Verdienste zu schätzen wußten, kündigte er rasch entschlossen zu Ostern 1816 seinen Dienst.

Ein halbes Jahr später war er frei. Um im Hause seines Freundes Lichtenstein zuvörderst der Komposition zu leben, begab er sich im Oktober 1816 nach Berlin. Durch den ihn nach Gebühr schätzenden Intendanten Graf Brühl hoffte er daselbst eine ihm zusagende Stellung zu finden. Hier wie allerwärts hatte ihn bereits 1814 die Vertonung von Körners Liederzyklus »Leier und Schwert«, die bald ganz Deutschland sang, mit einem Schlag populär und berühmt gemacht. Die Wirkung dieser Gesänge war eine ungeheure, alle andern politischen Lieder verdunkelnde. Auch seine die Schlacht bei Waterloo feiernde Kantate »Kampf und Sieg« wurde bei ihren Erstlingsaufführungen in Prag (22. Dez. 1815) und Berlin (Juni 1816) mit Begeisterung begrüßt. Mag der Erfolg des längst vergessenen Werkes immerhin mehr patriotischer als musikalischer Natur gewesen sein, für die künstlerische Entwicklung des Autors ist es bedeutsam; denn unzweideutig kündigt das sich darin aufrollende Schlachtbild den künftigen Meister der Oper an. Seine Absichten bei Schaffen der Kantate legte Weber »für seine Freunde« in einem besonderen Aufsatze dar. Ebenso hatte er in Prag mit Veröffentlichung kurzer historischer Notizen begonnen, die er der Aufführung neuer Opern, zur Erleichterung des Verständnisses, vorauszuschicken pflegte: eine Gewohnheit, die er während der längsten Zeit seiner Bühnenwirksamkeit, auch in Dresden (bis 1821) beibehielt.

In Berlin schrieb er vor allem seine Klaviersonaten in As-dur und D-moll, die eine voll Frühlingsduft, die andere voll Leidenschaft. Ihm selber war ja ein Liebesfrühling aufgegangen: Caroline Brandt, die Prager Sängerin, die zur Zeit in Berlin gastierte und seit langem schon seine Neigung besessen, ihm aber ihr Jawort nicht leicht gemacht hatte, ward am 19. November seine glückliche Braut.

Und noch eine andere entscheidende Wendung erfuhr sein Schicksal noch bevor dies Jahr zu Ende ging. Hatten sich seine Berliner Hoffnungen zerschlagen, so brachte ihm der Weihnachtsabend 1816 die Kunde von seiner erfolgten Anstellung als »königlich sächsischer Kapellmeister und Direktor einer in Dresden neuzuschaffenden deutschen Oper«.

Schon am 13. Januar 1817 fand Weber sich in seiner neuen Heimat ein, in der er Großes und Dauerndes zu wirken bestimmt war. Eine Neuschöpfung von Grund aus sollte die deutsche Oper sein, zu deren Organisation Weber berufen wurde, denn Dresden hatte eine solche bisher nicht besessen. Hier herrschte seit Mitte des siebzehnten Jahrhunderts, mit verschwenderischem Glanz gepflegt, die italienische Oper uneingeschränkt, als das mit blendenden Reizmitteln ausgestattete Schoßkind des Hofes. Nicht sowohl dieses letzteren Gunst und Bedürfnis, als vielmehr der Wunsch des Volkes, das seinem nationalen Bewußtsein genugzutun strebte, rief die deutsche königliche Oper in Dresden ins Leben. Die Antipathie des Adels und der vornehmen Gesellschaft war somit von Anbeginn ihre bedenkliche Mitgabe, und der Boden, auf dem sie sich erheben sollte, erwies sich als wenig günstig. Gleichgültigkeit oder Vorurteil auf der einen, offene oder versteckte Feindseligkeit auf der andern Seite begrüßten das neue Unternehmen; in einen Kampf mit Hemmnissen aller Art sah Weber sich von vornherein hineingestellt. »Die Herren Italiener«, schreibt er schon nach vierzehn Tagen an Lichtenstein, »lassen natürlich Himmel und Hölle los, um mich und die ganze deutsche Oper zu vertreiben. Nicht nur daß noch gar nichts vom Notenschreiber bis zur ersten Sängerin da ist, sondern jeder Schritt wird mit tausend Schwierigkeiten verkabaliert.«

Da bedurfte es in der Tat eines so energischen organisatorischen Talentes, wie desjenigen Webers, um das Werk mit sicherer Hand aufzunehmen und zum Ziele zu führen, ob ihm als Lohn für die schwer vollbrachte Arbeit auch wenig mehr zuteil geworden ist, als die Freude über das Gedeihen derselben. Es vollzog sich das seltsame Schauspiel, daß Weber aller Orten ein hochgefeierter, berühmter Mann war, nur nicht an dem einen Orte, dem er Leben und Kräfte weihte, dem sein Name noch heute zum Schmuck und zur Ehre gereicht. Wohl zeigt der Dresdner jetzt mit Stolz auf das von Rietschel 1860 geschaffene Standbild des Meisters, das, gleich dem dreißig Jahre später in Eutin errichteten Denkmal (von Petterich), die geliebte Gestalt des populärsten deutschen Komponisten auch fernen Zeiten zur Erscheinung bringt – dem Lebenden jedoch verstand man nicht gerecht zu werden. Mehr als einmal stand er voll Unmuts im Begriff, die Stellung niederzulegen, die man ihm so bitterlich erschwerte; aber er hielt, treu seinem Wahlspruch: »Beharrlichkeit führt zum Ziel«, standhaft aus und wies selbst günstigere Anerbietungen später zurück in dem Bewußtsein, Großes und Segensreiches für seine Kunst an eben jener Stätte zu wirken.

Während die Aufnahme des neuen Kapellmeisters nach seinen eigenen Worten »überall, nur nicht bei Hofe, eine brillante« war, blieb sein Dienstverhältnis ein »sehr unangenehmes«. Die ihm zur Verfügung gestellten Mittel waren, im Vergleich zu dem glänzenden Institute der Italiener, das Francesco Morlacchi leitete, sehr beschränkt. Die ausgezeichnete Kapelle zwar stand ihm wie jenem zu Gebote, als Personal aber war ihm dasjenige des deutschen Schau- und Singspiels, sowie nötigenfalls die Verwendung einzelner Mitglieder der italienischen Oper bewilligt, welche sich indes für die deutsche wenig brauchbar zeigten, während ihm betreffs Erwerbung neuer Kräfte »möglichste Sparsamkeit« befohlen war. Vergeblich betonte er seinem ihm wohlgesinnten Chef, dem Intendanten Graf Bitzthum, gegenüber die Forderung: »deutsche und italienische Kunst soll gleiche Vorrechte haben«; es gelang auch den unermüdeten Bestrebungen jenes nicht, die gerechten Wünsche des Meisters zu befriedigen, denen sich eine förmliche Partei gegenüberstellte. Kapellmeister Morlacchi, der Konzertmeister Polledro und der sogenannte »Kirchenkompositeur« Schubert bildeten, gemeinsam mit dem einflußreichen Kabinettsminister von Einsiedel, eine Gegnerschaft, die sich Weber in mancherlei Beziehung als eine bis ans Ende unüberwindliche erwiesen hat und die auch dem Grafen Bitzthum dermaßen sein Amt verleidete, daß er sich kampfesmüde nach einigen Jahren davon zurückzog.

So sah sich Weber denn genötigt, seinem bevorzugten Rivalen gegenüber mit einer Reihe ungeschulter Sänger in die Schranken zu treten. Er tat dies schon nach siebzehn Tagen mit einer Leistung, die dem Publikum – das er durch einen kurzen Aufsatz in der »Abendzeitung« über das von ihm zu Gewärtigende verständigt hatte – gewaltig imponierte. Méhuls »Joseph in Ägypten« war die erste Oper, die unter seiner Leitung am 30. Januar 1817 über die Dresdner Hofbühne ging und selbst den strengen Lippen König Friedrich Augusts I. das Geständnis abzwang, daß seine Erwartungen weit übertroffen seien. Schon in dieser ersten Vorstellung schien das aus einem künstlerischen Ensemble hervorgehende »Gefühl der Einheit« erreicht, das Weber als das Ziel seines Strebens und die Aufgabe jeglicher dramatischen Leistung bezeichnet.

Dem ersten glücklichen Debüt folgten weitere gelungene Resultate. Voll rastlosen Eifers den Interessen des ihm anvertrauten Institutes hingegeben, forderte der gewissenhafte Künstler aber auch von seinen Untergebenen ein Gleiches. Nichtsdestoweniger verwandelte die Mißstimmung der Kapellmitglieder und Sänger, die sich infolge des ungewohnt strengen Regiments kundgab, sich bald in um so wärmere Anerkennung und Liebe für den Dirigenten und die Sache, der er diente.

