Friedrich Lienhard
Wege nach Weimar. Erster Band
Friedrich Lienhard

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Vom literarischen Messias

Was ist Schönheit?

Zur Erkenntnis und Empfindung gehören zwei: der betrachtete Gegenstand und der betrachtende Mensch. Aus dem Verhältnis beider – wie aus dem Verhältnis zweier magnetischer Pole – ergibt sich die Wirkung.

Schönheit ist also teils etwas, was draußen ist, im Gegenstand; Schönheit ist aber zur größeren Hälfte etwas, was in uns drinnen ist. Schönheit ist im letzteren Falle eine Kraft des Gemütes.

Ich ging heute nachmittag durch einen stillen, weißen Winterwald. Der Wald stand kalt, klar, stumm – eine marmorne Schönheit. Es war so still, daß ich das Summen und Singen im eigenen Kopf und Blut vernahm. Man wurde selbst ein erhabener Winterwald. Unten aber im Tal zogen laute Burschen vorüber, pfeifend, die Harmonie dieser Schönheit zerreißend mit rohfröhlichem Gejohl. Der Wald war dort derselbe: aber seine Erhabenheit wirkte nicht; die menschlichen Pole waren dort nicht auf den Gegenpol des Waldes gestimmt: es gab kein Verhältnis.

Unsere Ästhetik fragt viel zu viel, was Schönheit objektiv »ist«. Wir wollen lieber den Blick umkehren und sagen: Was Schönheit »ist«, weiß kein Sterblicher; sowenig wir jemals das »Ding an sich« erkennen werden. Alle irdischen Erkenntnisse sind abhängig von dem, der erkennt: von unserem seelischen Zustand. Von unserem »seelischen«, nicht vom sinnlichen, denn die Sinne sind Diener der Seele. Mit den Sinnen sahen jene Jungen den Wald auch, aber ihre Seele war nicht auf den Wald gestimmt.

Dies wende ich nun auf die Suche nach dem »literarischen Messias« an, die seit zwanzig Jahren in unserer Literatur umgeht. Wir drehen die Frage um und verwandeln sie aus einer spekulativen in eine praktische, in eine nahe Frage: Sind wir gestimmt und fähig, das Genie aufzunehmen?

Literatentum

Das Reich der Gottheit – der Schönheit, Weisheit und Stärke – kommt nicht zu den Schriftgelehrten, Talmudisten und Pharisäern, kommt nicht zu den Literaten. Nicht als ob sie Irrlehren verbreiteten oder nicht gescheit genug wären; der Grund liegt tiefer und ist beinahe tragisch.

Ihr Leben lang regen sich diese Eifernden in Kongressen und Vereinen, in Kaffees, Zeitschriften und Theatern leidenschaftlich auf über das, was »echte Kunst« sei, hadern mit Gegenrichtungen, schreiben Artikel und Kritiken, durchlärmen das literarische Feld – und vergehen wie der Rauch. Sie haben nach Akkorden gesucht – und ihr Tun war Dissonanz; eben die Art ihres Akkordesuchens war ihre Dissonanz. Über Hohes und Schönes sprechend, haben sie gekrittelt, gescholten, zu Gericht gesessen – alles ad majorem dei gloriam, zu Ehren der Gottheit, der sie in künstlerischen Formen dienen wollten. Es ist der hadernde Gottesbegriff der Rechthaber und Räsoneure: der Menschen, die mit Verstand und Leidenschaftlichkeit das Welträtsel bezwingen wollen. Sie überschätzen die Dialektik; sie »beweisen« den Montblanc hinweg – und der Montblanc steht; sie legen dar, daß Richard Wagner kein Musiker und Schiller ein Rhetoriker sei – und Wagner und Schiller wirken in unsterblicher Ruhe weiter. Es sind die Sophisten zur Zeit des Sokrates und die »Schriftgelehrten« zur Zeit Jesu. Es sind die Literaten von heute. Es ist schlechthin die Literaturkrankheit – die Verfinsterung der Poesie.

