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Merlin Der Königsbarde

Voll anmutiger Gräser und Blumen stand die sommerwarme Waldlichtung. Und der in den anmutigen Gräsern und Blumen lag, war Merlin, der schottische Barde des Britenkönigs Arthur. Der Länge nach auf dem Rücken lag er zwischen spielenden Faltern und Sonnenlichtern. Das Gras überragte sein wetterbraun Gesicht; wie ein behaglicher Zaun schieden ihn die Halme von der Welt ab. Einige stolzere Rispen neigten sich in schlankem Bogen über die anderen und lächelten wohlwollend auf ihn herab. Kam dann der Sommerwind, so ging ein Nicken und Neigen durch die Versammlung. Die Rispen und Dolden grüßten sich, Herren und Damen reichten sich die Hände, schüttelten sich vor Lachen, erzählten sich mit Eifer über Falter, Bienen und Käfer seltsame Neuigkeiten, schlugen mit drolliger Verwunderung die Hände zusammen und gaben sich einer so niedlichen, kindlichen Freude hin, daß Merlin vor Vergnügen über die schlanke Gesellschaft mit dem Arm ausholte und einen ganzen Wisch von Stengeln küßte. Laut lachte er dann hinaus, wenn sie sich langsam und wie verdutzt wieder aufrichteten und die verwirrten Haare und Kleider zurechtstrichen. Aber das Echo, das sein Lachen im wildöden Hochwald wachrief, erschreckte den Barden. Er fuhr auf, er ließ den verfinsterten Blick über den Wiesengrund schweifen, er sank erst nach einem langen Rundblick beruhigt zu seinen Gesellen zurück.

Nach und nach entschlief der Mittagswind. Tiefstill lag der Sommertag über dem träumenden Erdbeergrund. Am sonnig dürren Hang zirpte eine Grille, Meisen stritten sich in einer Fichte, ein Fink schlug in einem lichtdurchfluteten Buchbaum, und aus den Wipfeln flöteten Mücken wie Sang aus alter Zeit. Manchmal machte der matte Lufthauch eine Anstrengung, hob sich empor und schleppte schläfrig eine Thymian-Duftwelle herüber. Aber er kam nur bis in den nahen Schlehdorn; dort schlief er wieder ein. Eine Hummel schwirrte in gradem Fluge vorüber und verlor sich in der Ferne; Bienen unterhielten den ganzen Tag im Heidekraut und am Thymianrain ein einschläferndes Geläut. Und Merlin lag inmitten der Sommertöne, in seliger Verzauberung, ein glückliches Kind geworden wie in den Frühlingstagen seines Daseins.

Jetzt unterbrach ein Ereignis das große Träumen. Da war ein tollkühnes Herrgottskäferchen, offenbar auch so ein Merlinchen, das von stolzer Warte seine Zeit beeinflussen wollte. Mit kecker Selbstverständlichkeit kletterte das Geschöpf an der höchsten Rispe empor, sah sich dann und wann um, hielt eine anfeuernde Volksrede. Aber niemand kletterte ihm nach. Nun, so stieg denn dies Hochwald-Genie unermüdlich einsam weiter, unermüdlich immer wieder innehaltend und unhörbare Reden richtend an die Unreifen.

Merlin war aufmerksam geworden; Merlin hielt sich die Hüften, um nicht von vornherein herauslachen zu müssen über den grünen Höhenwanderer; er strotzte von boshafter Erwartungsfreude. Und jetzt – jetzt – wieder kam eine Bande Sommerwind daher, die Halme beugten sich tief bei ihrem Vorüberziehen, und – der höhensüchtige Käfer lag auf Merlins Mund. Hohohoho! Der Hofsänger des Königs Arthur brüllte vor Lachen und pustete dabei den verunglückten Himmelskletterer in weitem Bogen in die blaue Luft. »Ha, Knirps du! Armseligster aller unreifen Wichte du! Was Merlin nicht gelungen, soll dir kurzsichtigem, anmaßendem, unnützem Zwerggeschöpfchen glücken?! Und wenn dir's gelänge, dann würde ich selbst dich herunterholen, ich selbst! Womit hast du mehr Glück verdient als ich? Wer auf Erden hat mehr Erfolg verdient als ich?! – wer war pflichttreu wie ich? wer betete nächtelang um seines Volkes Heil? wem ward so schandbar niederträchtig gelohnt wie mir?! – Schufte, Streberseelen, Verräter, Tröpfe, Dummköpfe! Dummköpfe, die aber immer recht haben, recht, recht, die einen Berg von Blödsinn und Gründen über dich schütten, daß du erstickst, erstickst! – Ha! Hoiho! Ha! Hoihohoh!!«

