Detlev von Liliencron
Der Maecen
Detlev von Liliencron

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Das Notizbuch.

        Wer wußte je das Leben recht zu fassen,
Wer hat die Hälfte nicht davon verloren
Im Traum, im Fieber, im Gespräch mit Toren,
In Liebesqual, in leerem Zeitverprassen.
August Platen.
Freie Kunst.
        Im Reich der Schönheit und Gedanken
Galt nie ein fremdes Machtgebot,
Sie selbst nur geben sich die Schranken,
Von anderm Einspruch unbedroht.
Hermann Lingg.

* * *

Fast erstickende Sommerhitze lieb ich; gar erst um die Mittagszeit. Als ich an einem brennenden Julitag um ein Uhr durch meine Knicks ging, hielt ich mit überhängenden Armen eine kurze Rast an einem Feldtor. »Schluplock« nennen wir ein solches Gitter. Mitten auf der Wiese lag, allein, ohne daß andres Vieh zu sehen war, mein dreijähriger, dunkelbrauner Stier Uranus. Die Bauern und Knechte rufen ihn: »de grote Urian«. Er schlief scheinbar. Plötzlich hörte ich, ohne daß er sich rührte, ein dumpfes Brummen von ihm her. Es klang wie das Grollen eines Erdbebens. Dies Grollen lief dicht über die Gräser zu mir. Er erhob sich schwerfällig und stampfte abwechselnd mit den Vorderhufen, kratzte Gras und Blumen aus. Dann bog er den Urnacken ein wenig zurück und begann ein fürchterliches Zorngebrüll. Nun legte er die Hörner auf mich ein. Ich empfahl mich »etwas plötzlich« und trat hinter den Knick zurück. Welch ein Bild der Kraft bot der tobende Stier.

Auf dem Heimwege fiel mir mein deutsches Vaterland ein. So liegt es: ruhig im Bewußtsein seiner Riesenmacht. Zeigt sich der Feind lungernd, gierig an den Grenzen, erhebt es sich, setzt die Hörner ein, und wehe . . . Daß Du gesegnet seist, mein Vaterland.. Wie bin ich stolz, ein Deutscher zu sein!

* * *

Gottfried Keller-Tag.

Poetentod.
                Der Herbstwind rauscht; der Dichter liegt im Sterben,
Die Blätterschatten fallen an der Wand;
An seinem Lager knien die zarten Erben,
Des Leibes Stirn ruht heiß auf seiner Hand.

Mit dunklem Purpurwein, darin ertrunken
Der letzten Sonne Strahl, netzt er den Mund;
Dann wieder rückwärts auf den Pfühl gesunken,
Tut er den letzten Willen also kund:

»Die ich aus luft'gen Klängen aufgerichtet,
Vorbei ist dieses Hauses Herrlichkeit;
Ich habe ausgelebt und ausgedichtet
Mein Tagewerk und meine Erdenzeit.

Das keck und sicher seine Welt regierte,
Es bricht mein Herz, mit ihm das Königshaus.
Der Hungerschlucker, der die Tafel zierte,
Der Ruhm, er flattert mit den Schwalben aus.

So löschet meines Herdes Weihrauchflamme
Und zündet wieder schlechte Kohlen an,
Wies Sitte war bei meiner Väter Stamme
Vor ich den Schritt auf dieses Rund getan.

Und was den Herd bescheidnen Schmuckes kränzten
Was sich an alter Weisheit um ihn fand,
In Weihgefäßen auf Gesimsen glänzte,
Streut in den Wind, gebt in der Juden Hand!

Daß meines Sinnes unbekannter Erbe
Mit find'ger Hand, vielleicht im Schülerkleid,
Auf offnem Markte ahnungsvoll erwerbe
Die Heilkraft wieder der Vernachtung Leid.

Werft jenen Wust verblichner Schrift ins Feuer,
Der Staub der Werkstatt mag zugrunde gehn!
Im Reich der Kunst, wo Raum und Licht so teuer,
Soll nicht der Schutt dem Werk im Wege stehn!

Dann laßt des Gartens Zierde niedermähen,
Weil unfruchtbar; die Lauben brechet ab!
Zwei junge Rosenbäumchen lasset stehen
Für mein und meiner lieben Frauen Grab!

