Detlev von Liliencron
Der Maecen
Detlev von Liliencron

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Mein Vater war auf einem unsrer dänischen Güter in Jütland geboren, meine Mutter die Tochter eines russischen Fürsten, die Mutter meines Vaters stammt aus Westindien, die Mutter meiner Mutter war eine Sizilianerin. Sonderbarer Blutmischmasch. Ich bin fest überzeugt, hätte mein Vater eine Dame aus dem Landesadel geheiratet, hätt ich mich – aber dann wär ich als »Ich« ja nicht geboren – mehr für Yorkshirerasse und Engenburger Rindvieh begeistert. Ein Schaf, einen Stier, ein Tier überhaupt schau ich mir vom Schönheitsstandpunkte an. Daß mich meine Landschaft in die Körungs-Kommission gewählt hat, ehrt mich wie sie. Punktum. Bei dem Worte Tier fällt mir das indische Mitleid ein. Indisch nenn ich deutsch.

Ripen in Jütland und Palermo und Prag sind für mich die drei Städte, in denen ich am liebsten, wenn ich mich überall in den Mauern einer Stadt aufhalten kann, verweile. Ich habe in ihnen mehr als zehnmal wochenlang gewohnt. Sonderbare Schwärmerei. Es mag daher kommen, weil dänisches, tschechisches und sizilianisches Blut in mir kreist. Und nun: die braune, harte, düstere Nordsee bei Ripen, das italisch-himmelblaue Meer und mein altes, herrliches Prag.

An der jütischen Westküste hab ich oft gestanden und den rothaarigen wilden Seekönigen nachgeschaut, und ihren langen Booten, die oft von hundert und mehr Schiffssklaven im gleichen Takt gerudert wurden. Auch sah ich sie wieder, beutebeladen, zurückkehren.

Einmal, als der Raubzug besonders nach Wunsch und Willen ausgefallen war, opferten sie, unmittelbar nachdem sie ihre Langboote verlassen hatten, hart am Ufer. Eine lange Stange, auf der oben, wie die Adler bei den Römern, ein kleiner bronzener Götze befestigt war, wurde so wuchtig in den Strandsand eingerammt, daß die zerbröckelten Muscheln weit in die Runde spritzten. Der kleine Götze zeigte eine abscheuliche Fratze. Zwei große, aus einem reichen Kruzifix gestohlene Edelsteine, von denen der eine in roter, der andere in blauer Farbe, staken ihm in den Augenhöhlen wie zwei Mandeln in einem Honigkuchen. Das Maul war breit gezogen in jenem bekannten schändlichen Lächeln.

Die Feierlichkeit wurde eingeleitet durch eine ohrenbetäubende Musik. Der Seekönig erschien. Rotgelbe Locken fielen dem jungen Herrn um die Schultern. Er konnte zwanzig Jahre nicht überschritten haben. Trüb und mißmutig stierte er vor sich hin. Seine Krieger, wenn er bei ihnen vorüberging, schlugen ihre Hämmer an die Schilde. Das gab einen unerhörten Lärm. Der Häuptling grüßte weder rechts noch links. Er war seinem Volke ein Gott. Nur den Götzen hatte er noch über sich. Dem Könige folgten seine Weiber in ehrerbietiger Entfernung. Die Lieblingsfrau der letzten Tage – die Majestät fand Abwechslung amüsant – hatte insofern den Vorrang, als sie den anderen vorausgehen durfte. Es war ein sehr junges, zartes, blasses, psycheartiges Geschöpf mit blonden Haaren und verschleierten blauen Augen. Die mit blauem Band durchflochtenen Flechten trug sie, wie die Polinnen, um den Kopf geschlungen. In der Rechten hielt sie, wie einen Lilienstengel, einen Pfauenwedel. Sie machte das albernste Weibergesicht, das ich je gesehn habe.

Als Alles im Kreise den Götzen umstand, wurde dieser aus der Erde gerissen und mußte eine Verbeugung vor dem Könige machen. Dieser küßte ihm die beiden Edelsteine. Ein markerschütterndes Jubelgeschrei erhob sich von allen Seiten. Die Schilde rasselten, die Tamtams dröhnten. Der Götze wurde wieder eingerammt. Darauf kam ein Schweigen. Die Majestät, mit den gleich langweiligen Zügen, lagerte sich. Daß er Mißmut, Gleichgültigkeit, Unempfänglichkeit, Übersättigung zeigen mußte, brachte seine Würde mit sich. Hinter ihm kauerten sich seine Weiber nieder. Die Lieblingsfrau wagte sich an ihn heran. Als sie sich aber in ihrer Siegesfreude, natürlich um vor den anderen zu prahlen, seiner Schulter näherte, stieß er sie, ohne daß er sich wandte, unsanft zurück.

