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Kuppel

1.

Kennt ihr das jüdische Lied: »Fragt die Welt eine alte Kasche (Frage)«? »Tra-la, Tra-di, Ridi, Rom«, fragt man. Und man antwortet: »Tra-di, Ri-di, Ri-lom«. Und wenn man will, kann man doch auch sagen: »Trajdim«? – Und immer ergeht es dir wie dem Rabbi mit den zwei Streitenden. »Trage du den Fall vor«, sagt der Rabbi zum ersten, und als er ihn angehört hat, entscheidet er: »Du hast recht.« – »Und nun trage du den Fall vor«, sagt er darauf zum andern. Und er schildert nun die Sache gerade umgekehrt. Der Rabbi aber hört sorglich zu und entscheidet schließlich: »Du hast auch recht.« Da ruft der erste verwundert: »Aber es ist ja doch nicht möglich, daß ich recht habe, und er hat auch recht.« Und wieder grübelt der Rabbi und entscheidet schließlich: »Da hast du auch recht.«

Wenn der Zionist stundenlang dargelegt hat, Judentum sei nicht nur eine Theorie, ein Menschheitsverein, eine Weltanschauung, sondern Wirklichkeit in Leben und Blut, dann kommt sicher ein Sozialist und erklärt: »Gar nichts kommt darauf an, daß Völker da sind. Wozu sie da sind, welchem Sinne sie dienen, darauf kommt es an. Nur als Träger ewiger Menschheitswerte haben wir Daseinsrecht.«

Und umgekehrt: Wenn der Sozialist stundenlang dargelegt hat, daß die übervölkische Gemeinschaft der Wahrheit und der Gerechtigkeit tiefer verpflichte als aller Zufall der Geburt, und daß auf dem Boden der Nationalstaaten keine Frage der Völker lösbar sei, auch nicht die Frage der Nationalitäten selber – flugs tritt der Zionist auf und ruft: »Blut ist wirklicher als Geist. Die Natur könnt ihr nicht austreiben. Wir auch haben ein Recht auf Selbsterhaltung.«

Und so wird der Wortkampf weitertoben! Wie können wir dem Buche vom Selbsthaß eine Kuppel bauen? Wie die endgültige Brücke schlagen?

2.

Der Verfasser dieses Buches hat, wenn je irgendeiner, die übervölkischen Werte mit Blut und Leben zu erfüllen getrachtet und ist tief davon überzeugt, daß einzig der Klassenkampf, nie die heutige Politik der Nationalstaaten die entscheidende Lösung für das Menschengeschlecht bringen wird. Er steht jedem »Nationalismus«, auch einem jüdischen, unüberbrückbar fern. Und doch wünscht er, daß jeder Mensch fühlen möge: »Ich bin, was ich bin, und habe das Recht, mich meiner zu freuen.« Es wäre ganz fruchtlos, darüber nachzudenken: Bin ich mehr deutsch? oder mehr jüdisch? oder beides? oder keines von beiden? Denn so wie du zur Welt geboren bist, so sollst du wachsen und dich erfüllen! Und gibt dir dieses Land dazu nicht das Recht und will dich vergewaltigen, so gehe in ein anderes. Völkerfragen sind alle unlöslich! Aber wir machen diese Fragen ja selber, und eines Tages werden sie gelöst sein, weil man in einigen Jahrhunderten nicht mehr so fragen wird, wie wir heute fragen 16.

16) Für Kenner der philosophischen Schriften des Verfassers haben manche scheinbaren Widersprüche dieses Buches – insbesondere die immer kritische Haltung gegen den »Geist« bei gleichzeitiger ethischer Sinngebung des Menschenlebens – ihre Doppelgesichtigkeit verloren.

Für solche aber, die mit meiner Philosophie nicht vertraut sind, will ich an dieser Stelle eine kurze Reflexion anfügen über Sinn und Grenze der Ethik und mithin über das Thema des tragischen Selbsthasses.

Ich beziehe mich dabei insbesondere auf mein Werk »Wertaxiomatische Studien. Einführung in Reine Ethik und Reines Recht«, Verlag Felix Meiner in Leipzig. 2. Auflage 1914.

