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IV.
Der Luftmensch – Sechs symbolische Gestalten – Beispiele aus der Gegenwart

1.

Es ist eine herzzerreißende Welt, in die wir treten! Nicht von großen Schicksalen ist auf diesen Seiten die Rede, nicht von glücklichen Menschen, die in die Geschichte eingehn und in vielen Herzen Widerhall finden. Nur von fruchtloser Arbeit und hoffnungsloser Qual bald vergessener Einzelner, die gleichsam auf Telegraphendrähten lebten, zwischen den Völkern schwebten und nur Luftwurzeln schlagen konnten in den Geist.

Aus jedem dieser Einzelschicksale blickt uns traurig an das Antlitz des westeuropäischen Juden. Ein gesichtloses und oft schon verwaschenes Antlitz. Und dieses gleiche Gesicht blickt aus allen Enzyklopädien der Zeit. Aus den Werken des Theaters und des schönen Schrifttums. Es steht auf den Barrikaden. Es kämpft für die Leidenden. Es redet in Deutschland deutsch, in Amerika amerikanisch. Es dürfte in China der beste Chinese sein. Es ist das Antlitz des ahasverischen Menschen, der alles leistet, alles kann, alles befingert, alles begreift und doch immer in der Angst lebt, das Wichtige versäumt, das Große übersehen zu haben.

Alle Landschaften der Erde haben diesen Menschen ausgespien in das große Sammelbecken »Internationale Kultur«. Da hasten sie die Rennbahnen entlang. Sie kennen Arbeit und nichts als Arbeit. Übersteigere jeder Leistung und Meister jeglicher Kunst! Sie nutzen und vernutzen die durch Jahrtausende vorbearbeiteten Gehirne der Väter und erfreuen sich ihrer Titel und Mittel, bis eine fremde Erde sie verschluckt und auf ihrem Hügel der lügenhafte Stein steht mit einer lügenhaften Inschrift. Denn es gibt keinen Friedhof keines Volkes und keines Glaubens, darin nicht auch Einer der Unsern schliefe.

2.

Ich habe auf diesen Blättern mich zu beschränken! Aus unendlichen Scharen jüdischer Seelen (lauter Einzelschicksal und doch »Schicksal der Menschheit«) greife ich sechs symbolische Gestalten heraus. Es sind deutsche Intellektuelle des 20. Jahrhunderts. Denker und Schriftsteller. Sie zeigen – wenn auch jeder auf andere Weise – das tragische Schauspiel eines mittelpunktflüchtigen, gegen sich selber gerichteten Lebens.

Der Leser verkenne nicht die Liebe hinter meinen Schilderungen. Er würde das Buch mißverstehn, wenn er in meiner Darstellung des jüdischen Selbsthasses eine Abneigung gegen »Abtrünnige« suchen wollte oder auch nur einen Versuch, irgendeine Seele im Judentum festzuhalten oder in das Judentum zurückzuführen. So wie die Welt einmal ist, wird der hier aufgewiesene Scheideweg zum Scheideweg für Hunderttausende werden. Keinem kann die Wahl erspart bleiben. Jeder muß sich neu entscheiden.

Wenn es aber dem Menschen möglich ist, zu »lieben, die ihn hassen« (und woran denn sonst kranken die jüdischen Selbsthasser anders als an einer unglücklichen Feindesliebe?), nun, dann wird es wohl für uns noch leichter sein, Menschen zu lieben, die sich selber nicht zu lieben vermochten. Es waren bewegte, offenstehende Seelen, Menschen des Übergangs und Untergangs.

Auch der Verfasser hat in seiner Jugend eine Zeitspanne ausschließlicher Hingabe an das »Deutschtum«, ausschließender Abwehr gegen das »Judentum« durchlaufen. Wo wäre ein die Wahrheit suchender hochgesinnter junger Mensch, der im Zwielicht geboren und in die Wahlklemme zwischen Völker gestellt, nicht die selbe Fraglichkeit ausföchte? Es lebt kein Mensch aus jüdischem Blut, bei dem wir nicht wenigstens Ansätze zum »jüdischen Selbsthasse« fänden. Einige hervorragende Beispiele seien hier angeführt.

3.

