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III.
Arthur Trebitsch

siehe Bildunterschrift

Arthur Trebitsch
(Nach einer Aufnahme aus dem Jahre 1906)

Auf dem Schottengymnasium zu Wien, daraus auch der geniale Otto Weininger hervorging, erwuchs, zwei Schulklassen höher, ein anderer, nicht weniger eigenartiger Schüler, namens Arthur Trebitsch. Er war, so bezeugt sein Lehrer, der jüdische Philosoph Wilhelm Jerusalem, ein außergewöhnlich schöner, blonder, blauäugiger Knabe. Sein Vater war, wie der Vater Ferdinand Lassalles und der Maximilian Hardens, Seidenhändler, ein reicher Mann, welcher große Verdienste um die Entwicklung der Seidenindustrie in Österreich hatte. Er war aus der jüdischen Gemeinde ausgetreten und ließ seine drei Söhne, obwohl der Stammbaum beider Eltern rein jüdisch war, ohne Verbindung mit der alten Überlieferung aufwachsen und erfüllte ihre Herzen mit deutschen Hochzielen 9.

9) Der Aufsatz über Trebitsch entstand auf Grund der Bekanntschaft mit folgenden Büchern: 1. »Geist und Judentum«, 2. »Arische Wirtschaftsordnung«, 3. »Deutscher Geist oder Judentum«, 4. »Wir Deutschen in Österreich«, 5. »Aus des Ratsherrn Johannes Teufferius' Lebensbeschreibung«, 6. »Geschichte meines Verfolgungswahns«.

Manches Material, das mir sonst unzugänglich gewesen wäre, verdanke ich einem Freunde Trebitschs, welcher schrieb: »Es liegt mir selber daran, dem armen verstorbenen Freunde ein würdiges Denkmal gesetzt zu sehen, sei es auch ein Denkmal von Gegnerhand – es ist ein ritterlicher Gegner … Es ist alles so furchtbar wahr und traurig, wie Sie es schildern, weil denen, die dort stehen, wo Rée, Weininger und Trebitsch standen – und wo auch ich stehe –, nicht zu helfen ist, nie und durch niemanden und durch keinerlei Geschehen. Daß unser eigenes Blut wider uns aufsteht mit geballten Fäusten, das kommt aus der Weltanschauung und Weltanschauung ist angeboren. Sie verstehen und würdigen diese Tragik auch als Gegner, weil Sie Liebe im Herzen haben und weil Sie eben Gegner sind und nicht Feind wie jene anderen, denen unsere unglückliche Liebe gilt.«


Ein Midrasch erzählt von der Wette, welche Sturm und Sonne eingehen: »Wer von uns beiden wird dem Wanderer den alten Mantel rauben?« Der Sturm rüttelt und zaust, aber je eisiger er faucht und je gewaltsamer er den Mantel zu entführen trachtet, um so fester wickelt sich der Wanderer in das bergende alte Kleid. Aber dann kommt die Sonne. Sie sendet ruhig lächelnd ihren wärmenden Strahl. Und der Wanderer legt von selber seinen Mantel von sich.

Es gehört zum Wesen der emporgekommenen Klassen, daß sie das Kleid ihrer Dienstjahre schnell vergessen und bald nicht mehr denken an das innigste Gebot des Judentums: »Vergiß niemals, daß auch du ein Knecht gewesen bist im Lande Ägypten.«

Wo spricht man wohl mehr von Ideal und Recht als im gehobenen Bürgertum? Und wo wird noch einmal solche Vergötterung getrieben mit Erfolg und mit Besitz?

Wir haben an der geschichtlich gewordenen Figur eines französischen Hauptmanns ein trostloses Gleichnis erfahren für die gesellschaftliche Kraft des Golems, den die Menschen ihr »Ansehen« und ihre »Ehre« nennen. Während die besten Männer eines Zeitalters sich für das Schicksal des Hauptmanns Dreyfus aufopferten, Gerechtigkeit fordernd auch für den Juden, hatte dieser so verbürgerlichte als vaterländisch gesinnte Jude selber nichts anderes im Sinne als der führenden Gesellschaft seines Landes Loyalität zu beweisen und seiner Obrigkeit wohlzugefallen, sei's auch der krummen Obrigkeit.

Diese Art Stolz auf »Ansehen« und auf die »gesellschaftliche Zugehörigkeit« herrschte auch im Hause Trebitsch. Es war eine jener hochangesehenen guten Familien – »Wir sind ja alle so blond«. »Wir sind die besten Turner«. »Wir sehen gar nicht jüdisch aus« – die nie ahnen, wie geschmacklos es ist, den Boden zu verleugnen, daraus in Jahrtausenden der Baum seine Säfte empfing.

Eine Krankengeschichte gilt es zu erzählen. Ihr Kern ist kurz dieser: Arthur Trebitsch, geboren 1879 in Wien aus jüdischem Stamm, begabt als Dichter, Philosoph und Politiker, Verfasser von etwa zwanzig Büchern und zahllosen Aufsätzen, war bis zu seinem Tode am 26. September 1927 der wütendste Verfolger der Juden.

Sein Leben zeigt den Schulfall jüdischen Selbsthasses, wie seit dem Dunkelmänner-Zeitalter Johann Pfefferkorns kaum je ein zweiter Fall, gleich ergreifend und gleich hoffnungslos, erlebt worden ist.

Schon in früher Jugend keimte in dem schönen hellblonden Knaben ein phantastischer Wahn: ein jüdischer Geheimbund, über die ganze Erde hin verbreitet, trage sich mit Weltherrschaftsplänen und bedrohe die zur Menschheitsführung vorbestimmten arischen Völker. Er aber, Arthur Trebitsch, sei dazu ausersehen, das deutsche Volk vor den Juden zu retten.

Dies war sein Wahn. In seinem Dienste wurde er ein ehrlicher Kämpfer, Gesinnungsgenosse des Generals Erich Ludendorff und seiner Gattin Mathilde und jener den Nationalismus mit dem Sozialismus unklar verkoppelnden Gruppen, in deren Mitte manche jüdischen Antisemiten – Paul Nikolaus Coßmann, Ernst von Salomon – ihre wunderlichen Rollen spielen.

Es ist ein altes Gesetz, daß Überläufer zu Eiferern werden. Sie wären in sich selber nicht sicher, wenn sie nicht ausdrückliche Bestätigung von Seiten einer Volkheit fänden. Kein reinbürtiger Deutscher könnte so polternd das Welschwort verfolgen wie Eduard Engel, der jüdische Reinerhalter der deutschen Sprache. Kein treudeutscher Soldat dürfte so geflissentlich sein deutsches Soldatentum unterstreichen wie der jüdische Deutschtümler Arnolt Bronnen. Der einzige, wirklich judenfeindliche Verwalter, den Palästina gehabt hat, führte den jüdischen Namen Gabriel, und es dürfte kein Zufall sein, daß die Listen der vaterländischen Parteien eines jeden Landes immer viele Namen aufweisen, denen die Zuwanderung, die außervölkische Abkunft, das untermischte Blut leicht zu entnehmen ist.

Nicht daß ich die Liebe zur deutschen Heimat, nicht daß ich den Glauben an deutsche Seele hier einen »Wahn« nennen wollte. Auch der Jude kann an diesem Glauben und an dieser Liebe Anteil haben, ja er kann völlig in ihnen aufgehen. Denn wie die Könige, Helden und Führer der Vorzeit nahezu immer aus der Fremde eingewandert kamen (man glaubte sogar, daß sie aus jenseitigen Welten zugewandert seien), und fast nie »autochthonen« Blutes waren, so ist es auch in unsern späten Zeiten geschehen, daß Judenstämmlinge – wie Leon Gambetta in Frankreich, Benjamin d'Israeli in England, Lodovico Manin in Venedig, Joseph Nassi in der Türkei – zu Vertretern und Vorbildern anderer Nationen oder gar wie Torquemada zu wölfischen Eiferern anderen Glaubens geworden sind. Denn wie die Sehenswürdigkeiten einer Stadt den Eingeborenen, die sie täglich vor Augen haben, nichts mehr sagen und erst wieder Bewunderung erregen, wenn sie durch fremde Augen gesehen werden, so hat man auch häufig beobachtet, daß die Wunder einer jeden Volkheit am tiefsten gefühlt, am sichtbarsten verkörpert werden von solchen, die den Wert und die Besonderheit des Wertes noch frisch und beginnlich zu erspüren vermögen. Man mag dabei an das bekannte Gesetz der Biologie denken, welches fügt, daß Kleinlebewesen, welche in einem Organismus, der an sie gewöhnt ist, vollkommen wirkungslos und gar nicht bemerkbar sind, sofort aufleben und wieder zu spüren sind, sobald ein blutfremdes und artneues Gewebe dazwischenkommt.