Der Sänger war aufgesprungen, er wußte nicht mehr, was er tat. Sein Anfall übermannte ihn wieder. Er nahm sein Schwert: und wie ein norwegischer Berserker hieb er um sich, schimpfend, tolle Schlachtrufe hinausbrüllend, die Luft bearbeitend wie ein Kämpfer das feindliche Heer. Sein Hund unter der nahen Buche sprang auf; sein zahmer Rabe, der auf einem Aste sein Gefieder putzte, machte Anstalt, seinem Herrn wider einen unsichtbaren Feind zu Hilfe zu fliegen. Aber schon war der Anfall vorüber. Keuchend ließ sich Merlin auf den Boden fallen, und mit den Händen die pochenden Schläfen fassend, starrte er ins zerstampfte Gras.

* * *

Das war Merlin, einst Lieblingsbarde des Britenkönigs Arthur. Alle Jugendgenossen hatten ihn geliebt am fröhlichen Hofe des britannischen Königs; und die Frauen – wie viele Augen schmachteten den lockigen Braunkopf an! Ha, das war ein anderes Lager, in den Gewändern einer berauschten Edeldame zu liegen, als hier im öden Waldgras! Kein Gelage war, das nicht durch Merlins Frohsinn heller leuchtete; wo der Sänger auftrat, sproßte Freude aus allen Herzen und Lachen aus allen Lippen, und wenn er die Harfe schlug, so schwieg die Natur vor Entzücken über ihren Liebling.

Aber das war nur die hellere Hälfte seines Daseins. Am Morgen nach solchen Nächten trat ein anderer bleichen Gesichts aus dem Metdunst der Königshalle. Draußen rauchten die schottischen Täler, und die Heide stand in Funken. Und durch das Funkenmeer schritt der blasse Sänger, schweigend und finster in aller Lichtpracht. Den Kopf hielt er gesenkt, das Auge nach innen gerichtet. Die Zeit, die schwere, dumpfe Zeit, in der er lebte, die fürchterliche Zeit!

Überhart fiel ihm das aufs Gewissen. Es war um die Mitte des fünften Jahrhunderts; Sommer für Sommer schwammen die Raubscharen der Sachsen von Jütland herüber. Die Götter begünstigten sie. Jeder Pottwal, der sich in das Nordmeer verirrte, oder der gefürchtete Schwertfisch konnten ganze Reihen dieser schwächlichen Fahrzeuge vernichten, eine Sturzwelle konnte die tollkühnen Eroberer zu Hunderten ertränken. Aber immer wieder tauchten ihre langen Linien am Horizont auf, schon aus der Ferne von britannischen Strandwächtern mit Schrecken bemerkt. Und wo sie landeten, wuchs Tod oder Knechtschaft. Freilich war Arthurs Reich bisher verschont geblieben; aber zweimal schon hatte der formfeine Keltenkönig Gesandtschaften der kraftprahlenden Germanen mit Geschenken abfertigen müssen. Und jeder nächste Sommer konnte die Wikingerflut zu völliger Überschwemmung des Arthurlandes aus dem Nordmeer werfen.

In solcher Sterbezeit lebte Merlin. In solcher Sterbezeit sollte ein Sänger wirken! Es ging über die Kraft. Ja, hätte man dem Kampf mit Freuden entgegengesehen – o, seine Harfe hätte mit Wucht rauhmännliche Kriegsgesänge begleitet! Aber sein Volk war in langem Frieden schlaff geworden. Sonst wohl fuhr der Kriegsruf wie ein Märzsturm durch die Nächte des Nordens, die Helden griffen mit Lachen zu ihren blanken bereiten Waffen, und an einem einzigen Tage brauste ein Meer um die Königsburg von den Mannen und ihren Häuptlingen und Lairds. Eine Festfeier war ihnen sonst der Krieg. Heute war das dahin. Verdrossen überlegten die Höflinge, wie man die lästigen Angelsachsen abseits halte. Die Staatsmänner standen im Rate obenan, die Krieger vergeudeten bei Met und Spiel und Weibern ihr Mark. Und der milde König – der milde König war ein Greis.