Das wuchtigste Beispiel des aus Selbsthaß schöpferischen Juden bringt uns die wahrhaft große Gestalt Rudolf Borchardts vor Augen. Eine tragisch umwitterte Gestalt! Ins Wollen verkrampft und kindlich einfach. Denn dieser Mann hat die allerunzweifelhafteste Genialität seiner natürlichen Gaben in den Dienst der verwunderlichsten Unnatur gestellt: Nicht nur als Jude am deutschen Volksleib zu dienen (denn darin läge kein Widerspruch), nein! mit der eigenen einmaligen Persönlichkeit die leibliche Wirklichkeit des besten und reinsten Deutschland als sein Maß und seine Mitte zu verkörpern! Ein Wagnis, vergleichbar dem Unterfangen, ein schönes Naturgebilde im fremden Stoff auf künstlerischem Wege zu übertrumpfen.

Denn wie ein künstliches Parfüm, und sei es aus dem Staub der Gasse gefiltert, die natürlichen Düfte der Blumen weit hinter sich lassen kann, oder wie die im Tiegel erzeugten Farbenspiele die Farbenspiele der Natur längst übertroffen haben, so auch kann das Werk unsrer geistigen Zucht eine zweite, offenbar vollkommenere Natur an die Stelle der ursprünglichen setzen. Durchschauen wir aber die Erhabenheit unsrer geistig-sittlichen Ersatzwelten, darin nicht das Schicksal gebietet: »Werde, der du bist«, sondern der alles vollendende Geist vorschreibt: »Ich bin, was ich aus mir mache«, dann stehn wir von Stolz und Grauen geschüttelt vor den ungeheuren Taten der menschlichen Eitelkeit. Wir fühlen: Auch im herrlichen Kunstwerke atmet die kleine Lüge. Es ist nicht ein Mangel an Würde, nicht ein Mangel an geistiger oder sittlicher Kraft, was diesen Dichter belastet. Nein, im Gegenteil: er hat durch Würde und durch starke Persönlichkeit, das Schicksal um seine Tragik betrügend, einen geistigen Kosmos vom Wollen her unangreifbar verfestet; aber eben dadurch den Naturgrund hochstaplerisch mißbraucht, gleich einem, der das Material zu seinem Hause dem selben Baugrund entnimmt, der das Haus tragen soll. Er hat mehr verkündigt, als die sich selbst überlassene Natur zu offenbaren vermochte 5.

5) Vgl. »Europa und Asien (Untergang der Erde am Geist)«, 5. Auflage, 20. Kapitel: »Das Schaffen und die Schaffenden«.


Ich könnte auch in den besten Werken von Hugo v. Hofmannsthal, Franz Werfel, Jakob Wassermann den oft verschlungenen Pfaden des »jüdischen Selbsthasses« nachgehen. Aber ich möchte glauben, daß sogar eine so ehrlich schöne Enthüllung des zwiefachen Lebensgefühls, wie sie in Jakob Wassermanns Schrift »Mein Weg als Deutscher und als Jude« niedergelegt ist, nur vergleichbar sei jenem quälenden Pfänderspiele, welches vor hundert Jahren unsre Großmütter viel gespielt haben und welches damals das »jeu de bateau« benannt wurde. Es wurden zwei dem Befragten gleich liebe Personen genannt. Er hatte sich vorzustellen, daß er auf einem untergehenden Schiffe sich befände und nur eine der beiden zu erretten vermöchte. Er soll die Gewissensfrage beantworten, welche der beiden er wählen will: Freund oder Bruder, Mutter oder Braut? 6

6) Ein deutscher Philosoph, Eduard v. Hartmann, hat in einem Buche über »Die jüdische Frage im deutschen Reich« allen Ernstes das jeu de bateau als ein wünschenswertes Kriterium bezeichnet, an Hand dessen entschieden werden könne, ob der Jude aufgehört habe, ein Jude zu sein und vollkommen deutsch geworden sei. Man möge dem Juden die Frage stellen: »Wenn du einem Menschen das Leben retten kannst und du hast die Wahl zwischen einem Deutschen und einem Juden, wen wirst du wählen …?« Abgesehen davon, daß diese Frage völlig sinnlos ist, da es zweifellos keinen Menschen gibt, der jeden beliebigen Landsmann jedem beliebigen Fremden vorziehen würde – dem großen Philosophen müßten wir entgegenhalten, daß jede Art Ethik an ihren Wurzeln immer Meinesgleichen-Ethik ist und sein muß. Der Mensch, der seine Pflichten nicht zunächst in dem engeren, ihm nächststehenden Kreise erfüllt, könnte auch dem weitesten Kreise nicht nützen und würde überhaupt kein sittlicher Mensch sein. Wie wäre es übrigens, wenn man einen deutschen Menschen vor die Frage stellte: Du kannst entweder nur einen Marsbewohner retten oder deine Frau, Wen wirst du wählen?