Es kann auf diesen Seiten nicht unsre Aufgabe sein, über das Verhältnis von Volk und Staat (zwei Begriffe, die ich für ebenso entgegengesetzt halte wie die Begriffe Natur und Organisation) Klarheit zu verbreiten. Ausdrücklich aber möge gesagt sein, daß jeder Staat polynational zu sein vermag und daß auch innerhalb der Volkheiten und Volksseelen keineswegs die Inzucht des Blutes entscheidend sein dürfte, wünschenswert aber nur gerade so lange, als eine noch unverfestigte primitive Lebenseinheit verfestigt, festgelegt, vor den Gefahren der Allvermischung (Panmixie) bewahrt werden muß. Ist aber durch Geschichte und Sitte eine starke und gute Rasse gezüchtet, dann ist die Untermischung der Blutarten und ihrer Eigenschaften schlechthin Forderung der Wohlgeburt. Mischungen von Volksstämmen sind nicht bloß erwünscht, sondern sind notwendig. Und die geschichtlichen Personen, die das Bild und Anbild einer Volkheit am reinsten verkörpern, können durchaus nicht aus Rasse-Stammbäumen erklärt werden. Ich erinnere mich einer Schauspielerin von rein jüdischer Herkunft, welche die Gestalten deutscher Frauen und Mädchen wie nie eine Frau zuvor verkörpert hat, und eines großen Sängers, der ungeachtet rein jüdischen Blutes stets als der Meister des deutschen Liedes geliebt worden ist.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß das Bewußtsein seiner germanischen Sendung aus Trebitschs innerstem Herzen so quellecht und redlich wie nur je aus der Seele eines »reinblütigen Ariers« hervorbrach. Man darf glauben, daß er in jeder Faser deutsch fühlte und der sachlichste Träger deutscher Ziele war. Aber für ihn wurde es zum Verhängnis, daß in den deutschvölkischen Klüngeln der Kriegs- und Nachkriegszeit und in den politischen Bünden der Militaristen und Imperialisten nur wenige an die Unbefangenheit seines Deutschtums zu glauben fähig waren. Wie in gewissen Kreisen der Wissenschaft ein Mann, der auf Stil und Sprache hält und den Jargon der Schule nicht mitmacht, schon darum verdächtig ist, kein echter »Wissenschaftler« zu sein, so ist in bestimmten Kreisen der deutschnationalen Mannheit ein jeder, der Geist hat und nachdenkt, schon dadurch verdächtig, mit dem feindlichen Ausland im Bunde zu stehn. Wer aber im eigenen Lager auf Mißtrauen stößt, der gerät leicht in die Gefahr, krasse Töne anzuschlagen. Auch edle Geister verfielen diesem Zwang. Paul de Lagarde ward mit seinem Deutschtum aufdringlich und unvornehm immer dort, wo er seine französische Abkunft vergessen machen wollte. Houston Stuart Chamberlain gebrauchte viel zu überstiegene, viel zu dicke Worte, als er in der Kriegszeit vergessen machen mußte, daß er der Geburt nach ein Engländer war.

Noch jede gegenjüdische Macht fand einen Generalstab von Juden, die alle Vorurteile ihrer Führer noch überboten. Arthur Schopenhauer wurde in seinen antijüdischen Anwandlungen durch seine ersten Apostel Frauenstädt und Asher nur bestärkt. Richard Wagner, den man später doch selbst dem Judentume zurechnete, erfuhr durch seine Jünger Heinrich Porges und Hermann Levi mindestens keinen Widerspruch, als er Meyerbeer, Mendelssohn, Halevy, Bizet als die jüdischen Verderber der deutschen Musik verwarf. Friedrich Nietzsches jüdische Jünger, Paul Rée und Siegfried Lipiner, waren »Antisemiten«, obwohl doch Nietzsche selber die Juden hochschätzte. Und der wüsteste aller Judenfresser, Eugen Dühring, stand eines Tages vor der erstaunlichen Tatsache, daß ein jüdischer Schriftsteller, Benedikt Friedländer, ihn aus Begeisterung für seine antisemitischen Schriften zum Erben eines beträchtlichen Vermögens eingesetzt hatte, nachdem er sich selber durch Selbstmord beseitigt hatte. So zerrt am Judentum, das sich verlor und seine stärksten Seelen (man denke an Jesus und an Spinoza) nicht zu tragen vermochte, eine mittelpunktflüchtige Gewalt. –

Ich stehe nicht an, in Trebitsch einen der vorzüglichsten Köpfe unserer Tage zu ehren. Er war ein Denker von Karat und von Eigenwuchs. Aber seine Leistung wurde totgeschwiegen. Auch heute (1930) dürfte Trebitschs Gedankenwelt nur wenigen vertraut sein. Diese Wirkungslosigkeit aber ist nicht aus bösem Willen zu erklären. Sie war ein unabwendbares Verhängnis. Das Schicksal eines Propheten, der für alle Parteien unverwendbar, ja für alle Parteien nur eine große Verlegenheit war. Es gibt unbequeme Denker, welche kein Neider öffentlich zu bestreiten wagt, weil jeder fühlt, daß eine reine Kraft in ihnen zutage trat und daß sie genug Wert besitzen, um alle Angriffe siegreich zu überdauern. Andererseits aber würden doch die Tonangebenden, Geltenden und Führenden sich eher ihre beredten Zungen abbeißen, als daß sie einen solchen Außenseiter loben und anerkennen würden. Denn nur wenige freie Seelen vermögen anzuerkennen, was ihr Selbstgefühl beeinträchtigt. Wir alle lieben und loben manche unbedeutende Wesen, weil unser eigenes Lebensgefühl durch ihre Gegenwart erhöht wird. Wie aber sollten wir ehren und lieben, was uns nur demütigt?

Arthur Trebitsch hatte die verhängnisvolle Eigentümlichkeit, auch mit der eigenen Partei beständig Streit zu suchen und ihr das zu sagen, was er jeweils für Wahrheit hielt. Er war naiv genug, zu glauben, daß die Menschen seine hohe Gesinnung anerkennen und ihm beistimmen müßten, während er auf ihre Schädel losdrosch.

Trebitsch spielte sich selber aus gegen die führenden Geister seines Lagers. Er deutete etwa an, daß er ein deutscher Mann sei, von echterer und besserer Art als Adolf Hitler oder als Alfred Hugenberg. Dadurch reizte er diese oder deren Anhänger natürlich zu der Feststellung, daß er, Trebitsch, »nur ein Jude« sei. Hinwiederum reizte er die Juden durch unglaubliche Beleidigungen. Aber was er auch sagte, auch das Unsinnigste begründete er mit so feinen Gedanken und verfestigte es so stark in letzten Erkenntnissen, daß nur wenig darauf zu erwidern blieb.

Nicht viele besaßen die geistigen Voraussetzungen, genug Sachlichkeit, Ruhe, Reife und vor allem genug Zeit und Muße, um sich mit Trebitschs breiten Schriften ernsthaft auseinandersetzen zu können. Es lohnte sich nicht, mit dem Sonderling zu rechten. Man ging achselzuckend an dem Verlegenheit Schaffenden vorüber, während dieser sich immer tiefer in das Dickicht seiner unseligen Gedanken verlor.

Hie und da fühlte wohl ein Freund, daß hinter den verrückten Büchern ein Bedürfnis nach Gemeinschaft brannte, wie seit Schopenhauer, seit Nietzsche, seit Dühring kaum je ein Gleichbegabter es erlitten hatte. Von jüdischer Seite begnügte man sich kopfschüttelnd abzulehnen. Auf deutschnationaler schuf der Mann nichts als Unruhe und Verwirrung.

 

Als der leitende Faden durch Arthur Trebitschs bunte Bücher muß ein Gedanke gelten, der gut und fruchtbar gewesen wäre, wenn der Denker ihn nicht polemisch-tendenziös verbogen hätte. Es ist der Gedanke, daß ein zweifaches Erkennen und an der Hand dieser Zweiheit des Erkennens auch ein zweifacher Menschentypus unterschieden werden kann. Einmal nämlich sei Erkennen ein primäres Schauen von Bildern. Trebitsch nennt es »das fixativ festhaltende Erfassen von Welt«. Sodann aber träte zu diesem fixativ bildhaften Erfassen noch ein zweites mittelbares reflexives Denken hinzu, welches die haftenden Bilder umdenkt in »Gegenstände«. Das aber heißt in Rechenmünze, mit deren Hilfe der Verstand und die Sprache folgern und schließen kann. Diese zweite Art von Erkennen nennt Trebitsch im Gegensatz zum ursprungnahen Bild-Erfassen: »Das sekundäre, bewegliche Denken.« Bei dieser Unterscheidung des urtümlichen Schauens vom beweglichen Orientieren handelt es sich um eine Einsicht, welche ich vor Jahrzehnten als Ahmungspsychologie bezeichnet und dann durch ein ganzes Leben ausgebaut habe.

So erscheint denn auch mir als eine wichtige Wahrheit, daß wir Menschen als bewußte, denkende, auch Sich Selber als Objekt besitzende Wesen die Welt immer doppelt haben. – Nicht freilich, wie Trebitsch meint, in zwei distinkten »Erkenntnisformen«, welche geschichtlich auseinander und nacheinander entstanden sind, wohl aber in zwei einander durchdringenden, begrifflich aber unterscheidbaren » Funktionen«, welche jederzeit und immer gleichzeitig gelebt werden. Einmal, als unbewußtes Schauen und zudem (im gleichen Akte) als bewußtes Wissen um »Gegenstände«. Anders gesagt: Die in unserm Bewußtsein gegebene gegenständliche Wirklichkeit ist immer unterströmt von einer anderen, subjekt-objekt-freien Wirklichkeit, von einer Wirklichkeit der Ahmung, in welcher wir das, was wir denken oder machen, zugleich auch sind. Diese Entdeckung ist in der Tat folgenschwer. –

Für Trebitsch wurde sie zum Ausgangspunkt für ein bedrückendes, zuletzt nur metaphysisch lösbares Rätsel. Es ist genau das selbe Rätsel, welches ich mit dem Titel meines Hauptwerks als »Untergang der Erde am Geist« zu kennzeichnen versuche.

Dieses Geistesproblem (einerseits das Problem des Denkens und der Logik, andrerseits das Problem des Wollens und der Ethik) war die große Qual- und Notfrage aller Denker und Dichter im Abendland seit hundert Jahren. Es wurde auch die Qual- und Notfrage für die arme Seele Arthur Trebitschs. Leider versperrte er sich die Möglichkeit, in den Kern seiner Entdeckung einzudringen, indem er das »primäre Schauen der Bilder«, also das ruhende Erkennen, einfach etikettierte mit dem schmückenden Beinamen » arisches Denken«; dagegen das »sekundär-bewegliche Orientieren«, also jenen verdinglichenden, die Spaltung Subjekt-Objekt fundierenden Geist, an welchem das lebendige Erleben und Ahmen verengen, veröden, vergletschern kann, einfach etikettierte mit dem verneinend getönten Beiwort: » jüdisches Denken«.

