Jonas Lie
Hof Gilje
Jonas Lie

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Fünftes Kapitel

Der Hauptmann war in einer schrecklichen Stimmung und die Thüren dröhnten den ganzen Vormittag. Beim Mittagessen herrschte eine schwüle Stille.

Jürgens ernstliches Bestreben, möglichst unbemerkt zu bleiben, war indessen wie gewöhnlich von geringem Erfolge, denn bei der Suppe schlürfte er fortwährend laut.

»So schlürf doch nicht wie ein Ferkel,« Junge, donnerte der Vater.

Nach dem Essen erinnerte sich der Hauptmann der Notwendigkeit, einige Berechnungen zu einer Vermessungsberichtigung auszuführen, die seit dem Herbst liegen geblieben waren. Da war es nicht ratsam, dem Dienstzimmer zu nahe zu kommen, denn er war gegen das geringste Geräusch empfindlich und wurde bei jeder Störung ganz wild. Demnach war es still, sehr still im Hause geworden. In der Stube hörte man das Spinnrad schnurren, die Thüren wurden mit der größten Vorsicht geöffnet, und wenn trotzdem eine knarrte oder der Wind die Beischlagthür zuwarf, herrschte die größte Angst.

Jetzt rief oben jemand, und er kam mit der Reißfeder im Munde aus dem Dienstzimmer.

»Wo ist denn nun wieder die alte blaue Zeichenmappe geblieben, die immer oben auf dem Tisch im Gange lag?«

Ma mußte heraufkommen, und Jörgen und Thea wurden verhört.

»Da ... dort auf dem Tische hat sie fünf Monate gelegen! Was soll denn das heißen, daß ihr mich mit dem ewigen Aufräumen rein zur Verzweiflung bringt?«

»Aber lieber, lieber Jäger! Wir werden sie schon finden. Hab doch nur ein wenig Geduld – wir wollen suchen.«

Und nun ging's ans Suchen auf dem Boden unter allen Fensterflügeln, umgestülpten Tischen, Haspeln, Schränken und allerhand Gerümpel. Jörgen stand in seinem ängstlichen Eifer in der Tiefe eines Fasses wühlend auf dem Kopfe, bis Ma endlich mit vieler Gewandtheit die Nachforschungen wieder ins Dienstzimmer lenkte.

»Oben auf dem Aktenschrank liegt ein großer blauer Umschlag – aber da hast du wohl schon gesucht?«

»Da? – Nun möchte ich aber wirklich wissen, wer sich erdreistet hat ... ?«

Er stürmte wieder ins Dienstzimmer. Ja, da lag sie! Nun schleuderte er die Reißfeder fort, denn er war gar nicht mehr zum Arbeiten aufgelegt, und sah sehr finster aus, als er mit aufgestützten Ellbogen vor seinem Pulte saß.

»Das ist deine Schuld, Ma, sage ich. – Oder war ich es etwa, der den pfiffigen Einfall hatte, sie nach Rylfyke zu schicken?« sprach er und schlug wütend aufs Pult. »Das ist Blutgeld – Blutgeld, sage ich. Wenn das in dem Maße weiter geht, was bleibt uns dann für Jörgen übrig? Uff! Das steigt mir zu Kopfe! Achtzehn Thaler rein ins Wasser geworfen!«

»Aber ein Sonntagskleid muß sie doch haben! Thinka hat jetzt die Kleider, die sie von Hause mitbekommen hat, anderthalb Jahr getragen.«

»Und neue Schnürstiefel aus Stavanger! O ja! Unter Stavanger geht's natürlich nicht... da steht's!« Er nahm die Rechnung vom Pulte. »Und einen lackierten Gürtel und für Halbsohlen und Schuhflicken zwei Thaler, ein Ort ... und Nähsachen! Ich habe noch nie gehört, daß ein junges Mädchen, das in einer solchen Stellung bei Verwandten ist wie Thinka, sich ihre Nähsachen selbst kaufen müßte! ... Und Porto! Ein Thaler, zwei Orte, fünf Schillinge ... zwei Orte, fünf! ... das ist ja rein unvernünftig!«

