Detlev von Liliencron
Der Maecen
Detlev von Liliencron

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Uhland-Tag.

Abschied.
                Was klinget und singet die Straße herauf?
Ihr Jungfern, machet die Fenster auf!
Es ziehet der Bursch in die Weite,
Sie geben ihm das Geleite.

Wohl jauchzen die andern und schwingen die Hüt,
Viel Bänder darauf und viel edle Blüt,
Doch dem Burschen gefällt nicht die Sitte,
Geht still und bleich in der Mitte.

Wohl klingen die Kannen, wohl funkelt der Wein;
»Trink aus und trink wieder, lieb Bruder mein!«
»Mit dem Abschiedsweine nur fliehet,
Der da innen mir brennet und glühet!«

Und draußen am allerletzten Haus,
Da gucket ein Mägdlein zum Fenster heraus,
Sie möcht ihre Tränen verdecken
Mit Gelbveiglein und Rosenstöcken.

Und draußen am allerletzten Haus,
Da schlägt der Bursche die Augen auf
Und schlägt sie nieder mit Schmerze
Und leget die Hand aufs Herze.

»Herr Bruder, und hast du noch keinen Strauß,
Dort winken und wanken viel Blumen heraus.
Wohlauf, du Schönste von allen,
Laß ein Sträußlein herunterfallen.«

»Ihr Brüder, was sollte das Sträußlein mir?
Ich hab ja kein liebes Liebchen wie ihr;
An der Sonne würd es vergehen,
Der Wind, der würd es verwehen.«

Und weiter, ja weiter mit Sang und mit Klang,
Und das Mägdlein lauschet und horchet noch lang:
»O weh! er ziehet, der Knabe,
Den ich stille geliebet habe.

Da steh ich, ach, mit der Liebe mein,
Mit Rosen und mit Gelbveigelein;
Dem ich alles gäbe so gerne,
Der ist nun in der Ferne.«

Das Schifflein.
        Ein Schifflein ziehet leise
Den Strom hin seine Gleise,
Es schweigen, die drin wandern,
Denn keiner kennt den andern.

Was zieht hier aus dem Felle
Der braune Weidgeselle?
Ein Horn, das sanft erschallet;
Das Ufer widerhallet.

Von seinem Wanderstabe
Schraubt jener Stift und Habe
Und mischt mit Flötentönen
Sich in des Hornes Dröhnen.

Das Mädchen saß so blöde,
Als fehlt ihr gar die Rede,
Jetzt stimmt sie mit Gesange,
Zu Horn und Flötenklange.

Die Rudrer auch sich regen
Mit taktgemäßen Schlägen.
Das Schiff hinunterflieget,
Von Melodie gewieget.

Hart stößt es auf am Strande,
Man trennt sich in die Lande:
»Wann treffen wir uns, Brüder,
Auf einem Schifflein wieder?«

Der Traum.
            Es hat mir jüngst geträumet,
Ich läg aus steiler Höh;
Es war am Meeresstrande,
Ich sah wohl in die Lande
Und über die weite See.

Es lag am Ufer drunten
Ein schmuckes Schiff bereit,
Mit bunten Wimpeln wehend,
Der Ferg am Ruder stehend,
Als wär ihm lang die Zeit.

Da kam von fernen Bergen
Ein lust'ger Zug daher;
Wie Engel täten sie glänzen,
Geschmückt mit Blumenkränzen,
Und zogen nach dem Meer.

Voran dem Zuge schwärmten
Der muntern Kinder viel;
Die andern Becher schwangen,
Musizierten, sangen,
Schwebten in Tanz und Spiel.

Sie sprachen zu dem Schiffer:
»Willst du uns führen gern?
Wir sind die Wonnen und Freuden,
Wollen von der Erde scheiden,
All von der Erde fern.«

Er hieß ins Schiff sie treten,
Die Freuden allzumal,
Er sprach: »Sagt an, ihr Lieben,
Ist keins zurückgeblieben
Auf Bergen noch im Tal?«

Sie riefen: »Wir sind alle.
Fahr zu! Wir haben Eil.«
Sie fuhren mit frischen Winden;
Fern, ferne sah ich schwinden
Der Erde Lust und Heil.