Das sah der Sänger, der tiefer schaute als alle Klüglinge des Tages, und sein Herz zitterte vor Wut und Wehe, seine Finger zuckten vor wildem Drang, mit Knütteln in solche Gesellschaft zu fahren. Aber – wo er auftrat: »Ei sieh, Merlin, der Sänger! Gruß dir, launiger Gesell!« Ein Fluch ging von ihm aus. Leichtsinn sproßte auf in allen Herzen statt heiterer Gesundheit; und in allen Ernst zauberte er wider Willen ein ruchlos Lachen. Zu herben Dingen schien ja kein Sänger geboren! Und faßte er mit zornigem Griff die Harfe und rief in die Königshalle wie Wogenrollen Zornlieder auf die Schwäche seines Volkes, so belobte man seine schönen Worte, und der kunstsinnige König ließ seinem Liebling den Goldbecher mit Goldwein füllen. Da übermannte stärkster Grimm des Sängers Seele. Er schändete seine Kunst durch spitze Pfeile wider schlecht beratende Höflinge; er pries die feindlichen Angeln und Sachsen; mehr Volkskraft ehre die Sachsen, fürwahr, als die schlaffen Britannier, deren Küsten mit Recht überflutet würden, deren Land mit Recht den Sachsen gebühre, denn nur der Starke habe ein Recht zu herrschen! »Ein Volk aber, so schlaff wie das britannische – unter die Sense mit ihm! überreif zur Mahd ist so sonnendürres Gras!« ... Hallo, der Aufruhr im Königssaal! Tagelang summte der aufgestörte Bienenkorb von nichts anderem als von Merlins Verräterlied, das er im Burgsaal vor des Königs Ohren gesungen. Und nach einer Woche klugen und genauen Verhandelns trat ein Herold aus der Burg und rief es dem Volk der Briten aus: »Des Landes verbannt ist des Königs Leibsänger, Hochverräter Merlin!«

Die Harfe auf dem Rücken, das Schwert an der Seite, den Goldhelm, ein Königsgeschenk, auf den Braunlocken, durch eine Spießgasse von Hohnreden oder schweigenden Verachtungsblicken schritt der Staatsmann, der einst Dichter war, aus Arthurs Burg. Es ging ein Wispern an den Fenstern der Frauengemächer, schöne Augen weinten sich heiß um ihn; der König selbst stand so düster, als ginge seinem Reiche Jugend und Sonne unter. Der finstere Sänger aber schritt ins Abendrot, ohne sich umzusehen, ohne Tränen oder Seufzer. Wohl war er der verwöhnte Liebling einer stolzen Burg, aber nicht das machte ihm den Abschied schwer. Mondhell stand die nahe Vernichtung des Volkes, das ihn nun vertrieb, vor seinem starren Auge; für sein kleines Weh fand er keine Tränen mehr. Wie viele Pflanzen verkümmern im Sc0hatten! Wohlan, Merlin, auch du verkümmerst nun im Walde von Kelidon.

* * *

Die Halme nickten, die Blumen flüsterten, ein Rauschen erwachte in den Hecken, der Wald von Kelidon war in Unruhe. Was war das? Merlin lag noch immer auf seiner Lichtung, die Harfe im Arm, deren träumende Akkorde ihn zuletzt in Schlaf gesungen. Fetzt schlug er langsam, groß, verwundert die Augen auf. Noch blaute da oben in Sommerklarheit der Nachmittagshimmel. Aber aus allen Bäumen, um ihn und über ihm, vom höchsten Wipfel bis tief herab aus die breiten Buchenäste, sah er Geisterchen, Unruhe in den Gesichtern, mit den Gebärden lebhafter Angst die Zweige rüttelnd, bemüht, den schlafenden Freund zu wecken. An den Hecken hinter ihm rauschte jählings das dürre Gras; ein Ginsterbusch wurde wütend geschüttelt und verstummte wieder; und die ganze Versammlung der Halme und Grasstengel um ihn her war wie eine Meerflut im Sturm. Verflogen war die Sommermusik der Wipfelkäfer, ein Ostwind hatte vom kaledonischen Walde Besitz genommen. Und nur ein schwerer Traum, der seinen Mittagsschlummer gequält, klang dem Halbwachen nach, vermischt mit fernen Nachklängen schwermütiger Harfenakkorde, unter deren Klageton er entschlummert war.