Mein Lied mag auf des Volkes Wegen klingen,
Wo seine Banner von den Türmen wehn;
Doch ungekannt mit mühsalschwerem Ringen
Wird meine Sippschaft dran vorübergehn!«

Noch überläuft sein Angesicht, das reine,
Mit einem Strahl das sinkende Gestirn,
So glühte eben noch im Purpurscheine,
Nun starret kalt und weiß des Berges Firn.

Und wie durch Alpendämmerung das Rauschen
Von eines späten Adlers Schwingen webt,
Ist in der Todesstille zu erlauschen,
Wie eine Geisterschar von hinnen schwebt.

Sie ziehen aus, des Schweigenden Penaten,
In faltige Gewande tief verhüllt;
Sie gehn, die an der Wiege einst beraten,
Was als Geschick sein Leben hat erfüllt!

Voran, gesenkten Blicks, das Leid der Erde,
Verschlungen mit der Freude Traumgestalt,
Die Phantasie und endlich ihr Gefährte,
Der Witz, mit leerem Becher still und kalt.

Waldfrevel.
    Seht den Schuft am Waldessaum
Mit gewandten Sprüngen fliegend,
Einen jungen Eschenbaum
Auf den breiten Schultern wiegend!
Hat die Axt, die er gestohlen,
Vornen in den Stamm geschwungen,
Weit noch hinter seinen Sohlen
Kommt der Wipfel nachgesprungen.
Wie er heimlich lacht und singt,
Daß das Herz im Leibe springt!

Und die Dirne kommt daher
Mit geschnittnen Weidenruten;
Von der Last, die drückend schwer,
Stehn die Wangen ihr in Gluten.
Und der Bursche wirft die schwere
Bürde beider in den Graben,
Beide springen nach, als wäre
Dort ein Nest voll Glück zu haben.

Wo ein kleiner Freudenquell
Tief im Erlengrunde fließet,
Und die Silberadern hell
Durch das samtne Moos ergießet,
Wirft der schlanke Dieb sich nieder
Mit der Dirn im braunen Arm,
Löst ihr hastig Tuch und Mieder,
Und er flüstert liebewarm,
Daß sein brennend Herz erklingt,
Wie die Nuß im Feuer singt:

Schätzchen, o du kommst mir just,
Daß ich meine Schätze grabe,
Wieder einmal meine Lust
Am verborgnen Reichtum habe!
Zeig mir der Korallen Schein
An dem frischen roten Munde,
Gib mir schnell dein Elfenbein,
All das fein gedrehte runde!
Wie der Has im Kohle springt
Ihm das Herz und singt und klingt!

Laß mich wägen all mein Gold,
Deines Haares schwere Güsse!
Laß mich zählen meinen Sold,
Zähle mir einhundert Küsse
Blank und bar auf meine Lippen,
Weil uns kein Verräter lauschet!
Laß mich von dem Weine nippen,
Der mich armen Schelm berauschet!

Nun verhüll die Herrlichkeit
Mit den Lumpen, mit den Fetzen,
Daß kein Auge ungeweiht
Spähen kann nach meinen Schätzen!
Dieses Tuch um deine Haare
Dreimal, viermal sorglich winde,
Daß die goldne Schimmerware
Ja kein Strahl der Sonne finde.

Gleich ist drauf die Dirn davon
Durch den dunkeln Wald gesprungen,
Wieder hat der Bursche schon
Seinen Eschenbaum geschwungen;
Wie die Beine rasch ihn tragen
Mit dem langen schwanken Raube!
Einen grünen Siegeswagen,
Schleift die Kron er nach im Staube.
Wie die Grill im Grase springt
Ihm das Herz und singt und klingt!

Abend auf Golgatha.
            Eben die dornige Krone geneiget, verschied der Erlöser,
Weißlich in dämmernder Luft glänzte die Schulter des Herrn;
Siehe, da schwebte, vom tauigen Schimmer getobt die Phaläne
Flatternd hernieder, zu ruhn dort, wo gelastet das Kreuz.
Langsam schlug sie ein Weilchen die samtnen Flügel zusammen,
Breitet sie auf und entschwand fern in die sinkende Nacht.
Nicht ganz blieb verlassen ihr Schöpfer, den Pfeiler des Kreuzes
Hielt umfangen das Weib, das er zur Mutter sich schuf.
Winterabend.
        Schneebleich lag eine Leiche und es trank
Bei ihr der Totenwächter unverdrossen,
Bis endlich ihm der Himmel aufgeschlossen
Und er berauscht zu ihr aufs Lager sank.