Im Gegensatz zu dem alten italienischen Brauche, die Aufführung der Orchesterwerke vom Klavier oder ersten Geigenpulte aus zu leiten, führte Weber alsbald die Direktion mit dem Taktstock ein, wie er nachmals auch eine rationellere, obwohl viel bekämpfte Orchesterordnung ins Werk setzte. Er bahnte die Heranbildung eines tüchtigen Sängerchors an und ließ sich nicht minder den Gewinn hervorragender Solokräfte angelegen sein. Sein Blick überwachte das Spiel der Sänger, ihre Kostüme, die Dekorationen, mit einem Wort die Gesamtheit der Inszenierung. Übrigens erstreckten sich seine amtlichen Obliegenheiten keineswegs allein auf seine Direktion beim Theater. Ihm fiel auch die Leitung der königlichen Hof- und Tafelmusik zu; ferner hatte er sich in den Dienst in der katholischen Hofkirche mit Morlacchi zu teilen. Zu alledem mußte er diesen bei seinen häufigen und ausgedehnten Urlaubsreisen selbst in der italienischen Oper vertreten, während bei Gelegenheit höfischer Festlichkeiten auch seine schöpferische Tätigkeit in Anspruch genommen ward.

Zu solch umfassender amtlicher Wirksamkeit, für die ihm ein Gehalt von 1500 Talern lohnte, kam kurz nach Webers Antritt in Dresden die Beschäftigung mit einem Werke, das bald seine Seele erfüllte und einen unverwelklichen Lorbeer um seine Stirn schlingen sollte: »Der Freischütz«.

Schon im Jahre 1810 hatte die demselben zugrunde liegende, in Apels Gespensterbuch vorgefundene Fabel sein Interesse in so hohem Grade erregt, daß er in Gemeinschaft mit seinem Freunde Alexander von Dusch in Heidelberg sie zu einem Operntext zu bearbeiten anfing, ohne daß die Arbeit zu Ende gediehen wäre. Nun durch eine Begegnung mit dem Dichter Friedrich Kind in den literarischen Kreisen Dresdens von neuem an den alten, wieder aufgegebenen Plan erinnert, wußte er Kind dergestalt für seine Idee zu begeistern, daß dieser ihm bereits nach der kurzen Frist von zehn Tagen, am 1. März 1817, das vollendete Textbuch übergab. Mit welcher Lust Weber an dessen musikalische Bearbeitung ging, künden seine Briefe an seine Braut. Schon beim Empfang des ersten Akts der Dichtung, am 23. Februar, »fühlte er die Melodien sich daraus entgegenquellen«. Dennoch erfolgte die Aufzeichnung der ersten Noten des »Freischütz«: das Duett zu Beginn des zweiten Aktes, erst am 2. Juli und blieb zugleich, außer der großen Szene der Agathe und einer skizzierten Szene des ersten Aktes, die einzige sichtbare Spur seiner Beschäftigung mit dem Werk in diesem Jahre. Im stillen jedoch gedieh dasselbe weiter und empfing in der Seele des Künstlers Leben und Odem. Weber komponierte nicht am Schreibtisch, dort vollendete er nur. Wie Beethoven, schuf er am liebsten im Freien. Zumal auf Morgenspaziergängen war ihm der Genius hold. Er trug seine Werke unablässig in Gedanken mit sich herum, und erst wenn er sie »fertig gedacht« und ausgelebt hatte, wenn sie vor dem Auge seines Geistes völlig verkörpert standen, brachte er sie aufs Papier. So war das Aufschreiben seiner Kompositionen für ihn eigentlich nur ein Abschreiben des innerlich Vollendeten. Damit auch erklärt sich die auffällige Tatsache, daß Webers Skizzenbücher selbst bei seinen größten kompliziertesten Werken meist nur die Angabe der Melodie, hier und da nur eine kurze Andeutung der Harmonie enthalten; während die Ausführung des Ganzen seine Kraft doch in so geringem Maße in Anspruch nahm, daß er die Instrumentation der gesamten »Euryanthe« z. B. in der kurzen Frist von 43 Tagen zu vollenden vermochte. »Weber komponierte eigentlich immer«, sagt sein Sohn. »Die Welt bestand für sein geistiges Leben nur in Tönen. Farbe, Form, Zeit und Raum übersetzten sich in seinem Innern, vermöge eines geheimnisvollen Prozesses, in Klänge.« Mit dem Beginn des »Freischütz« trat sein Künstlertum in die Phase reifster Meisterschaft, erhielt sein geistiges Leben eine neue, ihm ureigene Form. Sein Leben und Lieben verkörperte sich in diesen Tönen und ward mit ihnen unsterblich. Ist es doch das Bild Carolinens, seiner Braut, das Weber in der holden Gestalt seines Ännchens verlebendigte und mit dieser zugleich der Nachwelt lieb gemacht hat.

Am 4. November 1817 wurde Caroline ihm in der St. Heinrichskirche zu Prag endlich auf immer verbunden, nachdem sich Weber, der der katholischen Kirche mit frommem Sinn Ergebene, durch Beichte und Abendmahl auf den Empfang des Glückes vorbereitet hatte, das ihm der Himmel beschieden. »Gott segne den Bund«, schrieb er am Hochzeitsabend in sein Tagebuch, »der meine geliebte Lina zu meiner treuen Lebensgefährtin macht, und gebe mir Kraft und Fähigkeit, sie so glücklich und froh zu machen, als mein Herz es innig wünscht. Er leite mich in Tun und Lassen nach seiner Gnade.«

In dem Hause, in das er die Gattin einführte, blieben Glück, Friede und stille Behaglichkeit stete Genossen. Caroline durfte es nicht bereuen, die Triumphe ihres Bühnenlebens für den Platz an seiner Seite hingegeben, oder, wie er scherzend meinte, »Hermelin und Atlas mit der Küchenschürze vertauscht zu haben, nur applaudiert vom hungrigen Magen, nur herausgerufen von der Köchin und da capo vom Carl beim Küssen«. Ihrer Mission als Gattin eines Künstlers verstand sie in seltener Weise gerecht zu werden. Mißklänge, wie sie seinem Leben von außen her nicht fehlten, wußte sie aufzulösen mit sanfter Hand. Ihr feiner Geist machte sie zur klugen Beraterin bei seinem Wirken und Schaffen, ihr warmes Herz zur fürsorglichen Hausfrau und treuen Mutter der Kinder, die sie ihm schenkte, ihr liebenswürdiger Frohmut zu einem allerwärts willkommenen geselligen Element. Sie, die er scherzend seine »Volksgalerie« nannte, war stets die erste, an die er bei seinen Arbeiten appellierte und deren langjährige Bühnenpraxis seiner Selbstkritik zu Hilfe kommen mußte. So empfing unter anderem die Eingangsszene des »Freischütz« durch ihren Rat ihre jetzige Gestalt. Ein Gebet des Eremiten und ein Duett zwischen ihm und Agathe sollten derselben ursprünglich vorangehen. Doch: »Weg mit diesen Szenen, mitten hinein ins Volksleben mit dem Beginn der Volksoper, lasse sie mit der Szene vor der Waldschenke beginnen!« schrieb die bühnenkundige Braut – und Weber fügte sich ihrem Einspruch, die Berechtigung desselben anerkennend.

Die ersten Jahre seines Eheglücks zeitigten eine Fülle musikalischer Früchte. Bei zahlreichen Hoffesten reichte er seine Gaben dar. Einem solchen dankt beispielsweise die berühmte, in dem » God save the king« austönende Jubelouvertüre ihr Entstehen. Er schrieb sie zum fünfzigjährigen Regierungsantritt Friedrich Augusts I. im September 1818, und heute noch greift man, wo es patriotischen Empfindungen die Weihe der Töne zu leihen gilt, mit Vorliebe zum Feiergepränge dieser ewig jugendlichen Klänge. Fast verklungen dagegen sind, gleich vielen andern Werken des Künstlers, die beiden 1818 und 1819 entstandenen Messen ( Es und G-dur), mit deren Komposition Weber seiner Verpflichtung als Kapellmeister bei der katholischen Hofkirche nachkam. Die zweite war als »Jubelmesse« die goldene Hochzeit des Königs zu feiern bestimmt. Die erste, die als seltene Erscheinung noch im Gottesdienst gehört wird, darf als ein großempfundenes Werk angesprochen werden.

