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Der Pandurenstein

Zwischen Burgtrümmern, an denen armdicker Efeu entlang lief, stand die Meierei. Drei Sandsteinfelsen überragten die Trümmer; zwei davon lagerten hinter den Gebäuden, gewaltige Klötze, umwachsen und unbesteigbar; der dritte trotzte mit erhabener Majestät am vorderen Berghang über der Ebene, turmhoch und umfangreich, besteigbar nur durch eine schlanke, mehrfach zusammengebundene Leiter.

Der Hof zwischen diesen Felstürmen war traulich und windstill. Viel Wald wuchs über den Berg; der rieb in Sturmnächten sein hartes Astwerk draußen an den Rundmauern. Durch zerfallende Schießscharten heulte der Wind. Aber an sonnenstillen Nachmittagen waren Burg und Berg wie entzaubert: warmer Duft stieg aus wilden Blumen, Falter suchten den stillen Sonnenschein des umblühten Hofes, Glockenklänge der Tiefe schwammen im rosigen, ruhigen Mittagslicht. Die Sturmdämonen aber schliefen in verfallenen Kellern.

* * *

Der junge Hirt, der die Schafe dieser Meierei bewachte, lag auf einer entfernten Waldwiese, neben sich den Hund, vor sich die gemächlich weidende Herde. Der sechzehnjährige Bursche starrte stumm in die Sommertagsglut, den struppigen Kopf in die Hand gestützt, die Mütze aus Hasenfell bei aller Hitze fest auf dem Kopf, unbeweglich wie eine sich sonnende Eidechse.

Wunderlicher Glanz kam aus seinen Augen. Diese schwarzen Augen starrten in die Herde hinab und staunten doch in eine unsichtbare Ferne.

Vor reichlich drei Stunden war die jüngste Magd des Pachthofes vorübergegangen mit anderem Jungvolk des Hofes, heiter wie immer, ein neckisch Wort allezeit auf der Zunge. Hans, der Hirte, hatte sein Lebtag kein so wunderbares Geschöpf gesehen. Ihre Augen waren enzianblau, ganz stark blau, und das Wunderliche dabei war, daß die Magd braune Haare hatte, glänzend braun wie eben aus der Schale gesprungene Kastanien, ziemlich widerspenstige Haare, die sich um die Stirn herum immer kräuselten und die in langen Wimpern und buschigen Brauen um diese fast unheimlich schwarzblauen Augen einen Kranz zogen. Zudem hatte Elsbeth ein so herzig zigeunerbraunes Gesicht, einen so feinen roten Mund und schlenkerte so kraftvoll-fröhlich die nackten, starken, sonnverbrannten Arme, wenn sie in kurzem Rock über die Wiese schritt, die Zöpfe unten zusammengebunden, das weiße Tuch gegen die Sonnenhitze um den Kopf geschlungen! ... Sie war das Leben selber! Dies Mädchen war gefüllt bis obenan mit Sonnenschein und Lachen. Hans, der Hirte, wußte keine schönere Beschäftigung, als den ganzen Tag und immerfort und ewig an sie zu denken. Und so auch heute ...

Am Abend dieses Traumtages erspähte er Jung-Elsbeth beim Brunnen, am Fuß des vorderen Felsens, wie sie, eine zierliche Elfenkönigin im Schatten dieses Felskolosses, lächelnd-müde die heiße Stirn wischte, ehe sie die gefüllten Eimer aufnahm. Da sprang der sonst teilnahmlos herumlungernde Waldsohn ungelenk herbei. »Ich kann sie dir ja tragen«, sprach er fast unwirsch, packte die Eimer und trottete davon in der Richtung des Hauses. Elsbeth schlug vor Staunen über den ritterlichen Schäfersbuben die Hände zusammen und lachte laut; der Oberknecht erschien sofort in der Stalltüre und lachte noch verletzender. Der ganz bestürzte Hans ließ blutrot beide Eimer dröhnend zu Boden stoßen und war mit den Worten: »Wenn ihr lacht, alsdann –« in der Scheune verschwunden. Er konnte nicht den leisesten Spott ertragen.

