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Nachwort.

Jonas Lie wurde am 6. November 1833 zu Eker bei Drammen geboren. Seine Kindheit und erste Jugend verlebte er in Tromsö, einer der nördlichsten Städte Norwegens, und ging dann 1859 nach Kristiania zum Studium der Rechte. Jahrelang war er in Kongsvinger als gesuchter Rechtsanwalt tätig, bis ihn der Verlust seines Vermögens, das er durch Beteiligung an unsinnigen Waldspekulationen einbüßte, zur Wahl eines anderen Berufes zwang. Er entschied sich für die Schriftstellerei, in der er sich schon mit Glück versucht hatte. Gleichzeitig siedelte er wieder in die Landeshauptstadt über, wurde 1874 vom Storthing durch die Verleihung einer lebenslänglichen Dichtergage ausgezeichnet und lebte von da an viel auf Reisen, die ihn nach Paris, Dresden, Rom, München und Berchtesgaden führten. Er starb am 5. Juli 1908 zu Bärum unweit Kristiania. – (Zur Biographie Lies vgl. Arne Garborg, Kristiania 1893, und Erik Lie, »Jonas Lies Erlebnisse«, deutsch 1908. – Erik Lie, der Sohn des Dichters, hat sich auch wie sein älterer Bruder Mons Lie und sein Vetter Bernt Lie einen Namen als Schriftsteller gemacht.)

Gleich mit seiner ersten Erzählung »Der Hellseher«, 1870, erwarb sich Jonas Lie die Gunst des Lesepublikums, die ihm bei seinen folgenden Werken »Erzählungen aus Norwegen«, 1872, »Dreimaster Zukunft«, 1873, »Der Lotse und sein Weib«, 1874, treu blieb. In ihnen schildert er, angeregt von Björnson, als erster und auf Grund seiner eigenen intimen Kenntnis die gewaltige Natur, das harte Leben und schwere Dasein der Seemannsbevölkerung im äußersten Nordlande.

Inzwischen aber hatte, unter dem Einfluß der von Dänemark (Georg Brandes) ausgehenden Bewegung des »modernen Durchbruchs«, in Skandinavien der Geschmack der Lesewelt sich zu ändern begonnen. Die Kunst wollte nicht mehr nur unterhalten, sondern ihre Aufgabe vielmehr darin erblicken, nach dem Vorbilde der Goncourts und Zolas »at saette Problemer under Debat« (Probleme zu debattieren). In Dänemark schloß sich besonders J. P. Jacobsen dieser Bewegung an. In Schweden August Strindberg; in Norwegen trat jetzt Lie neben seinen Landsleuten Björnson und Ibsen auf die Seite der Neuerer. Auch er, der Fünfzigjährige, wandte sich Zeit- und Streitfragen zu, behandelte sie mit warmem, verständnisvollem Herzen, ohne je Tendenzdichter zu werden. Mit leiser, milder Ironie blickt er auf das Leben und sucht es zu verstehen, ohne zu verdammen. So behandelt er – wie Björnson im »Fallissement« – in seinem Roman »Ein Malstrom« kaufmännische Fragen – er hat hier auch seine eigenen bitteren Erlebnisse geschildert – oder immer wieder wie seine beiden großen Dichter- und Kampfgenossen die Frauenfrage und Probleme der Ehe: »Die Familie auf Gilje«, 1883 – »Die Töchter des Kommandeurs«, 1886 – »Ein Zusammenleben«, 1888 – »wenn die Sonne untergeht«, 1895 – »Dyre Rein«, 1896 – oder soziale Fragen in weiterem Sinne wie in »Maisa Jons«, 1888 und in dem vorliegenden Roman: »Sklave des Lebens« (Livsslaven 1883).

Das Reizvolle an Lies reicher Kunst ist nicht der manchmal etwas harte und eckige Stil, nicht das stoffliche Interesse des äußern Geschehens – es liegt vielmehr in der langen Reihe lebenswahrer, plastischer Einzelbilder und in der Darstellung wirklicher lebendiger Menschen und psychologisch vertiefter Charaktere. So schildert Lie in unserer Erzählung in liebevoller Kleinmalerei die altväterische Zeit vor vierzig Jahren und erhellt mit vielen Lichtern sympathischen Verstehens und echter Menschlichkeit den düstern, dornenvollen Werdegang seines schlichten Helden Nikolai, eines vaterlosen, von seiner Mutter um das Beste betrogenen Knaben, der sich in schwerem Kampfe gegen ein düsteres Verhängnis zum Schmiedelehrling und Werkmeister emporringt, wenn aber trotzdem der vom Schicksal Verfolgte mit unerbittlicher Logik von einer dunklen Macht in seinem Innern auf die Bahn des Verbrechens getrieben wird, so weiß der Leser doch, daß er einen echten, innerlich freien Menschen kennengelernt hat, der lieber tot als Sklave sein will. – Auch Gustaf af Geijerstam hat in seinem Roman »Irre am Leben« eine ähnliche Schicksalstragödie eines armen verlassenen Proletariers geschildert. Der Vergleich zwischen den beiden Werken ist lehrreich: er zeigt zugleich die tiefe Verschiedenheit, die in Stil und Behandlung zwischen der Art des großen Norwegers und des weit jüngeren schwedischen Meisters der Erzählungskunst besteht ...

Georg Daub.

 


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