 

Ich bestreite, daß Sittlichkeit (Ethik, Moral) »von Natur« jemals vorhanden war, vorhanden ist oder je vorhanden sein wird. Wenn auf irgendeinem Gebiete jene Lehre von der Fiktion, jene »Philosophie des Als Ob« einen Sinn hat, wonach der Mensch, um sich als Mensch überhaupt forterhalten zu können, gezwungen ist, so zu tun, als ob das Rationale-Sinnvolle das Wesen des Wirklichen sei, dann dürfte auf dem Gebiete des Sittlichen diese »allgemeine Heuchelei« in der Tat notwendig und erforderlich sein.

Meine Leugnung des Moralischen als eines erfahrbaren Tatbestandes der wirklichen Welt schließt aber nicht im mindesten aus den Absolutismus des ethischen Urteils.

Meine »Wertaxiomatik« bemüht sich, zu zeigen, daß Gesetze der Moral genau so unbedingt und anschaulich (evident) sind wie Gesetze der Mathematik. Der Umstand, daß wir »sittliche Wesen« nicht sind und auch künftig nicht werden können, hindert uns nicht daran, sittlich urteilende Wesen zu sein.

Und zwar ist jedes Urteil im Kern moralisches (d. h. wertrangierendes) Urteil. Den engsten Kreis normativer Gesetze, auf welche jedes Urteil sich notwendig beziehen muß, bezeichne ich als die Axiomatik des Wertens. –

Ich könnte nicht zugeben, daß man von einer solchen Ethik sagte, sie sei »zwar absolut gültig, aber rein formal«, da ich die Unterscheidungen von materieller und formaler Logik oder Ethik nicht kenne. Aufs entschiedenste bestreite ich die Lehre, daß es materiales Seelenleben gäbe, welches schon an und für sich selber (d. h. unabhängig von einer ordnenden Welt des Urteilens) gut oder böse, sittlich oder unsittlich sei, wie denn z. B. nach meiner Meinung Liebe durchaus nicht »besser« zu sein braucht als Haß, Großmut nicht »besser« als Rache. Meine Lehre, daß jeder beliebige Gemütszustand je nach Zuordnung sittlich oder unsittlich sein könne, hat zumal von seiten Max Schelers Widerspruch erfahren. Ich kann mich aber nicht davon überzeugen, daß Güte oder Liebe immer und unter allen Umständen »besser« oder »moralischer« sei, als z. B. Rachsucht oder Neid. Zu diesem ersten Gedankengang bezüglich der » Unwirklichkeit« der Ethik tritt der folgende zweite.

 

Das Menschenleben ist im Gegensatze zur außermenschlichen Natur unheilbar tragisch. Es ist darum tragisch, weil es gezwungen ist, nach einer Norm denkend zu urteilen und handelnd zu entscheiden, deren volle Verwirklichung nichts anderes sein würde als: das Ende der Menschheit selber.

Die Schuld und mithin auch der Selbsthaß ist die nie und nimmer verstummende, nie und nimmer vermeidbare Begleitmelodie jedes unsrer Gedanken, jeder unsrer Handlungen.

Über dem Tempel von Delphi stand das Geheimwort zu lesen: »Erkenne Dich selbst.« Aber wir leben nur darum, weil wir uns selber nicht kennen. Es wäre vollkommen unmöglich, das Leben auszuhalten, wenn es mit klarer Selbstschau verbunden wäre.

Nur darum, weil das Auge der Ethik einerseits ein unsäglich schwaches Auge und andrerseits auch ein schönfärbendes Auge ist, vermögen wir uns selber zu ertragen. Wir sehen es eben gar nicht, daß jeder, auch der edelste und beste, auf Schritt und Tritt Verbrechen begeht und begehen muß. Auch die gesamte Dialektik der Theologen und aller Volkserzieher lügt uns zuletzt doch nur auf eine einleuchtende und schöne Weise hinweg über die Tatsache, daß wir eine bösartige Wolfsrasse sind. Nicht wir Juden, sondern wir Menschen! Eine Wolfsrasse, von welcher schon viel erreicht sein wird, wenn sie dereinst in ferner Zeit leidlich zusammen bestehen und einer auf den andern Rücksicht nehmen wird; nicht freilich darum, weil in den Herzen »Liebe und Güte für jedes Menschenantlitz« lebt (darauf mögen Männer warten, die eine andere Lebenserfahrung hinter sich haben als die unsere war). Nein! einfach darum, weil der ganze sogenannte Fortschritt des Menschengeschlechts auf wachsende Knebelung und Verstaatlichung des äußeren Lebens hinauskommen wird, also auf die Lösung des Problems: Wie kann jeder Mensch vor jedem andern Menschen und zugleich auch vor sich selber beschützt werden?

