Detlev von Liliencron
Der Maecen
Detlev von Liliencron

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Platen-Tag.

              O wohl mir, daß in ferne Regionen
Ich flüchten darf, an einem fernen Strande
Darf atmen unter gütigeren Zonen!

Wo mir zerrissen sind die letzten Bande,
Wo Haß und Undank edle Liebe lohnen,
Wie bin ich satt von meinem Vaterlande!

*

Was habt ihr denn an euerm Rhein und Ister,
Um neben dem Hellenenvolk zu thronen?
Journale, Zeitungsblätter, Rezensionen,
Tabak und Bier und Polizeiminister!

Die nie ihr kanntet jene zwei Geschwister,
Freiheit und Kunst, die dort in schönern Zonen
Aufs Haupt sich setzten der Vollendung Kronen,
Ihr haltet euch für Griechen, ihr Philister?

Gestümpert habt ihr bloß nach vielen Seiten,
Da Griechenland der Schönheit ewigen Schimmer
Auf alles Seiende gewußt zu breiten.

Was ist die Kunst, mit der ihr prahlet immer?
In einem Ozean von Albernheiten
Erscheinen einige geniale Schwimmer!

*

Dies Land der Mühe, dieses Land des herben
Entsagens werd ich ohne Seufzer missen,
Wo man, bedrängt von tausend Hindernissen,
Sich müde quält und dennoch muß verderben.

Zwar mancher Vorteil läßt sich hier erwerben,
Staatswürden, Wohlstand, eine Last von Wissen,
Und unsre Deutschen waren stets beflissen,
Sich abzuplagen und geplagt zu sterben.

Ein solcher darf zu keiner Zeit ermatten,
Er fördre sich, er schmeichle jeder Mode
Und sei dabei, wo Glück und Macht sich gatten.

Mir, der ich bloß ein wandernder Rhapsode,
Genügt ein Freund, ein Becher Wein im Schatten
Und ein berühmter Name nach dem Tode.

*

Wer wußte je das Leben recht zu fassen,
Wer hat die Hälfte nicht davon verloren
Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Toren,
In Liebesqual, im leeren Zeitverprassen?

Ja, der sogar, der ruhig und gelassen,
Mit dem Bewußtsein, was er soll, geboren,
Frühzeitig einen Lebensgang erkoren,
Muß vor des Lebens Widerspruch erblassen.

Denn jeder hofft doch, daß das Glück ihm lache,
Allein das Glück, wenns wirklich kommt, ertragen,
Ist keines Menschen, wäre Gottes Sache.

Auch kommt es nie, wir wünschen bloß und wagen:
Dem Schläfer fällt es nimmermehr vom Dache,
Und auch der Läufer wird es nicht erjagen.

* * *

Immer nur werden Platens venetianische Sonette vorgeritten. Diese werden aber doch nur von denen genossen werden können, die Venedig sahen und – Kunstkenner sind; und von dieser Art Leutchen gibt es bekanntlich wenig in Deutschland. Immer auch wird auf Platens Balladen hingewiesen. Platen aber hatte keine Ahnung von der Ballade; ihm fehlte jeglicher Zug und Muck und Murr dazu. Nun, »lispelt« nur weiter »nächtlich am Busento«, ihr Deutschen. Die herrlichste, unvergleichlichste Ballade, die je gedichtet ist, schrieb ein andrer deutscher Graf, Graf Strachwitz: »Das Herz von Douglas«.

Platen reimte rein, und das können die Deutschen durchaus nicht leiden; sofort werden sie mißtrauisch: Das kann doch kein Dichter sein, der uns reine Reime schenkt. Mir ist ein unreiner Reim wie eine Ohrfeige. Deshalb wird es mir auch so schwer, einen von mir zu den Höchsten geschätzten Dichter, Martin Greif, zu lesen. Seine Reime, ähnlich wie bei Mörike, Schiller, Goethe, sind gradezu Seelenmörder. Es ist mir eine Unerklärlichkeit: ein Dichter muß doch starken Sinn für guten Klang und Schönheit haben; es muß ihm doch weh tun, ihn schmerzlich berühren, wenn er unrein reimt oder unreine Reime hört. Aber nein, es hilft nichts. Selbst Gottfried Keller reimt Erde und Gefährte.

Wenn die Deutschen nicht mehr Teufel auf Zweifel reimen dürften, führen sie ohne Zweufel zum Teifel.

* * *

Der Frühlingsabendhimmel war blaß wie gänzlich erloschene Liebe. Das ist kein Vergleich. Mir schnuppe. Und »et stimmt«, sagt der Berliner.

Ah, die Liebe. Die Herren der Schöpfung des Morgenlandes handeln vernünftig in der Liebe. Die Herren der Schöpfung des Abendlandes sind – Christen.

Die Liebe. An einem Vergnügungsorte sitz ich unter weitstehenden schlanken Buchen mit einem Mädel, das ich erst seit kurzem kenne. Vor uns, noch im Schatten, steht ein kleiner, runder Tempel mit weißen Säulen, die ihn umstellen. Durch diese Säulen durch und rechts und links des Tempelhauses (er maskiert einen Tanzsaal) geht der Blick über eine im grellsten Sonnenlicht zitternde Ebene, die ein blinkerndes Flüßchen durchzieht. Hinter der Ebene, im blauen Duft, strebt das Hochgebirge himmelan.

Lauter fremde Menschen sind um uns. Keiner kennt uns.

»Kaffee, Bier, Wein, Limonade? Was willst Du haben?«

»Bitte, Kaffee und Kuchen.«

Wir sitzen uns gegenüber. Ich muß lachen; sie muß lachen. Ich bin wie toll verliebt: sie ist auch zu reizend. Sie legt den Strohhut ab und streichelt sich das Haar zurück . . .

Nun ein Tanz im Tempel.

Was im Leben geht über den Walzer, mit der Geliebten eine Viertelstunde lang hintereinander getanzt? Was für eine Seligkeit geht dieser noch voran?

Und alle die fröhlichen, lustigen Menschen um uns.

Wir brechen auf, um ein andres Wirtshaus am Wege zu besuchen. Mit uns, wie zufällig, ziehen uns Unbekannte. Ein alter Herr, der ein wenig getrunken zu haben scheint, singt, während er seinen geschlossenen Regenschirm wie ein Tambourmajor im Marsche auf und nieder gehen läßt, auf dem Wege das ergreifende Lied:

O du schöne Adelheid
In dem rosa Seidenkleid,
O komm an meine Brust,
Du meines Lebens Lust.

Andre Gassenhauer folgen. Wir alle, im Takte schreitend, singen mit . . . Und die Sonne, die Sonne ist überall . . .

* * *


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