»Aber Jäger, du mußt doch bedenken, daß das für anderthalb Jahre ist, und jeder Brief kostet doch sechzehn Schillinge!«

»Das ist mir ein schöner Amtsrichter, sage ich, der nicht einmal die Briefe bezahlt, die aus seinem Geschäftszimmer abgeschickt werden. Und überhaupt! Warum hat sie denn schon wieder geschrieben, nachdem sie eben erst Grüße in den Brief deiner Schwägerin eingelegt hatte? ... Aber nun kommt's erst gehörig: vier und eine halbe Elle Seidenband! Warum nicht gleich zehn – zwanzig Ellen, so lang, wie von hier nach Ryfylke? Das wäre doch der Mühe wert gewesen, dann hätte sie doch ihren Vater mit einemmal zu Grunde gerichtet. Denn wie das enden wird, das ist ja klar vorauszusehen.«

»Aber bedenke doch, die Reisen zum Besuche und zu den Gesellschaften beim Pastor und beim Fürsprech – wir müssen sie doch anständig gehen lassen.«

»Ach was! Ich habe niemals gehört, daß Töchter so viel Geld kosten. Das ist ja ein funkelnagelneues Reglement, das du da erfunden hast. Und wo soll denn das am Ende hinaus?«

»Wer nicht sät, Jäger, der erntet auch nicht.«

»O ja, eine schöne, gedeihliche Ernte steht für uns in Aussicht! Dein Bezirksadonis aus der Schreibstube, der um sie herumscherwenzelt – ein armer Schreiber, der kein Examen gemacht hat! Aber er soll höllisch fix in Erbteilungssachen sein. He, he!«

Ma sah etwas betroffen aus und starrte hoffnungslos vor sich hin, denn damit hatte der Hauptmann eine Sache berührt, worüber sie sich im stillen Sorge machte.

»Ja, das hat Thinka geschrieben – er sei sehr gewandt in Erbteilungssachen. Hast du denn nicht gemerkt, daß das uns vorbereiten sollte!« Er brummte etwas in den Bart. »Das ist doch so klar, wie Hefenbrüh', daß sie sich in den vergafft hat; deine Schwägerin hatte sonst auch nicht so darüber geschrieben.«

»Thinka ist von Natur weich,« antwortete Ma langsam und nachdenklich, »und sie ist so leicht zu blenden, das arme Kind, warmherzig und empfänglich, wie sie nun einmal ist! Aber jetzt hat sie sich ja schon etwas in der Welt umgesehen. – Thinka ist doch immer gehorsam gewesen ... mir wollen die Hoffnung nicht aufgeben, daß sie dem Wort ihrer Eltern zugänglich ist. Ich werde ihr schreiben und vorstellen, wie aussichtslos ...«

»Aussichtslos? ... Laß ja deine Finger davon, Ma! Heiratsanträge wachsen nicht auf den Bäumen, daß man sie nur so herabschütteln könnte. Was meinst du denn, was für Aussichten Thinka hier oben hätte? Werde ich alt und muß den Abschied nehmen, dann sieht's schlimm aus mit all den Töchtern auf dem Halse! Laß uns nur nicht toll vor Hochmut werden, Ma, ratzentoll! Das steckt dir im Blute, wie allen Zittows.«

Ein etwas herber Zug erschien um Mas Lippen, und ihre Augen verdüsterten sich, aber das war sofort wieder vorüber.