 

Schon die Forderung, daß die außermenschliche Welt, ja daß auch nur die höhere Tierwelt vor der Menschheit geschützt werde (wozu nicht bloß der selbstverständliche Verzicht auf die tierische Nahrung, sondern auch der Verzicht auf bewußtes Morden, Verbrauchen und Ausnützen der Tiere gehören würde), scheint mir in der kommenden europäisch-amerikanischen Menschenwelt völlig utopisch zu werden.

 

Das Phänomen der Selbstquälerei, der Selbstverachtung, des Selbsthasses, das wir auf diesen Blättern (wenn auch nur in dem engen Umfange der jüdischen Frage) zu betrachten hatten, erscheint fast wunderbar, fast wie Symbol einer ganz anderen als irdischen Welt, wenn wir klar vor Augen haben, in welcher Bestienwelt wir wohnen, wie überall die Selbstsucht als das ganz Selbstverständliche gilt, wie überall das Niederträchtige das Natürliche ist und wie die Enge des Herzens (und des Kopfes dazu) immer und überall die Regel zu sein scheint.

Ein Auserlesener unter Hunderttausend ist schon jeder, der dieses sieht und es auch sich selber klar eingesteht, während doch Millionen dahinleben, die niemals Zweifel an ihrer Gottähnlichkeit verspüren und es offenbar für ganz selbstverständlich und weiter gar nicht verwunderlich halten, daß man im warmen Zimmer und beim guten Mittagessen sitzt, indes im Regen draußen der hungrige Handwerksbursche vorüberzieht, das Kälbchen zum Schlachthof getrieben wird und die Arbeitslosen in den Gassen lungern.

 

Daß wir mit jedem Bissen Brot, mit jeder Zigarre schuldig sind, das sollte der Grundstock aller Selbsterkenntnis sein. Aber es scheint, daß die Menschenwelt immer nötig hat und voraussetzt: eine gute Robustheit oder Schiefheit des Gewissens, eine selbstgerechte Verlogenheit, ein Nichtzugenauhinsehen, eine Kraft, alles Unzulängliche fröhlich zu vergolden. Immer sprechen wir mit Shakespeare: »Die Sache so betrachten, hieße sie allzu genau betrachten« oder mit Goethe: »Es ist nicht gut, nach allen Seiten billig sein, es hieße das eigne Selbst zerstören.«

 

Der paradoxe Tatbestand der Ethik ist dieser: Alle Forderungen der Moral kommen hinaus auf Verminderung des Leidens dieser Welt. Andererseits aber wird diese Welt einzig durch das Leiden vorangespindelt. Es gibt keine andere Motorkraft als Leiden. Tilgen wir die Not, so tilgen wir das Leben. Haben wir die Not beseitigt, dann haben wir die Welt zum Erlöschen gebracht. Dies ist denn auch das geheime Ziel und der geheime Sinn aller Logik und aller Ethik. »Stillstand der Welt«, die durchaus auf Ungerechtigkeit und Unsittlichkeit aufgebaut ist und ohne Verbrechen und Schuld nicht würde bestehen können. –

 

Hier zeigt sich uns das Verhängnis des so vielgerühmten jüdischen Optimismus. Dieser Optimismus ist sozusagen nichts als eine vitale Fiktion. Niemals eine Wahrheit.

Wäre die jüdische Ethik auf ein negatives Endziel gerichtet, dann wäre sie zwar minder tatfähig, aber auch minder tragisch.

Es ist das Verhängnis des Judentums (so weit es eine nur ethische Gemeinschaft ist), bis ans Ende seiner Tage unter der Zuchtrute eines Gesetzes leben zu müssen, welches in Wahrheit kein Mensch (also nicht nur kein Jude), vorausgesetzt, daß er ein völlig wahrhaftiger Mensch ist, je völlig erfüllen kann. Es gibt keinen Gerechten! Und gäbe es ihn, dann hätte er bald aufgehört, noch Mensch bleiben zu können.

So kann ich zum Beschluß hier nur ganz banal und menschlich sprechen: Wir wollen Gutes tun, so weit wir nur können. Wir wollen Gutes tun, so lange wir nur können. Aber zu wenig tun wir doch!


3.