Näher lag dem Tondichter immerhin ein Gebiet, das er von jeher pflegte, und zu dem er sich im Jahre 1819 wiederum hingezogen fühlte. Als einer der glänzendsten Virtuosen und Improvisatoren seiner Zeit, mit dem Klavier auf vertrautestem Fuß stehend, widmete er demselben eine Reihe von Arbeiten, darunter Perlen der Gattung, wie die E-dur-Polonaise und die »Aufforderung zum Tanz«. Das bekannteste seiner Klavierwerke, zählt letztere zu den originellsten Erzeugnissen Weberscher Kunst. Im engen Rahmen bietet sie den hervorstechendsten Eigenschaften des Komponisten Gelegenheit zur Entfaltung. Schwung und Feuer, Grazie und Innigkeit, Koketterie und Leidenschaft atmen in jenen Rhythmen, die uns ein ganzes kleines Drama ohne Worte vorführen. Was der Künstler alles in dies reizende, »seiner Caroline« gewidmete Tonbild hineingeheimnißt, verrät uns (in dem erwähnten Werke) Jähns, dem dabei Webers Witwe als Autorität diente. In seltsamem Gegensatz zu der sanften wiegenden Bewegung der älteren Tanzweisen stellt sich der feurige Pulsschlag dieses Taktes dar. Doch als sei Weber mit seinem energischen Rhythmus den Bedürfnissen seiner leidenschaftlich bewegten Zeit entgegengekommen, so ist er alsbald zur Alleinherrschaft gelangt und hat den Ton und Takt angegeben, nach dem sich die heutige tanzlustige Welt bewegt. Für einen der genialsten unter den neueren Meistern zumal wurde seine ideale Auffassung des Tanzes und seines symbolischen Wesens bestimmend. Oder ist es nicht eine der Weberschen verwandte Grandezza und aristokratische Vornehmheit des Ausdrucks, die uns, nur in den Schleier der Schwermut gehüllt, aus Chopins tiefsinnig-poetischen Tanzweisen grüßt?

Seltsam, daß diese lächelnden Phantasiegestalten Webers gerade unter dem Druck trüber Zeit, nach einem langen Siechtum ins Leben traten, von dem er, wie im vorhergehenden Sommer, so auch im Frühjahr 1819 befallen ward und das sich als Vorbote des Leidens offenbarte, das ihn sieben Jahre später von dieser Welt hinwegnahm! Bewundernswert erscheint in Wahrheit das Abstraktionsvermögen des Meisters, der unter Krankheit, Verstimmung und häuslichem Leid so Sonniges zu schaffen vermochte. Denn reich an Bitternissen waren die Jahre 1818 und 1819 für ihn. Als eine schwere persönliche Kränkung empfand es der reizbare, für die Gunst von oben äußerst empfängliche Mann, als der König und die Königin, die er nach Geburt seines ersten Kindes zu Taufzeugen geladen hatte, einen Kammerdiener und eine Kammerfrau zu ihrer Vertretung sandten. Auch amtliche Zurücksetzungen, ohne Ende hatte man für ihn in Bereitschaft. So wurde z. B. eine von ihm eingeführte rationelle Umgestaltung der Orchesterordnung höheren Orts abbefohlen, die von ihm komponierte Jubelkantate bei Gelegenheit des Festes, das sie verherrlichte, von der Aufführung zurückgewiesen, der ihm erteilte Auftrag zu einer Festoper für die Vermählung des Prinzen Friedrich widerrufen. An Intrigen scheiterte ferner die Inszenierung seiner »Silvana«, und zu allem Übrigen fand er sich mit Beginn des Jahres 1820 noch bezüglich einer Meyerbeerschen Oper in einen peinlichen Federstreit verwickelt. Müde solch fortgesetzter Ärgernis, stand er eine Zeitlang in ernstlichen Unterhandlungen betreffs einer Übersiedelung nach Berlin; zu weiteren Resultaten führten dieselben jedoch auch diesmal so wenig wie vor Jahren.

Eine ausgesprochene Vorliebe empfand Weber von Anbeginn für die preußische Hauptstadt, wo, dank den Gesängen »Leier und Schwert«, sein Stern zuerst im vollen Glanze aufgegangen war. War es doch auch Berlin, wo der »Freischütz«, von Entzücken und Begeisterung empfangen, seine Siegeslaufbahn durch die gesamte zivilisierte Welt begann. Schon im Sommer 1819 hatte der Intendant Graf Brühl sich mit der Bitte an Weber gewandt, ihm zur Eröffnung des von Schinkel neuerbauten Schauspielhauses seine neue Oper zu überlassen. Deren Vollendung erfolgte nach dreijähriger Arbeit mit Abschluß der Ouvertüre am 13. Mai 1820. Ein volles Jahr jedoch verzögerte sich die Aufführung, und als diese endlich vor sich ging, war ihr bereits ein anderes Werk des Tondichters vorangegangen, das nur zwei Monate später als der »Freischütz« beendet ward: die Musik zu Pius Alexander Wolffs Schauspiel »Preziosa«. Durch den Grafen Brühl zur Komposition derselben aufgefordert, hatte Weber, von der Waldromantik und Zigeunerphantastik des Stoffes angezogen, eines seiner unmittelbarsten und poesievollsten Gebilde damit ausgeführt. Ihre Geschwisterähnlichkeit mit dem »Freischütz« verleugnet denn auch »Preziosa« nicht: aller nationalen Charakteristik, allen zigeunerischen und spanischen Originalmotiven zum Trotz, ist und bleibt sie, das holde Mädchen aus der Fremde, doch eine leibhaftige Gestalt deutscher Romantik.

Am 15. Juli 1820 ward die am 25. Mai begonnene Partitur beendet, und am 14. März 1821 ging »Preziosa« zum ersten Mal mit ebenso glänzender als nachhaltiger Wirkung über die Berliner Bühne: die günstigste Vorbereitung für den ihr folgenden »Freischütz«. Das letzte Studium seiner Oper wollte Weber persönlich leiten. Er begab sich zu dem Zweck mit Beginn des Mai nach Berlin, dessen musikalische Kreise er in lebhafter Aufregung fand. Auch auf dem Boden der norddeutschen Hauptstadt vollzog sich in jenen Tagen, sowie allerorten, der Kampf zwischen fremder und vaterländischer Tonkunst. Mit Rossini, dem maestro del bel canto, um die Wette führte Spontini – der stolze Repräsentant der kaiserlich französischen Oper, den die Gunst Friedrich Wilhelms III. an die Spitze des Berliner Musikwesens berufen hatte – die glänzende Streitmacht seiner Opern ins Feld und drohte, durch Aufführung seines neuesten Werkes »Olympia«, sich zum souveränen Beherrscher der Bühne und des Geschmackes daselbst zu erheben. Die deutsche Partei, Graf Brühl in vorderster Reihe, setzte dagegen ihre ganze Hoffnung auf Weber, und der Erfolg des »Freischütz« galt ihr als eine patriotische Frage, ja nahezu als eine Lebensfrage der deutschen Oper überhaupt.

Mit außerordentlichem Glanze ausgestattet, ging »Olympia« am 14. Mai 1821 in Szene, doch schon die dritte Vorstellung zeigte erkaltenden Beifall. Am 18. Juni endlich folgte der »Freischütz«, die erste Oper, die das neue Schauspielhaus musikalisch einweihte. Aufs höchste war die Spannung des Publikums gestiegen, und Webers Freunden bangte vor der Tragweite dieses Tages. Nur der Meister selber setzte allen Befürchtungen sein ruhig lächelndes: »Wie Gott will!« entgegen und bekundete, nachdem er sein Werk zum Erscheinen reif erklärt hatte, ein so bewundernswertes Gleichgewicht der Stimmung, daß er am Morgen jenes bedeutungsschweren Tages eins seiner schönsten Klavierwerke, das Konzertstück in F-moll mit Orchester, zu vollenden imstande war. Er spielte dasselbe unmittelbar darauf seiner Frau und seinem Schüler Julius Benedict, Der langjährig in England lebende, dort 1885 verstorbene Komponist, der 1880 eine Biographie »Das Leben Webers« veröffentlichte. der ihm nach Berlin gefolgt war, mit großem Feuer vor und begleitete seinen Vortrag durch erklärende Worte, die ein förmliches Programm enthielten und von Benedict aufgezeichnet worden sind. Sie lassen sich kurz in drei Hauptmomente zusammenfassen: Trennung (Allegro), Klage (Adagio), Schmerz, Trost, Jubel des Wiedersehens (Finale). Bei Veröffentlichung des Werkes fügte Weber bekanntlich den poetischen Kommentar nicht bei.

Eine unabsehbare Menschenmenge versammelte sich am Abend des 18. Juni, um einem Triumph beizuwohnen, wie die Geschichte der deutschen Oper bis dahin keinen vollständigeren zu verzeichnen hatte. Brausender Beifall begrüßte den Komponisten, der sein Werk selbst leitete. Schon die Ouvertüre erregte Enthusiasmus und mußte wiederholt werden. Als der Glanzpunkt der ersten Vorstellung aber erschien die große Szene der Agathe, die, von der berühmten Seidler-Wranitzky vollendet wiedergegeben, sich von ungeheurer Wirkung erwies. Tausendstimmiger Jubelruf, Kränze und Gedichte lohnten am Ende, dem glücklichen Autor, der am Abend bewegten Herzens in sein Tagebuch schrieb: » Soli Deo gloria