Bald begann zwischen dem Könige und dem Ufer der Kriegstanz: wild bewegte er sich hin und her. Die Abendsonne brach durch riesige, schwammige schwarze Wolken und übergoß mit feuerroten Lichtern die lebhaften, hüpfenden, dunklen Wellen der See, die tanzenden Krieger, den immergleich sich zu langweilen scheinenden König, das süße Lieblingsweib mit den albernen Lippen, die übrigen Königsfrauen, und endlich den kleinen bronzenen Götzen mit den Edelsteinaugen. Allmählich senkte sich die Nacht; von Fackeln begleitet, trat der ganze Zug den Weg ins Land an . . .

Doch was ich schreiben wollte eigentlich: deshalb bin ich vielleicht so gern im alten Ripen, weil ich von dort nicht nur den Zug nach England unter Hengst und Horst abfahren sah, auch, weil ich Zeuge des Abschiedes des ersten Normannenheeres war, das sich nach Frankreich einschiffte. Von dort ging ein Teil dieser nordischen Männer nach Sizilien und wollte ein Weltreich gründen. Robert Guiscard . . .

Weshalb doch Heinrich Kleist dreimal seinen Robert Guiscard verbrannte! Wir wissen von dem Dichter, daß er mit dem Drama nie zufrieden war. Welche Fülle von Geist, welche Fülle von Bildern und herrlichen Vergleichen sind damals von den Flammen verzehrt worden. Nur der Anfang des ersten Aktes ist auf uns gekommen. Weshalb konnten Tieck und Wieland Robert Guiscard nicht retten?

Wie niederträchtig und bodenlos gemein hat die Kritik Heinrich von Kleist zu seinen Lebzeiten behandelt. Diese Bengel! Diese Affen! Diese Canaille! Die niemals überhaupt auch nur die blasseste Spur haben, was wirkliche Poesie heißt, wer ein wirklicher Dichter ist. Was Wilhelm Jensen mit großer Feinheit über Storm gesagt hat, könnte, in veränderten Umständen, auch über Kleist gelten: »Es liegt in der Art unserer Zeit und der in ihr Lebenden, daß die eigentlichste dichterische Bedeutung Theodor Storms nur von verhältnismäßig wenigen, selbst seiner eifrigsten Bewunderer, erfaßt worden ist.«

Heinrich von Kleist, der seinen Prinzen von Homburg der Prinzessin von Oranien überreichte, erhielt von dieser zwei, schreibe zwei, Dukaten. Ein Douceur für einen Kammerdiener. Prinzeß oder Schneiderstochter verstehen allerdings in Deutschland, in den meisten Fällen, gleich wenig, was echte Poesie ist. Nicht, daß Deutschland seinem großen Dichter Heinrich von Kleist verhungern ließ, ist zu rügen, denn es geht einmal nicht anders in unserm Vaterlande; aber daß Deutschland ihn so schmählich verkannte, ist empörend.

Fürst Hardenberg behandelte den unglückseligen Dichter wenig schön. Freilich: ein Bureaukrat und einen Dichter verstehn! Das ist so ein Unterschied zwischen einer Rechenmaschine und einer Rose.

Nur der gutmütige, wahrhaft väterlich liebevoll denkende König Friedrich Wilhelm III. muß eine Ahnung von der Größe Kleistens gehabt haben, als er kurz vor dessen Tode ihm wieder eine Stelle anbot. Das wollen wir Deutschen dem edlen Könige nicht vergessen..