Unter den deutschen Juden, die dem Judentum nur die übervölkische Sendung gestatten, ragen gegenwärtig zwei ausgezeichnete Köpfe hervor: der Philosoph Constantin Brunner und der Sozialreformer Joseph Popper-Lynkeus. Beide fordern »den Verzicht auf jeglichen Biologismus«. »Israel«, so lehren sie, »ist das Wundervolk, welches seine geschichtliche Berufung nur dann bewahren kann, wenn es – übernational wie der Geist, die Mathematik, die Logik und die Ethik – die besondere und absondernde Gestalt aufgibt und grenzenlos und in allen Gestalten die Brücke baut zwischen den Völkern als der ewige Träger des einen in allen lebendigen Geistes.«

Was können wir diesen großen Lehrern des Endgültigen und Allbündigen erwidern? Nichts! Sie haben vollkommen recht. Wäre das Leben »Geist«, könnte eine Lehre Weltgeschichte machen, dann freilich hätte die Erhaltung eines Sondervolkes unter andern Sondervölkern keine andere Bedeutung, als etwa die Frage, ob eine selten gewordene Ameisenart unter alle andern Haufen des Waldes aufgeteilt oder in einem besonderen Haufen forterhalten werden müsse.

Aber – ihr großen Theologen und Philosophen! Habt ihr schon jemals ein Volk, eine Gemeinschaft, ja auch nur »Vertreter« von Volk und Gemeinschaft gesehen, welche nicht gesagt hätten: Wir sind es! Wir sind die Auserwählten!? – Jeder Ameisenhaufen hält sich für den Mittelpunkt des Waldes. Jede Tiergattung, jede Pflanzenart, jedes Volk würde alle andern Arten aufzehren, wenn sie das nur vermöchte. Für das Dasein und die Erhaltung eines Lebendigen lassen sich überhaupt keine Gründe beibringen. Würde man uns fragen: »Warum wollt ihr denn noch dauern?« so könnten wir darauf, wenn wir ehrlich sind, gar nicht anders antworten, als wie alle Wesen antworten: »Weil wir sind.«16

Grauenhaft, furchtbar, tief problematisch ist es, wenn je ein Mensch irgendeine andere Antwort gibt. Wenn er sich beruft auf »Sendung«, »Mission«, »Rang« und auf all den seelenmordenden Dünkel des Allgemeinen.

Die ganze Lebensfrage des jüdischen Volkes scheint mir diese zu sein: Kann es den Dünkel des Geistes überwinden? Kann ihm das Persönlichste und Nächste genugtun?

Wir wissen sehr gut, daß das Pflanzen eines Waldes, das Entwässern eines Sumpfs, das Roden eines Ackers, die Anlage einer Apfelsinenfarm, der Bau eines Elektrizitätswerks kein großes Volksziel ist. Wir wissen auch sehr gut, daß angesichts »der ewigen Werte der Wahrheit und des Rechts« das Vorhandensein eines bestimmten Volks, ja zuletzt sogar das Vorhandensein des Menschengeschlechts ganz gleichgültig ist, denn es kommt überhaupt nicht darauf an, daß wir da sind, sondern daß wir wert sind, da zu sein. Das wissen wir.

Aber den »Geistigen«, welche die »Ideale« so überdehnen, daß überhaupt nichts übrigbleibt von Natur, Boden, Blut und Volk, möge doch folgendes gesagt sein: Wir leben nicht, um gesund zu sein, aber für welches Ziel könnte wohl ein Mensch leben, wenn er nicht zuvörderst trachtete, gesund zu sein oder, falls er es nicht ist, gesund zu werden. Damit der Jude seinem Leben überhaupt einen Sinn geben kann, muß er zuvörderst einmal Jude sein dürfen, und muß es froh und gerne sein. Juden aber sind nicht bloß Geistige. Es sind nicht eine Anzahl Individuen, die im Telephonadreßbuch oder im Handelsregister beisammenstehen. Es sind Millionen lastentragende Eigengeschöpfe aus altem Blut. Und wenn in Rußland, in der Ukraine, in Rumänien, in Samarkand an ihnen Unrecht geschieht, so soll nur ja keiner von uns wähnen, das ginge ihn nicht an. Jeder, jeder Einzelne, auch der kleinste Jude soll spüren, daß sein Schicksal immer das unsere ist.

4.