»Ich meine, wir könnten hier im Hause eigentlich an Speck und Butter sparen; unsre ist nicht halb so scharf gesalzen, als man sie an andern Orten findet, und falls wir die Schweine – ich meine nur die Schinken – nach der Stadt schickten, wenn der Wagen hinfährt, dann können wir das Geld leicht wieder einbringen. Sonst wüßte ich keinen Rat. – Bezahlt muß es aber einmal werden, und da meine ich, es wäre am besten, Jäger, wenn du gleich nach der Post gingest und das Geld abschicktest. Sie sollen doch nicht denken, daß wir nicht zahlen können?«

»Zehn und fünf macht fünfzehn ... und die achtzehn,« sprach der Hauptmann, erhob sich stöhnend und zählte das Geld aus der Schublade des Pultes auf. »Das Geld sehen wir nicht wieder. – Wo ist denn nun schon wieder meine Papierschere. – Die Schere, sage ich!« schloß er ungeduldig.

Er nahm den grauen Umschlag eines alten Dienstschreibens, drehte ihn um und fing an, einen Umschlag für einen Geldbrief zurecht zu schneiden,

»Ueberrock und Halstuch liegen hier beim Ofen,« sprach Ma, wieder eintretend,

»So! Steck mir Siegellack und Petschaft in die Seitentasche, damit ich sie nicht vergesse, sonst muß ich fürs Versiegeln auch noch bezahlen.« – – –

Des Hauptmanns schwüle Laune war wie weggeblasen, als er von der Post zurückkehrte. Er hatte einen Brief von Inger-Johanna dort vorgefunden und sofort angefangen, etwas hineinzusehen, bis es zu dunkel geworden war. Der Ueberrock flog nur so ab, und ohne die Mütze abzunehmen, fing er beim angezündeten Licht wieder an zu lesen.

»Ma, Ma!« rief er zur Thür hinaus. »Sagt doch Ma, sie solle gleich hereinkommen, und dann bringt auch noch ein Licht.«

Das Licht hatte gerade die Laune, sich zu verdunkeln, so daß er nicht weiter lesen konnte und warten mußte, bis der Docht sich erholt hatte. Ma war beim Backen gewesen und trat nun, die dabei aufgekrempten Aermel herunterstreifend, ins Zimmer.

»Nun hör 'mal zu!« rief er und fuhr fort zu lesen:

»... Ach, daß so ein Ball nicht länger dauert! Tante gehört zu den Leuten, die gern beim Aufbruch die ersten sind, so daß ich beim Cotillon in beständiger Angst dasitze, daß sie den Schlitten befiehlt. Und dann werde ich verhört, allein so, wie die paar ersten Male, wo ich beim Nachhausefahren alles Mögliche schwatzte und plapperte und meine Seele und alle meine Gefühle in Tantes Schoß wie in eine Tasche ergoß, ist das jetzt doch nicht mehr.

»Gestern war ich auf meinem siebenten Balle, und nun bin ich schon zu allen Tänzen bis zum neunten engagiert, der noch lange nicht der letzte in diesem Winter sein wird, wie ich hoffe. Fünfmal habe ich den Ball eröffnet. Gestern bin ich glücklich, wenn auch mit knapper Not, dem Lieutenant Mein entwischt, der, von dem Jörgen behauptet, er hatte ein Trensengebiß im Munde. Er kommt jetzt immer und will sich den Cotillon sichern, wie er's nennt. Zu Hause in Tantes Gesellschaften sitzt und steht er immer umher (und das ist alles, was er thut, denn es kommt nie ein Wort aus seinem Munde) und starrt mich an.

»Aber Ihr solltet nur meine Tanzkarten sehen! Ein Drittel von allen Tänzen habe ich gewiß vorgetanzt. Tante hat mir eine ganz prachtvolle Gürtelschnalle geschenkt, die mit all den dunkelgelben Steinen wunderschön zu meinem Kleide paßt. Tante hat Geschmack, das muß man ihr lassen, aber trotzdem sind wir fast nie einig, wie ich mich kleiden soll. Die alte Tante Alette war gestern hier bei mir, und es gelang mir, sie dahin zu bringen, daß sie für mich Partei nahm, so daß ich die Erlaubnis erhielt, die langen Ohrgehänge wegzulassen. Sie baumeln immer so, daß ich meine, ich hätte zwei Klötze da hängen, und im Kleide muß ich die Arme rühren können, sonst komme ich mir wie eine Holzpuppe vor.