* * *

Im Juli 1886 hatte ich mir durch einen ausgezeichneten Leiter eine tüchtige Theatertruppe erworben, um im Gadendorper Park an der Stelle, wo ich noch heute die alten Bühnenwände, die dort im Dorn verschnitten sind, aus liebevollem Gedächtnis an die Versailler Zeit des vergangenen Jahrhunderts erhalten habe, Shakespeares Antonius und Kleopatra mir darstellen zu lassen. Es geschah an einem trocknen Sommertag. Jede der siebenunddreißig Veränderungen kündete, wie in elisabethanischer Zeit, ein in die Farben meines Hauses gekleideter Herold. Ich hatte in dem Stücke nicht eine Silbe gestrichen. Alles wurde unverfälscht, wie der größte Dichter sein Stück geschrieben hat, gegeben. Um nicht die albernen, törichten, blödsinnigen Bemerkungen und lächerlichen Ausrufe meiner Nachbarn und der Menschen überhaupt hören zu müssen, war ich der einzige Zuschauer und Hörer. Den Proben hatte ich nicht beigewohnt; nur – ich ließ von zwei bis fünf Uhr nachmittags spielen – am Morgen das Drama noch einmal für mich, ungestört, in einem Zuge gelesen. Ich hatte einen Doppelgenuß. Die Erzählung von der Flucht Kleopatras und dem Folgen Antoniussens in der Seeschlacht bei Actium wurde vorzüglich gesprochen:

 
Enobarbus.
                                              Wie schaut das Treffen?
Scarus.
Auf unserer Seite wie gebeulte Pest,
Wo Tod gewiß. Die Schandmähr aus Ägypten,
Der Aussatz treffe sie! – in Kampfes Mitte,
Als Vorteil wie ein Zwillingspaar erschien,
Sie beide gleich, ja älter fast der unsre, –
Die Brems auf ihr, wie einer Kuh im Junius, –
Hißt alle Segel auf und flieht.
Enobarbus.
                                                                  Ich sahs;
Mein Blick erkrankte, wies geschah; nicht konnt ichs
Ertragen mehr zu schaun.
Scarus.
                                      Sie kaum gewandt,
Als ihres Zaubers edles Wrack, Antonius,
Die Schwingen spreitend wie ein brünstiger Erpel,
Die Schlacht verläßt auf ihrer Höh, und fliegt
Ihr nach –
 

Bravo! alter Shakespeare. Es war Dir gänzlich gleichgültig, ob Du eine besondere »Schönheit« sagtest oder nicht; wenns nur charakteristisch getroffen. Und nicht nur charakteristisch, sondern unvergleichlich herrlich ist das Bild: Ente und brünstiger Enterich.

Die Bühne im Garten konnte ich nicht als zulässig gelten lassen; ich war nämlich mehr und mehr (oder »voll und ganz«, wie das scheußliche Hauptwort der Deutschen zur Zeit heißt) für den Gedanken eingenommen, das alte Theater im Apollo-Saal des Schlosses umbauen zu lassen. Als Alles beendet war, nahm ich für vier Wochen die Mitglieder des Berliner Shakespeare-Theaters, in ihren Ferien, zu mir. Ich ließ von solchen zeitgenössischen Dichtern Dramen zur Darstellung bringen, denen es bisher nicht gelungen war, ihre Stücke auf die Bretter zu bringen. Es wurden gegeben: Karl Bleibtreus: Schicksal, Conrad Albertis: Brot, Julius Harts: Der Sumpf, Heinrich Harts: Sedan, M. G. Conrads: Firma Goldberg, Kummers: Tarquin, Wilhelm Walloths: Johann von Schwaben, Max Halbes: Ein Emporkömmling, Liliencrons: Die Merowinger, von Bartels: Johann Christian Günther.

Eckernsund, sowie meine Dörfer und Gutsnachbarn bildeten die Zuschauer. Ich hatte die genannten Dichter und wer sonst von Schriftstellern und Literaten Lust hatte, mein Gast auf einige Wochen zu sein, eingeladen. Es kamen viele, und wir hatten die fröhlichsten, angeregtesten Tage. Das nahe Eckernsund mußte zwar – und der »grüne Elefant« wünscht sich oft solche Wiederholungen – die meisten beherbergen. Ich hatte sie, da ich nicht Alles bei mir in Gadendorp unterbringen konnte der großen Anzahl wegen, dort einquartieren müssen. Tag und Abend aber waren wir in Gadendorp zusammen. Nächstes Jahr will ich mir ähnliche frohe Stunden verschaffen. Mein Zweck ist der, den jungen Dichtern, deren Stücke nicht auf den Bühnen Eingang gefunden haben, eine Freude zu machen, und vor allem: Deutschland auf sie aufmerksam zu machen. Die Professoren und Akademiker rümpfen wohl hochmütig die Nase und schielen höhnisch unter ihren Nachtmützen nach Gadendorp: »Laßt sie sich nur austoben; es ist doch nichts mit ihnen.« Aber ich merke, ich rege mich auf. Ich habe Lust, nach Poggfred zu fahren. Ich werde nichts mitnehmen. Ich will einige Tage nichts lesen, keine Menschen, selbst nicht meine guten, treuen, soliden, nüchternen Schleswig-Holsteiner sehen. Auf nach Poggfred!