Wenn wir Juden in Palästina wohnen geblieben wären, dann wären wir heute ein Volk unter andern vorderasiatischen Völkern, etwa wie die Griechen oder wie die Araber. Nun aber wurden wir vertrieben und unter wechselnden Sternen in Steinhaufen eingekäfigt und hinter Mauern gehalten. Dabei wurden wir vielfach verbildet, überzüchtet, ja manches Mal bis zur Lebensunfähigkeit zerstört. Aber wir nahmen mit alledem nur eine Entwicklung vorweg, welche einige Jahrhunderte später ganz ebenso das Schicksal der proletarisierten und in die Arbeitswirtschaft eingesperrten Menschenmasse Europa-Amerikas werden sollte.

Der Kern aller Völkerpathologik war die erzwungene Naturlosigkeit und Lebensentfremdung hinter Mauern und unter Folianten. Unserem Volke fehlten einige Jahrhunderte die Regulative alles gesunden Lebens. Wälderrauschen und Quellgeriesel, Meereswelle, singender Wind, Umgang mit Pflanze und mit Tier. Unser Volk ward verkünstelt. Hinter Mauern wuchsen bleiche Kinder, die lebenslang keine Landschaft mehr sahen, keine Weizenfelder, keine Eiche, keine Föhre. Es ist bekannt, daß dem Juden kein Beruf gelassen wurde als der Händlerberuf. Bauer, Jäger, Soldat konnte er nicht sein. Seine Heimat war der Geist, seine Scholle das Papier, sein Acker das Gehirn. Dies änderte sich erst im Zeitalter der sogenannten Emanzipation. Bis dahin war die Aufgabe unsrer Volkheit: Kompensationen zu erschaffen für das Dahinschwinden der lebensunmittelbaren Gemeinschaft mit Natur und Land.

Überall nun aber wo die Gemeinschaft (im Sinne von Naturgemeinschaft) sich lockert, da ist Gesellschaft (im Sinn von bewußter Vergesellung auf Grund gemeinsamen Denkens und Wollens) bemüht, einen Ersatz zu schaffen. Wenn die Natur nicht mehr gemeinsame Typen erschafft, dann müssen soziale Ziele und Ideale die Atomisierung der natürlichen Gemeinschaft verhindern. Die Juden also verband statt der gemeinsamen Erde das gemeinsame Gesetz; nicht die lebende Animalität, sondern die Setzung des Geistes. Das ist der Kern alles jüdischen Schicksals.

Wir können nicht oft, nicht stark genug bemerken, daß dieses Schicksal, diese Wurzellockerung, Naturentfremdung, Auflösung des Volkselementes im Laufe der letzten Menschenalter zum Schicksal der ganzen europäisch-amerikanischen Welt geworden ist, je mehr diese auf Technik, Industrie, Geldwirtschaft sich umstellte.

Die großen Weltstädte ohne Erdwuchs und Wald, von Kohlen überweht, die Industrieviertel, in denen blasse Proletarierkinder zwei Drittel des Lebens an Maschine und fließendem Band zubringen, sie sind durchaus nichts anderes als riesige moderne Ghetti. Man mache es sich klar, daß Millionen Industriesklaven in solche Ghetti unfreiwillig gebannt sind.

Dieser Übergang der noch naturunmittelbaren Menschen in die siegreiche moderne Geld- und Industriewirtschaft fiel zeitlich zusammen mit der Befreiung der Juden von Ausnahmegesetzen. Um die selbe Zeit also, wo die Juden endlich vom Kerker loskamen, wurde die große Masse der Völker in solche Kerker hineingesteckt.

Hier haben wir den Schlüssel für die gesamte Leistung des Judentums in der Gegenwart. Hier die Lösung für das Geheimnis aller Erfolge und die Erklärung für die Sonderstellung der Juden in der modernen Welt.

Jüdischer Wille und jüdische Intelligenz wurden führend. Warum? Sicher nicht darum, weil die Juden begabter sind und nicht einmal darum, weil sie überhaupt begabt sind. Sondern einfach deswegen, weil sie die selbe Krankheit hinter sich haben, von welcher die ganze übrige Erde, besonders aber das alte Europa nun plötzlich befallen ist. Das jüdische Volk befindet sich heute in der Lage eines Organismus, der eine Epidemie, eine Infektion schon durchgemacht hat, von welcher die jüngeren Organismen gerade eben jetzt übermächtigt worden sind. Wir besitzen bereits die »Antitoxine« und sind als die Älteren bereits »immun« geworden gegen Krankheitsgifte, deren Überwinden gerade eben jetzt zur Lebensfrage aller Völker der Erde wird.