Es gibt einen Brief von Berthold Auerbach, dem heute vergessenen Verfasser von Schwarzwälder Dorfgeschichten, den er kurz vor seinem Tode schrieb, als die ersten Wellen der Stöcker-Hammersteinschen Judenhetze ihn erreichten. Er sei deutsch und nichts als deutsch und habe sein ganzes Leben hindurch nur deutsch gefühlt, er sei eine Stimme der deutschen Landschaft gewesen, und nun heiße es zum Beschluß: »Packe dich, Jude, du hast bei uns nichts zu schaffen.« – So natürlich und so ergreifend dieser Schmerz uns auch erscheint, der Schmerz, von einer geliebten Mutter nicht erkannt und verschmäht zu werden, klarer und würdiger erschiene es mir, der den besten Sohn verschmähenden Mutter auch die Sohnespflichten nicht zu gönnen. Möge sie doch spüren, was sie verscherzt und frevelnd verloren hat. So wenigstens wäre heute mein Entscheid. Aber ich kann nicht sagen, daß ich immer diese Sicherheit besessen habe. –

Es gibt denn auch einen Rächer und Richter der Zeit, an dem ich den entgegengesetzten Weg des Kampfes tief begreife und billigen muß: ich meine den unumschränkten Sitteneiferer Karl Kraus, das leuchtendste Beispiel des jüdischen Selbsthasses. Karl Kraus ist ein gewaltiger Literat, und er würde ein Literat sein, ganz gleich, was er triebe und wo er sich befände. Aber seine Literatur ist gespeist von keuchendem Hasse gegen Literatur. Er schreibt Zeitung, um Zeitungen zu bekämpfen, und stellt sich in die Mitte der Zeit, um der Zeit zu sagen, wie sehr er sie verachte. Er ist der Meister des Wortes und schafft vom Worte her. Aber er haßt den Frevel des Worts und verbraucht Millionen Wörter, um den keuschen Segen des heiligen Schweigens zu preisen. Wohl in keiner zweiten Gestalt des gegenwärtigen Deutschland offenbart sich der geniale Selbsthaß des sittlichen Menschen in gleich unerlösbarer Tragik, denn hier ward eine schöne und reine Naturkraft an ein zu guter Letzt völlig fruchtloses Werk vertan, von dem nach zwei, drei Geschlechtern nichts übrigbleiben kann als ein Berg bedrucktes Papier. Nicht daß er die Augiasställe der Zeit ausmistete, gereicht dem Herkules zum Vorwurf, aber daß er allen diesen Mist im Erechtheion ausstellte und seine Fackeln anzündete zu nichts und wieder nichts, als um den Kot aufzuzeigen an allen Wegen der Kleinen, vor dem wir uns besser hätten ehren können durch Vorübergehen auf dem Pfade zur Größe. Dieses wäre der ernsteste unter den Judenhassern von heute. An ihm wie an keinem andern läßt sich das innerste Geheimnis des Hasses enthüllen:

Alle die großen Judenfeinde in Deutschland – Lagarde oder Treitschke, Dühring oder Chamberlain – sind Hasser gewesen aus ökumenischem Machtwillen. Sie wollten dem Juden keine geistige Führerschaft verstatten, weil sie selber gar nichts anderes als die geistige Erdführerschaft begehrten. Das war gewiß kein flacher und kleiner Wille! Es kann der sittlichste und geistigste Wille sein. Aber wenn auch in noch so vergeistigter und noch so erhabener Gestalt, ist auch diese Art Natur immer nur eine Abart des menschlichen Ehrgeiz- und Neidspiels. Ein Drang nach Geltung beflügelt alle diese Bannsprüche und harten Urteile. Die zielverhaftete, idealbesessene Willensart, welche jene großen Denker als die jüdische brandmarken – das eben ist ihre eigenste Wesensart …

Denn noch nie entfaltete sich ein timonisches Verachten der Welt völlig ohne Eitelkeit; noch nie der geifernde Menschenhaß völlig ohne Selbsthaß. Und könnten wir Einblick gewinnen in die letzte Tiefe des unerbittlichen und puritanischen Sittlichkeitseifers, dann würden wir vielleicht mit Schauder merken, daß noch nie ein großer Menschenverdammer dagewesen ist ohne jene wölfische Sucht des unersättlichen Ich, die selbst in einem Dante, Savanorola und Robespierre die Seele und die reine Unmittelbarkeit der Natur zerfraß.


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