* * *

Poggfred, Juli.

Wie oft hat mich Tante Aurelie gefragt, weshalb ich dem Jagdhäuschen keinen andern Namen gäbe, z. B. Veilchental. Dies würde die Regierung gern genehmigen. Zum Kuckuck auch: Veilchental. Nein, Poggfred bleibt der Name, der Jahrhunderte alt ist. Hier soll vor langer Zeit ein Einsamkeit suchender Besitzer von Gadendorp das bescheidne Häuschen gebaut haben. Die Felder, das Gelände um dies Haus heißen schon in alten Urkunden von 1273: Poggfred (Froschfriede). Wie? Und nun sollte ich diesen wundervollen alten Namen etwa in Veilchental oder Liliengrund umtaufen lassen? Haben die Menschen denn – natürlich Tante Aurelie voran – nicht einen Schimmer von Poesie?

Zwei Zimmer mit einem Balkonchen hab ich oben, zwei Zimmer und eine Küche für meinen Diener – ich habe diesmal meinen alten Bertouch zu Hause gelassen und Marcs mitgenommen – unten. Marcs kocht.

Meine Aussicht sind Felder, von Knicks eingerahmt, Wiesen mit weidendem Vieh; eine Aue fließt munter meinem Tuskulum vorüber: das ist Alles. Ganz in der Ferne Wälder und die Nordsee. Auf eine Stunde ringsum keine Menschenseele. Ah, ah – – –

Ich sitze auf dem Balkon. Er liegt nach Osten. Die Nachmittagssonne brütet. Ich sitze im Schatten. Ein Kohlweißling fliegt eben vorüber. Wenn wir Menschen alle in den Himmel kämen, und wir Menschen hätten Schmetterlingsgestalt: mit wie lädierten (das Fremdwort muß ich hier brauchen) Flügeln kämen wir oben an? Jede Stunde risse und zerknitterte an ihnen. Und der sanfte Staub, darf ich hier Seelenstaub sagen, wie schnell ist der abgestreift.

* * *

»Du läßt nicht von der Sünde; wohl aber läßt die Sünde von dir.«

Herzog von Larochefoucauld.

* * *

Haus Gadendorp.

Ich besuchte Tante Aurelie. Sie wohnt wieder »ihre zwei Monate«, wie sie es nennt, auf Schloß Moorhude. Da läßt dieses bösartige Frauenzimmerchen ihren Besuch durch zehn, sage zehn, Zimmer, deren Türen alle geöffnet sind, auf sich zukommen. Sie sitzt im elften in der Mitte auf dem Sofa und paßt nun auf die Angemeldeten. Diese zehn Zimmer läßt sie jeden Morgen zwei Stunden lang bohnern, daß sie die Glätte des fabelhaftesten Glatteises haben. Ein tausendjähriger Oberzeremonienmeister selbst müßte hier die Beine brechen. Wie auf Schlittschuhen trifft man endlich bei ihr ein.

Sie hatte zwei allerliebst gewaschene, mit blauen Seidenhalsbändchen gezierte Ferkelchen um sich, denen sie Gummibälle und Strickknäuel hinwarf. Es war zu drollig anzusehen. Und ihr siebzigjähriger Kammerdiener: sein Lächeln zu schauen . . .

Sie lud mich zum Mittagessen ein. Landrat v. Birkenbusch käme; Generalsuperintendent Tiefstimm; Baron Schwynkuhlen; Missionar Schwarzhaupt, der eben aus Toango angekommen sei. Es solle ein Missionsfest auf Moorhude verabredet werden. Ich empfahl mich mit dem lebhaftesten Bedauern; ein Gastfreund aus Smyrna habe sich bei mir zu Tisch angesagt.