Damit hatte Trebitsch einen Ariadnefaden durch alle Labyrinthe. Alles, was er nicht leiden konnte, sei es an sich, sei es an andern, alles, was ihm zweitklassig, zweitrangig, mittelbar, nur notentboren, nur kompensativ, nur kompensatorisch am Menschen erschien, das kennzeichnete er höchst einfach mit dem alles erklärenden Ekelworte » jüdisches Denken«. Und so wurde denn schließlich die ganze europäisch-amerikanische Zivilisation und alles Zweifelhafte an ihr, so wurde die Maschinenkultur, die Industrialisierung und Technisierung, der Kapitalismus, die Mechanistik, der Automatismus, der Taylorismus, die Vernutzung und Ökonomisierung der Welt, so wurde der Untergang der außermenschlichen Gestalten, die Verameisung der Menschheit, die Übermächtigung der Erde durch die arbeitende ökonomische Rasse, so wurde (wir könnten es leicht beweisen) die ganze Entwicklungsgeschichte des Christentums und schließlich der Niedergang des Erdballs, ja alles das Leben Auflösende für Trebitsch zu einer satanischen metaphysischen Gewalt. Und diese diabolische Gewalt hatte Gestalt gewonnen in einem bestimmten unerlösbaren Volke. Er nannte sie den fortschreitenden » Semitismus«! Er kämpfte wider sie als gegen die drohende Judaisierung der Welt.

Dies war seine fixe Idee. –

»Judaisierung« wurde das Schlagwort, mit welchem alle zarteren Fragen beiseite geschafft, alle wahrnehmbaren Mängel der Welt erklärt wurden. Es war die Theorie vom Sündenbocke. Die Theorie vom Urbösen! Er konnte mit ihr anknüpfen an die alten Rassefanatismen Henri Drumonts oder Eugen Dührings. Schon diese ältere Judengegnerliteratur hatte ganz unmißverständlich zu Kreuzzügen und Pogromen aufgefordert,

»Der unter dem kühleren Himmel gereifte nordische Mensch« (so hieß es bei Dühring) »hat auch die Pflicht, die parasitären Rassen auszurotten, so wie man bedrohliche Giftschlangen und wilde Raubtiere eben ausrotten muß.«

Solcher Irrsinn wuchs nun bei Trebitsch aus zu einer Mythologie, die an Zarathustras Lehre erinnert. Es gibt ein gutes und ein böses Prinzip. Ormuzd und Ahriman. Der Lichtgott, das ist der blonde schöne blauäugige Arier. Der Nachtdämon, das ist der schwarzhaarige häßliche tieräugige Jude. Einige Jahrtausende wird dieser Kulturkampf dauern. Zuletzt aber wird der lichtbringende strahlende Baldur den höllenentborenen Judas überwinden.

Dies wäre, auf ein kindliches Knallbonbon-Verschen gebracht, der ganze Inhalt aller Bücher von Arthur Trebitsch. Sie haben einen Kern klarer Gedanken, die vergiftet und umnebelt sind von einer Wolke gelber Beeinträchtigungs- und Verfolgungsideen und sind somit vergleichbar einer lieblichen Landschaft, die immer im Kohlendunst der Geschütze liegt. Er sieht die Tatbestände keineswegs unrichtig, aber er trägt vor dem Auge unablegbar das gelbe Glas seiner schrecklichen Seelenkrankheit. Und so sieht er denn alles zugleich scharf und gehässig verfärbt. –

Lange Zeit konnte der gute logische Oberbau hinwegtäuschen über den Wurmfraß im seelischen Hintergrunde. Von Jahr zu Jahr aber wühlte sich der Wurm offener ans Licht.

Zunächst lagerten bei Trebitsch, ähnlich wie zuvor bei Dühring, die gedanklichen Leistungen und die krankhaften Gefühle nebeneinander. Die sachliche Gedankenführung ließ nicht erkennen, welche »ressentiments« hinter den logischen Erörterungen standen.

Es ist bei kühnen Systembauern nicht selten (auch an Nietzsches Schriften ist es zu sehn), daß der lehrhafte Geist sein persönliches Erleben ins Allgemeingültige zu wenden versteht. Er kämpft scheinbar im Namen der allgültigen Wahrheit. Nur in kleinen Nebensätzen oder in Anmerkungen hört man ein verräterisches Knistern und fühlt, daß eine nur persönliche Seele sich in eisige Logismen verpanzert.

So wie Dühring, so hing auch Trebitsch seinen wissenschaftlichen Büchern einen persönlichen Teil an, in welchem er sein Herz erleichterte und gegen Feinde – Gegner kannte er ja nicht – vom Leder zog. Es war, wie wenn die Sauberkeit seiner Natur noch davor zurückschreckte, den Text guter Gedankenwerke mit persönlichsten Gefühlen zu durchsetzen. Sie flüchteten in klein gedruckte Anmerkungen. Aber allmählich wurden alle Bücher zu Schriften einer sich selbst entblößenden – Entrüstung. – Es ist ein tiefes Wort: Entrüstung. Wer sich entrüstet, der legt die Rüstung ab. –

Aus der großen Zweiheit: »Hie arisches Schauen – hie semitisches Handeln« knospeten allmählich immer neue Ableger, neue kleine Dualismen hervor. So standen nun auf der einen Seite die vornehmen Germanen, auf der andern die aufgeregten Semiten. Hüben lebte die selbstbeherrschte schlichte Einfalt. Drüben eine unbeherrschbare Schwäche und Hysterie. Vor allem aber erzeugte dieses Arier-Semiten-Gegenspiel eine der Nietzscheschen verwandte Lehre vom »Sklavenaufstand in der Moral«.

Für diese Lehre vom Sklavenaufstand ist das letzte Buch, welches Trebitsch erscheinen ließ, seine 1925 veröffentlichte »Arische Wirtschaftsordnung« kennzeichnend. Ein Buch, welches zwar noch einige haltbare Gedanken über Geld und Geldwirtschaft enthält, im ganzen aber nur die trostlosen Reste der grausen Trümmerstätte zeigt.

Trebitsch kommt in diesem Werke (obwohl er das nicht wahr haben will) durchaus hinaus auf die Theorie des Leninismus. Das heißt auf die weitestgehende Verstaatlichung aller Werkzeuge und Mittel des Lebens. Ja, er predigt ähnlich wie um die gleiche Zeit der Philosoph Leonard Nelson den mit aristokratischer Führerauslese verknüpften »Absolutismus der Vernunft«. Aber indem er die Diktatur der autonomen Vernunft errichtet, heftet er dieser allbeherrschenden Vernunft gerade die ihr entgegengesetzte allerunvernünftigste, nämlich nationale Etikette an. Herrschaft der Vernunft ist für ihn gleichbedeutend mit Herrschaft einer bestimmten Rasse und eines bestimmten Volkes. »Gerechte Weltordnung« ist ihm ein anderes Wort für »germanische Weltordnung«. Sieg der Sittlichkeit ist für ihn das selbe, wie Erdverwaltung durch die Deutschen. Das Deutschtum ist die erkorene Herrenrasse; der deutsche Mensch: der berufene Edelmensch. Es wird an diesem Buche klar, was schon in allen früheren Schriften sich angekündigt hatte, daß der Denker die Judenfrage vermengt mit der Frage der sozialen Not und mit der Moral der schlecht Weggekommenen und irgendwie Leidenden, mit der Frage der Demokratisierung und Proletarisierung, mit Arbeiterfrage, sozialer Frage, Minoritätenfrage. – Trebitsch faßt das Judentum auf als einen soziologischen Vorgang der fortschreitenden Entsklavung.

Er macht sich somit seine Verachtung der Juden sehr leicht. Er übersieht im Judentum alle konservativen aristokratischen individualen Bestände. Er bezeichnet als »Juden« jeden zur Herrschaft kommenden erbarmenden Jammertyp.

Ähnlich wie Nietzsche im »Antichrist« den Paulinismus und das ganze nachpaulinische Christentum (im Gegensatz zum Judentum und sogenannten Urchristentum) als »Sklavenaufstand in der Moral« betrachtet, so ist bei Trebitsch »der Jude« der Träger der Mitleids- (Rachmones-) Gefühle und aller Sklavenendziele.

Es ist nun merkwürdig, wie dieser zum Kriegergotte Wotan betende Jude sich abfindet mit der leidigen Tatsache, daß er doch selber aus der verhaßten Plebejerschicht emporgestiegen ist. Zuweilen läßt er durchblicken, daß er, wie durch ein Wunder, vor aller Judenblütigkeit bewahrt und mit reinem Arierblute gesegnet sei. Dann wieder erdrosselt er seine Minderwertigkeitsgefühle mit der Lehre, daß die in der dritten Generation getauften Juden sich zu Germanen umwandeln. Die Emanzipation der Juden seit 1800 sei der selbe Vorgang gewesen, wie die Entsklavung der Plebs im alten Rom. Damals habe man verschiedene Typen unterscheiden müssen. Zunächst den libertus, den freigelassenen Sklaven von dem schon römisch gewordenen libertinus, dem Sohn eines Freigelassenen. (Trebitsch bringt geistreich und mit ähnlich kühner Etymologie wie Nietzsche sie liebt, das Wort »libertinus« in Verbindung mit dem französischen »libertin«, also mit der Entartung des Sexuallebens.) Aber drittens endlich erschien im alten Rom der ingenuus, der bereits Freigeborne. Horaz, der Dichter, und Epiktet, der Philosoph, seien Abkömmlinge von Sklaven und dennoch schon echteste Römer gewesen. So sei es auch ihm geglückt, vom Pariatum seiner Vorfahren loszukommen.

