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Königin Luise

I.

Paretz, 1805. Der König und die Königin lustwandeln am Rande eines Ährenfeldes, umspielt von den Kindern. Sie schmückt sich den Hut mit Kornblumen.

Der König (gedankenvoll)

Nicht in den Sturm der Minuten hinuntermüssen –
Am Rande stehn – Zuschauer sein dem holden Tanze –
Hold nur dem, der nicht hinunterbraucht ...

Die Königin

Spricht das ein Hohenzoller?

König

Das spricht am Rande der Welt ein Mensch
Zum besten Kameraden ... Reigenspiel!

Königin

Schau' her, mein Freund, ich schmücke den Sommerhut
Mit blauen Blumen. Die Fülle des Goldes lass' ich
Den hungernden Menschen: nur aus der goldnen Nahrung
Nehm' ich den blauen Zierat. Freut er dich?

König (ihr in die Augen schauend)

Ein schönes Blau! Steigt aus dem Herzen meiner Luise auf
Ins schönste Auge! – Kornblumenauge!

Königin (lächelnd)

Schau' etwas höher, mein Gatte, auf den Hut,
Nicht unter den Hut!

König (in seiner kurzen Weise, scherzend)

Bräutigam nennen, nicht Gatten!

Königin

Wohlan: mein Bräutigam! Jedoch hol' ich den Namen
Aus meinem Vorratsschranke, so fallen dabei
Die andren abgelegten Kleider, die Kosenamen,
Gleich mit vom Haken –

König

Abgelegt?

Königin

Nun, fein bewahrt und sehr mit Liebe!
So wie man sein Taufkleid säuberlich aufbewahrt
Fürs eigne Kind – und sogar dem späten Enkel.
Oder ein Puppenkleid – und Jungenskleidchen.
Denn, Lieber, die Kleider der alten Zeit
Waren aus starkem Stoff und hielten dauernd.
Siehst du, so hangen sie in meinem Schranke,
Kosenamen erprobter Art: »mein Liebling«,
»Mein ritterlicher König« – »mein guter König«!
»Guter« – dies Wort besonders erschöpft dich ganz!
Von allen Kleidern das beste! Guter du!

(Sie umarmt ihn)

König

Schau dort – unsre Jungens!

Königin

Laufen wie Wachteln die Furchen entlang,
Wilhelm voran ... (Träumend.) Wir dachten sie ...
O Freund, wir beide dachten so schöne Gedanken,
Die dort in Menschengestalt im Winde laufen!

König

Tücht'ge Gedanken – will's Gott!

Königin (in Gedanken)

Ein blauer Sommertag – ausgespannt
Zwischen zwei Nächten, so ist mein Leben.
Schirme mich Gott und unser Haus und Volk!
Die Griechen bangten vor zu viel Glück ...

II.

Tilsit, 6. Juli 1807. – Königin Luise, in vornehmster Kleidung, das Diadem im Haar, und Napoleon Bonaparte in der bekannten Uniform.

Napoleon

Das sind freilich rauhe Zeiten ... Aber Ew. Majestät mögen es der politischen Konstellation zur Last schieben, wenn ich als Feind im Königreich Preußen stehe.

Königin (sich zu ruhiger Würde beherrschend)

Unter solchen Verhältnissen Ew. Majestät gegenüberzustehen, ist für mich in der Tat ungewöhnlich. Allein ich erfülle die Pflichten der Höflichkeit, und es ist Liebe zu meinem Volke, die mich als Frau und Mutter zu dieser Unterredung zwingt.

Napoleon (eine leichte Befangenheit unter Galanterie verbergend)

Zum wenigsten verschafft mir diese Konstellation das Vergnügen, Ew. Majestät persönlich kennen zu lernen. Man erzählte mir viel von der Anmut und Klugheit Der Königin von Preußen. Ew. Majestät Interesse für die Politik habe ich schon früher kennen gelernt. Und was die Anmut betrifft – (mit leichter Verbeugung, Hände auf dem Rücken) nun, ich habe zuverlässige Berichterstatter.

Königin (ruhig)

Wir befinden uns hier in einem Bürgerhause von Tilsit. Ich schlage Ew. Majestät vor, wir verbannen die Phrasen des Salons aus dieser ernsten Unterhaltung. Ich wiederhole Ihnen: Nicht die preußische Königin, nur eine preußische Frau und Mutter steht vor Ew. Majestät. Ich spreche zu etwas in Ihnen, was mir einzig ermöglicht hat, diese Unterredung zu übernehmen: zum Sohn einer tapfren, klugen Mutter, zum Bruder, der für seine Geschwister auch noch vom Thron aus sorgt. Das sind Tugenden, Sire, die einer deutschen Frau das Herz öffnen – auch für Sie, trotz des Unheils, das Sie unsrem Lande zugefügt haben.

Napoleon (hat die Arme verschränkt, murmelt)

Man hat mich zu diesem Unheil gezwungen.

Königin

Wer hat einen so mächtigen Monarchen gezwungen?