Das Tantchen drohte mir mit dem Finger und sagte mir, daß sie aus Strafe für meine Unart nächsten Sonntag in Gadendorp vorfahren wolle, um mich zur Kirche nach Moorhude abzuholen; der junge Pastor Eifrig halte seine erste Predigt.

Auf dem Rückwege ging ich mit abgezogenem Strohhut durch den Wald. Die starke Schwüle preßte mir Schweiß auf die Stirn. Der Wind konnte nicht den Holzesrand durchbrechen. Ich blieb stehen: ein Klatschen, wie von spielenden Wellen drang an mein Ohr; ein mir seit meinem ersten Erinnernkönnen bekanntes Klatschen. Ich weiß es, in fünf Minuten schau ich die See vor mir. Mein Schritt bleibt der gleiche. Der Weg neigt sich ein wenig. Das Geräusch der spielenden Wogen wird stärker. Leise Windfächer kommen: aber immer noch dringt der Schweiß mir auf die Stirn, muß ich mein Taschentuch zum Betupfen gebrauchen. Nun noch zwanzig Schritte, ich trete gleichsam wie aus einer Schachtel hinaus – und vor mir liegt die blaue Ostsee, blendend, glitzernd bis in die Unendlichkeit, im grellsten Sonnenlicht. Ein angenehm kühlender Wind umweht mich. Ich brauche mein Tuch für die Stirn zum letztenmal und setze meinen Hut wieder auf. Schifflos, wolkenlos, mövenlos – nur das Meer, das Meer. So heiß ist es, daß die Sonne einen eben noch bespülten Uferstein, eine von der Welle verlassene Muschel sofort trocknet. Dann spielt wieder ein Wellchen heran . . .

* * *

Ich hatte im »Grünen Elefanten« in Eckernsund gegessen. Wir waren sieben Gäste am Tisch gewesen. Keiner kannte den andern. Von gegenseitiger Vorstellung war nicht die Rede. Wir waren sieben Schleswig-Holsteiner, und so aßen wir denn in unerschütterlicher Ruhe unser Diner bis zum Käse »herunter«, ohne daß ein einziges Wort gefallen war. Wir waren eben sieben Schleswig-Holsteiner . . .

Ich hatte meinen Wagen nach Gadendorp vorausgeschickt, um an dem schönen Tage zu gehen. Im Durchschreiten Eckernsunds hatte ich zwei reizende Bilder:

Aus einem Heckenwege trat eine mir unbekannte, gut und geschmackvoll gekleidete, junge Bürgersfrau heraus; sie war stattlich, hatte etwas echt Mutterhaftes. Vor ihr gingen vier Kinder, zwei Knaben und zwei Mädchen, etwa im Alter von acht bis zu vierzehn Jahren, in einer Reihe. Mutter und Kinder trugen je einen großen Farnbüschel in der Rechten, wie Palmenzweige. Ich sah lange, lange diesem Himmelsfrieden nach.

Gleich darauf, am Strande, fand ich einen alten Fischer auf einem Stein sitzen. Er spielte die Harmonika. Nach den Klängen dieser tanzten zwei sechs-, siebenjährige blonde Mädchen sehr artig. Sie hatten sich Hand an Hand gefaßt, und zierlich, wie ich es nur in Ägypten gesehen, ruhig machten sie die Schritte. Es war ein entzückendes Bild: der alte, stille, glückselig lächelnde, spielende Großvater; die beiden aschblonden Zöpfchen. Friede, Friede sei mit euch.

* * *

Professoren der Syntax und des Parallelepipedons, Poesie beurteilend . . . Das kommt nur in Deutschland vor.

* * *

Glimmende Liebe – – –

* * *

Ich hatte vor Jahren das Glück und die Freude, von Freunden aufmerksam gemacht, einem am Hungertuche nagenden Dichter helfen zu dürfen; natürlich gründlich helfen zu dürfen, denn ein Almosen zu geben ist eben so hochmütig, wie es keine Wirkung haben kann.

