Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Dorfschmied

In später Mondnacht schritt ich durch ein wasserdurchrauschtes Gebirgstal, als in mein Träumen ein fremder Ton drang. Hart scholl das wie ein Arbeitstag – und doch verklärt von der mildernden Stille der großen Nacht, in deren weiter Halle der ernste Ton melodisch verklang.

Es war das Hämmern einer Schmiede. Nur von Zeit zu Zeit, wie lauschend, schwieg der nächtliche Glöckner, und die Mainacht um mich herum atmete allein weiter.

Als ich um eine Ecke der Landstraße bog, sah ich in hellem Feuerschein die Schmiede vor mir stehen. Und näher tretend sah ich auch den Schmied.

Mitten in einem Funkenregen stand der Mann. Die Linke mit der Zange hielt das glühende Eisen gefaßt, und Schlag auf Schlag fuhr aus der kräftigen Rechten auf den dröhnenden Amboß. Ein herzstählendes Bild! Groß und breit stand er, mit hoher, kahler Stirn, das männliche Antlitz durch buschige Brauen und einen kurzen Schnurrbart verfinstert. Den Hals nackt, die Hemdärmel bis unter die Schultern zurückgestülpt, das Schurzfell umgehängt – so steht er heute noch vor meiner Seele: ein Mann, der seine Pflicht tut!

»Grüß' Gott, Meister Schmied!« rief ich frohgemut, »noch so spät an der Arbeit?«

Mein Mann sah auf, brummte einen »Guten Abend« und fuhr dann gleichmütig fort, aus seinem roten Eisen Funken herauszuhämmern.

Der macht nicht viel Worte, dachte ich und setzte mich auf einen leeren Amboß. Einem Schmiede mag ich gern zuschauen. Es ist ein urdeutsches, kräftiges Handwerk, das Schmiedehandwerk. War's nicht in einem Zweige meiner Familie Erbsitte, daß der Älteste Schmied wurde? Ich wäre wohl auch an die Reihe gekommen, aber – – nun, grüß' dich Gott, Waldschmied!

Der Meister tat noch ein halb Dutzend Schläge, steckte dann das Eisen in die Esse und setzte den Blasebalg in Bewegung. Dann drehte er sich nach mir um. »Woher des Wegs?« fragte er und besah mich gelassen.

Ich gab ihm Bescheid.

»Hm, da habt Ihr einen redlichen Marsch hinter Euch«, meinte er. »Aber schön ist's dort oben. Und wo soll's noch hingehen heute abend, wenn man fragen darf?«

»Ins Nachtquartier, denk' ich. Ist kein Dorf in der Nähe?«

»Freilich, da hinter der Schmiede. Aber übernachten könnt Ihr in den paar Häusern nicht. Eine Bierschenke haben wir ja, aber ein Bett findet Ihr da schwerlich. Ins Städtchen ist's eine halbe Stunde.«

Und ruhig, als ob er allein in seiner Werkstatt wäre, nahm er sein Eisen aus der Esse und setzte sein Hämmern fort.

»Sagt mir, Meister,« fuhr ich nach einer besinnlichen Weile fort, »wie kommt's, daß Eure Schmiede abseits vorm Dorfe steht? Gab's keinen Platz drinnen?«

»Meine Frau kann den Lärm nicht vertragen«, war die Antwort.

»Oho!« rief ich, »ich dachte bisher, nur die Städter wären nervenkrank! Fängt das jetzt auch bei euch an?«

»Sie ist seit fünfzehn Jahren siech«, sagte der Mann am Amboß.

»Ach so«, machte ich und schwieg. Eine Pause entstand. Ein Nachtfalter surrte. Der Schmied hämmerte, und ich besah mir diesen ernsten Mann mit einer plötzlichen Ehrfurcht.

»Habt Ihr Kinder?« forschte ich weiter.