* * *

Timm sagte mir neulich: »Du verschwendest Dein Geld. Du wirst nur Undank haben.« Und hätt ich nichts als Undank, und träf es nur Einen, dem ich geholfen hätte in Wirklichkeit unter Tausenden, so ist mein Geld gesegnet gewesen. Geld! Nun ja, wir müssen mit ihm umzugehen wissen: wenn wir Geld haben, lernen wir rechnen und können prahlen: seht, ich mache keine Schulden. Wenn wir arm sind, sind alle Ermahnungen zum Haushalten dummes Zeug. Soll ich etwa meine Millionen mit ins Grab nehmen? Immer weg damit. Glückliche Gesichter, glückliche Menschen machen; und nicht erst immer fragen: ist er auch meiner Hilfe würdig? Wär ich denn einer Hilfe würdig im umgekehrten Falle? Nein, nein . . . Ach so, da sorgt ja auch mein knurriger, ewig mürrischer Rentmeister, Kord Bindseil, für meinen Beutel. Dieser alte Geizhammel. Ich werd es nicht vergessen: Als ich wegen einer Torheit (bravo! für die Torheit damals; jetzt würd ich sie mir nicht verzeihen) vor Jahren in Paris schnell 70000 Francs brauchte und deshalb Auftrag an Kord Bindseil nach Gadendorp telegraphierte zur Anweisung an Descamps, schrieb mir der Gute zurück: »60000 sind genug.« Und in der Tat, ich konnte nur mit Mühe 70000 bekommen. Kord Bindseil sorgt für mich . . .

Ich weiß nicht, wie lange es her ist; ich hatte irgend einem armen Schlucker geholfen. Am Tage darauf saß ich auf dem Dammtorbahnhof in Hamburg und las, sie in beiden Händen haltend, in einer großen Zeitung. Ich war so vertieft, daß ich einen Eintretenden in dem sonst leeren Wartesaal nicht bemerkt hatte. Aber als dieser mit dem Kellner zu sprechen begann, hörte ich die Stimme dessen, dem ich tags zuvor das Geld gegeben hatte. Er bestellte sich ein Diner von nicht wenig Platten und eine Flasche Rotwein. Hätt ich nun mich, aus meinem Blatte aufsehend, bemerkbar gemacht, wär es eine Verlegenheit für ihn gewesen. Ich war also gezwungen, der unfreiwillige Zeuge seiner Essensbefriedigung zu sein. Und ich muß gestehn, es dauerte fast eine Stunde. Ich saß ruhig und las immer wieder dieselben Seiten von der Reise des Lords Churchill nach Petersburg an bis Warners Safe Cure. Immer blieb mein Kopf hinter der papierenen Wand. »Sagen Sie, Kellner, hier steht Hecht mit Sauerkraut.« »Zu dienen, mein Herr.« Später: »Haben Sie noch von dem Lammrücken, den ich hier verzeichnet finde?« »Zu dienen, mein Herr.« »Bitte vorher noch Nierenschnitte mit jungen Erbsen.« »Zu dienen, mein Herr.« »Was können Sie mir für einen Pudding empfehlen? Bringen Sie mir portugiesischen.« »Sehr wohl, mein Herr.«

Und wies ihm schmeckte. Und wie mir die Arme lahm wurden. »Bitte um einen Persiko.« »Zu dienen, mein Herr.« »Und halt, eine Ihrer besten Zigarren.« »Zu dienen, mein Herr.«

Nun erhob er sich, knöpfte einen Westenknopf auf, trat an den Spiegel, zupfte sich zurecht wie zu allerlei andern kleinen Abenteuern, die man so nett ungesehn in großen Städten haben kann, und sagte endlich mit nachlässiger Vornehmheit: »Macht?« »Zwölf Mark siebzig, mein Herr.« Anstandslos wurde die Börse gezogen. Der Kellner schien, nach dem Bückling zu urteilen, den ich verstohlen beobachtete, höchst zufrieden mit dem Trinkgeld.