Merlin richtete sich auf. Es mußte etwas geschehen sein in weiter Ferne. Was will die Natur von mir? Sein mächtiger Wolfshund, der schlummernd unter einer Buche gelegen, trottete schweifwedelnd schwerfällig heran; sein Rabe ließ sich von einem unruhigen Aste neben ihn ins Gras nieder. Merlin, noch wirr von seinem Traume, der ihn wieder an den Königshof geführt hatte, starrte mit der müden Verwunderung des Erwachenden um sich, sah seine Tiere, seinen Helm, sein Schwert, seinen Bogen, betastete sein wildes Tierfell und sein unwirsch langes Bart- und Kopfhaar und wußte sich nur mit Mühe in der Wirklichkeit zurechtzufinden.

Da – was trug da der Ostwind? Hallo, das war ein Hornruf! Das war – das war der Ruf des britannischen Kriegshorns! Merlin schnellte empor. Und da wieder, aus weiter, weiter Ferne, wie wimmernd, wie wehklagend zitterte das den Wald herüber! Lebhafter schüttelten alle Geister, wildauf seufzten Hecken und Sträucher, der Halmwuchs riß sich fast vom Boden los. Der Verbannte saß aus den Knien, die eine Hand ins Gras gestützt, die andere an das vorgebeugte Ohr haltend, zitternd vor innerem Aufruhr, den ihm dieser ferne Klageruf entfacht hatte. Und jetzt – zum drittenmal! Kein Zweifel mehr! Auf, Merlin! Der Waldmensch sprang empor, laut mit sich selber redend, den Helm über die Haarflut stülpend, das Schwert gürtend – jetzt die Harfe auf den Rücken – Bogen und Köcher vom Ast – und, vom Hund umbellt und vom Raben umflattert, brach der Sohn des Waldes mit tierähnlicher Wildheit ins Dickicht, dem Rufe nach, gen Osten ...

* * *

Ja! Merlins geübtes Ohr hatte recht gehört. Am Rande des Waldes von Kelidon wurde eine große Schlacht geschlagen: die letzte Schlacht mit den Angelsachsen. Und rühmen muß man die Kelten: als Helden gingen sie unter. Immer wieder, mit sturmhaftem Kriegsgesang, brachen die schlanken Britannier in die Eberschilde und Eberhelme der festen Sachsen. Zu Fuß, zu Roß und auf leichten Streitwagen stäubten ihre Reihen an, voran ihre Häuptlinge, und allen Häuptlingen voran der weißbärtige König und sein Gefolge. Der Ostwind schnob ihnen entgegen, ihre Haare flatterten zurück, eine Tonfülle von Waffenlärm, Kriegsliedern und Hornstößen raffte der Wind zusammen und wehte diese große Musik, so lange nicht vernommen in Britannien, herrlich hin über den Wald von Kelidon. Aber ihr gälisch-feuriger Anprall fand Felsen, daran er wie Lust und Wasser zerstob. Schritt für Schritt, mit ihrem scharfen Halbschwerte, dem Sahs, sich Platz schaffend, wie bei einer ernsten Mahd, drangen die Jütländer in das unruhige Britanniergewimmel. Schon waren beide Flügel der Vernichtung nahe, und an einem Hügel nur, von drei Seiten von dem blonden Eroberervolke wie von einer Brandung umtost, staute sich das Vordringen der Sachsen. Dort stand König Arthur und sein Gefolge; zertrümmerte Streitwagen, Rosse, Menschen türmten sich dort zur Schanze. Und die dort oben standen, ja immer wieder mit wildem Feuer hinunterbrachen in die Übermacht der Sachsen, bluteten aus tausend Wunden. Kaum mehr konnte Der König, über und über rot von Blut, die Streitaxt heben: die Schande war nahe, daß ein großer Fürst in Feindesland fiel, das Reich war verloren, das Ende Britanniens war da – ha! Merlin, Merlin, wo bist du? Merlin, mein Liebling, wie hast du wahr geweissagt! Und halb dem Wahnsinn nahe vor Verzweiflung, setzte der wunde Mann das Hifthorn an, und dreimal gellte der Verzweiflungsschrei eines sterbenden Königs in den Wald des Verbannten. Seinen Lieblingsbarden rief König Arthur.

