Detlev von Liliencron
Der Maecen
Detlev von Liliencron

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Ich war tief erschüttert, als ich das lange Schreiben gelesen hatte. Die Herzensgüte und der nie versagende Humor meines Freundes traten wie die sinkende Sonne noch einmal aus den Abendwolken hervor. Wo er helfen, wo er Freude machen konnte, gab er mit verschwenderischen Händen und nie in verletzender Weise. Wohl keinen reichen Menschen traf ich je im Leben, dem so die Gabe gegeben war, zu schenken, Gutes zu tun. Der Kunst, und namentlich den Dichtern, war er ein Mäcen, wie ihn Deutschland nie gesehen hat.

Wulff Gadendorp stand als Ironiker über dem Leben, über den Parteien. Alles kleinliche Denken und Treiben war ihm verhaßt.

Seine Schlösser und Güter – in jedem europäischen Lande besaß er Grundeigentum – boten, ein einziger Fall im ganzen deutschen Reiche, ihre Dächer den Künstlern; und namentlich wieder zogen die Dichter ein und aus. Ob er selbst Verse geschrieben hat? Ich bin sicher der Meinung. Aber er war zu bescheiden, so sehr die Versuchung an ihn herantreten mochte, sie andern zu zeigen. Er wird seine Strophen verbrannt haben. Nie ist mir eine Zeile gebundner Sprache von ihm zu Händen gekommen.

Welche unermeßlichen Summen sind aus seiner Hand geflossen. Ich habe mich gewundert, als ich las, daß er noch sechsunddreißig Millionen, außer den übrigen Schenkungen und Stiftungen, die er gemacht, zur Verfügung hatte. Und doch auch wieder nicht: Er verstand zu rechnen. Das ist allerdings keine Kunst, wenn man reich ist. Wär ich arm, würd ich mehr als einmal Blaumontag machen und mich an keine Berechnung kehren, hörte ich einmal Wulff sprechen.

Sein Reichtum war märchenhaft. Er stand den amerikanischen Eisenbahnkönigen, den englischen Herzögen, denen der Londoner Grund und Boden gehört, völlig gleich zur Seite. Von Hause aus in ziemlich kläglichen Verhältnissen lebend, erbte er seit etwa zehn Jahren von allen Seiten. So war sein Ausdruck: »Als wär ich eine alte Müllgrube gewesen, schütteten von allen Seiten Verwandte, die die Güte hatten zu sterben und keine andern Erben zu hinterlassen, ihre Goldtonnen in mich aus.«

Dazu kam ein vor vier Jahren gewonnener Prozeß, der ihm eine vielumstrittene Millionen-Erbschaft brachte: es steht ab und zu in den Zeitungen: Eine Erbschaft aus Batavia; und Zins auf Zinsen.

Wulffs Eltern entsinne ich mich noch gut. Sein Vater, auch äußerlich mit seiner Habichtsnase und seinem starken Schnurrbart und seinen gesunden roten Wangen, war einer jener Landedelleute, wie sie recht und schlecht zu Hunderten auf ihren Gütern wohnen: L'Hombre, Pferde, Branntweinbrennerei, Kirchenbesuch als Beispiel für die»Untertanen«, Butter- und Käsegespräche. Wenn der alte Herr sich elend fühlte oder erkrankte, kam ein ungemein dickes Gesangbuch zum Vorschein, auf dessen erster Seite stand: For mein Louis. In diesem Gesangbuche wurde dann so lange eifrig gelesen, als die Unpäßlichkeit dauerte. War sie vorüber, wanderte auch »For mein Louis« wieder in die Ecke. Im übrigen noch trug er beständig silberne Tanzsporen . . . sonst wüßt ich wirklich nichts mehr von ihm zu sagen.

Wulffs Mutter war eine russische Fürstin. Sie hatte den alten Grafen kennen gelernt, als dieser sich einige Zeit vergnügungshalber als dänischer Legationssekretär in Paris aufgehalten. Ihr Vater hatte dort zurzeit den Petersburger Botschafterposten inne.