Napoleon (kurzab)

Ihr Kabinett. Auf die unsichere, schwankende Politik Ihrer Minister war kein Verlaß.

Königin

Wer die Unsicherheit in die europäische Politik gebracht hat, Sire, das zu untersuchen, steht einer Frau nicht an. Mein Gatte, Der König von Preußen, liebte den Frieden und kennt nur eine Pflicht: das Glück seiner Untertanen. Wir betrachten unsere Untertanen als unsere Familie. Und so lebten Der König und ich und unsere Kinder innig mit unserem Volke und suchten bis zum äußersten Frieden zu erhalten. Denn (sehr ernst) nach unseren religiösen und sittlichen Anschauungen ist ein gewissenlos heraufbeschworener Krieg ein Frevel, den die Gottheit früher oder später strafen wird.

Napoleon (mit ironischem Zucken um den Mund, kurz und herb)

Die Gottheit ... Wer die Revolution sah, denkt darüber anders. Der Krieg ist ein vulkanisches Ereignis. Der Krieg ist ein Befreier von Sentimentalität. Der Krieg rüttelt die Völker wach, gießt Stahl ins Blut. Die Welt ist kein Idyll.

Königin

Sire, sagen Sie das einer Königin von Preußen? Wie wir über den Krieg denken, der sein muß, das hat Friedrich der Große der Welt bewiesen.

Napoleon (mit höflicher Ironie)

Ich bitte Ew. Majestät sehr um Vergebung: ich habe Gelegenheit gehabt, das Königreich Preußen von West nach Ost kennen zu lernen, und hätte mich gefreut, Friedrichs des Großen Geist zu begegnen. Indessen ... (zuckt die Achseln. Die Königin schweigt mit gepreßten Lippen. Er fährt fort) Nun, ich bitte um Entschuldigung, diese Bemerkung war nicht galant. Aber Ew. Majestät haben mir Erlaubnis erteilt, die Phrasen des Salons draußen zu lassen. Ich entgleiste daher in die Sprache des Soldaten. Und diese Sprache schmeichelt nicht. Auch ich habe vor Jahren »Werther« gelesen und selber als Jüngling solche Süßlichkeiten zu Papier geworfen. Aber das Leben hat mich eines Besseren belehrt.

Königin

Wenn Sie falschen Gefühlen huldigten, ist das Grund genug, alles Gefühl zu verbannen? Dann hat Ihnen das Leben Irrlehren erteilt, Sire! Mögen Sie persönlich Ihr Herz aus Ihrer Politik ausschalten: uns Deutschen gelingt das nie und nimmer. Des Herzens erstes Gebot ist Achtung vor den Idealen in jedem Menschen und in jedem Volke. Sie antworten mir vielleicht, es sei eben Ihr Ideal, die Oberfläche Europas nach Ihrer Anschauung umzuändern? Aber, ich fürchte, Sire, das wird sich auf die Dauer kein Volk von Ehre gefallen lassen.

Napoleon (achselzuckend)

Ehre? ... Sehen Sie den Rheinbund an! Der fügt sich vortrefflich in die neuen Dispositionen. Wer will gegen Natur-Ereignisse auskommen? Die Revolution ist ein Natur-Ereignis. Und ich bin ihr Sohn.

Königin

Sohn – an diesem Worte finden wir uns wieder zusammen. Was soll aus der Familie werden, ich frage Sie, Sire, wenn man sie nicht schützt vor zerstörenden Einflüssen der Natur? Und ich frage Ew. Majestät: Ist nicht die Menschheit eine große Familie? Ist Vergewaltigung irgendwelcher Art geeignet, diese edlen Beziehungen von Mensch zu Menschen zu fördern? (Warm) Sire, lassen Sie einer Frau das schöne Vorrecht, Sie an die gegenteilige Kraft zu erinnern, die nicht zerstört, vielmehr heilt und lindert, die dem Sieger die Herzen der mild behandelten Besiegten gewinnt: die Großmut, Sire, die Liebe! Machen Sie sich den Besiegten zum Freund, denn angesammelter Haß ist kein Segen für Ihre gewiß großzügigen künftigen Pläne. Sie werden es nicht bereuen, daß Ihnen eine Frau diesen Rat gegeben hat, eine Frau, die es tun darf: denn ich trage eine Krone wie Sie. Und ich weiß aus Erfahrung, wie Liebe und Wohltat Menschen mit ihren Fürsten verbindet. Und darum bitte ich Ew. Majestät: Lassen Sie die alten, treuen Provinzen bei Preußen, nehmen Sie uns nicht Magdeburg! Ich bin Mutter meiner Untertanen – nicht Die Königin, nur die Frau und Mutter bittet Sie: lassen Sie hier die Menschlichkeit über die Rücksichten der Politik obsiegen!

Napoleon (schaut düster in die Ferne)

Ja, ja, die deutsche Ideologie ... Sie wird mir noch das Konzept verderben ... (Kalt.) Wir werden politisch. Lassen Sie uns schnell das Thema wechseln. Ich kämpfe lieber auf dem Schlachtfeld als mit Ew. Majestät. Liebe – Ehre – schöne Worte, doch taugen sie nicht auf das Schachbrett der Politik.

