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X.

Seit Frau Holman gesehen hatte, welche Freiheiten Silla herauszunehmen erdreistete – sie war über ihre eigene Verblendung wie aus allen Himmeln gefallen –, war sie unvergleichlich viel achtsamer geworden – und unvergleichlich mehr auf der Hut vor Nikolai!

Leider! leider hatten sich die Früchte des Müßigganges geoffenbart, und gegen sie gab es kein anderes Mittel, als gewissenhaft darüber zu wachen, daß Silla arbeitete.

Unter diesen Umständen bekam denn Nikolai bald zu fühlen, daß seine Stellung sich nicht im entferntesten gebessert hatte, seitdem seine Eigenschaft als Freier offenbar geworden war. Aber obwohl er jetzt höchstens ganz gelegentlich einmal einen Schimmer von ihr zu sehen bekam, hatte er doch einen großen Schritt vorwärts getan. Jetzt brauchte er nur zu arbeiten und tüchtig zuzugreifen, und das tat er als rechter Kerl; Hammer und Vorhammer flogen in seiner Hand, als säße Dampf dahinter!

In gewisser Weise war er ja auch recht beruhigt; denn wenn Frau Holman so genau auf ihn aufpaßte, so war gleichzeitig diese Achtsamkeit ein gewisser Schutz vor anderen! Es war ein beruhigendes Gefühl, daß sie abends nicht mehr unter den verwilderten Mädchen dort oben zu finden war ...

Trotzdem lief es ihm kalt über den Rücken, als er eines Tages den Jungen Wejergang traf, der gerade aus Barbros Tür trat. Er schielte noch in der Tür Nikolai gleichgültig ins Gesicht, als entsinne er sich seiner nicht mehr recht, und fragte zu Barbro hinein, ihm im Fortgehen zunickend:

»Ist das der Bengel?« – –

»Was hat er hier zu tun gehabt, Mutter?«

»Nichts!«

»Hast du Geld von ihm geliehen?« fuhr er schroff fort.

»Was fällt dir ein! ... nicht einen Schilling – und wenn ich's noch so nötig hätte.«

»Wovon schwatzte er?«

»Er wollte sich nur eine Zigarre anzünden, wie er so oft tut, wenn er hinuntergeht. Davon hast du doch wohl keinen Schaden! – Und es nützt auch kaum, es ihm zu verbieten, sollt' ich meinen ... weder mir noch dir!« Die letzten Worte fügte sie rot vor Ärger hinzu.

»Nein, ich kann's ihm gewiß nicht verbieten, Mutter! – aber das merke dir: wenn du von ihm Geld leihst, ist zwischen uns alles aus und vorbei!«

»Aber, Nikolai! Du bist so hitzig!! – Was du nur ... ich werde schon nichts leihen!« Dabei wandte sie sich um und schob etwas, das sie in der Hand hielt, in ihre Bluse hinein. – »Was du nur denkst!«

»Ich habe es wohl gemerkt; er hat von mir gesprochen!«

»Nein, mit keinem Wörtchen!«

»Doch, Mutter!« beharrte er düster.

»Von dir? ... Na ja, ich erzählte ihm ein wenig davon, wie du den Tag über dich für die paar lumpigen Schillinge abschindest, die du Madam Holman bringen sollst.« Barbro redete etwas verlegen und verwirrt.

»Und vielleicht auch von der Geschichte mit Silla?« fragte er forschend.

»Nein, nicht die Spur! das wußte er wohl schon selber. Ich bin kaum die einzige, die davon unterrichtet ist – hier oben in diesem Klatschwinkel – und so wahr ich lebe, Nikolai! – ich habe kein Sterbenswörtchen davon verlauten lassen heute!« fügte sie hinzu.

»Dann hättest du es meinetwegen gerne sagen können; – dem Kerl würde es ganz gut tun zu wissen, daß sie verlobt ist!«

»Na, – habe ich das nicht gesagt? – er wollte es nur nicht glauben!«

»Nein, das kann ich mir denken!« Nikolai stand am Fenster und grübelte ... Diese Besuche Wejergangs ...

– Als ob er nicht tagsüber schon genug Sorge und Spektakel unten in der Schmiede hätte! Es drehte sich darum, ob er Werkmeister werden sollte. Die alte Madam Ellingsen hatte aus diesem Anlaß schon mehrfach nach ihm geschickt, und es sah aus, als ob es so gut wie abgemacht sei.

In diesem Stadium waren die Verhandlungen zwischen ihnen eine Zeitlang stehengeblieben; mit irgendeinem Abschluß eilte es nicht, da er die Stelle erst im Herbst antreten sollte.