Jene Nacht wurde für den plötzlich und sonderbar zum Leben erwachten Jungen qualvoll schwer. Der langaufgeschossene Hans war sonst kerngesund und lag gemeinhin so fest und stet wie sein Strohsack. Doch über Träume hat niemand Gewalt. Er stöhnte vielmals auf, er knirschte ingrimmig, so daß ihn sein Nachbar auf der Streu mit verdrießlichen Rippenstößen wachstieß. Elsbeth und der Oberknecht – das war's, da lag sein erster großer Schmerz! Diese beiden hielten's miteinander! Er hatte gesehen, wie sie sich zugenickt hatten, es fielen ihm andere ähnliche Vertraulichkeiten ein, und sein Nachbar hatte ihm, unter groben und verfänglichen Witzen, vor Schlafengehen erzählt, wie er die beiden einmal kosen gesehen hätte! Das war der Inhalt seiner furchtbaren Träume. Der mühsam im unverstandenen Leben umhertastende Waisenknabe verging fast in dieser Nacht vor seelischer Qual, vor stechenden und bohrenden Schmerzen in der Herzgegend. Der Arme, unter der Sturmgewalt der ersten Liebe und zugleich der grimmigsten Eifersucht bis ins Mark erschüttert, zog am nächsten Morgen mit seinen Tieren durch den leisen Regen, starrte dumpf in den feuchten, verhüllten, tropfenden Hochwald und wußte sich keinen Rat. »Ich glaub', ich hab' 's Fieber«, murmelte er immerzu und hatte dabei die Augen unbewußt voll Wasser.

Der Tag steigerte nur noch die nächtliche Qual. Er sah sich auf seiner verregneten Heide von aller Welt verlassen. Jeder Stiefeltritt und jeder Peitschenhieb, die er – und wie reichlich! – empfangen hatte, tat heute seine Narben auf und glühte aufs neue. Alle rohen und verächtlichen Schimpfworte, die über ihn herabgehagelt, drängten in wuchtigen Massen aufs neue heran. Er hatte ja keine Jugend gehabt; Aussichten auf ein menschenwürdiges Dasein boten sich erst recht nicht. Und da kam nun so ein lachend, so ein lieb-lustig Geschöpfchen, so ganz voll Frohlaune, so ganz von sich ausstrahlend alles, was schön und stark und leicht ist, alles, was gerade seiner Schwerfälligkeit fehlte – – und die liebte den Oberknecht!

Hans stand am rauhen, tropfenden Eichbaum, hatte den Kopf auf den angepreßten Arm gestützt und schluchzte zum Erbarmen. »Ich bin nur krank,« murmelte er aber immerzu, als er wieder aufschaute, »das kommt nur daher, weil ich krank bin ...«

Gegen Abend wurde das besser; etliche verlaufene Schafe machten ihm zu schaffen und jagten seine Gedanken und Beine umher. Große, wenn auch wirre Pläne erwachten dabei in diesem aufgestörten Menschenkind. »Ich lauf' heimlich fort! ... Ja freilich! ... Ich geh' in den Krieg! ... Preußen ist wohl weit, aber man bettelt sich halt durch ... oder ich geh' zu den wilden Panduren, die jetzt bös genug im Lande hausen! Wartet nur! Ich will's euch zeigen! Dann lacht mich nur aus!« Sein bestes Teil war in und mit dieser jähen und starken Liebe erwacht: und dies beste Teil hieß Tapferkeit Die im folgenden geschilderte Belagerung hat sich tatsächlich auf einem Burgfelsen der Ruine Hohbarr bei Zabern im Elsaß ereignet. L..

* * *

Es war im Jahre 1744. Die Panduren, unter dem österreichischen Oberst von der Trenk, flinke, nichtsnutzige Gesellen, die in ihrem Mantelsack alles mitgehen hießen, was ein Pferderücken tragen konnte, waren in jene Gegend eingebrochen. Zahlreiche Dorfbewohner flüchteten vor dem wüsten Volk in die tiefen Wälder oder in die feste Stadt, die am Fuße des Gebirges lag.

Die Bewohner der hohen und einsamen Meierei waren längst auf eine ähnliche Flucht vorbereitet. Sie hatten heute, sobald die üble Nachricht kam, auf eilends beladenen Wagen oder auf kräftigen Rücken Hab und Gut in die tiefsten Waldgründe weggeschleppt.

Als der vergessene junge Hirt am Abend nach Hause trieb, war der Pachthof leer.

