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XIII.
Wer einmal seinen Himmel sah – – –

Wir saßen bis in den grauen Wintermorgen hinein schweigsam auf Ninas Zimmer.

Wir beide und der Orlow.

Sie wußte, daß Oginsky tot war, ich hatte es ihr erzählt.

»Welch eine Nacht«, sagte sie endlich, »erfüllt von Entsetzen und von Grauen und Blut. Und dennoch ist es die schönste und reichste Nacht meines Lebens. Ist das nicht seltsam?«

»Und nun soll alles vorbei sein«, flüsterte ich schwach, ich war traurig und schweren Sinnes.

Nina antwortete nicht. Wiederum saßen wir schweigsam.

»Aber Sie müssen doch zufrieden sein«, sagte sie endlich. »Ihr Spiel ist durchgeführt, Sie haben gewonnen, nicht wahr? Ihr Trick war glänzend, Sie narrten den armen Oginsky vollständig. Er sagte, daß ein tüchtiger Polizist an Ihnen verlorenginge, aber er irrte sich. Er hätte sagen müssen: welch einen Schauspieler wird die Welt durch Ihren Tod verlieren.«

Ihr Ton war plötzlich hart und feindlich.

»Sie sind ein Künstler auf Ihrem Gebiet, ein Virtuose – Herr Bjelke. Oginsky glaubte Ihnen blindlings. Er wußte nichts von Ihrer Komödie. Er nahm Worte und Ton für echt. So sind wir Russen, sehen Sie. Wir sind Kinder, naive, gutgläubige Kinder. Herrgott, wie mögen Sie selbst bei Ihrer Liebeserklärung im stillen gelacht haben.«

»Nina«, rief ich erregt, »was soll das bedeuten? Du weißt ebenso gut wie ich, daß es mein tiefster und aufrichtigster Ernst war. Du weißt, daß ich tausendmal wiederholen werde, was ich sagte, daß ich dich liebe, dich anbete, und daß du auf dieser Welt alles für mich bist.«

»Ninutschka« hätte ich beinahe gesagt, weil ich ganz unbewußt Oginskys weiche, sonore Stimme nachahmte.

An unserer Seite wuchs ein erster Schatten auf.

»Warum sagst du dann, daß alles vorbei sein muß«, fragte Nina mit einem Beben um den Mund und streckte mir ihre Hände entgegen.

In wilder Freude riß ich Nina an mich.

»Nun wird es die reichste Nacht in meinem Leben – Nina – Geliebte! Ich habe ja dich gewonnen!«

»Und den Orlow«, flüsterte Nina, den Kopf an meiner Brust.

»Ja, den Orlow«, wiederholte ich und wieder überfiel uns das seltsame Gefühl, das überall dort zu sein schien, wo sich der Orlow befand.

»Wir sind nicht mehr allein«, sagte Nina, »von heute ab sind wir vereint, dein und mein Schicksal ist vom Orlow gekennzeichnet.

Wir haben uns nur zu unterwerfen. Wir müssen ihm dienen wie alle anderen ihm gedient haben. Wie die Priester Brahmas dienten, wie Nadir diente und Orlow, wie Katharina und Paul I., wie alle, alle ihm gedient haben. Durch Jahrhunderte hindurch hatte der Stein seinen Kult, seine Priesterschaft und von heute ab sind wir beiden die letzten Glieder einer langen Kette. Das ist unser Fluch und unser Glück.

Ich hatte seinen Fluch bereits gespürt, hätte ich sonst so gehandelt? Oder konnte ich überhaupt anders handeln?«

Ich nickte nur.

»Du hast recht«, sagte ich nach langer Zeit, »von heute ab gehen unsere Wege zusammen. Aber du bist die große Künstlerin und auf die Dauer werde ich nicht würdig an deiner Seite stehen. Du fährst in eine strahlende Welt hinaus, die für mich völlig fremd ist.«

»Du gehörst ebenfalls dorthin, wo Luft und Freiheit ist«, unterbrach mich Nina. »Du bist gezeichnet von mir und von dem Orlow. Wer einmal seinen Himmel sah, wird nirgends mehr Ruhe finden. Du gehst mit mir, wenn ich fahre.«

Da wußte ich, daß sie recht hatte. Mein Schicksal würde so werden, eine Tür war zugefallen.

Ich nickte wieder, während ich ihr übers Haar strich.

Dann küßte ich sie.

Und die Zeit ging.

Draußen begann es hell zu werden.