Beachte zum Beispiel, lieber Leser: du siehst in einem Bach-Konzert massenhaft Volk sitzen, zumal unreifes Volk, aus deren nervösem Gehaben du weißt, daß sie von Bachs Mannesernst und Religionstiefe nichts, aber auch nichts besitzen oder in Leben umsetzen: sie sind gleichwohl »enthusiasmiert« von der Matthäuspassion oder der H-Moll-Messe, sie sind Bach-Verehrer und Beethoven-Kenner, sie schreiben Kritiken und Artikel, sie sind Kunstkenner ersten Ranges. Was verehren sie an Bach, Beethoven und Shakespeare? den Gehalt? den Seelengehalt, in dem Bach gelebt und geatmet hat und ohne den unser Bach einfach undenkbar ist? Nein. Just dies haben sie abgestreift. Den religiösen Lebensinhalt haben sie als unbequem beiseite geworfen (nicht nur das Dogma): die Schale behielten sie. Diese ausgeblasene Schale nennen sie »Kunst«.

So ist unser Geistesleben mit einem Schimmelpilz überzogen worden und ist erkrankt. Die großen Offenbarer der Menschheit – Christus obenan – werden nicht mehr nach ihren tief umgestaltenden Lebenskräften empfunden und in Lebenserneuerung umgesetzt; das Entscheidende ist nicht mehr die Tat, denn das wäre zu lästig, das würde ja dem Räsonieren, Händefuchteln und Besserwissen (ihre Lieblingsbeschäftigung) von Grund aus ein Ende machen. Die Großen werden viel angenehmer nach ihren Äußerungsformen besprochen und verglichen; etwa: »Während Schnitzler – hat Shakespeare – Wedekind hinwiederum – Goethe seinerseits – Dehmels Standpunkt« – – so fliegt groß und klein durcheinander, so schreibt das mit Verstand Bücher über Bücher, charakterisiert Form und Erscheinung: – und umgeht die eigentliche Herrlichkeit der Großen: die eigene Lebensgestaltung und Lebensumgestaltung. Und da gerade fängt für uns Wert und Sinn des Lebens an.

Das ist die Kopfkrankheit der Literatur. Sie hat mit dem faulen Schimmelpilz sittlicher Willensschwäche das Menschentum überkrustet und mit »Intelligenz« das Herz erstickt.

Was für Lebensernst und wieviel Lebenstiefe gehört dazu, die inneren Kämpfe eines Goethe, Luther oder Franz von Assisi (ich wähle drei verschiedenste Beispiele) mitfühlend nachzuleben! Nehmen wir nun an, ein Genie käme und gestaltete kongenial, aus gewaltigen seelischen Nöten heraus, eines jener drei Lebensbeispiele. Was wäre seine Wirkung? Die Horde von Literaten, die in üppigem Gedränge zwischen Dichter und Nation als Vermittler und Kritiker alle Tore besetzt hält, sie stürzte sich auf die Form: sie vergliche mit Shakespeare, besonders aber mit Hebbel und Ibsen; legte dar, der erste Akt sei mißglückt, der dritte geschickt, der Schluß zu reflektiv; die Sprache sei zu lyrisch, zu plump oder zu papieren, stellenweise aber poetisch; das Ganze sei ein achtbarer Versuch, »das historische Drama wieder zu beleben« ... Form, Form, Form! Nicht eine Spur von Befähigung, die heroischen Kämpfe, das eigentlich Herrliche, das uns das Genie zu bringen hätte, im Prosawort nachzuleben! Nicht ein Versuch, einer Nation von bedeutenden Zuhörern als Vermittler die Empfindung einzuimpfen, daß hier und was für neue Lebenskräfte – Kräfte zur Umgestaltung unseres Innern – in Erscheinung getreten sind. Sie kennen ja die Worte gar nicht mehr, die man dazu braucht, geschweige das Wesen. Mag darum ein neuer Weltheiland in schlicht-großen Gleichnissen tiefsten Einblick in Kosmos und Gottheit offenbaren: auch dies wäre jenen auf kurzschwingenden Verstand gestimmten Blinden nur Form – ein mehr oder minder »gelungenes Gleichnis«.