Von rotem Wein, den Becher voll und blank,
Bot er dem Toten; bald war übergossen
Das Grabgesicht und purpurn überflossen
Das Leichenhemd; so trieb er tollen Schwank.

Die trunken rote Sonne übergießt
Im Sinken dieses schneeverhüllte Land,
Daß Rosenschein von allen Hügeln fließt;

Von Purpur trieft der Erde Grabgewand.
Doch die verblaßte Leichenlippe tut
Erstarrt sich nimmer auf der roten Glut.

In der Stadt.
          Wo sich drei Gassen kreuzen krumm und enge,
Drei Züge wallen plötzlich sich entgegen
Und schlingen sich, gehemmt auf ihren Wegen,
Zu einem Knäul und lärmenden Gedränge.

Die Wachtparad mit gellen Trommelschlägen,
Ein Brautzug kommt mit Geigen und Gepränge,
Ein Leichenzug klagt seine Grabgesänge;
Das alles stockt, es kann kein Glied sich regen.

Verstummt sind Geiger, Pfaff und Trommelschläger,
Der dicke Hauptmann flucht, daß niemand weiche,
Gelächter schallet aus dem Freudenzug.

Dort oben, auf den Schultern schwarzer Träger
Starrt in der Mitte kalt und still die Leiche
Mit blinden Augen in den Wolkenflug.

Nachtfahrer.
          Es wiegt die Nacht mit himmelweiten Schwingen
Sich auf der Südsee blauen Wassergärten,
Daraus zurück wie Silberlilien springen
Die Sterne, die in tiefer Flut verklärten.

Wie ein entschlummert Kind an Mutterbrüsten
Ruht eine Insel selig in den Wogen,
So weich und weiß ist um die grünen Küsten
Die Brandung rings, ein Mutterarm, gezogen.

Ich wollt, es wär mein Herz so dicht umflossen
Von einem Meer der Ruhe und der Klarheit,
Und drüberhin ein Himmel ausgegossen,
Deß einz'ges Licht das Sonnenlicht der Wahrheit.

Und schöne Menschen schlafen in den Büschen,
Wie Bildwerk in ein Blumentuch gewoben;
Was ein erstorbnes Auge kann erfrischen,
Das hat ein Gott hier sorglich aufgehoben. –

Ein Blitz – ein Krach! – die stille Luft erzittert,
Dicht wälzt ein Rauch sich auf gekräustem Spiegel –
Ein Wasserdrache, der den Raub gewittert,
So naht es pfeilschnell mit gespreiztem Flügel!

Wach auf, wach auf, du stiller Menschengarten!
Gib deine Blüte hin für Glaskorallen!
Sieh, deines unschuldvollen Fleisches warten,
Du sanftes Volk, Europas scharfe Krallen!

Die Anker rasseln und die Segel sinken,
Wie schneiend schallt das Wort der fremden Ferne.
Viel hundert Bleichgesichter lüstern blinken
Im fahlen Schein der trüben Schiffslaterne.

Zuvorderst aus des Schiffes schwarzen Wänden
Ragt schwärzer in der giererfüllten Rotte
Der Christenpriester, schwingend in den Händen
Das Marterholz mit dem gequälten Gotte.

 

Könnt ich doch jedem Deutschen meine Freude an Gottfried Keller übertragen.

* * *

Wie wir gute Gedichte lesen sollen? Vor allen Dingen müssen wir in Stimmung sein. Am besten bei verschlossenen Türen. Bequem sitzend oder liegend. Mit guten Zigarren versehn, wer Raucher ist. Durch nichts gestört. Und eigentlich nur eines zur Zeit: jedes Gedicht ist eine abgeschlossene Welt für sich. Nie mehr als zwei, drei, vier, fünf . . . wenn wir Genuß haben und mit- und nachempfinden wollen. Einen ganzen Band hintereinander zu lesen, ist vom Übel.

Wen ich für die größten lebenden Lyriker deutscher Zunge halte? Unbedingt Gottfried Keller und Conrad Ferdinand Meyer. Ich hätte beinahe hinzugesetzt: Arnold Böcklin.


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