Hans stand mit aufgerissenen Augen zwischen der blökenden Herde. Er schritt dumm und stumm, mit ratloser Verwunderung, durch die leeren Gemächer, trat dann wieder unter das große Steintor, das noch aus alter Burgzeit stand, hielt Ausschau, stieß zuletzt zornig in sein Waldhorn und lauschte – alles stumm. Zerrupftes Gewölk flog über die graue Ebene; der nasse Wald lag schwer und still. Aber aus zwei Ortschaften des Tales vernahm er Sturmläuten, kurzes, hastiges Aufschlagen mit dem Glockenhammer, als rief' die Glocke, die Seele des Dorfes, wimmernd um Hilfe. Bei Feuersbrünsten pflegte man so zu läuten; es hallt immer schauerlich genug durch die Nacht, wenn die Dörfer dergestalt einander um Hilfe rufen. Hans begriff mit einem Schlag: die Panduren im Land!

Und wieder setzte sich diese jähe Erkenntnis bei ihm in einen zornigen Entschluß um. Er fühlte sich seit gestern mit aller Welt auf dem Kriegsfuß. Es waren Mordsgeschichten von den Panduren in Umlauf, übertrieben natürlich, wie sich ja alles entstellt, was durch so viel unwissend Landvolk von fernher in den Wald hereinläuft. Und da man seit mehreren Tagen viel von den Grausamkeiten dieses Kriegsvolks gesprochen hatte, so war die Phantasie gesättigt mit angstvollen Bildern. Und so liefen auch die Leute der Meierei irgendwohin in den Wald und achteten weiter nicht des Hirtenknaben – wie gewöhnlich. Ja, wie gewöhnlich! Blitzschnell schoß es ihm durch den Kopf. Und blitzschnell war ein trotziger Gedanke gefaßt. Nun war die Luft frei, nun war er Herr! Nun sollt ihr was erleben!

Erst aber die Herde! Er pfiff dem Hund: der jagte bellend im Bogen um das erstaunte Gewimmel, er selber schwang mit Hussa-Ruf die Schippe – und in trommelndem Trab ging's wieder zum Burgtor hinaus, wie ein Reitertrupp, fernab in den Wald, wo die Hürde stand. Dort schloß er die Tiere ein und jagte zurück.

Er kam sich wie ein Räuber und Abenteurer vor, als er nach raschem Lauf vorsichtig, mit geblähten Nüstern spähend und horchend, wieder ins Burgtor schlich, den gut gezogenen Hund mit leisem Zuruf hart neben sich haltend. Aber noch war alles still. Nur eine vergessene Ziege empfing ihn: sie stand mit schwerem Euter kläglich meckernd vor der Stalltür. Der Bursche besah wie ein Freiherr das neu gestrichene, nun der Plünderung überlassene Haus. Er stand und schaute zu Elsbeths Kammerfenster empor; dort leuchteten noch die Geranienstöcke. Er sprang die Treppe hinan, ging aber immer langsamer, je näher er kam – und mit zitternder Scheu, als wäre Lebendiges dahinter, öffnete er die nur angelehnte Tür der Mägdekammer. Eine Kleiderkiste klaffte weit, die Bettgestelle standen leer – und nur mitten in der Stube lag eine vergessene Haube mit breiten, schwarzen Schleifen, wie sie die Mädchen dort Sonntags zu tragen pflegen. Sie mußte Elsbeth gehören, die hatte so ganz besonders stattliche Bänder an ihrer Haube, als wär' sie eine reiche Bauerntochter. Er starrte hin, er hob sie endlich auf, rasch atmend vor Erregung, ließ sie aber wieder fallen und ging hinaus, die Tür hinter sich zuschmetternd. Er knirschte bei dem Gedanken, wie sie's jetzt in der Einsamkeit erst recht mit dem Oberknecht treiben werde ... Unten stolperte er über einen hölzernen Gegenstand: es war seine Armbrust. Rasch, von zornigen Gedanken geleitet, riß er sie empor, sprang in seinen Scheunenverschlag hinüber, griff einen Rucksack voll scharfer Bolzen und eilte, immerzu vom Hund und nun auch von der Ziege gefolgt, über den Hof an den vorderen Felsen.

Auf schmaler Leiter, schwankend und keuchend, trug er erst den Hund, dann die Ziege empor auf den gras- und buschbewachsenen, geräumigen Felsen, zog dann mit ungeheurer Anstrengung die Leiter nach – und endlich, schon tief in stockfinsterer Nacht, wickelte sich der tapfere Junge in seinen uralten, zerrissenen Soldatenmantel, den ihm der alte Schäfer vererbt hatte, und schlief todmüde sofort ein. »Klettert mir nach, ihr Herren!« ... Das war der triumphierende Gedanke, der diesen Tag beschloß und in seine Träume nachklang.