»Ihr müßt nämlich wissen, daß ich schon ein halbes Viertel gewachsen bin, seit ich Euch verlassen habe. Aber nie in meinem Dasein habe ich wirklich gewußt, glaube ich, was es heißt, im Winter zu leben. Wenn ich die Augen schließe, ist es mir, als ob ich im Traume durch eine ganze Flucht von Sälen mit strahlenden Kronleuchtern sehen könnte, worin die Klänge der Tanzmusik wogen, und wo ich tanze und von einem großen Herrn geführt werde, so daß mir alles Platz macht.

»Ich kann es wohl verstehen, was Tante Eleonore gefühlt haben mag, sie, die so schön war, und der ich, wie viele sagen, so sehr gleichen soll. Sie sei ja auch nach einem Balle gestorben, sagt Tante Alette; das muß vor Freude gewesen sein. Es gibt nichts, was dem Tanzen gleichkäme, nichts, was so viel Vergnügen macht, als das Wettrennen mitanzusehen, das die Herren beim Engagieren veranstalten, wie sie gleichsam mit den Augen knieen und verwirrt werden, wenn ich ihnen eine unerwartete Antwort gebe.

»Und wie vielmal glaubt Ihr wohl, daß ich habe hören müssen, ich hätte so wundervolles schwarzes Haar, so merkwürdig strahlende Augen, eine so prachtvolle Haltung? Wie oft meint Ihr wohl, daß mir das auf die feinste und auch auf die plumpste Art gesagt worden ist? Sogar Tante beginnt, mich zu bewundern. Ich könnte mir fast wünschen, der ganze Winter, das ganze Leben (das heißt, solange ich schön bin, nicht länger) wäre ein einziger Ball, wie der polnische Graf, der auf Zucker Schlitten fuhr.

»Und jedesmal, wenn ein Ball vorüber ist, und ich liege im Bett und denke daran, und die Musik klingt mir noch in den Ohren, dann habe ich ein Gefühl, als ob ich am liebsten stürbe – bis ich anfange, an den nächsten zu denken.

»Dazu soll ich ein neues Kleid haben, hellgelb mit schwarz, das und weiß kleiden mich am besten, sagt Tante, und dann kriege ich auch gelbseidene Schuhe dazu, die bis an die Knöchel geknüpft werden. Tante behauptet, mein hoher Rist sei ein Zeichen von Rasse, und ich fühle auch, daß ich welche habe. Ich scheue mich wahrhaftig nicht, freimütig auszusprechen, was ich denke, und es ist so unterhaltend, zu sehen, wie die Leute die Augen aufreißen und sich wundern, was für eine Art Menschenkind ich eigentlich bin.

»Ich fange wirklich an, leise zu zweifeln, ob einige von unsern Herren jemals ein lebendiges Schwein, eine Ente oder ein Fohlen gesehen haben (das ist doch das schönste, was ich kenne). Sowie ich nur etwas vom Landleben erwähne, machen sie so dumme Gesichter! Vielleicht wäre es besser, wenn ich auf französisch davon spräche: un canard, un cheval, un cochon, une vache!

»Studiosus Grip besteht darauf, daß von den in der Stadt aufgewachsenen Leuten noch nicht einer unter zehn jemals gesehen habe, wie eine Kuh gemolken wird. Er ärgert Tante auch immer, indem er ihr vorhält, daß wir alles für viel feiner hielten, wenn's französisch erzählt wird, und er meint, wir läsen und weinten viel lieber über zwei Liebende, die vom Pont neuf aus ins Wasser springen, als wenn es von der Vaterlandsbrücke hier zu Hause geschähe; dann wäre es einfach gemein! Und ich muß sagen, ich finde, er hat manchmal recht, und auch Tante mußte lachen. Und wie oft sie auch sagen mag, es fehle ihm an feinem Wesen und angeborener Bildung, sie läßt sich doch ganz gern von ihm unterhalten. Und das thun sie überall, denn er ist jeden Tag ausgebeten.