Dies ist der Schlüssel für die Führerschaft der Juden im kommenden Zeitalter der sozialen Revolution. Nicht eine besondere Neigung zu Umsturz und Radikalismus steht dahinter, sondern einfach die ältere Leidenserfahrung.

Das Leiden, welches allen Völkern droht, hat das jüdische als das älteste am frühesten zu erdulden gehabt. Es mußte viele Fraglichkeiten durchdenken und versöhnen, welche an die jüngeren und glücklicheren Völker erst später herangetreten sind. Es hat seine Lösungen nicht nur für sich gefunden. Sie kommen allen Leidenden zugute. Grade darin liegt die Bedeutung der Juden, aber auch die große Gefahr, an dieser übervölkischen, rein geistigen Aufgabe sich aufzulösen.

5.

»Dort in der weißen Wüste steht die Flamme.
Sie trinkt von allem Purpur eures Bluts,
Sie trieft von allen Säften, Öl und Wein.
Die heißesten Mittagssonnen schmelzen drin
In starrer Flamme, der Flamme ohne Glut,
Die ehern steht, klar steht in stummer Luft,
Derweil die weiße Wüste wächst und wächst,
Die große Grabstatt in die Runde rieselt,
Bis alles weiße Grabstatt, weißes Licht.«

Die furchtbare Vision von der starren Flamme, die keine Wärme mehr ausstrahlt, sondern nur noch Licht gibt, hat ein edler Dichter, Karl Wolfskehl, als das Schicksal eines Volkes erschaut, welches nur ein Volk im Geiste, ein Volk der Kulturleistungen ist. Es steht zu erwarten, daß im Laufe des nächsten Jahrhunderts überall in Europa und Amerika viele jüdischen Geister führend sein werden und daß in jedem Volke die bedeutendsten Bewährungen und Werke von seinen jüdischen Mitbürgern ausgehen müssen.

Lassen wir uns nicht blenden von diesem Glanze des Werk-Schicksals. Schlagen wir davor die Augen nieder und bekennen: Dies ist unsre Scham! Dies ist die einzige wirkliche Gefahr unsres Volkes. Unsre Talente sind unsre Gefahr. Gleich wie jede Armee verloren ist, die nur noch Offiziere und keinen gehorsamen Soldaten mehr hat.

Denn es ist nicht wahr, daß ein Volk nur »der Umschweif der Geschichte ist, um zu ein, zwei großen Persönlichkeiten zu gelangen«. Es ist nicht wahr, daß die große Persönlichkeit die Geschichte macht, oder gar die Geschichte ist. Sondern Geschichte, Volk und Blut sind die Billionen Einfachen und Dunklen. Der Kern und Stern jedes Volkes – auch unseres Volkes – ist nicht die Lehre und sind nicht die Lehrer. Und wäre die Thora noch tausendfach erhabener und wäre sie der Ausdruck der reinen Erkenntnis und Gottes selber – sollen wir nicht Schatten und Gespenster werden, so müssen wir uns immer neu wandeln in alle die einfachen und frohen Gestalten, die nichts von Wahr und Falsch wissen. In Kinder und Frauen, in Bauer und Soldat, in Packträger und Arbeiter, Handwerker und Künstler und in alle die ganz Dumpfen und Schlichten, die das gute Hausbrot und die Ofenwärme unsrer Tage sind. Überschätzen wir nie die Macht des Geistes, die zwar die Welt erobert, aber die Natur zerstört.

Zum Volke gehören die frohen Spiele und frommen Bräuche, der schlichte kleine Alltag und die liebe Einfalt im Gleichmaß und Rhythmus der Erde und der Jahreszeiten. Zum Volke gehören auch viele Abergläubische und Toren, Millionen Kranke und Mißratene, die Mühsäligen und die Beladenen.

Zum Volke gehört der gute Frohsinn an sich selber und das entschlossene Ja auch zu den eigenen Grenzen und zur menschlichen Schwäche. Zum Volke gehört der Humor.