Denn nicht vergessen am Königshofe war Merlin. Seit sein Körper fort war, hatte sein Geist um so mächtiger geschürt und gewirkt. Ihm allein gebührte das Verdienst, daß sich das britannische Kriegsfeuer zu dieser mannhaften Schlacht entfachte. Man raunte sich zu, daß seine Stimme weissagend durch den Wald von Kelidon gehe. Landleute vernahmen mit scheuer Ehrfurcht des Waldmenschen Gesang und Harfenspiel; und sein Hornstoß, wie ein feuriger, zorniger Kampfruf anspringend, war im ganzen Hochwald bekannt. »Merlins Ruf« nannte man ihn. Die Sage umwob den Verbannten, die Seele des Volkes wußte sich besser von ihm verstanden als von allen Höflingen: der entlassene Barde wurde der Schutzgeist Britanniens.

Und jetzt, im Augenblick der höchsten Not – ein Jubelgetöse brauste durch die letzten Britannier! Ganz nahe schmetterte Merlins geisterhafter Hornstoß! Und aus den Büschen brach ein Waldungetüm, in der Rechten das Schwert, mit flatterndem Haar und Bart, ihm voran ein bellender Riesenhund, über ihm ein Rabe – Merlin! Merlin! Wie ein Sturmwind fuhr es in die letzten Haufen, wie Gewitterwolken wälzten sie sich dem Waldmenschen nach in die überraschten Jütländer, Blitze werfend nach allen Seiten, eine Gasse hauend in die Massen der Sachsen. Bis der König sank. Da machte Merlin halt an seinem todwunden Herrn und schützte mit gewaltigen Streichen den sterbenden Leib. Und als die Sachsen staunend vor dem haarverwachsenen Ungetüm wichen, als von allen Seiten ihre Stierhörner zum Sammeln riesen: packte der Sänger seinen Herrn aus den Rücken und erreichte unaufgehalten vom bewundernden Feind den Wald.

Die schwere Nacht sank; der Mond beschien ein Leichenfeld. In der Tiefe des Waldes aber keuchte der tiefwunde Merlin unter der Last des sterbenden Königs. Seiner Hütte strebte er zu, Balsam und Verband dort zu finden für den leblosen Herrn. Aber als er ankam, als er den König auf sein Lagerfell gebettet, war es zu Ende. Ein langer Blick, ein müder Händedruck, – und als Leiche lag König Arthur vor seinem Sänger. Da dachte der Verbannte nicht mehr seiner eigenen Wunden; die Ellenbogen auf die Knie gestützt und das Kinn in den Händen, saß er vor seinem toten König und weinte laut.

Draußen säuselte der Nachtwind den furchtbaren Tag zur Ruhe, und über der Lichtung, auf der heute Merlin geträumt, stand in Tränen der milde Mond. Noch war das Gras zerstampft, die Halme, mit denen der Einsame geplaudert, waren starr vor Entsetzen und rührten sich kaum. Aber als der todwunde, blutüberflossene Waldsohn gen Morgen aus seiner Hütte trat, kannte der Hochwald den wankenden Freund nicht mehr, noch er seinen geliebten Wald. Mühsam holte er seinen nahen Vorrat an Reisigbündeln und schichtete sie hoch um die Holzhütte. Dann setzte er den mächtigen Scheiterhaufen rundum in Brand, kroch durch den letzten schmalen Eingang ins Innere und legte sich tief aufseufzend neben den toten Herrn.

* * *

Als in den Waldblättern der Morgenwind seine Musik begann, stieg eine Rauchwolke hoch und stolz über den Wald von Kelidon. Es war das Totenfeuer des britannischen Königs und seines Barden. Und es war das Siegeszeichen seiner Erben, der Angelsachsen.


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