Schließlich aber kam es Nikolai vor, als benähme sich Frau Ellingsen etwas merkwürdig.

Er bemerkte auch, daß sie in der Schmiede ziemlich viel schwatzten und tuschelten. Aber der Gedanke, daß Madam Ellingsen sich zurückzuziehen gedächte, kam ihm erst, als einer der Gesellen eines Tages höhnisch äußerte, es sei wohl niemand in der Schmiede, der daran dächte, Olaves das Brot aus dem Munde zu nehmen, wenn sich jemand darauf einließe, dann möge er sich nur hübsch in acht nehmen! ... Die ganze Schmiede stände hinter Olaves!

Das wußte Nikolai recht wohl, daß sie scheel auf ihn blickten, weil er immer dastand und schuftete, wie wild hinter jedem Schilling her war und standhaft nein sagte, wenn sie ihn zum Bier oder Schnaps mithaben wollten.

Das Richtigste war, je eher, desto besser mit Madam Ellingsen ins Reine zu kommen!

Und so trat denn Nikolai bald, die Mütze in der Hand, bei ihr in die Stube, um sich umzuhören, wie die Sache stünde.

Es verging geraume Zeit, ehe sie unter »hm!« und »hm!« ihre Brille ab- und wieder gehörig aufgesetzt hatte. Und dann kam's mit mancherlei ja und aber: Er möchte es nur nicht übelnehmen – Madam Ellingsen wisse ja, daß er ein außerordentlich tüchtiger Schmied sei! – aber alle Welt wisse auch, was für ein rechtschaffener und biederer Mensch Olaves sei, und sie sei eine alte Frau, die jemand haben müsse, auf den sie sich völlig verlassen könne – ja, sie wolle Nikolai gewiß nicht beleidigen; aber sie müsse bedenken ...

Das war der Bescheid, den er erhielt, und damit waren die Aussichten dahin, auf die er sich verlassen, auf die er hingewiesen hatte, als er um Silla anhielt, – dahin!

Als er am nächsten Morgen zur Schmiede kam, sahen sie alle so vergnügt aus. Sie wußten, daß er hingewesen war und sich von Madam Ellingsen Bescheid geholt hatte! ... Aber wenn sie glaubten, sie könnten ihn reizen oder von seinem Vorhaben abschrecken, dann irrten sie sich.

Olaves tat, als sei nichts vorgefallen und erbot sich sogar höflich, ihm beim Durchziehen eines Stanzeneisens behilflich zu sein.

Nikolai kehrte ihm nur den Rücken zu: »Ich mische mich nicht in anderer Leute Arbeit und rate jedermann, sich nicht in die meinige mit List und Tücke einzudrängen! – sonst könnte ich ihm den Rücken schweißen, daß er so heiß wird, wie das rote Eisen dort!« – murmelte er mit einem Blick auf Olaves vor sich hin.

Es entstand ein allgemeines Schweigen.

Aber in der Mittagspause wurde ein schlammiger Brei über diesen Zwischenfall angerührt. Denn alle hatten es gehört, daß er eine schwere Drohung gegen Olaves ausgestoßen hatte; – und vorsichtshalber nahm Olaves sich auch Zeugen für die Worte, die gefallen waren.

»Der Kerl ist imstande, seinen Hammer zu andern Dingen als zum Bolzenschmieden zu gebrauchen, wenn er mit einem unter vier Augen steht!«

Nikolai ließ sie schwatzen, soviel sie wollten; ihn kümmerte es nicht; er tat seine Arbeit und war sich wohl bewußt, daß Haegberg nichts auszusetzen hätte. Auf eine Enttäuschung war er jetzt vorbereitet!

Aber eines wollte Nikolai tun, ehe er verloren gab: zu Haegberg gehen und ihm alles erklären, damit der Meister Bescheid wußte, wenn sie ihn fragte, wen er vorschlüge.

Eine endgültige Antwort von Frau Ellingsen ließ indessen eine Woche nach der anderen – ja, schließlich zwei Monate lang – auf sich warten!

Was war nur mit dem Frauenzimmer los? Die ganze Schmiede wunderte sich darüber, – einen Werkmeister müßte sie doch im Herbst haben!

