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Tauler und der Einsiedler

Dieses Gespräch entstand vor einigen Jahren (nach 1900), unabhängig von Steins tiefgründigem »Tauler und der Waldenser«, als Nachhall einer Beschäftigung mit dem bedeutenden Elsässer Tauler, dem bekannten Mystiker und Herzenschristen († 1361). L.

Der Dominikaner Dr. Johannes Tauler, berühmter Kanzelredner zu Straßburg, steht an seinem Pult und liest. Die Lampe beleuchtet sein hageres Gesicht; es ist spät in der Nacht. Der Einsiedler tritt ein, weißbärtig und würdigen Ansehens, und bleibt hochaufgerichtet im Schatten an der Tür stehen.

* * *

Tauler: Wer bist du? – Man darf mich zwar zu jeder Stunde des Tages und der Nacht besuchen, – aber wie du da hereintrittst, lautlos, unfern von Mitternacht ... Ich sollte fragen: Suchest du meinen Rat? Doch dein Alter und Aussehen verbieten mir solche Frage. So will ich also fragen: Hast du mir etwas zu bringen, mein Bruder?

Der Einsiedler: Ich habe dir ein Wort zu sagen, Bruder Tauler.

Tauler: In wessen Namen?

Der Einsiedler: Der Geist gebietet mir.

Tauler: Wer bist du, würdiger Greis?

Der Einsiedler: Du siehst es: ein Mensch. Nichts weiter.

Tauler: Was ist dein Amt und Beruf?

Der Einsiedler: Ich habe nicht Amt noch Beruf.

Tauler: Was ist alsdann dein Tun und Lassen?

Der Einsiedler: Ich lebe bei den Gewächsen des Waldes, und ich lebe wie die Gewächse. Ich gehe nicht unter den Menschen einher mit Forderungen, wie du es tust, mein Bruder! Ich atme und lebe und werde sterben wie die Birken, unter denen meine Hütte steht.

Tauler: So bist du ein Klausner und Einsiedler, wenn ich dein Gewand recht deute?

Der Einsiedler: Ich trage dies Gewand, damit mich die Menschen meiner Einsamkeit überlassen. Ich baue meinen kargen Acker, lese wenige Bücher und schreibe dies und das auf Pergament. Denn manches rauscht durch den Wald, was mir des Aufschreibens wert scheint.

Tauler: Seltsam ... Und laß dich ein Letztes fragen: Befolgst du die Regeln eines Ordens?

Der Einsiedler: Ich tue das. Denn man soll kein Ärgernis geben. Doch hab' ich erkannt, daß kein Büßergewand die Seele ändert. Manche meiner ehemaligen Gefährten jagten die Triebe mit Geißelschlägen ins Innere zurück. Oder ihre Geißel war ihnen ein Aderlaß: in Blutstropfen fiel etliche Bosheit zur Erde, aber auch viele Kraft. Der Mensch ist dann geschwächten Leibes, und seine Schwäche nennt er Tugend. Darum habe ich mich auch von den Büßern zurückgezogen.

Tauler: Du greifst an die Säulen unsres Baues, Fremdling! Willst du edle Zucht und Strenge wider den unbändigen Leib mürrisch verwerfen, weil du selbst vielleicht auf solchem Wege Reinheit nicht errungen hast?

Der Einsiedler: Wer erringt Reinheit, dem Gott sie nicht schenkt? – Ihr hochmütigen Schwächlinge, die ihr nicht die Kraft habt, euch beschenken zu lassen! Denn sich beschenken zu lassen von Gott, erfordert Kraft; wisse das! Und einfachen Herzens sein ist das Schwerste – und will eurer Theologie und Philosophie zuallerletzt in den Kopf. Darum könnt ihr nicht beten, denn ihr könnt nicht danken. Wer aber weiß, daß er sein Reinstes nicht sich selbst verdankt, sondern vielmehr der Gnade, dessen Leben ist ein Dankgebet, dessen Angesicht ist ein Leuchten, dessen Worte sind Wohltat. Und wem er die Hand gibt, der empfindet eine Kraft von Gott ... Und so sage ich dir, ich habe dir ein Wort zu bringen, Bruder Tauler! Das Wort, das du lernen mußt, heißt Stillesein.