Von stundan war Weber, die wenigen Tage hindurch, die er sich daselbst noch gönnte, »der Gott des Tages« in Berlin. Im Umsehen drangen die Melodien des »Freischütz« ins Volk und wurden auf den Straßen gesungen. So hatten die Hoffnungen der deutschen Partei denn nicht getrogen: den Kampf des germanischen Geistes hatte Carl Maria von Weber auf der Opernbühne als Ebenbürtiger mit den Italienern aufgenommen und deutschem Sange wieder zum Ehrenrechte verholfen im Vaterlande. Nicht nur eine künstlerische, eine sittliche Tat zugleich hatte er vollbracht, indem er die deutschen Bühnen errettete von der Herrschaft fremdländischer Kunst und im Herzen der Nation den verloren gegangenen Glauben an die Größe und Herrlichkeit des deutschen Genius von neuem entzündete. Was half es der Kritik, daß sie sich gegen die kühnen Neuerungen des Werkes wehrte, daß sie die Ouvertüre »sachregisterhaft«, die Wolfschluchtmusik »keine Musik mehr«, die Durchführung unklar, das Originelle »ins Bizarre ausgeartet«, die Charakteristik »bis an die Grenze der Karikatur geführt« schalt? Mochte selbst der hellsichtige E. T. A. Hoffmann sich gegen die blühende Genialität des »Freischütz« kehren, mochte Zelter diesen als »ein kolossales Nichts«, Tieck ihn als »das unmusikalischste Getöse, das je über die Bühne tobte« verketzern, und Spohr sich »das Rätsel des ungeheuren Erfolges desselben nur durch die Gabe Webers, für den großen Haufen zu schreiben«, erklären: am Ende mußte man doch eingestehen, daß das neue Werk das bedeutendste sei, das seit Mozarts Opern und »Fidelio« über die Bühne gegangen; daß dasselbe mit seinem neuen romantischen Genre eine neue Ära der dramatischen Musik in Deutschland eröffne und Weber mit ihm in die Reihe der ersten Opernkomponisten aller Zeiten eingetreten sei.

Weber selbst war sich der Kühnheit seines Vorschreitens im »Freischütz« wohl bewußt »Es sind Dinge darin«, schrieb er an Lichtenstein, »die in solcher Weise noch nicht auf der Bühne waren – Gott gebe nur, daß ich das Rechte getroffen!« Neu in der Tat war zunächst die Einführung von »Leitmotiven«, kurzen, des öfteren wiederkehrenden Themen, die bestimmte Personen oder Situationen charakterisieren; desgleichen die sogenannte Szenenform, die, aus der geschlossenen Gestalt der Arie heraustretend, dem Rezitativ größere Freiheit gestattet und auf dem Grenzgebiet zwischen Kantilene und Deklamation ihre Heimat hat. Es waren dies beiläufig Errungenschaften, deren letzter sich Webers Nachfolger im allgemeinen bemächtigten, während das überragendste Genie unter seinen musikalischen Erben, Richard Wagner, seinem dramatischen Ideal gemäß, beide zu immer weiteren, von Weber ungeahnten Konsequenzen führte. Nicht minder zeigt die Ouvertüre des »Freischütz« eine bis dahin ungebräuchliche Gestalt. Waren die älteren Muster dieser Gattung über die Aufgabe eines Präludiums nicht hinausgegangen, das auf die folgende Handlung zwar vorbereitet, aber in keinerlei direktem Zusammenhang mit ihr steht, so knüpfte Weber, sich an Beethoven und dessen große Leonoren-Ouvertüre anschließend, die Beziehungen zwischen Prolog und Bühnenspiel fester, indem er diesen aus Motiven von jenem zusammenstellt. Somit enthält seine Ouvertüre das Programm, ein im engen Rahmen konzentriertes Spiegelbild der einzuleitenden Oper, deren vornehmste Charaktere und Szenen uns die Sprache der Instrumente in greifbarer Lebendigkeit vorführt. Gerade an dieses Verfahren des Meisters heftete sich vielfältiger Widerspruch. Ihm eben galt der erwähnte Vorwurf des »Sachregisterhaften«, die Rüge, daß um des poetisch-dramatischen Zweckes willen die musikalische Form beeinträchtigt werde, daß dem ideellen Zusammenhang die musikalische Logik, wie sie unabweislich die thematische Entwicklung fordere, zum Opfer falle. Doch trug die Praxis den Sieg davon über die graue Theorie und hat Webers Orchesterdichtungen ihren Platz unter den Meisterwerken dieses Genres bereitwillig eingeräumt. Was ihnen von jeher ihre zündende Macht über den Hörer sicherte, ist, neben dem hinreißenden Zug dramatisch bewegten Lebens und ihrem festlichen, Spannung und Stimmung erweckenden Charakter, die blühende Schönheit ihres Kolorits. Eine Fülle neuer Klangwirkungen und Kombinationen verdanken wir ihrem Tonschöpfer, der, ein feiner Kenner der Natur jedes einzelnen Instrumentes, gegenüber dem bis dahin beliebten Übergewicht des Streichquartetts, die Zauberkräfte der Blasinstrumente, der Hörner und Klarinetten voran, zuerst entfesselte.

Der Kritik zum Trotz bezeugte denn auch die Stimme des Volkes, daß Weber mit seinem »Freischütz« einen Meisterschuß getan. In raschem Flug bahnte sich derselbe seinen Ruhmesweg durch die deutschen Lande und weiter, rund um den Erdball. Nicht nur in unserem Weltteil, auch in Amerika, Afrika, Australien hallten seine Weisen wider; das Werk des Dresdner Kapellmeisters ward das, was es heute noch ist: die populärste Oper, die wir besitzen.

Nach zweimonatlichem Aufenthalt in Berlin – der lichtesten Zeit, die sein Künstlerleben überhaupt umschließt – war Weber gehobenen Herzens zu seinem Amte zurückgekehrt. »Der Künstler bedarf Teilnahme und Aufmunterung, und ist es eine Schwäche, die ich da bekenne, so ist es vielleicht die, welche den Künstler eben macht,« bekannte er freimütig seinem Chef, dem Geheimen Rat von Könneritz gegenüber. Für das künstlerische Bedürfen und Leisten des genialen Musikers fehlte diesem freilich wohl ebenso das Verständnis als seinem Nachfolger, dem Intendanten von Lüttichau, der seinen Kapellmeister, als er ihn bei den Euryanthen-Proben in Berlin vom Personal und Publikum nach Gebühr gefeiert sah, erstaunt fragte: »Weber, sind Sie denn wirklich ein berühmter Mann?«

In reichem Maße sollte dem Künstler jetzt die ihm so nötige Aufmunterung zuteil werden, von allen Seiten, nur von der einen nicht, von der er sie doch zumeist ersehnte und verdiente. So erhielt er von Kassel einen ehrenvollen Ruf als Reorganisator und Dirigent der dortigen Oper, mit Angebot eines Gehaltes von 2500 Talern. Desgleichen gelangte wenige Tage nach Aufführung des »Freischütz« in Wien (3. November 1821) von Barbaja, dem Pächter des kaiserlichen Kärtnertor-Theaters, der Auftrag an ihn, für dasselbe eine neue Oper zu schreiben. Er lehnte die vorteilhafte Kasseler Berufung zugunsten des von ihm empfohlenen Spohr ab, wenngleich ihm diese Rücksichtnahme auf sein Amt nur durch eine Gehaltszulage von 300 Talern gedankt wurde, und erklärte sich zur Annahme des Wiener Antrags erst bereit, als auf seinen Wunsch, die von ihm begonnene komische Oper »Die drei Pintos« (von Theodor Hell) für seinen König vollenden zu dürfen, ein abschlägiger Bescheid erfolgt war.

Empfand Weber diese letztere Zurückweisung insbesondere als eine so schmerzliche, daß infolgedessen neue besorgniserregende Symptome seines Brust- und Halsleidens hervortraten, so erfüllte ihn andererseits eine Aufgabe mit hoher Genugtuung, die ihm Gelegenheit bot, seinen Gegnern zu beweisen, daß seine Kraft nicht nur einem »Singspiel«, wie sie den »Freischütz« nannten, sondern auch einer Oper großen Stils gewachsen sei. Ihn verlangte nach Verkörperung eines ihm vorschwebenden Kunstideals mit dem Prinzip des Zusammenwirkens der Schwesterkünste Musik, Poesie, Schauspielkunst und Malerei. So entstand »Euryanthe«, sein musikalisch vollendetstes Werk und zugleich dasjenige, das für die Weiterentwicklung der deutschen dramatischen Musik das wesentlich bestimmende wurde.