* * *

Im Morgengrauen kamen die Panduren. Sie ritten einzeln und truppweise, mit gespannten Schußwaffen, den Säbel zwischen den Zähnen.

Aber sie fanden einen ausgeruhten Feind. Hans, der Hirtenjunge von siebzehn Jahren, war mit einem Kernbehagen und Selbstgefühl erwacht, wie es ihn noch nie durchströmt hatte. Die Leiter war heraufgezogen – auch von seinem ganzen bisherigen Leben. Er war König in einem neuen Bergland, in dem die Tat galt, nicht dumpfes Dulden. Hund und Geiß, Wildgras, Himbeeren, wilder Holunder mit seinen roten Beerenklümpchen, ein Birkenbäumchen und etliche graue Zikaden, die beim schwirrenden Flug rot aufleuchteten – dies alles und sonst noch allerlei harmlos kleines Getier war ihm untertan. Und die Wolken, die freien, hohen Wolken waren ihm so herzlich nahe, daß man sich fast hinaufschwingen und mit ihnen über Land reiten konnte. Die da unten aber – konnten ihm nichts anhaben! Die Ziege gab Milch, der Hund wachte, und Steine genug nebst Armbrust waren Verteidigungswaffen.

Als nun aber Hans das Kriegsvolk sah, wie sie klirrend ins Burgtor ritten, als er hörte, wie immer neues Pferdegetrappel und Pferdegewieher den Wald heraufscholl – da sank ihm das Herz in die Schuhe. Er war wieder der kleine, dumme Bauernjunge; er duckte sich mit pochendem Herzen hinter die niedere Rundmauer und hielt dem erregten Hund die Schnauze zu. Die Armbrust legte er wieder ins Gras; seine Hand zitterte so stark, daß er sie nicht zu halten vermochte.

Die zottigen Schnurrbartmänner fluchten zunächst im Burghof das verlassene Haus an. Einer schoß eine Pistole ab: das dröhnte derart zwischen Fels und Mauern, daß Hans noch tiefer ins Gras sank, keuchend vor Aufregung und überzeugt, daß ihn das wilde Volk entdeckt hätte. Bald aber belehrte ihn Gepolter und Gelächter, daß unten im Hause geplündert und zerstört wurde, mit jenem wüsten Mutwillen, der damals diese Truppe verunehrte. Türen wurden mit Äxten eingeschlagen, Geschirr zerkrachte, Fensterscheiben splitterten und hagelten kristallhell nieder – jetzt flogen die Blumentöpfe aus dem Fenster, das schloß er aus dem dumpfen Krachen – – und da fiel ihm ein: jetzt sind sie in Elsbeths Kammer! Ein Brüllen und Fluchen der bärbeißigen Gesellen war unten schon längst die häßliche Begleitung dieser Plünderung: nun vollends erscholl wieherndes Gelächter. Der längst ergrimmte und zornig beschämte Hans, der sich auf seiner Festung so wenig bemerkbar machte, erhob sich sacht und spähte hinab. Sein erster Blick traf das hohe Dachfensterchen der Jungmagd Elsbeth: die Blumen waren fort, die Fensterflügel zertrümmert – statt dessen schaute ein fratzenschneidend Pandurengesicht aus der Fensteröffnung in den Hof und hatte über den Tschako Elsbeths Haube gestülpt!

Das gab den Ausschlag! Mit einem Ruck war Hans auf den Beinen, schlug unbewußt die Hasenmütze fest, wie wenn er raufen wollte, und schrie zornrot über die Brüstung hinunter: »Lumpenkerl! Lumpenkerl, du elender! Willst du das gleich liegen lassen?!« Der längst vor Empörung zitternde und wimmernde Hund sprang zugleich auf und bellte mit vorgestemmten Beinen wie rasend in die Tiefe. Hans aber packte die Armbrust – und drüben flog ein Tschako vom Kopf! Und Steine her! Wie ein Berserker, rasend vor Zorn und Aufregung, beschämt, daß er sich so lange geduckt hatte, griff der empörte Junge zu, schwang, warf – dröhnend flogen die harten Geschosse in den Hof. Er verteidigte Elsbeths Haube! Getroffene Pferde stampften und wieherten auf, Menschen tobten – es war unten im Nu eine tolle Panik! Alles wähnte, der Fels wäre besetzt. Trompetensignale, Kommando – und mit wirrem Getöse, halb im Sattel hängend, rasselte der verstörte Trupp durchs Burgtor hinaus in den nahen Wald, unter sichere Wipfel und dicke Bäume. Hans aber warf – warf, daß ihm das Wams über der Brust zersprang, so dehnten sich die Muskeln, so flog sein Atem. Bis aus dem sicheren Wald rund herum Schüsse knatterten, von denen ihm einer die Mütze durchbohrte: da erst warf er sich der Länge nach ins Gras, zitternd von Kopf zu Fuß vor übermächtiger Erregung.