Jedes gesunde Volk befreit sich von der Gefahr seines Selbsthasses, indem es gütig lachen lernt und froh wird auch seiner eigenen Leiden. Jedes Volk hat Figuren und Gleichnisse, durch welche es sogar über sein schwerstes Elend hinaussteigt. Der Volkshumor erfreut sich an den Sonderlingen und Käuzen. Der Eigensinnige erkennt seine eigenen Kanten und Ecken, der Übeltäter die Komik seiner Seitenwege, der Irrende die Winzigkeit seines Privatschicksals, und jeder lernt lächeln ohne Schmerz.

Der jüdische Witz ist noch ironisch und sentimental, er urteilt über sich selber karikierend oder pathetisch; noch ist der Jude nicht an sich selber froh geworden, aber er wird eines Tages auch seine Grenze lieben lernen. Er wird weniger stolz sein auf den witzigen Kopf und glücklicher durch Humor.

Die glänzenden Funken und Feuer der westlichen Erdhälfte werden versprühn. Darin erschöpft sich die Urnatur. Und wenn es auch noch ein paar Jahrhunderte dauern sollte, eines Tages wird ein »Kultur« produzierendes Volk nur noch im Literaturkalender stehen.

Wir wollen gar nicht (wie unsre starken Geister es rühmen) »das Salz der Erde« sein. Wir wollen Mensch unter Menschen sein, und wollen uns nicht anders erfüllen dürfen, wie jeder Baum sein Leben erfüllt 17.

17) Wenn man die Typen der Pflanzen oder der Tiere einteilen wollte nach Werten und Rängen, dann würde unsre Befangenheit und menschliche Egozentrizität sofort klar zutage treten. Aber die Menschenrassen klassifiziert unser Kulturhochmut in höhere und tiefere, primitive und fortgeschrittene Rassen, ohne der Subjektivität unsrer Norm recht bewußt zu sein.

Ich möchte nicht behaupten, daß alle Rassenforschung heute eitel Dilettantismus sei. In den »Prinzipien der Charakterologie« (veröffentlicht in der Deutschen Psychologie; Verlag Carl Marhold in Halle a. S.) habe ich die Grundsätze auch für die zurechnungsfähige Rassenforschung dargelegt und in dem Lehrbuch »Symbolik der Gestalt« von Carus-Lessing (Verlag Niels Kampmann, Heidelberg) findet man eine reiche Fülle rassenkundlicher Beobachtungen, welche durch physio- und patho-gnomische Erfahrung gewonnen sind. Auch Völkerpsychologie kann (da der Leib Seele ist) nur auf Gestaltwissenschaft und Ausdruckskunde gegründet werden.

Dilettantisch und willkürlich aber erscheint mir alle Rassenkunde, die auf Wertung oder auf sprachliche Antithese aufgebaut ist, wie z. B. auf die Zweiteilung der Völker in seßhafte und schweifende, in träumende und handelnde, in Ackerbauer und Jäger, Gegensätze, die in reiner Form überhaupt niemals wirklich gewesen sind. Auch den längst totgelaufenen Gegensatz »Arier und Semiten« sollte eine ernste Wissenschaft nicht mehr im Munde führen. Die Sprachwissenschaft (aus welcher dieser Gegensatz zur Kennzeichnung der flektierenden Sprachgruppen entnommen wurde) verwendet ihn nicht mehr, seit die Erforschung der sog. japhetitischen Sprachen klar erwiesen hat, daß es Unsinn ist, die Germanen und vollends gar die Deutschen als »Arier« zu bezeichnen.

Wo immer solche billigen Antithesen (Hie: »Wir« – Drüben: »die Andern«) lebendig blieben, da ist die Selbstbehauptung die Mutter und der Geltungswille der Vater des Gedankens.

Was kann die Erkenntnis dabei gewinnen?

Es ist auch ganz gleichgültig, ob eine solche Art Wissenschaft die Juden verwirft oder verteidigt. In beiden Fällen ist der Gesichtspunkt allzu praktisch und erbärmlich.

Ein judenfreundlicher Forscher dieser Art glaubt die Judenschrecklehre von O. Hauser und H. Günther z. B. mit folgender Erwägung zu widerlegen: »Ohne die Geistesarbeit Rudolf Willstätters hätten hunderttausende deutscher Soldaten den Gastod sterben müssen und durch die Geistesarbeit F. Habers wurde die deutsche Ernte so hoch gesteigert, daß dem Hungertode weitere Opfer entzogen blieben.«

Welch eine Wissenschaft! Diese Rassenwissenschaft ist das Seitenstück zu jener Bevölkerungstheorie, welche die Menschen in Geld umrechnet und etwa nachweist, wieviel jeder Mann dem Staate einbringt oder kostet. So wenig wir fragen dürfen: soll die Nachtigall ausgerottet werden? Soll der Paradiesvogel erhalten bleiben? so wenig dürfen wir den Wert der jüdischen Rasse darin sehen, daß die Herren Willstätter und Haber für Deutschland »nützlich« sind.