In Helmina von Chezy, der wanderlustigen Enkelin der Karschin, mit der ihn der schöngeistige Dresdner »Liederkreis« zusammenführte, fand Weber die Dichterin seiner »Euryanthe«. Er wählte unter verschiedenen ihm vorgelegten Stoffen die » Histoire de Gérard de Nevers et de la belle et vertueuse Euryante de Savoye, sa mie«, die schon Boccaccio für eine Novelle, und Shakespeare für »Cymbeline« benutzt hatten, und nahm an der Ausarbeitung des Textes selbst teil. Die vier Hauptgestalten desselben mochten ihn in erster Linie bestechen. In Adolar und Euryanthe fand er verwandte Züge mit dem weichen Max und der träumerischen, ahnungsvollen Agathe aus dem »Freischütz« wieder; das Dämonenpaar Lysiart und Eglantine blickte ihn mit den unheimlichen Augen seines Kaspar an. Leider nur war er nicht imstande, die, trotz seiner Bühnenpraxis, zu spät erkannten Mängel eines Stoffes abzustellen, welcher der dramatischen Behandlung ein für allemal widerstrebte, nachdem er, aus Rücksicht auf die moderne Bühne, seines eigentlichen Angelpunktes beraubt worden war. In der Originalfabel nämlich wird der scheinbare Beweis der Schuld Euryanthes dadurch begründet, daß ihre Hofmeisterin Lysiart Gelegenheit gibt, Euryanthe im Bade zu belauschen und eines Males, das sie in Gestalt eines Veilchens am Körper trägt, ansichtig zu werden. Die ungeschickte Umänderung dieses Motivs in das unverständlich bleibende Geheimnis vom Ring der Emma aber schloß, als Grundfehler des Ganzen, jede befriedigende Lösung der Aufgabe im dramatischen Sinn von vornherein aus. Darum drang Tieck, dessen Rat Weber nachsuchte, unter Hinweis auf »Cymbeline«, auf Beibehaltung der alten Fabel, ohne sich mit dem Tonsetzer einigen zu können. Nicht weniger als elf Male mußte, auf dessen Geheiß und nach unzähligen Verhandlungen, die Chezy den Text umgestalten. Er blieb ein unklares, die Schuld der Euryanthe und ihr unmotiviertes Schweigen im Dunkeln lassendes Machwerk, an das der Komponist seinen Melodiesegen verschwendete.

Neuerdings hat Hermann Stephani es unternommen, »die wesentlichen Teile der Vorgänge äußerlich fester und innerlich begründeter zu verknüpfen«, und seine Bearbeitung ist im Frühjahr 1911 auf dem Dessauer Hoftheater in Szene gegangen. Nach dem Urteil der Kritik erweist sich der dramatische Nerv des Ganzen auch in dieser Gestalt als zu schwach. Jedenfalls wird sie ihre Wirkung noch anderweit zu erproben haben.

Noch bevor Weber die Niederschrift der Musik begann, ging er, nachdem er die Dresdner mit seinem »Freischütz« bekannt gemacht und mit der Einrichtung regelmäßiger Abonnement-Konzerte beschenkt hatte, im Februar 1822 nach Wien, um durch eigene Anschauung das Terrain kennen zu lernen, auf dem seine Oper ins Leben treten sollte. Auf dem Wege dahin dirigierte er in Prag den »Freischütz« und fand in der dortigen Agathe Henriette Sontag, seine künftige Euryanthe. Auch an der blauen Donau herrschten die Italiener, Rossini obenan. Gleichwohl empfing man Weber, nach seinen eignen Worten, »überall wie ein Wundertier«, und als er zum Benefiz der jungen Wilhelmine Schröder – der nachmaligen Schröder-Devrient – den »Freischütz« persönlich leitete, kannte die Begeisterung keine Grenzen. »Mehr Enthusiasmus kann es nicht geben, und ich zittere vor der Zukunft, da es kaum möglich ist, höher zu steigen. Gott allein die Ehre«, verzeichnet er nach der Aufführung in sein Tagebuch, und gegen Freund Lichtenstein äußert er besorgt: »Der verdammte Freischütz wird seiner Schwester Euryanthe schweres Spiel machen.«

Als die Sommerzeit ihn, den Naturfreund, mit den Seinen wie gewöhnlich hinaus aufs Land nach dem ihm vorzugsweise lieben Hosterwitz bei Pillnitz führte, ward das neue Werk mit der As-dur-Arie Adolars am 17. Mai begonnen und darnach rüstig weiter gefördert. Auch die letzte und schwermütigste seiner vier Klaviersonaten, E-moll op. 70, wurde geschaffen und die »Preziosa« zum erstenmal auf die Dresdner Bühne gebracht.

Ein Festspiel, das er im November zur Vermählung des Prinzen Johann, des späteren Königs, schrieb und das bei dessen goldner Hochzeit 1872 wieder hervorgesucht wurde, trug augenscheinlich dem immer zum Geben Bereiten, der während seiner neunjährigen Dresdner Dienstzeit dreizehn Kompositionen größeren Umfangs – Eintagsfliegen-Arbeiten, wie er sie nennt – für Hoffestlichkeiten ausführte, wenig Dank ein. Lakonisch verlautets im Tagebuch am 28. November: »Abends das Festspiel, ging so so, kaltes Publikum.«

Inzwischen erfüllten ihn die sich fort und fort mehrenden Erfolge des »Freischütz«, der binnen achtzehn Monaten die fünfzigste Aufführung in Berlin erlebte, mit wachsender Besorgnis für seine neue Oper. »Glaube mir«, schreibt er seinem Jugendfreund Susann, »ein hoher Beifall lastet wie eine große Schuldforderung auf der Seele des Künstlers, der es redlich meint, und er bezahlt sie nie, wie er wohl möchte. Was die Erfahrung zulegt, nimmt die dahinschwindende Jugendkraft wieder hinweg, und nur der Trost bleibt, daß alles unvollkommen ist, und man tat – was man tun konnte.« »Euryanthe«, sagt er an anderer Stelle, »ist ein einfach ernstes Werk, das nichts als Wahrheit des Ausdrucks, der Leidenschaft und der Charakterzeichnung sucht, und aller der mannigfachen Abwechslung und Anregungsmittel seines Vorgängers entbehrend.« Einen zweiten »Freischütz« aber konnte und wollte er nicht schreiben. Zu stolzerem Fluge begehrte sein Genius sich aufzuschwingen mit einer Tat, die nicht allein eine musikalische Meisterschöpfung sein, sondern zugleich »das Ganze seiner poetischen Bildung, seiner Bühnenpraxis, seines malerischen Geschmackes verlebendigen« und »das Gesamtgebiet der Oper erweitern und auf eine höhere Stufe heben« sollte. »Weber lebte den ›Freischütz‹, die ›Euryanthe‹ arbeitete er«, sagt sein Sohn. Mit anderen Worten: war der »Freischütz« das naive Ergebnis seines Fühlens, so stellt sich die »Euryanthe« als das spekulative Ergebnis seiner Bildung, eines durch Reflexion planvoll geleiteten künstlerischen Willens dar. War das ältere Werk eine Volksoper im besten Sinne, so bezeugte sich das neue vielmehr als eine Kunstoper und konnte von vornherein somit nicht auf die gleiche Allgemeinverständlichkeit zählen. Im »Freischütz« ist Weber spezifisch national: deutschen Wald, deutsche Sitte und deutsche schlichte Häuslichkeit, deutsche Liebe, selbst den deutschen Hang zum Wunderbaren, Dämonischen verherrlicht er hier. Anders in der heroischen Welt der »Euryanthe«, wo die Szene zum mittelalterlichen Königshofe wird, und alles auf das Lokalkolorit des Ritterlichen gestimmt ist. Eine idealere Romantik umgibt uns da im Vergleich zu der realen, zuweilen naturalistischen des »Freischütz«. Alles nimmt größere Dimensionen an, das Ganze gestaltet sich stil- und anspruchsvoller; die Leidenschaften und Konflikte geben sich vertiefter, der Ausdruck gewinnt an dramatischer Wahrheit, die Richtung auf das Charakteristische tritt in den Vordergrund. Die früher knappen, volksliedartigen Formen erweitern sich, die instrumentalen und vokalen Kräfte werden nach ihrem vollen Umfang zur Mitwirkung gezogen; mit realistischer Bestimmtheit folgt die Deklamation dem Text in seine Einzelheiten. Nach Webers Ansicht ist es ja »die erste und heiligste Pflicht des Gesanges, mit der möglichsten Treue wahr in der Deklamation zu sein«. Bot der »Freischütz«, seiner Herkunft aus dem Singspiel gemäß, in seiner Mischung von Dialog und Gesang noch eine Reihe lose verbundener musikalischer Bilder, so verzichtet die deutsche Oper in »Euryanthe« zum erstenmal auf die Zuhilfenahme des gesprochenen Wortes. »Euryanthe ist ein rein dramatischer Versuch, seine Wirkung nur von dem vereinigten Zusammenwirken aller Schwesterkünste hoffend, sicher wirkungslos, ihrer Hilfe beraubt«, schrieb Weber, als der Breslauer akademische Musikverein dieselbe in einem Konzert aufzuführen wünschte. Er spricht damit das Prinzip aus, aus dem das »Kunstwerk der Zukunft« erstand. Das Ideal des musikalischen Dramas, dessen volle Verwirklichung Carl Maria von Weber, zufolge der seinem Genius gesetzten Schranken, vergeblich anstrebte, wurde erst durch Richard Wagner verlebendigt.

Am 29. August 1823 war die neue Oper nach elfmonatiger Arbeit bis auf die Ouvertüre beendet. Um die letzten Vorbereitungen und ersten Aufführungen selbst zu leiten, reiste ihr Urheber Mitte September nach Wien. Leider erwies sich die Zeitlage dem ersten Erscheinen der »Euryanthe« in Wien in eben dem Maße ungünstig, als sie sich dem Erscheinen des »Freischütz« in Berlin einst günstig gezeigt hatte. Die welsche Tonmuse, die sich in Webers Leben allenthalben als eine neidische Macht geltend machte, hatte die Kaiserstadt gerade widerstandsloser denn je in ihre Fesseln genommen, und Rossinis schmeichelnde Melodien, unter Leitung des Maestro von einer Sängergesellschaft vorgetragen, wie sie in gleicher Vollendung wohl niemals wieder auf der Bühne zusammenwirkte, wiegten sie in holden Sinnenrausch.