Tagsüber ergab sich nun ein seltsam Schauspiel: ein ganzer großer Pandurentroß belagerte einen einzigen Hirtenjungen. Aber wie ihm beikommen? Eine Zeitlang wurden Stangen gefällt; man wollte Leitern anfertigen; aber sie ließen die Stangen liegen, ritten ins Dorf hinab und kamen mit langen Leitern zurück. Die Leitern waren aber doch wohl zu kurz, und – selbst wenn man sie zusammenband: wer mochte sie in den Burghof tragen, wer ansetzen?

Am Nachmittag war der aussichtslose Kampf um den »Pandurenstein« zu Ende. Die Belagerer hatten in ihrem Zorne mehr Pulver vergeudet als in einem ganzen Gefecht und trabten gleichwohl beutelos davon. Signale riefen durch alle Dörfer der Ebene: überall beschleunigter Abmarsch! Es war Nachricht gekommen, daß der Preußenkönig in Böhmen eingerückt sei; das kaiserlich österreichische Kriegsvolk zog daher in Eilmärschen nach dem fernen Kriegsschauplatz. Der einzige Widerstand, den sie hierzulande gefunden hatten – ein Hirtenjunge hatte ihn gewagt, ergrimmt von Eifersucht, gerüttelt von erster Liebe.

* * *

Noch den ganzen Abend und die darauf folgende Nacht blieb der junge Held auf seinem hohen Stein. Regen zog wieder über den Wald her; Wolken umwogten den Fels; und die Blätter der Birken wisperten ängstlich die ganze Nacht. Er schlief kaum; zu sehr zitterte die Erregung nach.

Als er am folgenden Morgen schwankenden Schrittes zu den Heimgekehrten hinabgestiegen war, stand er wie träumend zwischen ihren vielen Fragen. Die zusammengeströmten Leute, die mit Entsetzen das viele Schießen vernommen hatten, mußten ihm mit List oder Ungestüm den Bericht über die Vorgänge ablocken. Sie ließen die durchlöcherte Mütze von Hand zu Hand wandern; sie zeigten einander auf den Steinen die Blutflecke von verwundeten Panduren; und im nahen Walde fand man gar ein verendetes Pferd.

Rasch redete sich die Sache herum und wurde gar noch kräftig übertrieben, wie das so zu gehen pflegt. Der Verteidiger der Burg war mit einem Schlag der berühmteste Mann der ganzen Gegend. Der benachbarte Graf, ein abenteuerlicher Hagestolz, der weit in der Welt herumzukommen pflegte, ließ den tapferen Jüngling vor sich kommen und bot ihm sofort eine Stelle in seinen unmittelbaren Diensten an, die jener dankbar annahm.

Hans ging am letzten Tage ernst, verwundert und wie betäubt durch die alten Räume. Er schaute die neugierigen Frager oft mit großen Augen an, als müßt' er sich ordentlich auf sein früheres Leben zurückbesinnen. Aber bei aller ruhigen Genugtuung war eine feine, tiefe Trauer in seinem stillen Wesen, die jedermann als etwas Fremdartiges spürte und achtete, die aber niemand zu deuten wußte.

Als er an der Küchentür von Elsbeth, die rasch ihre Hände an der Schürze wischte, Abschied nahm, war jenes Eigentümliche ganz besonders in seinem Blick und um seine leise zitternden Lippen. Er schaute das verlegene Mädchen lang und trübe an, wie aus einer weiten Ferne. Aber er sagte nur einige unverständliche Worte ...

Dann schritt er mit Bündel, Stock und getreuem Hund zum Burgtor hinaus, ohne sich noch einmal umzuschauen.


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