»Zu uns kommt er gern Sonntag nachmittags und trinkt Kaffee, denn da ist er sicher, wie er sagt, daß Tante und ich uns langweilen (da hat er recht, gräßlich, aber woher kann er das nur wissen?), und dem Umhergehen auf Stelzen und dem Lügen bei den blauen Theetassen entschlüpfe er gern.

»Und Tante und er sind so belustigend, wenn er von der Leber weg redet, und Tante ihm widerspricht und kein gutes Haar an ihm läßt. Denn er denkt sich beständig sein Teil; das kann ich schon sehen, wenn er so mit schief gehaltenem Kopfe dasitzt und langsam seinen Kaffee umrührt. Er ist wirklich zu komisch. Wenn er widersprechen will, dann kann man das immer schon lange, ehe er den Mund aufmacht, oben an seiner Stirnlocke merken.

»In der Stadt wird von ihm als einem der Schlimmsten im Studentenverein gesprochen, wo sie so begeistert für die neuen, wilden Ideen sind, allein Tante findet ihn pikant und ist der Ansicht, Jugend habe das Recht, sich auszutoben; Onkel meint dagegen, ein solches Benehmen sei heutigestags nachtteiliger für die Zukunft eines jungen Mannes, als die schlimmsten Ausschweifungen, da es ihn unfähig mache, sich unterzuordnen.

»Ich möchte übrigens gern wissen, was er von mir denkt.

»›Das gnädige Fräulein gehen wohl heute abend wieder zu Balle?‹ fragt er mich manchmal in höchst unpassendem Tone.

»Aber ich weiß mich dafür zu rächen. Gerade, wenn er am eifrigsten redet, frage ich Tante um Rat wegen meiner Handarbeit, oder gähne ziemlich unverhohlen, oder sehe zum Fenster hinaus. Daß ihn das ärgert, merke ich sehr wohl, und letzthin fragte er, ob Fräulein Jäger ihre Gedanken bloß einen Augenblick vom nächsten Balle abwenden könne.

»Onkel ist häufig böse über seinen Eigensinn und hält ihn für eine Persönlichkeit, mit der unbehaglich zu verkehren sei, aber ich glaube, in seiner Schreibstube würde er ihn doch ungern vermissen, denn er ist sehr tüchtig.

»Onkel lebt für weiter nichts, als für sein Amt. Ihr solltet nur 'mal hören, wie er sich wegen des geringsten Fehlers oder Mangels an Pünktlichkeit im Dienst aufregen kann!«

»Das dankt ihm der Satan! ... Wenn er Stiftsamtmann ist!« rief der Hauptmann.

»Armer Jonas!« seufzte Ma; »er war immer derjenige von den Brüdern, der sich alles am meisten zu Herzen nahm, aber er hatte den besten Kopf.«

»Ja, ja; der Amtsrichter in Ryfylke scheint seinen Teil an Kraft und Willensstärke mitbekommen zu haben.«