Ich war indessen beinahe ohnmächtig geworden von dem langen Stillsitzen und fand große Erleichterung, als ich mich erheben konnte. Bis zum heutigen Tage freue ich mich, daß er mich nicht bemerkt hat. Und innige Befriedigung hab ich gehabt, daß es dem armen Teufel so gut geschmeckt hat. Wie lange mag der ein solches Mittagessen entbehrt haben.

* * *

»Die goldene Mittelstraße.« Ein bequemes Wort für den Philister. Ich sage: »Ein widerwärtiges, kaltes, feiges Wort.«

* * *

Um das »Glück« einzufangen, bedarf es immer großer Geistesgegenwart. Das Teilchen einer Sekunde warten, fliegt es vorüber, heißt das Nachsehen haben.

* * *

»Vorgetan und nachgedacht,
Hat manchem schon groß Leid gebracht.«

                            Ach ja – – –

* * *

So fängt das Buch Esther an:

  1. Zu den Zeiten Ahasveros, der da König war von Indien bis an die Mohren, über hundertundsiebenundzwanzig Länder,
  2. Und da er auf seinem königlichen Stuhl saß zu Schloß Susan,
  3. Im dritten Jahre seines Königreichs machte er bei ihm ein Mahl allen seinen Fürsten und Knechten, nämlich den Gewaltigen in Persien und Medien, den Landpflegern und Obersten in seinen Ländern,
  4. Daß er sehen ließe den herrlichen Reichtum seines Königreichs und die köstliche Pracht seiner Majestät viele Tage lang, nämlich hundertundachtzig Tage.
  5. Und da die Tage aus waren, machte der König ein Mahl allem Volk, das zu Schloß Susan war, beiden, Großen und Kleinen sieben Tage lang im Hofe des Gartens am Hause des Königs.
  6. Da hingen weiße, rote und gelbe Tücher mit leinenen und scharlachenen Seilen gefasset in silbernen Ringen auf Marmorsäulen. Die Bänke waren golden und silbern, auf Pflaster von grünen, weißen, gelben und schwarzen Marmeln gemacht.
  7. Und das Getränke trug man in goldenen Gefäßen, und immer anderen und anderen Gefäßen, und königlichen Wein die Menge, wie denn der König vermochte.

Ist das nicht eine Farbenpracht ohnegleichen?

* * *

Ich fand ein unendlich rührendes Gedicht von Karl Henckell. Tief menschlich. Es könnte Shakespeare oder Goethe als Urheber haben, so aus dem Leben ist es herausgeschrieben:

 

Das bejahrte Freudenmädchen.

Schleiche auf dunklem Flur. Schleppe grauen Gram. Bin ja, bin ja nur eine alte Hur; habt mich für Geld. Kenne auf der Welt keine Scham – ein Tier!

War doch auch ein Kind, rein wie Ihr, las in dem Angebind, dem Samtbrevier: Herr Gott, dich loben wir. – Bin wie Ihr gesprungen zu Spiel und Tanz, habe so hell gesungen auf sonniger Heide: Wir winden dir den Jungfernkranz – Jungfernkranz! – mit veilchenblauer Seide . . .

Schleiche auf dunklem Flur, häßliche, alte Hur, gehorsamer Diener! gehorsamer Diener! – Gott!! – – Mütterchen, was sagt der liebe Gott? »Beten, beten.«

Heissa, heissa, hopsassa. La la la . . . hopsassa! Schöner, grüner, schöner grüner Jungfernkranz! – – – mir wird schlecht. – Hunger – Brot! Brot! Liebste fürn Lumpengeld, ist doch ne elende Welt! – O läg ich tot! . . .

* * *

Ich habe endgültig beschlossen, eine Sammlung der Dichter herauszugeben, die nach 1880 an die Öffentlichkeit getreten sind. Es wird eine Riesenarbeit werden. Aber frisch daran.

* * *


 << zurück weiter >>