Königin (mit Wärme fortfahrend)

Sie haben von der Natur ungewöhnliche Gaben erhalten, Sire, vor allem die Gabe, auf dem Schlachtfeld zu siegen. Sie nützen die Früchte dieser Siege, Sie sehen Souveräne sich zu Füßen. O wie bedaure ich, daß diese ungewohnte Erscheinung Sie von der Menschheit insgesamt verächtlich denken läßt! Aber ziehen Sie einmal den Vorhang von diesen schmeichelnden, verlegenen oder verwirrten Besiegten hinweg – und Sie werden dahinter ein verderblich Feuer bemerken: Haß, beleidigten Stolz, gekränkte Ehre. Geben Sie acht, daß sich das nicht in der Stille stärke! Denken Sie an das Schneegestöber von Eylau! (Napoleon schaut mit verschränkten Armen finster zu Boden.) Darum schaffen Sie sich Freunde, Sire, üben Sie nun Ihre anderen großen Talente, lassen Sie Ihr Herz sprechen, Ihr Sohnesherz, das von Feind und Freund gerühmt wird! Es kann nicht Ihr Ehrgeiz sein, ein Land wie Preußen, das Ihre Pläne weiter nicht stört, vernichten zu wollen –

Napoleon (rauh einfallend)

Von Vernichtung Preußens ist nicht die Rede. Aber ich brauche Magdeburg. Ich muß meine Grenzen sichern.

Königin (rasch)

Ihr Riesenreich Frankreich samt den Bundesstaaten sollte das kleine Preußen fürchten?!

Napoleon (nach kurzer Besinnung)

Es ist das Preußen Friedrichs des Großen.

Königin (lächelnd)

Ei – von dessen Geist Sie nichts bei uns bemerkt haben?

Napoleon (verbeugt sich leicht)

Vielleicht doch. ( Der König tritt ein.) Die Politik tritt ein, lassen Sie uns abbrechen. (Bricht eine Rose von einem Blumenstock, der auf dem Tische steht.)

Gestatten mir Ew. Majestät, meine Hochachtung vor der preußischen Frau und Mutter auszusprechen.

Königin (die Rose nehmend)

Mit Magdeburg?

Napoleon (kalt)

Das ist Sache des Kriegsrats.

III.

Zwei freiwillige Jäger von 1813 am Abend vor der Schlacht.

Erster Jäger

Ein Buch?

Zweiter Jäger (schließt das Buch, in dem er gelesen)

Schillers Gedichte. Doch ich bin zu Ende.
Ich schaue schon lang hinüber ins Abendlicht,
Aus dem so lässig heute die Sonne sank,
Als wüßte man nicht dort oben, daß morgen
Die Schlacht geschlagen wird – die schwere Schlacht.

Erster

Der alte Träumer!

Zweiter

Sei's drum! Doch träumt' ich düstre Dinge,
Dinge so unbarmherziger Art, daß ich verzagte,
Hätt' ich das Licht dort nicht, das ewige Licht –
Und im Tornister Schiller.

Erster

Und ich in meinem Medaillon mein Schätzchen!

Zweiter

Und ich im Herzen die schönste Königin!
Verehrt, wie einst im Heiligtum der Griechen
Das Götterbild der Hera! Wie aus Wartburg
Die Ritterfrauen von Walthers jungem Lied!

Erster

Und das macht traurig?

Zweiter (gedankenvoll)

»Auch das Schöne muß sterben« ... Ja, grade das Schöne!
So fiel Theodor Körner bei Gadebusch,
Mein prächtiger Körner! Max Piccolomini!
So schied Königin Luise! Und Einer brach
Weinend vor Ihrem Lager in beide Kniee:
Der gute König! Doch tausend Arme der Liebe
Halten nicht fest das schöne Fremde,
Das hier nur Gast ist ... Gast! Warum?
Damit in uns eine Flamme der Sehnsucht werde,
Entzündet an schöner Gestalt, ein Heimweh nach Hohem,
Das uns bewahrt vor sattem Behagen! Darum Gast! ...
Ein Leuchten ist's nur – ein Lächeln und Locken – fort!
Da stehn wir dann und trauern ins Abendlicht ...
So starb auch Schiller ...

Erster

Trübe Gedanken! Feg' sie hinaus! Morgen ist Schlacht!
Der Bonapart' »muß runter«, wie Blücher sagt,
Der unverträumte, wetterleuchtende Blücher!

Zweiter (aufspringend)

Ja, morgen ist Schlacht! Der Tag von Tilsit gesühnt!
Schau' um dich, Freund: da sprießen Der Königin Tränen
Zu Hunderttausenden aus Leipzigs Feld!
Körner fiel – und Schiller starb – und Die Königin:
Jedoch die Straße, die sie gezogen, ist schöne Straße!
Und jeder Krieger, fallend im Freiheitskampf,
Zieht schönen Pfad! – Auf!


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