6.

Sechs Lebensläufe aus Deutschland hat dieses Buch nachgezeichnet. Tragisches und kämpfendes Leben! Wo gibt es dergleichen unter natürlichen Erdenkindern? Und doch muß die Möglichkeit solcher Tragik, der Ansatz zu allen diesen Kämpfen auch schon im einfältigsten Leben vorhanden sein. Des Rätsels Lösung ist diese:

Jedes Leben, jedes begrenzte Leben und mithin alles Lebende überhaupt kehrt sich zuletzt wider Grenze und mithin wider »sich selbst«.

Leben heißt nicht nur »sich selbst« erfüllen, sondern heißt auch »sich selbst« zerstören. Nicht nur die Selbsterhaltung, sondern auch der Selbstmord ist »Sinn der Welt«.

Unser aller Lebensweg ist beständiges Balancieren der selbstbestätigenden und selbstvernichtenden Dränge.

Ein wunderliches Gesetz aber scheint zu fügen, daß je sicherer das alles tragende Ich beschlossen und aufgenommen ruht in einer unendlichen Gemeinschaft, um so weniger die Gefahr besteht, daß das Ich, sich selber anbohrend, sein natürliches Wachstum verkümmere. Denn Jedes lebt vom Andern. Das Vereinzelte aber zehrt sich selber auf!

Nur Begrenztes kann leben. Jedes Begrenzen aber führt zum Tod. Gestalt wandelt. Form tötet.

Wir haben die Pathologie des abgedrängten, auf sich selbst zurückgewiesenen, ins »Bewußtsein« hineingepeitschten Lebens gezeichnet.

Aber wir haben uns nicht damit begnügt, Krankenbilder zu zeichnen, sondern haben das Wesen der allmenschlichen Krankheit »Selbsthaß« geschildert, ihr Entstehen erklärt und die Möglichkeit ihrer Heilung gezeigt.

Im Talmud finden wir berichtet, daß die weisesten der Rabbiner dritthalb Jahre über die folgende Frage stritten: Wäre es besser, daß die Welt des Geistes nicht vorhanden wäre, und daß der im Menschen wachgewordene Geist sich wiederauflöste in das Unbewußte und Außermenschliche? Oder wäre es besser, daß das Unbewußte und Außermenschliche völlig emporgeläutert werde zu wachem Geist und wissender Menschlichkeit? Dritthalb Jahre stritten sich die Schulen. Die Lösung aber, auf welche sich schließlich die »Geistigen« und die »Elementaren« einigten, war die folgende. Es ist kein Zweifel möglich, daß es besser wäre, die Welt der uns bewußten Wirklichkeit wäre nicht vorhanden. Es ist kein Zweifel möglich, daß das Ende der Menschheit, ihre Wiederauflösung ins Uferlose das wünschenswertere Ziel ist. Aber da wir nun einmal Menschen sind und diese Episode »Weltgeschichte« durchlaufen müssen, so ist es unsere Aufgabe, in ihr das unsrer ehrlichsten Einsicht nach Bestmögliche zu vollenden. Es wäre ein Unsinn und mithin ein Verbrechen, wenn wir diese Episode »Menschheit« ausfüllen wollten mit bloßer Klage darüber, daß Wissen und Gewissen aus dem Leide stammen. Das Element in seinen außergeistigen Gestaltenreichen ist uns in Ewigkeit unbenommen. Für dieses Mal aber fassen wir den Entschluß, das zu sein, was wir ohnehin eben sind. – So steht es auch hier. Zur Heilung bedarf es für den Juden lediglich eines Entschlusses. Denn er mag über die »Nationalitätenfragen« noch hundert, noch tausend Jahre nachgrübeln, er mag noch hunderttausende Bücher lesen und schreiben …, es gibt Fragen, die nie ein Ende und nie einen Schluß finden können.

Es sei denn: durch einen Entschluß!


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