Dieser Gedankengang und viele ähnliche deuten auf den wunden Fleck im Unterbewußtsein. Je erfolgloser, abgedrängter, vereinsamter der Kämpfer auf verlorenem Posten sich fühlt, um so rückhaltloser drängt sich ihm die Gewißheit auf, daß seine Lehre für ihn selber nicht stimme. Mit zynischer Vorliebe zitiert er ein unschönes Wort: »Was der Jude glaubt, ist einerlei, in der Rasse liegt die Schweinerei.« Somit aber wäre es ja auch »einerlei«, was Trebitsch glaubt oder zu glauben glaubt, und er hätte die Aufgabe, ans Licht zu stellen, was er denn nun sei. Sein Lebensgefühl weiß, daß zehntausend Jahre Volksgeschichte nicht vom einzelnen Individuum aus zu durchstreichen sind und daß entfernte Vergangenheit auch im Gegenwärtigen lebendig blieb. »Ganz vergessener Völker Müdigkeiten kann ich nicht abtun von meinen Lidern« …

So fühlt sich denn Trebitsch als Verfluchter, als »der Mann im Schatten«. Das ist jener Lichthungrige, der immer der Sonne nachspringt. Aber sein Schatten springt mit. Er kann nicht in das Licht gelangen. Er bleibt, trotz aller Sprünge, eingebannt in den nächtigen Ring. Er kann nie loskommen von dem Bewußtsein: »Auch du: Jude.«

Diese nicht seltene Psychose, dieser Fluch, aus dem Judenringe nicht heraus zu können, läßt die schöpferisch starken Gaben der Rasse verkümmern. Der Unsichere möchte gern sich vergessen oder sich vergessen machen. Er wirbt um Achtung, er bettelt um Liebe. Er offenbart sich nicht, sondern vermummt sich. Er gibt sich nicht, sondern schauspielert. Und er tut es vielleicht auch da, wo er naiv ist. Sein Werk ist nicht seine Haut, sondern ein Panzer. – Wie aber der geborene Aristokrat gewiß nicht aristokratelt, sondern gerade daran sich offenbart, daß er keine Vorrechte haben will und das Schicksal der Schwächeren auf seine stärkeren Schultern nimmt, in froher Selbsthingabe und Verantwortung, so wird auch ein gesundes Rassegefühl nicht mit dem Adel des Blutes prahlen, sondern die gute Art tut sich kund, ohne davon zu wissen. Wäre der Mensch froh und fest in sich selber, was kümmerten ihn dann wohl die schiefen Wertungen der Welt? Was die Wortgespenster: Jude, Christ, Semit, Germane? Aus unverbrüchlicher Selbstachtung, aus der Würde der guten Art strömen die unbesiegbaren Quellen. Der in sich selber glückliche Jude – grade in den schwersten Tagen dankte der Jude im Gebete für das Glück, als Jude geboren zu sein – konnte stets allein stehen, sogar gegen die ganze Welt. Wird aber Judesein zum Begriff der Unsicherheit, will der Mensch statt Selbstbehauptung nur »Duldung«, so ist er verloren. Er muß dann dauernd versuchen, die »öffentliche Meinung« zu seinen Gunsten zu beeindrucken. Bald durch Leistung, bald durch Abwehrvereine, bald durch Flucht in das Gemeine und Allgemeine, bald auch dadurch, daß er zum Herold seiner Tugenden wird, die eben dadurch recht zweifelhaft werden.

So ist die Lage vieler Juden! So war auch für Arthur Trebitsch die Lage. –

Arthur Trebitsch merkte nicht, daß er mit der Apologetik seines stark persönlichen Ich sehr geschmacklos wirkte, ja (was noch schlimmer ist als selbst eine Teufelei) – bemitleidenswert. Er merkte nicht, daß die Abfuhr, die er von den Deutschtümlern erlitt, durchaus berechtigt war. Dieser Denker bat ja um Entschuldigung dafür, daß auch er da sei. Er versuchte seine Existenzberechtigung nachzuweisen vor den Ohren von Leuten, die in aller Welt überhaupt nichts kennen und anerkennen als nur die Berechtigung und Notwendigkeit ihrer eigenen Existenz. Es klingt paradox und ist doch Wahrheit: auch zum Vertreter des Deutschtums kann der Jude nur dann werden, wenn er ganz bewußt Jude ist. Beaconsfield wäre als Kanzler Englands unmöglich gewesen, wenn er aller Welt beständig versichert hätte, er sei der echteste Engländer, statt daß er eben stolz darauf war, ein Jude zu sein.

Diese Zusammenhänge ahnte Trebitsch zuweilen. Er rettete sich in krasse Tollkühnheit. Er spielte den Dickfelligen und wurde überempfindsam. Seine monomane Angst, als Jude angesprochen zu werden, drängte ihn in alberne Streitigkeiten.

Wir kommen damit zu den Ereignissen seines äußeren Lebensgangs.

 

Betrachten wir das äußere Leben des erstaunlichen Mannes, so erscheint es als eine sinnlose Folge wilder Krawalle, Duelle, Prozesse, Kräche und Händel. Das eine Mal ohrfeigt er einen Jugendfreund, weil der ihm die Berechtigung absprach, im Namen des deutschen Volkes öffentlich reden zu dürfen. Ein ander Mal strengt er einen Prozeß an und verficht ihn durch alle Instanzen, weil er sich von einem Herrn Irgendwer durch den Ausdruck »Jude« beleidigt und in seiner Deutschheit beeinträchtigt fühlt. Ein drittes Mal fordert er von Parteifreunden ein Vertrauensvotum und schickt jedem, der ihm das Vertrauen versagt, Sekundanten ins Haus mit der Herausforderung zum Waffengang.

Er verkracht sich mit allen Gruppen, verärgert die Nationalsozialisten, welche ihn zum Führer wählen, überwirft sich aber zugleich mit Kirche, Klerus und Zentrum. Er wirft Juda und Roma in einen Topf, entdeckt, daß der Katholizismus das Werk der Juden sei und redet fortan in einem Atem von »Juden und Jesuiten«. Dann wieder findet er, daß auch die Freimaurer – Jesuiten seien und predigt nun gegen »Juden und Freimaurer«. Schließlich fällt ihm alles, Luther wie Loyola, Sozialismus wie Christentum, unter das eine Ekelwort: Jude. –

Er zieht von Stadt zu Stadt. Diese Vortragsreisen nimmt er ungeheuer wichtig. Er betrachtet jeden gelegentlichen Vortrag als ein Manifest an das deutsche Volk. Und indem er vor ein paar hundert Urteilslosen spricht, empfindet er sein Auftreten als eine Tat gleich der Tat Luthers, als dieser die Bannbulle des Papstes verbrannte. Seine wirklichen Erfolge stehen in lächerlichem Verhältnis zu dem Leben, das er in der Phantasie führt. Er gibt mit jeder Rede seine ganze Seele preis. Manchmal gelingt es ihm, die Menschen bis zu Tränen zu rühren. Einzelne entfesselt er zu Ekstasen. Es gibt Jünglinge, die ihm nachreisen, und Frauen, die sich ihm ans Herz werfen. Aber im allgemeinen gilt er nur als »interessanter Fall«. Als Unikum, das man gelegentlich gern reden läßt und sich anhört mit einer Mischung aus Wohlwollen und Befremdung. Keine Gruppe nimmt ihn ganz ernst. Keine Partei steht hinter dem Unangenehmen. Allmählich verläuft sich der kleine Kreis persönlicher Anhänger. –

Arthur Trebitsch hatte gleich seinem Gesinnungsgenossen Dühring lebenslang ein schweres Augenleiden zu ertragen. Es führte zu allmählicher Erblindung. Vielleicht steht die anwachsende Blindheit in Zusammenhang mit dem Fortschreiten seiner seelischen Erkrankung. Während des Krieges hinderte ihn, den leidenschaftlichen Turner und berühmten Sportsmann, zu seinem Schmerze das Augenleiden, als Soldat ins Feld zu gehn. Er machte sich in der Kriegshilfe nützlich, hielt Kriegsvorträge und verfaßte eine vom deutschen Kaiser sehr wohlwollend aufgenommene Flugschrift in Versen, welche die baltischen Adeligen aufforderte, sich an Deutschland anzuschließen …

Der Zusammenbruch Österreichs, die Revolution trieben Trebitsch in einen Zustand hoffnungsloser Raserei. Er wurde immer rechthaberischer, wahllos in den Mitteln und leichtgläubig in der Richtung der ihn beherrschenden Schrulle. Ungleich geistiger als die primitiven Helden des Faschismus, wirkte er doch lächerlicher als irgendein anderer aus dieser die Lächerlichkeit nicht scheuenden Gruppe, weil er nicht unbefangen seine Erdichtungen zu predigen vermochte. Je nachhaltiger in ihm der Gedanke wühlte: »Der Jude muß vernichtet werden, auch der Jude in meiner Seele«, um so drohender schwoll die geheime Angst: »Es wird ein Rückschlag kommen. Der Jude wird sich rächen.«

So entstand aus dem Größenwahn der Verfolgungswahnsinn.

 

Es haben sich Ärzte gefunden, darunter ein Assistent der Wagner-Jaureggschen Klinik in Wien, die für Arthur Trebitschs geistige Gesundheit zeugen. Ich werde im Folgenden nur wenige Geschehnisse aus der Zeit von April bis Mai 1919 anführen. Sie scheinen mir das Krankheitsbild der Paranoia ganz sicherzustellen. Doch müssen wir der Darstellung eine Bemerkung vorausschicken.