Tauler: O, wie du in mein Herz schaust, lieber Greis! Ich verzehre mich im rastlosen Dienste des Herrn. Ich schwinge die Geißel über mich und andere. Ich steige aus den Fiebern des Fastens und Denkens zur Kanzel empor und schleudre Glut in diese starrköpfige Menge. Aber muß ich denn nicht? Ist es denn nicht mein Amt und Beruf und göttliche Sendung? Ist nicht das Wort mein Werkzeug und Waffe?

Der Einsiedler: Du redest zu viel vom Sonntag, Tauler, aber du bist nicht Sonntag! Du nicht und nicht dies ganze pestgepeinigte, in heillosen Hader verstrickte Zeitalter. Du jagst deinen Geist ins Sonnenlicht empor, du fiebernder Rosselenker, – aber du bist nicht oben! Aus deinen rauschenden Worten hör' ich ein heimlich Weinen. Und der Geist zeigt dich mir, wie du hernach erschöpft in deiner Zelle liegst. Darum trachte, daß dein Alltag genau so sei wie dein Sonntag; dämpfe den Glockenschlag des Sonntags, mache straffer den Alltag! Siehe, so nähern sich beide, so begegnen sie einander und fließen herrlich zusammen! Denn dem Erleuchteten ist jeder Tag Sonntag und Werktag zugleich; und er bedarf nicht der Kanzel, um von Gott zu zeugen; denn jeder Ort ist heilig, wo ein dankend Herz laut oder insgeheim vom Ewigen Zeugnis ablegt.

Tauler: O Greis, Greis, wie du meines Herzens Qual und Sehnsucht deutest! ... Aber Lasten von Arbeit erdrücken mich. Widerstände dieser garstigen Herzen verstatten mir keine Freudigkeit!

Der Einsiedler: Schilt nicht diese armen Herzen, mein reicher Bruder! Du sollst die kleinen Lasten abwerfen, soweit sie dein Göttliches schädigen; mit Umsicht und mit Festigkeit. Denn du bist wie ein Sammler von Unnützlichkeiten, der sein Haus zu einer Trödlerbude entstellt: du hast überflüssige Sorgen gesammelt. Du wirfst deine Sorgen zu wenig auf den Herrn. Eins ist not: daß du eine Kraft seiest aus der Höhe! Schüttle ab, Tauler! Sorge ist Sünde! ...

Auch sollst du dies müde, irrende Volk nicht schelten. Halt ihnen gut und groß die Hand hin, – und wer da kommt, den führe mit sanfter Gewalt zu den Stätten der Wahrheit! Nicht im Sturmwind offenbarte sich Gott dem Elias, sondern im stillgewaltig wehenden Hauch unwiderstehlicher Liebe. Du hast deine Natur noch nicht gefunden, mein Freund! Mann der Kanzel, werde ein Mann der Stille! So wird eine innige Kraft von dir ausgehen, die dies kranke Jahrhundert mit Segen durchleuchtet ...

Und nun lebe wohl! Ich wohne in den Wäldern des Münstertales in einer Hütte; die Menschen nennen mich Nikolaus von Basel ... Mein Bruder, von heut' über ein Jahr wird eine schwere Anfechtung über dich kommen. Ich erwarte dich dann zu einer langen Stille in meinen Wäldern. Gott erleuchte dich! – Lebe wohl!

* * *

Als Johannes Tauler nach zweijähriger Stille zum ersten Male wieder predigte, ging eine so innige Kraft von seinen Worten aus, daß Leute ohnmächtig wurden. Er predigte über Matth. 25, 6: »Siehe, der Bräutigam kommt! Gehet aus, ihm entgegen!«


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