Erst als die Italiener das Feld geräumt hatten, ging der deutsche Meister an sein Werk. Die Proben erregten die Begeisterung der Mitwirkenden. »So viel ist noch in keiner Oper geweint worden; sie küßten mir die Hände und waren alle außer sich«, berichtet er nach einer derselben in die Heimat. Und ein andermal meint er: »Es sind doch schöne Augenblicke, indem man sieht, daß man das menschliche Herz getroffen hat und ergreift ... Ich selbst habe oft Not, meine Rührung über das eigene Geschreibsel zu verbergen.« Nach der fünfstündigen Generalprobe äußerte er zwar sorglich: »Ich fürchte, aus meiner Euryanthe wird Ennuyante!« doch am 25. Oktober, dem Tag der Aufführung, schreibt er getrost an Caroline: »Ich bau auf Gott und meine Euryanth!«

Die Ouvertüre, seine bedeutendste und glänzendste, beendete er inzwischen. Sie war ursprünglich als ein durchgehender Allegro-Satz geplant. Die auf die Geistererscheinung bezügliche Episode wurde erst in der Absicht aufgenommen, sie, um die unklare Handlung damit zu verdeutlichen, von einem lebenden Bild begleiten zu lassen: Euryanthe kniet betend in der Gruft, am Sarge Emmas, deren Geist vorüberschwebt, während Eglantine das Ganze belauscht. Leider unterblieb dieser »pantomimische Prolog« (dem nach Rellstabs Vorschlag die nun versöhnende Erscheinung Emmas und Udos, der Träger des Ringgeheimnisses, am Schlusse der Oper entsprechen sollte) in Wien. Nur einige wenige Bühnen zogen später, wie Jähns berichtet, von dieser Anordnung Gewinn.

Die mit allgemeiner Spannung erwartete erste Aufführung ließ an Glanz des Erfolgs nichts zu wünschen übrig. Lebhafter Applaus begrüßte den dirigierenden Komponisten und wiederholte sich nach jedem Akt wie am Schluß. Der Jägerchor mußte dreimal wiederholt werden. Die siebzehnjährige Henriette Sontag feierte in der Titelrolle Triumphe; ebenso fand die Grünbaum als Eglantine lauteste Anerkennung. Doch das Entzücken der Wiener verglühte bald, nachdem der Meister die Stadt verlassen hatte. Trotz bedeutender Kürzungen, welche die ungewöhnliche Länge des Werkes nötig machte, verschwand dasselbe nach zwanzig Abenden vom Repertoire.

Die Urteile darüber gingen weit auseinander. Die »Ludlam«, ein Verein von Schriftstellern, Gelehrten und Künstlern, brachte dem Tonsetzer in einem nach Beendigung der ersten Vorstellung eigens veranstalteten Feste Huldigungen dar, die von der tiefen Wirkung seiner Schöpfung zeugten. Im ganzen traten bei dem später entstandenen Meinungskrieg die Gelehrten und Literaten mehr auf Webers, die Musiker von Fach mehr auf seiner Gegner Seite. Selbst ein Genie wie Franz Schubert verirrte sich zu dem Urteil, daß die »Euryanthe« »keine Musik, keine legitime Form und Durchführung enthalte, sondern lediglich auf den Effekt berechnet sei und weit hinter dem ›Freischütz‹ zurückstehe.« Noch schroffer lehnte Grillparzer, der nicht nur ein ganzer Dichter, sondern auch ein halber Musiker war, die »Euryanthe« ab. Er bezeichnet sie nach wiederholtem Hören einfach als »scheußlich«. Dagegen zeigte Beethoven warme Teilnahme an der Oper, deren erster Aufführung beizuwohnen ihn nur seine unglückliche Taubheit verhinderte, und als man ihm von ihrer enthusiastischen Aufnahme berichtete, rief er aus: »Das freut mich, das freut mich! So muß der Deutsche über den italienischen Singsang zu Recht kommen.« Einige Wochen zuvor hatte Weber den großen Meister, der sich seit dem »Freischütz« lebhaft für ihn interessierte, in Baden bei Wien besucht, wobei ihn Beethoven mit den Worten in die Arme schloß: »Da bist Du ja, Du Kerl, Du bist ein Teufelskerl! Grüß dich Gott!« »Wir brachten den Mittag miteinander zu, sehr fröhlich und vergnügt«, schreibt Weber tags darauf (6. Oktober) seiner Frau. »Dieser rauhe zurückstoßende Mensch machte mir ordentlich die Cour, bediente mich bei Tische mit einer Sorgfalt wie seine Dame. Kurz, dieser Tag wird mir immer höchst merkwürdig bleiben, sowie allen, die dabei waren. Es gewährte mir eine eigene Erhebung, mich von diesem großen Geiste mit solcher liebevollen Achtung überschüttet zu sehen.«

Die damalige musikalische Presse läßt die widersprechendsten Auffassungen über die »Euryanthe« vernehmen. Die einen machen ihr Bizarrerie, Mangel an Einheit und Klarheit der Melodie usw. zum Vorwurf, wogegen andere in ihr den »Morgen der neuen dramatischen Musik«, ein Meisterwerk von erhabenerer Größe als selbst »Fidelio« begrüßen. Es blieb lange das Schicksal der vornehmsten Schöpfung Carl Maria von Webers, mehr von einzelnen als von der Allgemeinheit nach ihrem Werte gewürdigt zu werden, und ihm, der der Welt darin sein Bestes, sein »Herzblut« gegeben, hat dies Mißkennen seiner Gabe die schwersten Stunden seines Lebens, ja ein Stück dieses Lebens selber gekostet. Wäre ihm die Voraussicht vergönnt gewesen, daß die Nachwelt »Euryanthe« einst mit gerechterem Maße messen würde, er hätte sich wohl über der Mitwelt kargen Beifall getröstet!

Webers amtliche Obliegenheiten in Dresden hatten sich mittlerweile, zufolge einer ausgedehnten Urlaubsreise Morlacchis und einer längeren Krankheit Schuberts, derart vermehrt, daß man sich genötigt sah, ihm durch Anstellung Heinrich Marschners als Musikdirektor Erleichterung zu schaffen. Indessen verblieb ihm nach Schuberts Tode noch immer ein überfülltes Maß von Arbeitslast. Krankheit und vielfältige Kümmernisse über die Nichterfolge seines Lieblingskindes »Euryanthe« lähmten seinem Geiste die Schwingen, und der sonst nie Rastende hüllte sich fünfzehn Monate lang in Schweigen. Selbst die begeisterte Aufnahme der letztgenannten Oper in Dresden im März 1824, mit der Schröder-Devrient in der Titelrolle, sowie die Ehren, die man ihm als Dirigenten des musikalischen Teils des Klopstockfestes in Quedlinburg im Juli 1824 bereitete, vermochten nicht die Wolken über seinem Haupte zu lichten. »Ich hätte nicht geglaubt, daß ich einen solchen Ekel gegen alle Arbeit bekommen könnte; es kommt mir vor, als hätte ich nie was komponiert«, schreibt er im Sommer aus Marienbad. Zwar empfing er nach seiner Rückkehr von dort durch die fast gleichzeitig eintreffenden Anträge, für Paris und London Opern zu schreiben, neue Anregung zum Schaffen; doch erst der Beginn des Jahres 1825 zeigt nach langer Ruhezeit die ersten Früchte, die sein Genius ihm wieder gewährte. Das Pariser Anerbieten hatte er abgelehnt, den glänzenden Bedingungen des Impresario des Londoner Coventgarden-Theaters, Kemble, den Vorzug gebend. Die ihm freigelassene Wahl zwischen »Faust« und »Oberon« entschied er, da er Spohr mit ersterem Stoff beschäftigt wußte, für den letzteren, und am 30. Dezember 1824 war der erste Akt des Textbuches – eines bunten Flickwerkes des englischen Dichters Planché, das teils bei Wielands »Oberon«, teils bei Shakespeares »Sommernachtstraum« und »Sturm« auf Anleihe ausgeht – in seinen Händen. Am 23. Januar 1825 wurden, dem Tagebuch zufolge, die ersten Ideen zu »Oberon« gefaßt. Die Komposition ward nun, und zwar in englischer Sprache, die Weber zu diesem Behufe erst erlernen mußte, in Angriff genommen, und in schneller Aufeinanderfolge entstanden einige der bedeutendsten Nummern. Dann trat in der Arbeit eine halbjährige Pause ein.