Arthur Trebitsch hat auch nach diesen Geschehnissen scheinbar zurechnungsfähige Werke herausgegeben. Er hat die Geschichte seines Verfolgungswahns aufgezeichnet, ähnlich wie August Strindberg die Geschichte seiner kranken Jahre geschrieben hat. Beide Fälle, Strindberg und Trebitsch, haben manche Ähnlichkeit. Beider Männer Leben hatte eine manische Periode, nach welcher ein Zusammenbruch und damit eine Beruhigung eintrat. In der manischen Zeit, welche Strindberg in Paris, Trebitsch in Berlin erlitt, waren sie zweifellos irrsinnig.

In beider Seelenleben verfestigte sich eine in der neueren Zeit häufig gewordene Zwangsidee: die ungewisse Angst vor Krankheits- und Todesstrahlen und die Überzeugung, daß unbekannte Verschwörer sie durch Strahlen, welche nicht ins Bereich der menschlichen Sinne fallen, zu töten gedächten. –

Ich stelle nunmehr einige Einzelzüge zusammen und wähle nur solche, die Trebitsch selber in seiner manischen Exhibitionssucht erzählt hat.

Am 2. April 1919 kommt er nach Berlin, um dort einen Vortrag über das Thema »Wir Deutschen in Österreich« zu veranstalten, der am 25. April im Blüthnersaale stattfinden sollte. Trebitsch mietet ein Zimmer in Wilmersdorf. Der Vermieter besitzt im Hause ein Weinrestaurant, in welchem Trebitsch seine Mahlzeiten nimmt. Schon in der ersten Nacht erleidet er einen Vergiftungsanfall mit Anschwellen der Ohrspeicheldrüse, starkem Speichelfluß und präkordialen Ängsten. Er entdeckt am Morgen über seinem Bette zwei scheinbar von eingeschlagenen Nägeln herrührende kleine Löcher und glaubt nun, daß durch diese Löcher unsichtbare Hochfrequenzströme in das Zimmer geleitet werden. Er begibt sich in das Weinrestaurant, wo er die Bekanntschaft eines jüdischen Bildhauers macht, den er alsbald als einen Beauftragten der Verschwörer durchschaut. Er ist nun überzeugt, daß ein Geheimbund – er nennt ihn die »Weltchawrusse« – ihn ermorden will. Auch der Wirt – so scheint es ihm – unterstützt das Mordkomplott. Eine in der Nachbarschaft wohnende jüdische Familie hat den Auftrag, durch Geräusche während des Halbschlafes ihn zu ängstigen und verwirrt zu machen. Er läßt an der Vortüre zu seinem Zimmer ein nur von innen zu öffnendes Schloß anlegen. Auch läßt er über dem Bette eine Alarmglocke anbringen. Als ein Besucher ihm zeigt, daß das neue Türschloß auch von außen zu öffnen ist, da ist er überzeugt, daß der Schlosser ein verkleidetes Mitglied der »Chawrusse« war. Er entdeckt nun, daß das Schloß spitz zugeschliffen ist, damit er sich daran verletzen soll. Er entdeckt ferner, daß man ihm Nägel ins Bett gelegt hat und daß in seiner Abwesenheit das Zimmer untersucht wurde und die Löcher über dem Bette verändert worden sind.

Um die selbe Zeit erlebt er eine wirre Liebesgeschichte. Er unterhält ein Verhältnis mit einer in Charlottenburg wohnenden Dame, Witwe eines Offiziers und Katholikin, welche sich ihm als Verehrerin seiner Schriften genähert hat. Im März 1919 hatte es zwischen ihm und der Geliebten Streit gegeben, als sie ihm mitteilte, daß sie ein Kind von ihm erwarte. Er erkennt zwar die Vaterschaft an, will sie aber nicht heiraten, sondern verspricht 100 000 Kronen und die spätere Adoption des Kindes. Hinterdrein aber versagt er das Geld und unterstützt eine Operation, durch die das Kind entfernt wird. An diese Frau schreibt er unsinnige Briefe, in denen er sie beschuldigt, von der »Alliance Israélite« gegen ihn gedungen zu sein. Die Briefe hinterlegt er bei Gesinnungsfreunden, weil er überzeugt ist, daß die »Alliance« von den Briefen Wind bekommen hat und nun daran arbeitet, ihn zu vernichten, damit die Briefe nicht in die Öffentlichkeit gelangen. Dieser Wahn hindert ihn aber nicht, den Verkehr mit der seiner Meinung nach ihn verratenden Frau fortzusetzen. Er beschuldigt sie, daß sie ihn mit einem jüdischen Arzte betrüge; besucht aber doch mit der Frau und mit dem Arzte Gesellschaften und Bälle.

Am 5. April, also drei Tage nach seiner Ankunft in Berlin, verschwindet Trebitsch aus seiner Wohnung in Wilmersdorf und begibt sich ins Kriegsministerium, um Schutz nachzusuchen gegen eine ihn am Leben bedrohende Verschwörung. Völkische Gesinnungsfreunde bieten ihm Unterkunft. Er wohnt nun nacheinander bei drei voneinander unabhängigen deutschvölkischen Familien, und jedesmal wiederholt sich das selbe. Er verspürt in der Nacht vergiftende Ströme und beschuldigt seine Gastgeber, daß ein von der »jüdischen Weltchawrusse« gedungener Spitzel im Hause sei.

Bei dem ersten Gastfreunde erbittet er am Abend ein Schlafpulver, aber entdeckt dann, daß man ihm Gift gegeben habe. Er sucht in der Nacht die Toilette und merkt, als er sie verschlossen findet, daß man ihn zwingen wolle, einen Dienstboten zu wecken, um ihn dann als geisteskrank in eine Anstalt überführen zu lassen. Er beschmutzt das Waschgeschirr und riegelt sich ein. Am Tage weigert er sich, zu öffnen. Er zwingt die Leute, durch die Fenster einzusteigen und bedroht sie mit einem Revolver. Sie kündigen ihm die Gastfreundschaft, und er begibt sich in eine andere Familie.

Bei dieser zweiten Familie erklärt er todkrank zu sein, und legt sich zu Bett. Nachts geistert er durchs Haus und entdeckt, als ihm die Türklinke zum Badezimmer in der Hand bleibt, daß die Familie ihn in eine Falle locken wolle, um ihn zu ermorden. Wieder riegelt er sich ein, und als man am Tage Sanitätssoldaten herbeiholt, springt er aus dem Fenster und läuft ohne Hut und Mantel und unter Zurücklassung seiner Sachen davon. Er treibt sich nun einen Tag lang in Berlin herum und begeht dabei, immer im Wahn verfolgt zu werden, die unzweckmäßigsten Handlungen. Schließlich erscheint er, abgerissen und verstört, bei einer dritten ihm befreundeten Familie. Diese benachrichtigt Ärzte und telegraphiert an seine Angehörigen nach Wien. Seine Frau kommt, um ihn zu holen. Frau, Bruder und nächste Freunde zweifeln nicht daran, daß er geistesgestört sei. Er zieht sich zurück in ein Landhaus in Sulz-Stangau bei Wien.

Er lebte nach diesen Vorfällen noch acht Jahre, während deren er eine Anzahl Bücher gegen die Juden veröffentlicht hat, in deren Mittelpunkt immer der alte Wahn steht, von einem Geheimbunde verfolgt zu werden. Diese Wahnidee stützt er durch Zitate aus einem lächerlichen, dummen Machwerk, das längst als eine plumpe Fälschung entlarvt ist, die sogenannten »Protokolle der Weisen von Zion«. –

Es wäre sinnlos, der ganzen Geschichte des äußeren Lebens nachzugehn. Ich stelle nur noch einige absurde Behauptungen Trebitschs zusammen.

Engelbert Pernerstorfer, der Wiener Sozialist, Trebitschs naher Freund, ist von der »Chawrusse« auf dunkle Weise durch schwarze Magie ermordet worden, weil er ihr zu deutschgesinnt war.

Houston Stuart Chamberlain, der an Muskelschwund starb, ist gleichfalls von den Juden ermordet worden. Trebitsch, welcher Chamberlains Philosophie »den Übergang von Kant zu Trebitsch« nennt, reiste eigens von Wien nach Bayreuth, um Chamberlain zu warnen.

Als sein jüngerer Bruder sich das Leben nimmt (ein dritter Bruder, Siegfried Trebitsch, der Übersetzer Shaws, hielt sich stets von dem Wahne Arthurs fern), führt Trebitsch diese Tat zurück auf die Wirkung eines jüdischen Hypnotiseurs, der den Verstorbenen unter seinen Willen gebracht und ihn zum Selbstmord gezwungen habe.

Als Frau Marie Trebitsch, seine Gattin stirbt, an Hirnhautentzündung und Stirnhöhleneiterung, da steht ihm fest, daß die Juden ihn, Trebitsch, durch Ströme hatten umbringen wollen, daß aber die arme Frau, da sie die Schlafzimmer wechselten, statt seiner dem Attentat zum Opfer fiel.

Es steht ihm ferner fest, daß die Juden seine Briefe auffangen, daß sie auf sämtlichen Postämtern und Telegraphenämtern Spione unterhalten, daß alle Telephongespräche der Welt von Abgesandten der »Weisen von Zion« belauscht werden.

Er glaubt, daß auch innerhalb seiner eigenen Partei, der antisemitisch-deutschvölkischen, die Juden als geheime Schieber arbeiten. In einem »Kulturbunde« stellt er den tollen Antrag, man solle eine Kommission ernennen, welche die Mitglieder des Bundes zu untersuchen habe, ob nicht ein Beschnittener darunter sei, damit sich nicht jüdische Spitzel einschleichen können.