Die Gräfin steht mir deutlich vor Augen. Sie verzärtelte ihr einziges Kind außerordentlich. In Schleswig-Holstein fühlte sie sich unter den Butter- und Käsegutsbesitzern, die niemals auch nur eine Ahnung, geschweige denn Freude gehabt haben von und über Schönwissenschaft, unglücklich; um so mehr, als sie begeistert für die Literatur schwärmte. Von ihr hatte Wulff diese Vorliebe geerbt; auch wohl den Spottschnabel und manche Wunderlichkeiten, Verkehrtheiten und Fehler und Sonderbarkeiten.

Das hab ich bei meinem Freunde herausgefühlt: Weil er anders dachte, wie die breite Masse der Menschen, weil er, wie das natürlich, deshalb viel Haß und Hohn zu erdulden hatte, weil seine Ansichten über Kunst und Künstler oft grundverschieden von der landläufigen Ästhetik abwichen, so tat es ihm wohl, in mir einen guten Kameraden gefunden zu haben, dem er sein übervolles, einsames Herz ausschütten konnte.

Es war von Kindheit auf sein Wunsch gewesen, Kavallerieoffizier zu werden. Aber grade, als dies in Verwirklichung treten sollte, mußte sein Vater Konkurs erklären. Doch als unverkäufliches Majorat blieben die Hauptgüter unveräußerlich. Der Konkurs hatte den Alten so gekränkt, daß er, trotz seines Trostes in dem dicken Gesangbuch »For mein Louis« sich hinlegte und starb. Wulff konnte nicht weg aus dem Grunde. Als er durch die Erbschaften endlich imstande war, sein eigner Herr zu sein, wars zu spät. Er blieb, mit Unterbrechung durch weite Reisen in alle Erdteile, bis an seinen Tod in Gadendorp.

* * *

Nach einer nicht zu unruhigen Fahrt liefen wir in die Elbe ein. Tanger und Wulffhägen. Marokko und Schleswig-Holstein. Aus der Welt in die Einsamkeit.

Mein erstes in Hamburg war eine telegraphische Anfrage nach Gadendorp. Die Antwort Negendanks, daß Wulff vor vier Tagen gestorben sei, konnte für mich nicht allzu überraschend sein.

In Kiel erwartete mich mein Wagen.

Wir sind im Mai, aber nirgendwo ist eine Spur des Wonnemonats zu bemerken. Die Luft ist kalt. Die Bäume stehen kahl. Die Buchenblätter, gerollt wie Papillons, wagen sich nicht heraus. Unbarmherzig würgt der Nachtfrost in Feld und Garten.

Der Abend breitete seinen Mantel über die Landschaft. Auf einer nassen Wiese hör ich, kaum noch sehbar in ihren Schwingungen, das ununterbrochne Kuiwitt der Kiebitze. Eine Goldammer singt einsam im Knick ihre rührende, kurze Melodie. Eine zu früh ins Feld gelassene Kuh brüllt vor Kälte, aus Sehnsucht nach dem warmen Stall.

Nun biegt mein Wagen von der Kunststraße in einen Landweg. Bald fahren wir durch ein Städtchen, wo Alles schon zur Ruhe gegangen ist. Ich kenne hier jeden . . . Vor der Apotheke kauert in tiefgebückter Haltung, so daß seine Stirn in Gefahr zu sein scheint, die Pflastersteine heftig begrüßen zu müssen, der Nachtwächter. Selbst die rollenden Räder und ein übermütiger Peitschenknall meines Kutschers erwecken ihn nicht.

Weiter. Es ist so still, daß aus großer Entfernung die Schläge der Böttcher einer Brauerei zu hören sind. Sie hämmern im Dreivierteltakt Reifen ums Faß.

Es geht gegen Mitternacht. In einer halben Stunde habe ich die Grabkapelle in Gadendorp erreicht. Zu dieser Stunde soll mein Freund in die Gruft gesenkt werden.

Ein Reh springt quer vor meinem Wagen über den Weg von Knick zu Knick. Die scheu gewordnen Pferde sind bald wieder beruhigt.