*

Damit faßte ich den größten Entschluß meines Lebens.

Ich verriet Dich, mein lieber Freund und auch die Sache, der ich mich geweiht hatte. Ich weiß jedenfalls, daß es so in den Augen anderer Menschen aussehen muß.

Gegen vier Uhr verließ ich Nina und ging auf mein eigenes Zimmer. Ich hatte noch eine wichtige Arbeit vor mir. Alle Spuren mußte ich noch entfernen. Wir, die aus den Spuren lesen können, wissen sie auch zu entfernen.

Aber ich trank erst einige Kognaks, ehe ich ans Werk ging.

*

Daß ich im Keller alle Spuren verwischte, wirst Du aus dem Bericht Karlsens entnommen haben. Das Drama dieser Nacht war für mich gelöscht, tot, erledigt. Nach außen hin wenigstens.

Als ich meinen letzten Blick durch den Keller schweifen ließ, um meine Arbeit noch einmal zu prüfen, fiel er auch auf die unbewegliche Gestalt auf dem Fußboden.

Das Werk deiner Hände – dachte ich.

Ich war doch nicht kaltblütig genug.

Dann ging ich in mein Zimmer zurück und versuchte vergebens, einige Minuten Schlaf zu finden.

Ich dachte an Dich, mein lieber Oberinspektor. Ich dachte an den Schlag, den ich Dir versetzen mußte. Einen öffentlichen Skandal brauchst Du indessen nicht zu befürchten, denn alle Beteiligten haben das größte Interesse daran, zu schweigen. Die Russen werden schweigen, weil sie selbst am meisten kompromittiert sind. Erst verkaufen sie in aller Heimlichkeit einen Diamanten und dann mordet ihr Vertrauensmann, um den Stein zurückzugewinnen.

Doch rechne ich immerhin mit der Möglichkeit, daß wir gesucht werden. Aber als Polizeimann bin ich immerhin so weit erfahren, daß ich weiß, wo die internationale Polizei ihre schwächsten Punkte hat. Ich hege keinerlei Furcht vor der Zukunft. Natürlich muß Nina für die nächste Zeit alle Konzerte aufgeben.

*

Ich bin nicht vergebens am 19. März 1900 geboren. Vielleicht glaubst Du nicht an diese Zusammenhänge. Ich glaube aber daran. Wenigstens seit dem 1. April 1931.

*

Geduldig und ohne Primadonnalaunen unterwarf sich Nina den Anordnungen Karlsens, als wir am nächsten Tage im Tal waren.

Während sie sich durchsuchen ließ, saß ich im Vorzimmer.

Ich hatte den Orlow in der Tasche.

Einmal dachte ich auch noch daran, wie ich Karlsen durch mein tiefsinnig geführtes Gespräch beim Schachspiel mit Harrington irregeleitet habe.

Es mußte sein.

Und endlich ging der Zug und der kleine Talbahnhof verschwamm hinter uns im Dunkeln.

Nina war müde und schlief, den Kopf auf meinem Arm.

*

Mein lieber Freund!

Ich will nichts riskieren.

Ich glaube, Du bist ein guter und gewissenhafter Romanleser, der mit Überlegung und, nicht zum wenigsten, in der Reihenfolge liest. Diese vortrefflichen Eigenschaften werden mir die notwendige Zeit verschaffen, die ich benötige, um mich dem Arm der Gerechtigkeit zu entziehen. Du bist mit diesen Rapporten nicht vor 23 Uhr nachts fertig, und da bin ich längst über alle Grenzen. In Sicherheit.

Aber wie gesagt, ich will nichts riskieren.

Solltest Du deshalb – gegen alle Vermutung – den schlechten Lesern angehören, die ein Buch damit beginnen, daß sie den Schluß zuerst lesen, die aus einfacher und dummer Neugier dem Gang der Begebenheiten vorgreifen und keinerlei Zufriedenheit und edle Spannung an einer harmonischen Entwicklung finden – so füge ich – zu Deiner Beruhigung, für Dich allein berechnet und – aufrichtig gesagt – nur um Dich auf eine falsche Spur zu leiten – eine letzte Seite hinzu:

XIV.
Schluß

Der Schuldige war dennoch Harrington, den Karlsen in diesem Augenblick bereits hinter Schloß und Riegel hat.

Ich gab ihm den Befehl zur Verhaftung vor einigen Augenblicken durchs Telefon.

UM GANZ SICHER ZU GEHEN.


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