Nur etwa vierzehn Tage waren vergangen, als sie zu ihrer großen Ueberraschung schon wieder einen Brief, diesmal von der Frau Stiftsamtmann mit einer Einlage von Inger-Johanna erhielten. Sie müsse unter allen Umständen ihre liebe Inger-Johanna noch ein Jahr behalten, schrieb die Frau Stiftsamtmann. Sie wäre ihnen, sowohl ihr selbst, als auch ihrem Manne, unentbehrlich geworden, so daß es ihnen schwer werde, sich vorzustellen, daß sie überhaupt noch ein andres Heim habe. »Ihren Onkel hat sie nun einmal durch das jugendfrische Leben, das sie ins Haus gebracht hat, ganz verwöhnt. Mein lieber Zittow mit seiner ängstlichen Gewissenhaftigkeit ist in seinem schweren Amte mit Aufregungen und Verantwortung überlastet und nach seinen vielen schlechten Nächten sehr der Zerstreuung und Aufheiterung bedürftig. Ja, wir sind selbstsüchtig genug,« scherzte sie, »den Vorschlag zu machen, daß wir uns in das Kind teilen wollen, und zwar bin ich so unbescheiden, eine Teilung ins Auge zu fassen, die ich selbst als ungerecht anerkennen muß, nämlich, daß Inger-Johanna im Sommer zum Besuche nach Hause reist, aber nur, um wieder zu uns herunter zu kommen. Es würde uns eine große Enttäuschung sein, wenn Ihr nicht darauf einginget.

»Aber wir wollen den Apfel der Zwietracht nicht vorzeitig ins Rollen bringen, sonst könnte es uns ergehen, wie den Großmächten, welche um die schöne Insel im Mittelländischen Meere haderten, die dann während der Verhandlungen versank! Und ich bin auch weit davon entfernt, dafür einstehen zu wollen, daß der liebe Gegenstand des Zwistes nicht in kurzer Zeit ein eigenes Heim zu seiner Verfügung haben wird, das im richtigen Verhältnis zu den Ansprüchen steht, die sie mit ihrem ganzen Wesen und ihrer Schönheit zu machen berechtigt ist.

»Daß ich als ihre Tante einseitig für sie eingenommen sein sollte, kann ich kaum glauben; ich kann mich zum wenigsten auf einen erfahrenen, kundigen Meinungsgenossen berufen, unsern gemeinschaftlichen Freund Hauptmann von Rönnow, der in der vorigen Woche im Gefolge der Königlichen Majestäten von Stockholm hier war und, nebenbei gesagt – aber das bleibt unter uns – auf dem Sprunge steht, eine ganz außerordentliche Laufbahn zu machen. Er war ganz begeistert, als er Inger-Iohanna wiedersah, erklärte sie für eine vollendete Schönheit und Dame von angeborener Vornehmheit, ganz dazu gemacht, in Kreisen Aufsehen zu erregen, die über dem Gewöhnlichen erhaben sind, und noch manches andre, was nicht für die Ohren des lieben Kindes bestimmt ist. Ich kann nur hinzufügen, daß er sie beim Abschied meiner Obhut dringend empfahl und mich mit einer gewissen Besorgnis bat, für ihre weitere Entwickelung Sorge zu tragen.

»Steht er auch nicht mehr in der ersten Jugend, so ist er doch vielleicht der schönste, oder auf alle Fälle einer der schönsten und hervorragendsten Männer im ganzen Heere, und es würde ihn keine Mühe losten, auch die Anspruchsvollste zu gewinnen.« »Na, das will ich meinen! ... Du, Ma,« sprach der Hauptmann mit einem schlauen Blinzeln, »was sagst du nun? Jetzt glaube ich, daß unsre Aussichten steigen.« Er ging einigemal rings ums Zimmer herum und fiel dann über Inger-Johannas Brief her:

»Liebe Eltern!

»Nein, nun muß ich Euch aber etwas mitteilen. Hauptmann Rönnow ist hier gewesen! Er kam gerade, als Tante große Gesellschaft hatte, und sieht noch einmal so schön und kühn aus, als damals bei seinem Besuch auf Gilje, und ich habe wohl bemerkt, daß er ein wenig stutzte, als sein Auge auf mich fiel, während er Tante begrüßte.

»In mir hämmerte es auch ganz gewaltig, kann ich Euch sagen, sowie ich ihn wiedererkannte; ich fürchtete wirklich so halb und halb, er könne mich vergessen haben. Aber er trat zu mir und ergriff meine beiden Hände.