Endlich, eines schönen Morgens kam die Botschaft. –

Es war gegen Abend an einem brennendheißen Sommertage. In dem grauen Holzhause, in dem Frau Holman wohnte, standen in beiden Stockwerken nach dem Hofe zu die kleinen Fensterscheiben offen und sogen begierig das bißchen Kühle ein, das in der Luft war, während drinnen die Bewohner mehr oder weniger leicht gekleidet ihrer Beschäftigung nachgingen. Ein schwacher Luftzug bewegte nur dann und wann die halb durchsichtigen Zuggardinen oder das weiße Zeug, das im Hofe an den Leinen hing.

Hinter dem Fenster im ersten Stock, gerade über der Kellerluke, stand ein schlankes, schwarzäugiges Mädchen, mit aufgekrämpelten Ärmeln eifrig am Hahne der Wasserleitung beschäftigt, unter der sie einen Kübel mit Wäsche hatte. Der Kopf, von dem kühlen Wasserstrahl erfrischt und belebt, war bald über, bald unter der Gardine sichtbar.

Plötzlich hielt sie verwundert inne.

Nikolai, die flache Mütze triumphierend auf die eine Seite geschoben, trat ein:

»Die Welt ist doch schön, Silla! Es kommt nur darauf an, daß alles richtig und in Ordnung ist ... wer keinen Vater hat, muß eben sein eigner Vater sein, verstehst du!«

»Aber Nikolai! ... weiß Mutter, daß du hier bist?«

»Pah, was geht mich das an! – Meine Mutter sagte mir gerade, bei Antonisens sei große Wäsche! ... Aber Silla, weißt du, es hatte Eile, – denn wenn's dich interessiert: heute habe ich Bescheid bekommen, daß ich bei Frau Ellingsen Werkmeister werden soll ... Zehn Taler mehr im Monat!«

»Werkmeister? ist das wahr, Nikolai?« sie trat von dem Kübel zurück und blickte ihn zweifelnd an ... »Komm mal her mit deinem schwarzen Kohlengesicht!« sie warf rasch die Wäsche aus dem Kübel. »Es ist wirklich zu toll, wie schwarz du bist! – Werkmeister, sagst du! ... ist's aber auch wirklich und wahrhaftig wahr? – Du mußt dir eine kleine Dusche gefallen lassen, hörst du! ich kann ja den Herrn Werkmeister vor lauter Kohlenschwärze nicht sehen! – – Sie hat also nicht erst Ovales gefragt, Madam Ellingsen?«

»Nein, das hat sie nicht!«

»Und niemand hat gegen dich geredet und Frau Ellingsen vor dir bange gemacht – wie damals?«

»Oh, Haegberg hat ihr wohl ein Licht aufgesteckt, daß er keinen Schaden von mir gehabt hat.«

»Wenn sie nur nicht wieder im Gange sind und alles tun, was in ihren Kräften steht. Denn daß du ihnen vorgezogen wirst, das ärgert und quält und peinigt jeden von ihnen, – besonders seit damals, wo du Olaves seine Radzapfen noch einmal machen mußtest. Dann wühlen sie alle möglichen alten Geschichten wieder aus!«

»Ach was! sie werden schon nicht! ... Es geht doch alles richtig zu in der Welt, sage ich dir, und Frau Ellingsen nimmt den Schmied, der ihre Schmiede am besten im Gange hält. Übrigens ist es baumsicher, der Kontrakt ist heute vormittag geschlossen. Es war auch die höchste Zeit, denn das Geld, das ich kürzlich Mutter geliehen habe, das ... das ... hui!« er pfiff, – »das geht denselben Weg wie das andere! ... es fliegt und fliegt bei ihr! – Ich finde, sie handelt sich bergunter statt bergauf ... und ihr Verdienst geht den Krebsgang!«

»So – siehst du! nun bist du so fein und blank, daß du ordentlich strahlst ... so! Die Haare hinüber! – sonst wird dein Hahnenkamm allzu obsternatsch ...«

»Ich stürzte gleich aus der Schmiede, um zu dir zu laufen und es dir beizubringen. Erst war ich bei Mutter drinnen, und da habe ich ihr versprochen, hinzugehen und Makrelen zum Abendessen zu kaufen ... Es sollen heute zwei Schuten eingelaufen sein!«

Sillas Miene verriet, daß das eine Sensationsnachricht war. Sie waren beide eingeborene Stadtkinder, und an die Ankunft der Makrelen knüpfte sich eine Reihe von schönen Erinnerungen und Vorstellungen aus der Zeit, als sie noch unten bei den Landungsbrücken wohnten.

Sie sah eine Zeitlang unschlüssig aus.