Der Betreffende hat längst Alles an Kord Bindseil zurückgezahlt. Er steht deshalb in meines Rentmeisters Augen als ein ehrlicher Mann da. Kord Bindseil war zeitweise so aufgebracht über die Summen, die ich, wie er sagte: dem Moloch der Poesie als Opfer brächte, daß er heimlich nach Hornheim fuhr, um dort Rücksprache mit dem Leiter zu nehmen. Ich erfuhr es bald darauf, hab es ihm aber selbstverständlich nicht übel genommen. Über solche Kleinigkeiten muß man im Leben hinwegsehn, lächeln. Nebenbei gesagt, wie stehen wir im Leben mit einem Arm schon in der Zwangsjacke, wenn es einem unsrer geehrten Mitmenschen gefällt, uns heimlich anzuklagen, daß wir Handlungen begingen, die nicht zu verantworten wären. Ein schauerlicher Gedanke.

Von diesem Dichter hatte ich Gelegenheit, zur Kenntnis zu gelangen, was und wie er gelitten. Er sandte mir später einen Auszug aus seinem Tagebuch, aus dem ich Entsetzliches ersah:

»Daß ich hungern mußte, habe ich immer ertragen. Ich sagte mir, daß es nicht anders möglich sei in Deutschland, ehe man sich als Schriftsteller durchgebissen hat; daß es vielen anderen auch so ergangen sei. Böse aber war es, daß die Gerichte mir bei den Pfändungen mein Handwerkszeug fortnahmen, meine Nachschlagebücher und Lexika. Jedem Schuster, jedem Schneider im Vaterlande wird, bei Pfändungen, das zum Leben Notwendigste gelassen durch das Gesetz. Der Dichter macht eine Ausnahme: es werden ihm die Hilfsbücher genommen. Als es anfing, mir besser zu gehen, konnte ich jahrelang nicht vorwärts kommen, weil nach jeder Rezension, nach jeder Kritik über Bücher von mir, mochten sie (die Kritiken) gut oder schlecht sein, die Gläubiger mit erneuter Wut und verstärktem Eifer über mich herfielen und mich peinigten. Ich zitterte, wenn ich Beurteilungen über meine Schriften las; ich wußte, daß mir wenige Tage darauf eine Klage überreicht würde.

Auch das wußte ich, daß die Menschen, die jetzt meiner Armut wegen nicht mit mir umgehn mochten, später prahlen würden: Ja, ja, den hab ich genau gekannt, das war mein Duzbruder.

Das, was ich als das Teufelischste in jener jahrelang anhaltenden Zeit habe durchmachen müssen, war die ewige Not, der ewige Mangel an Postmarken. Das ist nicht zu sagen, wie schmerzlich es ist. Da liegen notwendig abzusendende Briefe, Manuskripte, Pakete: und sie können durchaus nicht weg . . .

Als mein erstes Drama zum erstenmal aufgeführt wurde, hatte der Intendant die Liebenswürdigkeit, mich einzuladen. Ich mußte unter irgendeinem Vorwande absagen: Ich hätte keine fünf Mark aufbringen können, geschweige denn die dreihundert Mark, die Fahrt und Aufenthalt mich gekostet hätten. Statt daß ich in der Loge des Intendanten saß, ging ich, bei starkem Unwetter, um sieben Uhr abends, zu dem vor der Stadt wohnenden Gerichtsvollzieher, um mit diesem, der in dienstlichen Angelegenheiten mein täglicher Besuch war, etwas in Ordnung zu bringen. Ehe ich sein Haus erreichte, geriet ich in der Dunkelheit in eine Dornenhecke und zerriß mir Gesicht und Hände. Während im selben Augenblicke hunderte von Menschen ihre Operngläser auf die Bühne richteten, wo mein Stück gegeben wurde, arbeitete ich mich, aus Hunger und Schwäche kaum mehr leben könnend, mit Anstrengung aus den Dornen heraus. Blutend traf ich bei dem Exekutor ein. Diesem muß ich hier herzlichen Dank aussprechen: er blieb stets freundlich, blieb immer ein Mensch. Als ich wegging von ihm, entlieh ich drei Mark. Er war der einzige, der mir in jener Zeit Geld vorschoß: ein strenger Gerichtsvollzieher einem deutschen Dichter . . . Mit den drei Mark wußte ich, was ich ausführen wollte: mich sinnlos betrinken. Ich, der ich nie oder selten über den Durst in den Krug sehe, ging an jenem Abend, ein Regen hatte unterdessen eingesetzt und durchnäßte mich tüchtig, und kaum war der heftige Wind imstande, meine flatternden Kleider zu trocknen, so unaufhörlich goß es vom Himmel – ins Wirtshaus und trank, bis ich bewußtlos wurde. Noch weiß ich den Anfang dieser Orgie: an meinem Tische saßen zwei Handlungsreisende und erzählten sich Klapphornverse. Mein Stück ging währenddessen, mein Stück, an dem ich begeistert geschrieben hatte, über die Bühne in einer fernen Stadt. Der Dichter, zerkratzt, krank, verhungert, verelendet, durchnäßt, trank, trank, trank, bis er unter den Tisch sank.«