»›Die Knospe, die ich zuletzt auf Gilje gesehen habe,‹ sprach er ganz warm, ›ist wahrlich herrlich aufgegangen.‹

»Ich errötete natürlich, denn ich weiß sehr wohl, daß er die erste Veranlassung meines Hierseins ist.

»Das nenne ich aber echte Vornehmheit und eine freie und gerade Art, sich zu benehmen! So unterhaltend er auch war, verlor er niemals auch nur einen Hauch seiner prächtigen, männlichen Würde, und außer ihm noch andre zu beachten, davon konnte den ganzen Abend keine Rede sein. Ich gestehe, daß ich jetzt einen andern Maßstab gefunden habe, wonach ich beurteilen werde, ob jemand ein echter Kavalier ist – das, was ich einen Mann nenne, und da wird es wahrlich viele geben, die nicht bestehen können.

»Auch Tante hat sich über sein Wesen ausgesprochen, und ich glaube, sie fühlte sich geschmeichelt, weil er so liebenswürdig und herzlich gegen mich war, wenigstens ist sie seitdem in der besten Laune.

»Von da an ist er täglich gekommen und weiß so viel von Stockholm und dem Leben am Hofe zu erzählen, daß man gar nicht müde wird, ihm zuzuhören. Mit mir spricht er immer von Euch zu Hause – vom Vater, der, ungeachtet er älter ist ...«

»Viel, viel älter!« warf der Hauptmann eifrig dazwischen, »vier, fünf Jahre zum mindesten!«

»... doch stets sein unvergeßlicher Freund geblieben sei. Ihr könnt Euch denken, wie gemütlich diese Abende waren. Tante versteht die Sache. Ich habe ordentlich Sehnsucht nach ihm, und Tante geht es geradeso. Die beiden letzten Abende – er ist wieder abgereist – haben wir zusammen gesessen und fast von nichts andrem gesprochen.

»Gestern abend war Grip hier. Seit Hauptmann von Rönnow zum erstenmal bei uns war, haben wir Grip nicht wieder gesehen. Und kann man sich wohl einen solchen Menschen vorstellen? Er behauptet, er könne nichts Besonderes an Herrn von Rönnow finden! Da saß er, widersprach uns und war den ganzen Abend querköpfig und unleidlich, so daß Tante seiner ganz überdrüssig wurde. Er sprach immer in wegwerfendem Tone über ein schönes Aeußere und eine hohle Trommel und dergleichen, als ob es nicht gerade die echte Männlichkeit und Natürlichkeit wäre, wegen deren man unsern Hauptmann Rönnow den Preis zuerkennen muß.

»Ach, ich habe die halbe Nacht gelegen und mich geärgert. Er rührte in seiner Tasse und sprach über Menschen, die mit einer seidenen Binde von Redensarten und Schmeicheleien in der Welt umherliefen. Man könne einen gesunden Verstand zu Tode schmeicheln, so daß man zuletzt wieder da stände wie eine – ich habe es deutlich gehört, wie er ›Gans‹ sagte! Ist das nicht furchtbar unverschämt? Ich bin ganz sicher, daß er mich meinte.«

»Als er gegangen war, sagte Tante auch, daß sie von nun an nicht mehr zu Hause für ihn sein werde, wenn nicht noch andre Leute anwesend seien. Die Vorstellungen, die er uns allein zum besten gäbe, habe sie satt; diese Art von Leuten müsse man fest in ihren Schranken halten. Fortkommen im Leben werde er niemals, meinte sie, dazu hielte er zu viel von seiner eigenen Meinung.«

»Es wäre übrigens langweilig, wenn er ganz wegbliebe, denn trotz all seiner Schrullen ist er mir manches Mal ein guter Kriegskamerad gegen Tante gewesen.«


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