Noch einmal denken wir an unseren stillen Winterwald zurück. Die Sinne jener schwelgenden und lachenden Burschen sahen den Wald vielleicht noch schärfer als ich: aber ihre Seele war nicht bereitet, in die feineren Schwingungen dieser Schönheit einzugehen und das Ewige darin zu erlauschen.

*

Die Sprache der Symbolik

Mythen sind Symbole für Naturvorgänge. Aber Naturvorgänge hinwiederum haben ihre Begleiterscheinungen in Vorgängen der geistigen Welt. So können die Mythen in gewaltigen Bildern unser eigenes Innere deuten. Das ist ihr geheimer Sinn, das ist ihr ewiger Wert.

Wir haben alle Witterungen der Luft auch in uns. In uns ist Zorngewitter und milde Stimmung, in uns Regen und Winter. In uns ist Prometheus und Wieland, in uns die hochmütige Königin oder das zarte Sneewittchen ... Die ganze Weltgeschichte, nicht nur der Mythus, ist dem seelischen Wesen nach keimhaft in uns enthalten: Ketzer und Ketzerrichter, Königswürde und Aufruhr, weibliche Duldungskraft und männliche Tat – alles. Die Weltgeschichte ist eine Nach-außen-Spiegelung dessen, was an furchtbaren und schönen Seelengaben und Geisteskräften in der Menschheit verborgen liegt. Wenigstens der Möglichkeit nach, und in buntesten Abstufungen liegt alles »ins Enge gebracht« in jedem von uns. Das Innen wirkt nach außen, aus Drang nach Betätigung; das so sichtbar und hörbar gewordene Außen reizt nun wieder das Innen andrer zu Gegenwirkungen. So ist alles ein Wechselspiel. Das Gemälde erscheint zwar auf der breiten Leinwand der Geschichte: aber der geheime Maler sitzt in uns – und unser Meister steht hinter uns, in jenseitigen Reichen.

Prometheus oder Wieland sind daher für den, der lesen kann, keine toten Worte, sondern magische Zahlen, die mir in Bilderschrift Kämpfe meines eigenen Innern deuten. Und damit, durch Rückschluß, deuten mir diese Gestalten Zustände des Menschheits-Innern überhaupt.

Indem ich etwas lebhaft mitlebe, trete ich mit Hilfe der Phantasie in den gleichen Zustand ein. So wird mir am Beispiel der Naturvorgänge, der Mythen und Märchen das eigene Wesen deutlich. Weltgeschichte und Weltliteratur werden eine Chronik meiner Innenwelt.

Ich entdecke, daß ich genau so organisiert bin wie diese Kämpfer und Dulder, daß ich unter denselben Lebensbedingungen dieselbe Planetenluft atme. Ein großes Einheitsgefühl mit aller Menschheit überkommt mich. Dieser Stern kommt mir wie eine einzige Kollektiv-Persönlichkeit vor, in deren Gedankenwerk auch ich eingesponnen bin.

Und so habe ich plötzlich alles Geschehene und Geschehende als eine Bildersprache des Ewigen, von dem auch ich ein Teil bin, lesen gelernt. Es gibt nichts mehr, was mir nicht irgend etwas zu sagen hätte, was nicht in günstiger Stunde zu sprechen und sich zu beleben vermöchte. Die Welt wird ein Märchen.

Aus dem Zustande der Kritik bin ich damit in den Zustand der Poesie eingetreten. Ich verbessere und befehde nicht mehr Gottheit und Schöpfung, sondern lasse mir von ihr erzählen. Und meine Hauptkraft wird nun dahin wachsen: rein und ruhig zuzuhören und getreu wiederzugeben.

So geht man mit einer gewissen Neugierde, die jung erhält, durch die farbige Welt, den vielfältigen Abglanz der Gottheit.