»Ob ich wohl mein Tuch umhängen und mit dir gehen darf?« platzte sie schließlich heraus ... »Warte weiter unten auf mich, Nikolai, – damit uns hier oben niemand in den Straßen zusammen sieht!«

Das war ein Vorschlag, dem nicht leicht zu widerstehen war – wie eifrig tat sie – ... er war ja auch heute Werkmeister geworden!

Es dauerte auch nicht lange, da hatte sie das blaugestreifte Kleid an, ein Tuch über den Kopf geworfen und folgte ihm nach.

Und sie segelten zusammen los – sie vergnügt schwatzend wie in alten Tagen, wenn sie sich fortgeschlichen hatten, er nur damit beschäftigt, sie anzusehen und anzuhören. Und mitten auf der Straße trieben sie entlang, ohne alle Vorsicht; dicke Staubwolken wirbelten bei jedem Schritte auf. Nikolai sah nichts als Silla mit ihren schwarzen Augen, warm und munter, mitten in dem Staubnebel.

Unten in der Stadt waren die Straßen in der Gegend des Fischmarktes an dem warmen Sommerabend ganz stark bevölkert. Es war deutlich zu merken, daß da irgend was mehr Leben und Bewegung brachte. Draußen auf der Brücke wimmelte es von Menschen, die über das Geländer hingen und auf die hinabsahen, die unter Lärmen, Rufen und Schreien sich herandrängten, um eine Makrele zum Abendessen zu ergattern.

Nikolai und Silla waren gleichfalls unten bei den Booten, um ihren Anteil an der abendlichen Herrlichkeit zu ergattern. Sie hatte nicht umsonst ihre ganze Kindheit hindurch unten am Kai gewohnt; den Frauen den besten Fisch gerade vor der Nase wegzuschnappen, war für sie eine Kleinigkeit! ... Sie bewegte sich mit wahrem Feuereifer feilschend über das Boot:

»Nein, danke schön, liebe Frau! dies alte verdorrte Makrelgerippe schmiert Ihr mir nicht an! – Gebt mir von denen da unter der Ruderbank – ja, richtig! die beiden – jawohl!«

Sie wog sie in der Hand, um zu prüfen, ob sie fest und feist wären.

Nikolai griff schon in die Tasche; Silla aber warf die Makrelen verächtlich wieder ins Boot:

»... sind ja die reinen Meergreise, so alt! ... und Augen so tot wie Hornbrillen!«

»Die guten ...«

»Pscht! Nikolai! – – Wenn wir heute damit fürliebnehmen sollen, müßt Ihr ein oder zwei Schillinge ablassen, Frauchen!«

Sie bekam sie in der Tat für fünf Schilling das Stück.

»Du bist aber ein Handelsgenie, Nikolai!« neckte sie ihn auf dem Heimwege. »Sieh nur, wie groß und frisch sie sind ...«

Droben stand Barbro auf der Treppe und schaute, die Hand über den Augen, aus, ob Nikolai nicht bald mit den Fischen käme.

Wer aber ganz gemächlich des Wegs gezogen kam, das war Silla; natürlich kamen Barbro und sie ins Gespräch, bis endlich Nikolai mit den beiden Makrelen gleichfalls auftauchte.

Selbstverständlich mußte Silla mit eintreten und probieren, wie sie schmeckten; da gab's keine Widerrede! ... Barbros Ehre und allbekannte Gastfreiheit duldeten es nicht anders! ...

Drinnen bei Barbro brutzelten und bratzelten die Makrelen im hellen Abendglanze auf dem Feuer. Der eigentümliche, etwas strenge Duft stieg immer stärker, immer appetitlicher empor.

Jetzt mußten sie gewendet werden, ... neues Fett in die Pfanne ... neues Zischen! ...

Der Duft stieg durch das offene Fenster weit in die Straße hinaus.

Barbro bewegte sich gravitätisch und majestätisch hin und her, während Silla ihr rasch und behende bald diese, bald jene Handreichung leistete, hierhin und dorthin sprang, ehe Barbro sich überhaupt einmal umgedreht hatte, und dabei keinen Augenblick den Fisch aus den Augen oder den Sinnen ließ.

Nikolais breites, freudestrahlendes Gesicht verfolgte den ganzen Vorgang des Bratens mit tief interessierter Aufmerksamkeit:

»So 'ne Makrele ist ein Biest, das gebraten sein will!«

Und dann endlich die einzelnen Stücke aus der Pfanne und aufs Brot!

Die Abendkühle begann erfrischend durch die warmen Häuserreihen hinzuziehen. Die drei, die sich da an den Makrelen gütlich taten, hatten das Gefühl, einen Festabend zu verleben.

Und dann: Werkmeister! ...


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