Diese Judenschnüffelei verwickelt ihn in immer neue Händel. Er behauptet, daß die Juden durch Frauen, die sie den ihnen gefährlichen Politikern oder Dichtern zuführen, die Geister zu verderben trachten. So seien die Schriftsteller Laurids Brunn und Arthur Dinter durch Weiber, die im Dienste der Juden ständen, zum Mystizismus verführt worden. Die meisten Staatsmänner würden von der »Chawrusse« mit Jüdinnen verheiratet. Er selber sei viermal einer luetischen Infektion entgangen, durch welche die Juden ihn hätten paralytisch machen wollen. Dergleichen tolles Zeug schreibt er in Menge zusammen. –

Unterstellen wir die Annahmen Trebitschs als wahr, so müßten viele Hundert voneinander unabhängiger Personen alle gewußt haben von dem Plan der »Weltchawrusse«, den unseligen Mann zu beseitigen. Er behauptet, daß etwa fünfzig Personen ihn verfolgt haben. Er hütet sich die Namen zu nennen, aber es geht doch aus seinen Anklagen hervor, daß er zum Beispiel die folgenden Personen für beeinflußt vom jüdischen Geheimbund hält: den Nervenarzt Dr. v. Nordberg in München, Fürst Felix Lichnowsky in London und seine Gattin, die Schriftstellerin Mechtild Lichnowsky, den Berliner Arzt Carl Ludwig Schleich, die Schriftsteller Ferdinand Runkel und Hermann Bahr, die Verleger Beck in München, Grunow in Leipzig, Strache in Wien und Borngräber in Berlin.

Die Deutung der kranken Vorstellungen ist einfach. – Er symbolisiert Vorgänge seines Innern, indem er sie in die Außenwelt legt. Der Wahn, von einer »Weltchawrusse« verfolgt zu werden, stieg aus dem dunklen Instinkt für die tragische Sinnlosigkeit der eigenen Stellung. Der Zwang, sich selber als reinen Urarier auftrumpfen zu müssen, während doch insgeheim der Gewissenswurm an ihm nagte, in eigener Person aus dem »Haus der Tantaliden« zu stammen und unterirdisch an diese Nabelschnur gebunden zu sein, führte zu solcher Übersteigerung, daß er sich gar nicht genug tun konnte in tobendem Beschimpfen, Verleumden und Herabmindern alles Jüdischen, von dem er doch keine klare Vorstellung hatte. Indem er in sich selber den »Juden« verfolgte, glaubte er von Juden verfolgt zu sein.

Sein Wahn, von krankmachenden Strahlen umgeben zu sein, gab eine scheinlogische Ausdeutung für die von Seele zu Seele flutenden Stimmungen. Unfreundliche Gedanken, die einem kranken Menschen begegnen, werden von ihm wie körperliche Kräfte empfunden und machen ihn krank. Man weiß bei überfeinfühligen Personen oft nicht, ob die Empfänglichkeit für seelische Einflüsse die Folge ist einer objektiv begründbaren Störung oder ob umgekehrt das Leiden und die Störung erst entstehn als die Folgen einer überempfindlichen Einbildungskraft 10.

10) Die durch Trebitschs ganzes Leben gehende Strahlen- und Wellenmonomanie ist wohl an seinem Falle das einzig Rätselhafte. Ich bin geneigt, an eine wirkliche Unterlage seiner Empfindungen zu glauben. Er besaß wohl einen sehr zarten Sinn für Ströme und Einflüsse, welche andere nicht bemerken, und legte sich seine Empfindungen nun aus im Sinne der ihn beherrschenden Wahnidee. Daß dann wirkliche Bestätigungen einzutreten schienen, ist nicht wunderbar. Wenn ein Kranker unaufhörlich auf magnetische Wellen eingestellt ist, dann findet oder erzeugt er wirklich diese Wellen. Ein mir genau bekannt gewordener Krankheitsfall, der dem Falle Trebitsch ähnlich ist, dürfte uns der Erklärung näherbringen.

Im Jahre 1926 erhielt ich aus einer Irrenanstalt Briefe eines Professors v. F., welcher meine Hilfe anrief gegen eine Verschwörung von Ärzten und Psychiatern, die im Dienste seiner Frau das Ziel verfolgten, ihn künstlich geisteskrank zu machen durch unsichtbare Wellen, deren Einfluß ihn zu absurden Zwangshandlungen verleite. Er könne das Dasein dieser Wellen nachweisen.

Der Umstand, daß ich (in einem anderen Falle) einem Gutachten eines der Professoren entgegengetreten war, die v. F. für seine Feinde hielt, hatte ihn auf den Gedanken gebracht, sich an mich zu wenden, in der Erwartung, daß ich nun auch in seinem Falle jenem Gelehrten wieder entgegentreten werde.

Die Schriftstücke des Prof. v. F. zeigten keine Spuren von Krankheit oder Verwirrung. Es waren Dokumente eines reich gebildeten Geistes, klar, ruhig und sachlich. Zumal in seinem Sonderfach, der Physik, besaß er überlegene Kenntnisse. Er machte das Vorhandensein wirklicher Ströme sehr wahrscheinlich und verteidigte seine Anschauung auf Grund eines gediegenen Studiums auch der psychiatrischen Literatur. Seine These war: Es handelt sich um einen circulus vitiosus. Ich bin nicht verrückt, aber eine Gruppe hat Interesse daran, mich verrückt zu machen. Soweit ihr das nun gelingt, liefere ich wirkliche Anzeichen von Verrücktheit und diese wiederum bestärken jene Gruppe in ihrem Recht und lassen die Anzahl meiner Gegner immer mehr anwachsen. Ich bat Prof. v. F., da ich von den Meinungen seiner Ärzte unabhängig sein wollte, die Reise nach meinem Wohnort zu machen; ich lernte in ihm einen ruhigen, besonnenen Mann kennen, auffallend empfindlich, zurückhaltend und zartfühlend. Bemerkenswert war zunächst nur eine Schwere und Ausdrucksunfähigkeit bei größter Reizbarkeit des Gefühls. Ihm mangelte jede Leichtigkeit, jede Fähigkeit zu einem entspannten Ton des Humors. Diese Unfähigkeit zu einem behaglichen Humor ist immer das erste Zeichen eines mangelnden inneren Gleichgewichts.

Ich legte mir den Fall folgendermaßen zurecht. Wir kennen bei Tieren die Reaktion auf physikalische Einflüsse uns ungreifbarer Art. Jedes Tier fühlt unmittelbar, ob wir freundlich oder feindlich gestimmt sind. Könnten nun nicht auch Gedanken physische Unterlagen haben? Ströme, welche telepathisch zu empfinden sind? In einer Atmosphäre mir feindlicher Gedanken werde ich krank. In einer Versammlung, deren Wohlwollen mir entgegenkommt, fühle ich Kräftezuwachs. Dieser Mann nun, empfindsam und liebebedürftig, fühlt ablehnende Gedanken unmittelbar als krankmachende Wellen. Immer im Defensivzustande, macht er sich überall unbeliebt. Er bringt die Menschen gegen sich auf und wird dann seinerseits wieder durch die gegen ihn gerichteten Wellen gereizt.

Dies ist eine freilich sehr unbestimmte, aber doch immerhin mögliche Hypothese. Sie wird bestätigt durch eine erstaunliche Entdeckung: Es ist neuerdings gelungen, elektrische Vorgänge, die mit unserm Denken verbunden sind, akustisch zu erfassen.

Prof. v. F. fühlte sich in meiner Gegenwart von den feindlichen Strömen zunächst frei, aber nur so lange, bis ich ihm meine Ansicht über seinen Fall darlegte und ihm zu zeigen versuchte, daß sein Leiden zwar unbezweifelbar objektiv, die Auslegung aber nur in seiner Subjektivität begründet sei. Von dem Augenblick an empfand er auch mich als Feind und zählte mich zu dem gegen ihn verbündeten Medizinerkomplott.


Trebitsch richtete an die Regierungen Gesuche, darüber zu wachen, daß die Versuche mit Wellen, welche nicht ins Bereich menschlicher Sinne fallen, nur von »arischen Physikern« angestellt werden dürfen. Es bestehe eine internationale Komorra der jüdischen Techniker und Ingenieure. Jene Teile der Physik, welche für die kommende Menschheit verhängnisvoll werden könnten, sollten nach dem Entschlüsse der »Weisen von Zion« ausschließlich von jüdischen Physikern und Mathematikern in Angriff genommen werden.