Für sein überhandnehmendes Hals- und Lungenleiden suchte Weber im Juli 1825 durch eine Kur in Ems Linderung. Die mühsam gewonnene Stärkung ließ er der Förderung des »Oberon« zugute kommen. Im Dezember wurde sie indes von neuem unterbrochen – die durch Spontinis Mißwollen lang verzögerte Einstudierung der »Euryanthe« rief ihn nach Berlin. Mit äußerster Anstrengung nur vermochte er die Proben zu leiten. Die Sprache versagte ihm häufig, nur noch vermittelst eines Dolmetschers konnte er mit dem Orchester verkehren. Am 23. Dezember erfolgte die erste Aufführung, und so mußte der kranke, von tiefer Heimatsehnsucht gequälte Meister das Weihnachtsfest getrennt von seinen Lieben feiern, das letzte Weihnachtsfest, das ihm hienieden noch zu verleben vergönnt war.

Und mit immer unaufhaltsameren Schritten neigten sich die Tage Carl Maria von Webers ihrem Ende zu. Dennoch, selbst der dringenden Bitten der bekümmerten Gattin und Freunde ungeachtet, hielt er fest an dem Entschluß, seinen »Oberon« in London persönlich zur Aufführung zu bringen. Das Ergebnis dieser Reise sollte, so hoffte er, die gesicherte Existenz seiner Familie auch nach seinem Tode sein, dessen Nähe er mit furchtbarer Klarheit fühlte. »Ob ich reise, ob ich nicht reise«, sagte er zum Archäologen Böttiger, »bin ich in einem Jahre ein toter Mann. Wenn ich aber reise, haben meine Kinder zu essen, wenn der Vater tot ist, während sie hungern, wenn ich bleibe.« »Nur wiederkommen möchte ich aber«, äußerte er zu einem andern Freund, »Lina, Max und Lexel noch einmal sehen, dann geschehe in Gottes Namen Gottes Wille; aber dort sterben, das wäre hart.«

Die ganze Kraft seines Geistes war jetzt auf Vollendung seines Werkes gerichtet, und mit ruheloser Hast lag er ihr ob. Die kurze Frist, die ihm zu wirken noch vergönnt blieb, sollte zum Vorteil der Seinen ausgenutzt werden. Und die selbstverleugnende Willenskraft des sterbenskranken Mannes war eine gewaltige, – denn wer von uns, die wir den »Oberon« hören, fühlt aus diesen heiter bewegten Klängen die Seufzer und Tränen heraus, unter denen sie geboren wurden? Was auch Leib und Seele des Künstlers darniederbeugte, sein Genius wußte nichts von Todesahnung, er wandelte sorglos auf den Höhen des Schönen, unangefochten von irdischem Leid. Gerade die sonnigste seiner Opern ist es, die der schattenreichsten Zeit seines Lebens entstammt. Es ist als wollte er uns noch einmal den ganzen bestrickenden Glanz seiner Muse vor die Seele führen, ehe sie auf ewig verstummte. Gewiß, so wie der »Oberon« auf uns kam, tritt er als in sich geschlossenes Kunstwerk weit zurück hinter den beiden anderen dramatischen Schöpfungen Webers. Doch er ist im Sinne seines Schöpfers nie vollendet worden; lediglich für England und nach Maßgabe der dortigen Verhältnisse erhielt er seine gegenwärtige, allen musikalisch-dramatischen Zusammenhangs entbehrende Gestalt, die Weber später vielfach umzuschaffen beabsichtigte. »Ich wiederhole« – heißt es in einem seiner Briefe an den Dichter – »daß der Zuschnitt des Ganzen allen meinen Ideen und Grundsätzen sehr fremdartig erscheint. Die Einmischung so vieler Hauptpersonen, welche nicht singen, die Weglassung der Musik in den wichtigsten Momenten: alle diese Dinge berauben unsern Oberon des Namens einer Oper und werden ihn untauglich machen für alle anderen Bühnen Europas.« Demgemäß sollte die Musik aus ihrer dem Drama unverhältnismäßig untergeordneten Rolle – wie sie, nach Webers eignen Worten, der englischen Oper den Charakter eines »Schauspiels mit Gesängen« gab – emporgehoben, und der sich über Gebühr hervordrängende gesprochene Dialog in Rezitative umgewandelt werden. Was Weber selber indessen zu erreichen nicht vergönnt war, wurde ein halbes Jahrhundert später durch Franz Wüllner, einen seiner Nachfolger an der Dresdner Hofkapelle, versucht. Webersche Motive benutzend, gab er durch nachkomponierte Rezitative dem »Oberon« wenigstens die mangelnde musikalische Einheit, wenn er ihm auch nicht die dramatische zu verleihen vermochte. Eine Neubearbeitung wird jetzt durch Georg Hartmann unternommen.

Im »Oberon« begegnen wir Weber innerhalb einer Sphäre, der sein romantisches Genie sich von je zuneigte und die durch ihn der Tonkunst gewonnen worden ist: der Märchen- und Geisterwelt. Findet sich dieselbe schon bei dem alten Opernfragment »Rübezahl« (1804), wie bei dem dämonischen Spuk des »Freischütz«, bei der Erscheinung der Emma in der »Euryanthe« herangezogen, so gelangt sie im »Oberon« zu breiter Entfaltung. Durch das Sujet des Werkes sind aber zugleich die Vorzüge und Mängel desselben bedingt. Was der Musik an süßem Wohllaut innewohnt: die Fülle melodischen Reizes, rhythmischer Grazie, harmonischer Beleuchtung und instrumentaler Farbenpracht, das vereinigt sich in dieser Elfenromantik, um den Sinn gefangen zu nehmen. Dagegen liegt es in der Natur des Stoffs, daß die Wirkung des Ganzen eine mehr äußerliche als innerliche bleibt. Das Märchen und der Orient fordern bei ihrer Verkörperung ein buntes, schillerndes Gewand, und die äußeren Hilfsmittel von Ballett, Dekorationen und Maschinerie sind in der Tat bis zum Überflusse angewandt. Der Text selbst ist mehr eine dramatisierte Erzählung denn ein Drama: von psychologischer Entwickelung der Charaktere, von logischem, organischem Aufbau ist keine Rede in einer Fabelsphäre, in der die Macht des Zufalls herrscht. Statt Individualitäten sehen wir Typen vor uns, die Charakteristik ist in Situationsmalerei abgeschwächt, die Chöre treten in den Vordergrund. Sie sind es, die die poesievollsten Blüten der Oper enthalten und ihr im Verein mit der großen Szene der Rezia und der glänzenden Ouvertüre vornehmlich den Stempel unverlierbarer Jugendschöne aufgedrückt haben. Genial ist die Verwendung zweier arabischer Originalmotive im Haremswächtermarsch (im Finale des 1. Akts). Aus dem Anfang dieser Themen, einem einfachen Terzgang, bildete Weber, wie Jähns nachweist, das einzige im Oberon benutzte Leitmotiv, das, wie schon bei Beginn der Ouvertüre, so allenthalben anklingt, wo es gilt, die Wunderwelt des Morgenlandes oder das Feenreich, das in ihm zunächst seine Heimat hat, zu kennzeichnen. In Schilderung der Elfenwelt und der von Geistern belebten Natur ist Weber ohne Vorgänger. Das phantastische Genre, das in der Instrumentalmusik, wie in Kantaten und Bühnenwerken nach ihm landläufig geworden, dankt ihm sein Entstehen, und so wie der »Freischütz« Heinrich Marschner auf seine Bahnen wies, wie die »Euryanthe« Richard Wagner die Basis für den weiteren Ausbau seiner Ideen darbot und auch auf Meyerbeer ersichtlich einwirkte, war es der »Oberon«, der in Mendelssohn und Schumann verwandte Saiten berührte, die am vernehmlichsten im »Sommernachtstraum« und in »Paradies und Peri« widertönen.

Nachdem Weber angesichts der englischen Reise seine äußeren Verhältnisse aufs strengste geregelt hatte, sagte er nach einer Vorstellung des »Freischütz« seiner Kapelle schweren Herzens Lebewohl. In der Frühe des 16. Februar 1826 folgte nach einer »halbdurchweinten Nacht« ein tiefergreifender Abschied von den Seinen. Caroline entließ ihn »wie einen Sterbenden«. »Ich habe seinen Sarg zuschlagen hören!« rief sie zusammenbrechend aus, als die Wagentür sich hinter ihm schloß.

Und dennoch wirkte die Reise, die sein Freund, der Flötenvirtuos Fürstenau, mit ihm teilte, zunächst belebend auf den Kranken. Er reiste über Paris und empfing dort die Huldigung seiner Kunstgenossen Cherubini, Rossini, Berton, Catel, Paër, Auber. Doch schnell beschleunigte er seine Abreise, als man ihm öffentliche Ovationen darzubringen begann. Am 3. März traf er in London ein, bei Sir George Smart, dem Direktor der Royal-Music-Band, Wohnung nehmend. Schon sein erstes, nicht offizielles Erscheinen im Theater zeigte dem Komponisten des »Freischütz« den vollen Umfang seiner Popularität in England. Weit fanatischer noch als in Deutschland schwärmte man hier für diese Oper; ja des sonst so gemäßigten Volkes hatte sich eine wahre Freischützmanie bemächtigt, die den reizbaren Mann allmählich mit Überdruß und Bitterkeit gegen sein eigenes Werk erfüllte, das er so tief unter die »Euryanthe« stellte. Auch »Abu Hassan« und »Preziosa« waren in London schon über die Bühne gegangen, und voll gespannter Erwartung harrte man des »Oberon«. Einstweilen verursachte schon Webers erstes öffentliches Auftreten in einem »Oratorienkonzert«, deren fünf zu leiten er übernommen hatte, einen Beifallssturm.