*

Poesie

Poesie ist Symbolik. Diese belebende Symbolik, die den Hauch und das Wesen der Schöpfung in Worte verwandelt, wird nicht auf begrifflichem oder lehrhaftem Wege gewonnen. Poesie tönt vielmehr unmittelbar aus der Seele der Natur oder des Menschen in das melodische Wort ein. Natur und Seele sind in Augenblicken dichterischer Stimmung eins: sie sprühen ineinander über – und das dichterische Wort blitzt auf.

Unter Orpheus' belebenden Tönen geraten die Steine in Tanz, und Eurydike kehrt auf einen Augenblick aus dem Totenlande zurück. Er gibt ihnen Seele. Midas verwandelt in Gold, was er anfaßt; Midas flüstert ins Schilf, und das Schilf spricht: er gibt Seele. Die Schatten der Unterwelt drängen an die blutgefüllte Zaubergrube des Odysseus (Odyss. XI.): sie bitten um Belebung. So ist im Dichter eine schöpferische Anhauchkraft. Man möchte sagen: der dichterische Zustand, so wie wir ihn hier fassen, ist ein erhöhter Lebenszustand. Er duldet kein Totes.

Mittel der Poesie ist das Wort. Es ist nicht die Worthülse an sich, die belebt; das sind ja nur vererbte Zeichen, überkommene Handwerksstücke, die an den Wänden hangen. Es ist die innere Schwingung, der Kraftvorrat, die Seele, die im Worte lebt und uns in gleiche Schwingung versetzt. Diese suggestive Kraft, ob milde Wärme oder lohendes Feuer, zwingt den Gegenpol in dieselbe Verfassung, in der sich der ausstrahlende Pol befand. Es muß – wie oben bei unsrem Winterwald – ein Verhältnis geben, wenn Poesie wirken soll. Genie und Nation sind oft durchaus nicht aufeinander gestimmt: das Genie ist oft längst geladen mit erlösender Kraft, aber die Kraft bleibt verschleiert oder prägt sich nicht wirksam: weil kein empfänglich wollender Gegenpol vorhanden ist.

Der Musik steht das dichterische Wort näher als der Malerei; denn es ist magischer Klang. Poesie malt nicht: Poesie gibt einen Eindruck. Sie wählt instinktiv die Wortklänge, die in ihrer Verbindung den gewünschten Eindruck geben. Bald wählt sie die Worte nach dem sonoren oder leichten Klang, bald unterstreicht sie die Anschauung, bald fordert sie unsere Gesinnungs- oder Gemütskräfte heraus; je nach der künstlerischen Absicht oder dem dichterischen Drang.

Der Bewußtheit und dem Willen entzieht sich die Poesie. Die Muse ist eine zu vornehme Herrin; Poesie ist Gnade. Zwar kann Schriftstellerei (Roman und Feuilleton) dichterische Elemente enthalten, teils in der Stimmung des Ganzen, teils in gehobenen Einzelheiten. Aber jene Poesie, die nicht mit Wissenschaft, d. h. Verstand benachbart, sondern der religiösen Stimmung verschwistert ist, die durch die Welt geht wie durch ein anzustaunendes Märchen, die mit der Gottheit ebenso spricht wie mit dem Nachtwind oder dem Stein am Wege: jene eigentliche und reine Poesie flutet, wie durch einen Wolkenriß, aus dem Ewigen herein. Solche Poesie ist etwas Transzendentes; sie gibt Kunde von einer Welt, die der gewöhnlichen Erkenntnisweise übergeordnet ist.

Verstand und Skeptizismus sind daher ihre Büttel und Mörder. Und Literatur, die mit Skeptizismus und Kritik durchfeucht ist, bedeutet eine Verfinsterung der Poesie. Denn Poesie öffnet sich nur dem Gläubigen, d. h. der herzlichen Unbefangenheit, der offenen Seele.

So leuchtet Poesie in unsre Verstandestätigkeiten herunter wie eine Fata Morgana: wie eine wohlbekannte, Heimweh weckende und doch unzugängliche Himmelslandschaft. Es ist unmöglich zu sagen, was Poesie »ist«; kaum können wir andeuten, wie sie wirkt. Es ist vielleicht Geisterbesuch. Dieses Bild, wenn es ein Bild ist, sei meine letzte Erklärung.