Ich war erstarrt, als ich jenen Tagebuchauszug gelesen hatte. Ich glaube, wenn ich nur einen Tag hungern müßte, würd ich Sozialdemokrat, schlüge Menschen tot, raubte, was ich bekommen könnte, um mich satt zu essen.

Mein Dichter ist jetzt wohlhabend; er ist »Schriftsteller« geworden und hat seine sechzigtausend Mark jährlich. Er schreibt für den großen Pöbel; er schreibt vier, fünf, sechs Romane in einem Jahre, genau nach der Vorschrift der Familienblätter. Er »arbeitet« von morgens acht Uhr bis nachmittags vier Uhr täglich. Er ist ein Liebling der Deutschen geworden: also albern, sehr »sittlich«, völlig blutlos und marklos; mit einem Wort: ein Liebling der Deutschen.

Und das ist auch die Gefahr für deutsche Dichter: Sieht ein Genie oder Talent, nachdem es sich jahrelang mit reiner Seele der Kunst geweiht und – keinen Erfolg gehabt, daß es mit der Schleuderware sofort »geht«, setzt er sich hin und schmiert Possen und Romane, Novellen; und das Geld fließt nur so . . . Er sagt sich: Was hab ich davon, daß ich nach meinem Tode auf dem Sockel stehe? Jetzt will ich Geld haben, Geld, Geld, Geld, um zu genießen, zu genießen, zu genießen; und er wird Schriftsteller für den deutschen Lesepöbel. Bald ist er ein angesehner, wohlhabender Mann. Seine Ware wird viel verlangt.

Der Dichter, der mir Auszüge aus seinem Tagebuch zu senden die Güte hatte, war mir von Hause aus nicht recht als Dichter erschienen, es fehlte ihm das unerklärbare Kenn- und Kernmal des Dichters, trotzdem aber hatte ich geglaubt, daß aus ihm etwas hätte werden können. Statt dessen schreibt er jetzt für Zeitungen und Familienblätter.

* * *

Über das tiefste Wesen eines echten Dichters ist eine Erklärung nie möglich. Goethe schrieb das unerreichbarste Deutsch; die Gedichte seiner Jugendjahre werden von keinem Dichter je »nachgemacht« werden können. Diese Freude, dieser Puls, dies Jauchzen, diese überquellende Dankbarkeit, wenn er glückliche Stunden genossen hatte, dies Entzücken dann. Shakespeare und Kleist gaben uns den Vergleich, das Bild. Daran namentlich ist auch ein wirklicher Dichter zu erkennen. Das »gewöhnliche« Publikum achtet nicht auf die Schönheit des Vergleiches, des Bildes; es kann diese Schönheit nicht verstehen, es fehlt ihm der feine Sinn dafür.

Hebbel wär ein noch gewaltigerer Lyriker geworden, hätt er – ich bitt um Entschuldigung – weniger Verstand besessen. Ein durchdringender, grübelnder, zersetzender Verstand verhindert, den Thron eines Lyrikers besteigen zu können.

Bei einzelnen Dichtern und Schriftstellern les ich es genau: ganze Seiten, lange Sätze sind zuweilen nur für einen einzigen geschrieben, den der Verfasser glühend haßt oder glühend liebt. Er erleichtert sein Herz auf diese Weise; er bestraft kalte, hochmütige, alberne Menschen, die ihn gekränkt, ihn von oben herab angesehen haben. Ich fühls, welche Wonne es ihm gewesen sein muß, sich ausschreiben zu können. Solche Stellen kann jeder bei aufmerksamem Lesen eines wahren Dichters leicht finden. Schlagt Goethe, Kleist, Shakespeare, Fontane, Storm auf . . . Ich liebe solche Dichter, die, um im Literatenkauderwelsch zu sprechen, eine »kleine Gemeinde« haben.

* * *


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