»Ein Mädchen.«

»Erwachsen, so daß es seine Mutter pflegen kann?«

»Das Ännchen ist just so viel Jahre alt, als seine Mutter krank liegt. Bei seiner Geburt fing's mit ihr an. – Was das Pflegen anbelangt,« fuhr er fort und warf das fertige Eisen in den auszischenden Wassertrog, »so ist das so 'ne Sache. Das Mädel ist von seiner Geburt an lahm. Es geht an Krücken.«

»Alle Wetter!« entfuhr mir, »da seid Ihr schön dran!«

»Hat mir schon mancher gesagt«, bemerkte er ruhig, scharrte die Asche über das Feuer und fing an, sich die Hände zu waschen. Ich auf meinem Amboß schwieg, stützte das Kinn in die Hand und sah sehr ernst dem wortkargen Manne zu.

Als er fertig war, nahm er einen Schluck aus einer Kanne und langte sich von einem Nagel die Pfeife herunter.

»Woher sind Sie eigentlich, wenn's erlaubt ist zu fragen?« fing er an, während er gemächlich die Pfeife stopfte.

Ich nannte ihm meine süddeutsche Heimat, fügte aber hinzu, daß ich aus Berlin käme, und erzählte, welche längere Wanderung hinter mir lag.

»Nun, da haben Sie ein schön Stückchen deutscher Erde gesehen«, meinte er. »Ich war auch so, als ich unverheiratet war. Immer fort, immer weiter! Mein Vater wollte mich studieren lassen, na, da brannte ich durch. Aufs Schiff wollt' ich auch, da war's mir aber zu streng. Dann kam der Krieg mit Frankreich, den hab' ich mitgemacht. Hernach nahm ich meines Vaters Handwerk wieder auf, die Schmiederei, und trieb mich noch ein paar Jahre als Geselle herum. Und immer lustig, immer voll Lieder, als echter Gebirgler, natürlich. Und wenn's eine Rauferei gab, auch nicht der Letzte. Freilich, auch manches nützliche Buch habe ich nebenbei gelesen. Da hab' ich meine Frau kennen gelernt, und mit dem Zigeunern war's aus. Ich sage nur eins: Wenn einer eine so glückliche Zeit erlebt hat, wie wir zwei in unsrem Brautjahr und im ersten Jahr unsrer Ehe, dann soll er mit seinem Herrgott zufrieden sein, und wenn's ihm nachher noch so hart ergeht. Im zweiten Jahre kam das Ännchen zur Welt, und seitdem liegt meine Frau siech, und das Mädel ist lahm. Fünfzehn Jahre.«

Ich muß gestehen: mich auf meinem Amboß überkam diesem schlichten, festen Manne gegenüber, dem das Geschick so schwer mitgespielt hatte, ein Gefühl der Beschämung.

Als wir langsam, unter ruhigen Gesprächen über dies und das, durch die warme Mainacht dem Dörfchen zuschritten, veranlaßte ich den Schmied, noch einmal auf sein Geschick zurückzukommen.

»Es verdient Achtung,« sprach ich, »daß ein frischer Mann wie Ihr das so ruhig und ohne Verbitterung aushält. Ich kannte Leute, die sich in ähnlichen schweren Verhältnissen dem Trunk ergaben oder sonstwie schlecht wurden. Bei uns zu Hause war sogar einer, der ließ Weib und Kind im Elend sitzen und brannte über Nacht nach Amerika durch.«

»Das muß ja ein erzliederlicher Schuft sein, der so was tut!« erwiderte der Schmied. »Und wenn's bei euch dort oben einer getan, so will ich hoffen, daß ihr nicht viel von der Sorte im Lande habt. Ich tue hier meine Pflicht, wie nun einmal unser Herrgott will. Ob's nun fünfzehn Jahre mit meinen Zweien zu Hause so fortgeht oder dreißig. Und ich bin mit meinem Herrgott zufrieden, das ist die Hauptsache, denk' ich. Und meine Anna und mein Ännchen auch.«

»Trotz alledem?« fragte ich.

»Trotz alledem«, sagte er ruhig.

Dann fing er an, da es ihm offenbar peinlich war, daß nur von ihm und seinen Verhältnissen gesprochen wurde, ein Reden an über landwirtschaftliche Dinge. Und wir waren bald in ein Gespräch verwickelt, das die Zeit bis zum Kreuzweg reichlich ausfüllte.

Mit einem herzlichen Händedruck und einem ruhigen »Glückliche Reise« verließ mich der ernste Mann.


 << zurück