*

Stil

Wir haben es bis zur Geschmacklosigkeit wiederholt: le style c'est l'homme, der Stil ist Ausdrucksform eines Menscheninnern. Sich aber wesentlich mit den Stilgesetzen an und für sich zu beschäftigen statt mit dem ganzen Menschen, der sich im Stil offenbart, ist Kennzeichen einer Verfallszeit.

Denn starke Zeiten und Menschen sind so gefüllt mit innerem Leben, mit Vorstellungen, Bildern, Gedanken, daß sie gar nicht den Blick finden, sich derart von außen das Gehäuse der Poesie zu betrachten. Sie schauen durch den Mantel hindurch die Gottheit. Sie sind so voll und froh vom Besuche des Gottes, daß sie nachher gar nicht mehr zu sagen wissen, wie er im einzelnen gekleidet war. Der Nüchterne weiß es zu sagen.

Kunst und Poesie sind zweierlei Dinge, die sich nicht immer decken. Kunst ist Besonnenheit, Poesie ist Drang; Kunst ist feste Form, Poesie ist flüssiges Feuer; Kunst ist der Erdleib, die vom schöpferischen Geistleib der Poesie geschaffen wird.

Stirbt nun eine schöpferische Zeit oder ein feueratmend Genie, so lassen sie ihre Formen zurück; die irdische Entwicklung geht über die Hülsen (Sprache, Metrum, zeitbedingte Vergleiche) hinüber; ein Teil der Literatur beschäftigt sich nun mit diesem Museum voll Formen: – der geringere Teil sucht den Geist, das Jenseits der Formen.

In diesem Falle befinden wir uns in diesen Blättern. Es widerstrebt mir, nun auch noch vom »neuen Stil« zu reden, wie es bereits unsere Zeitgenossen übermäßig tun. Denn ich hungre nicht nach Stilkünsten des ewig wechselfrohen und reizbedürftigen Literatentums, sondern nach dem ewig Gleichen, das über den Formen steht.

Überall in den modernen Formen sind Poesieteile, in Hauptmann wie in Hoffmannsthal, in unseren Romanen wie in unseren Bühnenstücken. Wir kommen aber nicht in bedeutende Offenbarungen hinein, weil sich etwas, was ich fast »religiösen Hunger« nennen möchte, in dieser Literatur des Skeptizismus nicht mächtig emporzurecken wagt: der Hunger nach dem Genie. Nicht nach »dem neuen Stil«, sondern nach einem bedeutenden Verhältnis zwischen Mensch und Gottheit.

Das besaßen unsere Klassiker, das besaßen Kant und Friedrich. Und daraus ergab sich ihr Stil. Dieser Stil war nicht anschauungslüstern, wie der Stil des modernen Materialismus, sondern geistesstark. Geist ohne Materie ist nicht denkbar, das wußte Goethe genau: aber er und seine Gefährten waren auch durchdrungen vom Primat des Geistes, vom innigen Wechselverhältnis zwischen Natur und Gottheit, zwischen heiligender Sammlung in der Stille (»weiser Beschränkung«) und mannigfaltigem Spiel des Lebens.

So erhielt ihr Stil Seele und Tiefe. Sie erstrebten Harmonie in ihrer Bildung und erstrebten Harmonie im Stil. Nervig, knapp, energisch war der Stil des Königs; geistesscharf der Stil des unerbittlichen Kant; stolz und heiß Schillers dramatisch belebter Stil; weit und fein und warm Goethes Weltbeseelung.

Man darf daher die Meinung aussprechen, daß eine Beschäftigung mit dem Wesen großer Männer und eine entsprechende, an den Stolz appellierende, tapfere Selbsterziehung jetzt wichtiger sind als diese entnervende Beschäftigung mit den Formen der Kunst und den Gesetzen des Stils.


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