Wirklich grauenhaft mutet es an, daß er die »arischen Forscher« auffordert, an ihm zu experimentieren. Man möge seinen Schädel messen. Er habe durchaus den dolichokephalen Goten- und Nordgermanenschädel. Man möge sein Blut untersuchen. Es reagiere durchaus als reines Germanenblut. Auch sein Gehirn sei das typische Germanengehirn. So hatte der die Menschheit vergiftende Rassenunsinn diesen bedeutenden Menschen verrückt gemacht. –

Ein gemeinsamer Freund schildert uns das Ende folgendermaßen: »Arthur Trebitsch hat in den letzten Jahren seines Lebens an Verfolgungswahn gelitten. Es war ein seltsamer Wahn, der sich auf einen einzigen Punkt konzentrierte. Auf allen anderen Gebieten des Geistes war Trebitsch bis zuletzt von seltener Klarheit, Schärfe und Logik. Ihn sprechen zu hören war ein Genuß, so lichtvoll waren seine Gedankengänge. Er war überzeugt, daß die »Alliance Israélite«, eine geheime Brüderschaft, ihn ermorden wolle, wie sie alle Menschen, die ihr nicht genehm seien, einfach verschwinden lassen könne. Diese Gesellschaft arbeite mit besonderen Geheimmitteln, mit drahtlosen Strömen oder mit Giftgasen, die sie durch Mauern sende. Er behauptete, diese Ströme und Gase zu fühlen. Nächtelang wanderte er in seiner Wiener Wohnung von Zimmer zu Zimmer. Sein Bett stand auf Glasfüßen, um es zu isolieren. Die Zimmer waren mit isolierenden Drähten umspannt, und zuletzt ließ er sich im Garten seiner Villa in Sulz-Stangau ein Glashäuschen errichten, in dem er schlief. Er war auch überzeugt, daß die Juden Houston Stuart Chamberlain auf diese Weise langsam getötet hätten. Als er von der Erkrankung des von ihm verehrten Mannes hörte, fuhr er selbst nach Bayreuth, um ihn zu warnen. Es hat ihm furchtbar weh getan, daß Chamberlain ihm nicht geglaubt und zu seinen Warnungen nur gelächelt hat. Was er auf dem Gebiete seines Wahns vorbrachte, war derartig suggestiv überzeugend, daß ich manchmal wirklich so weit war, alles für wahr zu halten. Tatsächlich waren alle Metallgegenstände auf seinem Schreibtisch magnetisch und ebenso war seine Taschenuhr eines Tages stehengeblieben, und es wurde vom Uhrmacher konstatiert, daß die Bestandteile magnetisch geworden waren. Was soll man davon denken? Wir, die ihm nahestanden, haben oft nicht gewußt: Ist er wahnsinnig oder nur ungeheuer hellsehend? Er starb am 26. September 1927 in Eggersdorf bei Graz an einer zunächst verheilten, aber wiederaufgebrochenen Miliartuberkulose, die mit Entzündung der Mundhöhle begann, auf die Zunge übergriff und reißend schnell zum Ende führte. Er hat natürlich dieser Diagnose nicht geglaubt und war fest überzeugt, daß es den Juden trotz aller seiner Vorsicht nun doch geglückt sei, ihn zu vergiften. Er starb in der Klinik seines langjährigen Freundes und Arztes Prof. Hermann Schmerz, des ausgezeichneten Menschen und großen Chirurgen. Er wurde Donnerstag, den 29. September, in Sulz-Stangau beerdigt. Die Todesanzeige für die Freunde war unterzeichnet von Herbert Müller-Guttenbrunn, Wien XVII, Schulgasse 80 …«

Wir stehn vor einem tragischen Schicksal. Da geziemt ehrfürchtiges Schweigen. Dennoch kann ich nicht umhin, die Freunde von Arthur Trebitsch anzuklagen, seine Familie, seine Frau, seinen Bruder, daß sie nie erfühlten, wie unwürdig es ist, als Judenstämmling gegen Jüdisches aufzutreten, ohne sich selber preiszugeben. Es ist das Gegenteil des christlichen wie des deutschen Lebensgefühls, eine Schuld nicht zuerst in sich selber zu suchen. Lägen im Jüdischen wirklich Schäden – und wer wollte sie bestreiten? – so haben wir sie eben dort zu erkennen und dort an ihrer Ausheilung zu arbeiten, wo es ganz allein möglich ist, die Welt zu erkennen und an ihr etwas zu ändern. Der einzige Punkt, wo das möglich ist, ist ausschließlich das eigene Ich.

Der brüchige Mensch bessert umgekehrt, ja beschimpft eher die ganze andere Welt, ehe er still in seine eigene Untiefe steigt. Dadurch gerade schließt er sich von der Welt aus und gerät zu ihr in Widerspruch. Gedrückte noch tiefer drücken, Geschlagene weiter schlagen, Geschmähte wilder schmähen, das ist nicht vornehm und macht verächtlich.

Wir hatten die Wahl, in Arthur Trebitsch einen verächtlichen oder einen unglücklichen Mann zu sehn. Wir sehen in ihm einen Unglücklichen 11.

11) Es bestand die Absicht, diesem Buche einige Belege beizufügen, durch die auch dem nichtjüdischen Leser klar würde, welche Erkrankungen entstehen, wenn Kinder in den Mythen des Rassewahns erzogen und gegen ihr eigenes Leben aufgestachelt werden. Es erwies sich, daß die Verwendung der zur Verfügung stehenden Dokumente das Buch allzu umfangreich gestalten würde. Auch würden die Dokumente des Selbsthasses ein unrichtiges Bild ergeben, wenn ihnen nicht auch die entgegengesetzten Bekenntnisse zur Seite gestellt würden: Stolz und Genugtuung und schlichte und innige Freude am Judesein, wie sie in der gegenwärtigen jüdischen Jugend immer selbstverständlicher werden. Das folgende Schriftstück dürfte für tausende ähnlicher Art gelten. Es sind einige Auszüge aus Tagebüchern einer bedeutenden Frau, die wohlgeboren, schön, gesund, begabt, an einer auf früheste Jugendeindrücke zurückgehenden ethischen Selbstvernichtung erkrankt ist.

 

Aus Tagebüchern (1920)

»Ich zwinge mich, nicht daran zu denken. Aber was tut's? – Es denkt in mir, denkt von selbst, fragt nicht nach meinem Wunsch und Willen und dem natürlichen Trieb, Schmerzendes, Häßliches, Tödliches zu fliehen. Es ist alle Zeit da, ist in mir: dies Wissen um meine Abstammung. Wie ein Aussätziger oder Krebskranker sein ekelerregendes Leiden verborgen unter dem Kleide trägt und doch in jedem Augenblicke selber darum weiß – so trage ich die Schmach und Schande, die metaphysische Schuld meines Jude-Seins.

Was sind alle Leiden und Enttäuschungen und Hemmungen, die von außen kommen, gegen diese Hölle im Innern? Das sein zu müssen, was man verabscheut! Sein zu müssen, ja zu müssen! Denn alles Klügeln und Beschönigen und Sichselberbelügenwollen, hier hilft es nicht. Klar ist mir bewußt, erbarmungslos – das Judentum liegt im Sein. Es läßt sich nicht abschütteln. So wenig ein Hund oder Schwein sein Hund-Sein, Schwein-Sein abschütteln mag, so wenig entreiße ich mich, mich selbst den ewigen Banden des Seins, die mich binden auf jene Stufe zwischen Mensch und Tier: den Juden.

Wär ich ein Mörder, wär ich ein Dieb, hätte ich das Erbärmlichste, Fluchwürdigste getan – vor dem Ewigen in mir stünde ich dennoch schuldlos da. – Aber nie, solange ich lebe, vermag ich den Fluch meines Seins von mir zu lösen, nie kann ich die Sünde meines Judentums verneinen, die ewige metaphysische Urschuld, die auf mir lastet mit Bergesschwere. Verflucht und verdammt weiß ich mich. Wie Aussatz klebt sie an mir, die Schmach meiner Abstammung. Ich bin von jenen, von denen die Candogya-Upanishad spricht, daß sie in einen »stinkenden Mutterschoß« eingingen, in einen »Hundeschoß oder Schweineschoß oder Tschandalaschoß«.

Ich habe Augenblicke, da ist mir, als müßt' ich mir selbst die Adern aufschneiden, dies Jaucheblut zu verschütten, das meinen Körper schändet wie meinen Geist. – Ja! Lieber noch wollt' ich ein Tier sein, lieber noch wollt' ich Ratten-, Schlangenblut in mir haben als das Blut jener wandelnden Pest, jenes Gestalt und Form gewordenen Symbols des Widergöttlichen.

Manchmal kommt mir der irrsinnige Gedanke, mit einem Mord mein Sein zu sühnen. Einen, zum mindesten einen jener jüdischen Buben abtun, welche die Schuld haben an Deutschlands Niederbruch. Einen jener schamlosen jüdischen Hunde, die sich das deutsche Volk von Österreich zu regieren erfrechen. Mein Leben hingeben, mich reinwaschen mit jüdischem Blut.

Ich spiele mit diesem Gedanken, denke ihn wollüstig zu Ende, gebe mich hin an ihn, willenlos – und zuweilen dann spielt er selbst mit mir, daß mir der Atem stille steht und das Herz zerspringen will und meine Zähne aneinander knirschen – Mord, Mord, Mord! kocht in meinen Adern – und es hebt mich schier vom Boden auf – ich bin wie entrückt, besinnungslos, brünstig vor Haß. Könnt' ich sie alle töten – alle!! Vom Erdboden vertilgen, die Welt erlösen! Könnt' ich sie ausrotten, könnt' ich diese Plage, diese Seuche zum Erlöschen bringen mit meinem Leben! Ich sehe rot, so braust mein Blut – und ich denke, es denkt, denkt in mir – an den geladenen Revolver in meiner Schreibtischlade, und daß der Weg nach Wien nicht gar so weit sei und daß – daß –

– Schon gut, schon gut! ich weiß ja doch, daß ich es nicht tun werde, nie, weil ich zur Tat nicht fähig bin, weil ich nur will, aber mein Wollen nicht wirklich ist, weil ich überhaupt nichts bin im wahren Sinne des Seins, weil ich Nichts bin, weil ich jenem nichtexistierenden Etwas angehöre, das sich Jude nennt, jenem unseligen Ahasverismus, der kein Wesen hinter sich hat.

Der Jude kann alles – o gewiß! bis auf Eines.