Plötzlich bemerk ich Feuerschein. Es ist der Glanz vieler Fackeln, die in Bewegung sind. Ich kenne ihre Bedeutung. Mit ihnen zugleich werd ich bei dem Gadendorper Kirchlein eintreffen. Näher gekommen, klingt mir von einer starken Musikbande sehr langsam gespielt: »Wenn Menschen auseinander gehn, dann sagen sie. Auf Wiedersehn – auf Wiedersehn« entgegen.

Wie, das wäre das letzte Lied, das der ungläubige Gadendorp befohlen hätte, hinter seinem Sarge zu tuten? Oder tanzt der Schalk vor der Truhe?

Immer näher klingt es: »Wenn Menschen auseinandergehn, dann sagen sie: Auf Wiedersehn – auf Wiedersehn.« Immer langsamer wird gespielt; stärker, stärker und stärker braust die Melodie mir ins Ohr. Es liegt etwas Herzzerreißendes in ihr, nichts Tröstendes, Beruhigendes.

Mit dem Trauergefolge zugleich treff ich am Kirchtor ein. Die ganze Provinz ist vertreten. Die roten Uniformen der Ritterschaft leuchten heraus. Nur diese, nach den Satzungen der »wolleddelgepohrenen Ridder und ansehnliche Man«, darf in die Kirche. Alles übrige muß draußen bleiben, selbst die Geistlichkeit zu ihrem großen Ärger. Ein hoher Regierungsherr will sich durchdrängen: »Wir preißischen Beamten dürfen überall hin.« Seine Aussprache kennzeichnet ihn als Ostpreußen. Aber hier wird der»preißische Beamte« zurückgewiesen.

Der Adel ist in der Kirche allein.

Der Sarg, behangen mit Purpurdecken, die bis auf den Steinboden hängen und schleppen, in deren Ecken das Gadendorpsche Wappen gestickt ist, wird von den sechs jüngsten Herren bis an die unmittelbar vor dem Altar befindliche, jetzt zum Empfange weit gähnende Gruft getragen. Jedes andern Ritters Hand hält eine Fackel.

Nun stehen alle um die schwarze Öffnung. Die Lichter beglitzern unheimlich die roten Röcke, die Metalleuchter, den Gekreuzigten, die alten Bilder, den Altarschmuck, die Kanzel mit ihrer über ihr schwebenden Taube. Der Adelsmarschall, ein außergewöhnlich kluger Geldmensch, aber sonst ein Gentleman durch und durch, steht vorn. Mit seinem Pferdegesicht und dem langen hinunterhängenden weißen Schnurrbart schaut er auf wie ein polnischer Starost. In Händen hält er das schon vorbereitet-angebrochne Wappen. Der Sarg gleitet in die dunkelblaue Finsternis. »Die Fackeln gesenkt«, befiehlt laut der Adelsmarschall. Und dann, im Zerbrechen, daß die beiden Stücke polternd unten aufschlagen, spricht er: »Von Gadendorp heute noch und nimmermehr . . .«

Die Feierlichkeit ist beendet. Allerlei Gespräche beginnen sofort: Butter, Fettverkauf, Familienangelegenheiten, Branntweinsteuer, neue Dreschmaschine, L'Hombre-Verabredung, Wahlen, Parteitag, und wies so überall auf der Welt zugeht.

Aber der letzte der Gadendorps hat, was dem letzten der Qualen vor einigen Jahren durch die bodenlose Nüchternheit seiner satten und gesunden Heimatsbrüder versagt gewesen, ein »poesievolles« Begräbnis gehabt.

Um zwei Uhr morgens bin ich in Wulffhägen. Es ist mir, als wenn ich irgend einem Menschen zu danken hätte, daß ich wieder in meinem Arbeitszimmer sitze.

Das »Notizbuch« Wulff Gadendorps hatt ich bald in Händen. Aber erst nach einigen Tagen löste ich die Siegel und begann an einem Juniabend die Lesung.

* * *


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