Wenige Tage nach seiner Ankunft begann er bereits die Proben zu »Oberon«, von den Leistungen der englischen Künstler über Erwarten zufrieden gestellt. Mit Rücksichtnahme auf die besonderen Stimmlagen derselben traf er mancherlei Abänderungen, schrieb auch noch Rezias Kavatine: »Traure, mein Herz!«, Fatimes Romanze: »Arabien ist mein Heimatland«, sowie zwei Nummern für Braham, seinen Hüon, hinzu, da die heroische Arie im ersten Akt, wegen ihrer zu hohen Lage, für diesen unausführbar blieb. Am 9. April brachte er die Ouvertüre, am 10. »Hüons Gebet« zum Abschluß. Am 12. ging die Oper, prunkvoll ausgestattet, unter maßlosem Jubel zum ersten Male in Szene. Die Ouvertüre ward da capo gefordert, jedes Musikstück »zwei bis dreimal mit größtem Enthusiasmus unterbrochen«, der Autor, wie er schreibt, »am Ende mit Sturmesgewalt herausgerufen, eine Ehre, die in England noch nie einem Komponisten widerfahren ist.«

Die Kritik freilich zeigte sich auch hier karger mit ihrer Gunst als das Publikum. Klagen über »Mangel an Melodie« und »schwere Musik« ließen sich mannigfach hören. Trotzdem gestaltete sich jede einzelne der zwölf ersten, von dem Meister geleiteten Vorstellungen zu einem neuen Triumphe. Der bis zur Todesermattung Abgespannte empfand indessen ein immer brennenderes Verlangen nach Ruhe, eine immer unwiderstehlichere Sehnsucht nach der fernen Heimat. »Ruhe, Ruhe ist jetzt mein einziges Feldgeschrei und soll es wohl für lange bleiben. Ich habe all das Kunstgetreibe so satt. – Wo ist der frohe kräftige Lebensmut hin, den ich sonst hatte? – Ach Gott, das ist nicht zu beschreiben, wie ich jeden Tag zähle,« schreibt er an sein Weib. Von geselligen Beziehungen hielt er sich möglichst fern. Wenige Häuser der hohen Aristokratie des Landes nur zogen ihn in ihre Kreise, der es, seines leidenden Zustandes halber, versäumt hatte, sich um ihre Gunst zu bewerben, und dessen schlichtes Wesen und unscheinbare, ja hinfällige Erscheinung so gänzlich dessen entbehrte, was ihr allein zu imponieren vermochte. Im übrigen verkehrte er nur mit einem kleinen Freundeskreise, dessen vornehmste Elemente neben Smart und einigen anderen englischen Künstlern seine Landsleute Moscheles und Fürstenau bildeten.

Nachdem Weber außer in den Oratorien, auch bei einem philharmonischen Konzert und mehreren Benefizen befreundeter Kunstgenossen mitgewirkt hatte, veranstaltete er am 26. Mai ein eigenes, dessen Vorbereitungen, zufolge seiner zunehmenden Schwäche, seine Freunde übernehmen mußten. Ihm bangte bitterlich vor demselben. »Meine Musik wird mir täglich widerwärtiger, und es ist wohl das letzte Mal, daß ich Konzert gebe«, schrieb er in die Heimat. Und so war es. Dringenden Bitten der Sängerin Miß Stephens nachgebend, komponierte er noch für sie am Tage vor dem Konzert den Gesang aus Thomas Moores »Lalla Rookh«: » From Chindara's warbling fount I come» –– sein Schwanenlied. Doch nur die Singstimme vermochte seine schwache Hand aufzuzeichnen, die Begleitung spielte er im Konzert frei hinzu, und Moscheles hat sie später bei der Herausgabe ergänzt.

Leider wurden die Hoffnungen, die der Künstler, um seiner Familie willen, auf diesen Abend gesetzt hatte, schmerzlich getäuscht, und er verschwendete, von der Aristokratie im Stich gelassen, den letzten Rest seiner Kraft vor einem halb leeren Saal. Völlig zerknickt sank er darnach im Foyer zusammen. »Das ist Weber in London!« rief er mit matter Stimme den Freunden zu, die sich besorgt um ihn versammelten. Ungeachtet dessen dirigierte er noch am 30. Mai im Benefizkonzert seiner Rezia, Miß Paton, die »Freischütz«-Ouvertüre, fühlte sich nun aber dermaßen erschöpft, daß er die ihm zugesagte Benefizvorstellung des »Freischütz« gleich allen weiteren Plänen aufgab und seine Abreise auf den 6. Juni festsetzte, auch seiner Caroline bereits seine bevorstehende Ankunft meldete. »Ich muß fort zu den Meinigen, sie noch einmal sehen«, sagte er den Freunden, »und dann geschehe Gottes Wille!«

Am Abend des 4. Juni waren Smart, Göschen, Fürstenau und Moscheles bei ihm. Er unterhielt sich mit ihnen von seiner Reise. Die Bitte, einem von ihnen zu gestatten, während der Nacht bei ihm zu bleiben, wies er mit Bestimmtheit zurück. »Gott lohne Euch allen Eure Liebe!« sagte er, als er ihnen die Hand zum Abschied reichte. Dann ließ er sich von Fürstenau und Smart in sein Schlafzimmer geleiten und entließ auch diese mit den Worten: »Nun laßt mich schlafen!« – Es waren die letzten Worte, die seine Lippen gesprochen, und als die Freunde ihn wiedersahen, war er in Wahrheit schlafen gegangen. Am Morgen des 5. Juni fand man Carl Maria von Weber als Leiche. Fern von Gattin und Kindern, im fremden Lande, in einsamer Stille der Nacht hatte er den letzten Kampf vollbracht.

Mit Rührung und schmerzlicher Teilnahme durchdrang die Nachricht von seinem Tode alle Schichten der Bevölkerung Londons und eine große Zahl Leidtragender folgte seinem Sarge, als man ihn am 21. Juni, unter den Klängen von Mozarts Requiem, zu St. Mary in Moorfields – der katholischen Metropolitankirche Londons – beisetzte. Alle künstlerischen Berühmtheiten der Weltstadt bewarben sich um die Ehre, bei der musikalischen Leichenfeier des großen Toten mitzuwirken, und alle Kunstinstitute zollten seinem Andenken den schuldigen Tribut.

Nicht für immer aber ruhte der deutsche Meister in fremder Erde. Endlich kehrte er zurück zu den Seinen, seine Heimatsehnsucht ward gestillt. Fünfzehn Jahre nach Webers Tode bildete sich unter hervorragender Beteiligung Richard Wagners ein Komitee, das sich die Überführung seiner Asche nach Dresden zur Aufgabe stellte, und drei Jahre darnach, am 14. Dezember 1844, empfing man daselbst die sterblichen Überreste des edlen Künstlers, um sie am nächsten Morgen in der Familiengruft zur letzten Ruhe zu bringen.

Richard Wagner, Webers Nachfolger nach Amt und Beruf, rief ihm den letzten Gruß in die Ewigkeit nach. Sein aufsteigender Stern neigte sich ehrerbietig vor dem, der ihm heller als irgend ein anderer voranleuchtete auf der erwählten Bahn, und an dem offenen Grabe legte er Zeugnis ab von der Herrlichkeit des Genius, der unserm Volk in Carl Maria von Weber beschieden war. »Nie« – so lauteten seine begeisterten Worte – »nie hat ein deutscherer Musiker gelebt als Du! Wohin Dich auch Dein Genius trug, in welches bodenlose Reich der Phantasie, immer bliebst Du doch mit jenen zarten Fasern an dies deutsche Volksherz gekettet, mit dem Du weintest und lachtest wie ein gläubiges Kind, wenn es den Märchen und Sagen der Heimat lauscht. Ja, die Kindlichkeit war es, die Deinen männlichen Geist wie sein guter Engel geleitete, ihn stets rein und keusch bewahrte, und in dieser Keuschheit lag Deine Eigentümlichkeit. Wie Du diese herrliche Tugend stets ungetrübt erhieltest, brauchtest Du nichts zu erdenken, nichts zu erfinden; – Du brauchtest nur zu empfinden, so hattest Du auch das Ursprünglichste erfunden. Du bewahrtest sie bis an den Tod, diese höchste Tugend, Du konntest sie nie opfern, dieses schönen Erbmales Deiner deutschen Abkunft Dich nie entäußern, – Du konntest uns nie verraten! – Sieh, nun läßt der Brite Dir Gerechtigkeit widerfahren, es bewundert Dich der Franzose, aber lieben – kann Dich nur der Deutsche; Du bist sein, ein schöner Tag aus seinem Leben, ein warmer Tropfen seines Blutes, ein Stück von seinem Herzen!«


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