Er kann wollen, er kann wissen, er kann auch tun, was er will, wenn's grad so kommt – nur sein, das kann er nicht. Und auch müssen kann er nicht, denn Müssen kommt von Sein. Er aber muß niemals aus innerster Tiefe, aus innerstem Sein, weil er kein innerstes Sein besitzt. Er kann auch anders, immer auch anders …

 

Weiningers Selbstmord war ein letzter Akt der Erkenntnis: »Ich bin nicht wirklich.« Er fühlte, daß er auch anders sein könne, daß er, der Ethiker, gegebenenfalls auch ein Verbrecher sein könne, daß er, der Metaphysiker, schließlich auch ein Realist sein könne. Warum auch nicht? »Schreiben rechts und schreiben links«, das ist des Juden Art. Er fühlt es wohl, daß er nur eben moralisch sein wollte, daß kein eisernes Müssen und Sein hinter ihm stehe, daß er nur Erscheinung sei und keinen Atman habe, kein wahres Wesen. Daran ist er gestorben – an seiner hoffnungslosen Selbstverzweiflung. Was wissen sie, die alltäglichen, oberflächlichen Judenfresser, die nur ihre natürliche gesunde Rassenantipathie fühlen, ohne deren eigentlichen Sinn ergründen zu können, was wissen sie wohl von der ungeheuren Tragik dieser Hölle, die da leibhaftig auf Erden wandelt! Ich habe selber nie etwas wirklich Böses, Niedriges getan und doch ist mir zuweilen in trüben Stunden, als hätt ich alle Schuld der Welt begangen und auf meinen Schultern liegen.

Rastlos weiterwandelnde, unsühnbare Urschuld … Ahasver, Ahasver, der Jude. –

Über aller Zeit und Wirklichkeit bleibt er unwandelbar er selbst. Er ist der eine Pol der Menschheit. Er war von je und wird so lange sein als die Menschheit ist. Er ist ihr Schatten. Ahriman, ewiger Geist der Finsternis. Seit der Schlange, die im Paradiese den ersten Menschen wider der Gottheit Licht betörte und bezüngelte, seit damals ist des Juden unfrommer, höhnender Geist in der Welt, Geist der Zwietracht und Verneinung. Loge ist er, der Hödurs Pfeil auf Baldurs Herz gerichtet, Loge der Lenker des Totenschiffes, das am Ende der Tage die wölfische Nachtalbenbrut zum Kampfe wider Walhall herbeiträgt.

So muß er seit je und je vernichten, zerstören, vergiften, besudeln – Rassen, Staaten, Ideale, Menschenherzen – es gilt ihm gleich. Er trägt den Fluch seiner unholden Art durch die Jahrtausende der Menschheitsgeschichte und waltet blind nach seiner Bestimmung; – Mehltau auf die Blüte, Frost über die Ernte, Gift in alles Blut, Schmutz auf alle Reinheit. Lachen der Bosheit im blutlosen Angesichte, muß er der Menschheit Heiligtum zerstören wollen, wann immer er's betreten mag; muß er die ewige Lampe zu verlöschen suchen, so oft er ihr nahe kommt. Neidverzerrt möchte er aller Welt besudeln und entreißen, was er selber nicht besitzt und nicht erkennt. Darum haßt er alles Reine und bespeit alles Große, da er es anders nicht erreichen kann. Darum reißt er nieder, was andere gebaut und trachtet allezeit nach Schaden. Und mit sicherem Instinkte sucht er heute alles blonde, blauäugige, reine, helle Menschentum zu vernichten, jenes Menschentum, vor dem er sich seiner eigenen schwarzhaarigen, tieräugigen, kurzbeinigen Art peinlich erst ganz bewußt wird. Geifer läuft ihm heimlich im Munde zusammen, wenn er krumm, mit des Sklaven gebeugtem Nacken und schielenden Blicks vor dem aufrechten, wohlgeborenen Sproß edelster Arierrasse, vor dem Germanen, steht und knirschend schwört er sich's zu, daß jener »helläugige Knabe, unkund seiner selbst«, dessen reines Menschentum über ihn hinwegsieht, daß jener ahnungslos Unbekümmerte – am Boden kriechen und Staub fressen soll wie er!

 

Kein echter Jude, der des Germanen Rassenüberlegenheit nicht zutiefst im eignen Innern wüßte – aber da ihm mit der Ehrfurcht auch die Demut fehlt, die alles Geringe, Arme, Niedrige wandelt und erhöht und im metaphysischen Sinne frei emporhebt bis zu jener unerreichbaren, aber erkannten und bejahten Höhe, da ihm die Demut fehlt, dieser Adel des Unadeligen, so bleibt ihm nichts als Haß und Vernichtungswille, der jenes Höhere, Bessere, Schönere, das er nicht sein kann, ihm aus den Augen schaffe, fort aus der Welt. Darum sein Geschrei nach Gleichheit, darum sein instinktives Hinneigen zu Sozialdemokratie und Kommunismus, die ja auch nichts sind als der Köterhaß alles Untermenschlichen gegen das Höhergeartete. – Also, Form und Gestalt gewordenes Gleichnis des Widergöttlichen, Mörder der Gottheit wandelt Ahasver seit je und je drohend im Rücken der Menschheit her. Machtlos und unsichtbar, fast wie verlöscht, wenn die Sonne hoch im Mittag steht, steigt gegen Abend seine Macht, und wenn, wie heute, der Menschheit Sonne tief am Horizonte liegt, dann wächst unter ihren letzten Strahlen des ewigen Verneiners grausiger Schatten, so groß, so groß, daß er die Erde schier bedeckt.

 

Wie ich als Kind schon, unbewußt fortstrebend aus dem Sumpf meiner Herkunft, in glühender Liebe deutsche Märchen und Mythen in mich trank, wie ich später in Richard Wagners Schöpfung mich selber ganz verlor, wie ich zuletzt für immer heimfand aus aller Erscheinung Not und Zufall, heim zu arischer Metaphysik und Mystik –, es war ein schnurgerader, niemals abirrender Weg, der mich dorthin führte, wo ich mich hingehören fühlte, und doch – unergründlich grausamer Widersinn! – nicht hingehören darf – dorthin, wo ich von jeher war und bin und dennoch niemals sein darf.

Ich frage nicht: Warum? Auch dieses Warum? ist schon Auflehnung und unbefugtes Glücksverlangen. Dies Wissenwollen um den Sinn seines Schicksals, es ist Begehren, Anhaften, Sichselberbehaupten- und -bejahenwollen, ist jener Geist des Eigennutzes, jener jüdische Geist, dem das Leben ein Kapital scheint, dessen Zinsen ihm gebühren, nicht eine geliehene Summe, die man redlich ohne eigenen Zweck und Vorteil zu verwalten habe. Darum frage ich nicht Warum?, will es nicht fragen – denn wissen um den Sinn seines Schicksals ist schon Erleichterung. Minder hart und lang scheint der Weg, wenn man ihn kennt und weiß, wohin er führt. Jüdische Art ist dies, sich's möglichst leicht und angenehm zu machen. Ich will die Schmach tragen und nicht fragen: Warum?

 

Ich fühle es wohl – wenn es ein Recht zum Selbstmord gäbe, – mein Jude-Sein würde mir dies Recht verleihn. Es wäre nur Selbstbegnadigung von lebenslanger Kerkerqual. Aber ich fühle ebensowohl, daß dieses Recht nicht besteht und daß mein Selbstmord nur ein letzter Akt jenes Blutes wäre, dem ich entfliehen will, ein letzter Akt der Selbstsucht. Nein, eine metaphysische Schuld und Sühne wird nicht durch Unterbrechung des empirischen Lebens abgeschüttelt. Das hieße nur, wie Schopenhauer sagt, eine schmerzhafte Kur vorzeitig unterbrechen, das Leiden selber bliebe bestehen, das Leiden kann ich nicht stillen, indem ich seine Erscheinung verlösche. Es ist eine Rechnung, die bezahlt werden muß, und ich habe das Recht nicht, sie zu zerreißen und trotzig zu sagen: »Ich zahle nicht!« Ich! Wer bin ich denn, daß ich mein Leid so wichtig nehme?

 

Ich habe Stunden tiefster Einkehr und Ergebung, in denen ich mir sage: »Sieh – es gibt soviel armselige ekelhafte Tiere, Kröten, Schlangen, Spinnen, Ungeziefer, und sie alle nehmen ihr So-Sein in Demut und ohne ungebärdige Frage an das Schicksal willig hin. Warum sollte ich nicht mein Jude-Sein hinnehmen können in Demut, als ein Auferlegtes?« Vielleicht, vielleicht ist eben dies mein Weg zum Ewigen, mein Weg zu Gott, daß ich mich selbst so wild verneinen muß. Denn wenn ich zuweilen gleichsam spielend denke, ich wäre germanischer Rasse, wäre eine Erscheinung, die sich stolz und frei und froh bejahen könne und mit beiden Füßen unverrückbar fest und stark auf eignem Boden stünde und »Ich« mit Freuden fühlte, – dann schüttele ich den Kopf. Nein, nein, dies hätte mein Weg zur Vollendung nicht sein können. Mein Weg mußte durch Selbstverneinung und Selbstekel hindurchführen.

 

Nur wer sie selber kennt, mag die ungeheure Bitterkeit ermessen, die darin liegt, dorthin zu gehören, wo man nicht hingehört, nicht sein zu dürfen, was man ist, und im letzten Grunde es nicht sein zu können. Denn es ist wahr, nie kann ich deutsch sein, wie sehr ich dies Volk auch liebe, erkenne, verstehe. Nie kann ich Arier sein, wie gleich auch mein Denken und Empfinden dem Ariertum sei. Mein Denken und Empfinden, nie mein Sein! Vom empirischen Standpunkt gesehen ist das Judentum wohl ein Zustand, der zu überwinden ist, eine Entwicklungsstufe, die dem Werden unterliegt und der man sich entringen kann zu höherer Form und edlerer Art. Und in diesem Sinne habe ich das Judentum wohl überwunden, da ich die Selbstsucht und Glücksgier, dies uralt eigentliche Judenerbteil verneine, da ich die Sucht nach irdischem Gut nicht kenne, nie gekannt habe, da ich des »tat twam asi« inne wurde, das jedem echten Juden allezeit verschlossen bleibt, weil er keine Realität kennt als seine eigene, seine Familie inbegriffen natürlich; – da ich Entselbstung will um ihrer selbst willen, nicht um Lohn und Vorteil, »auf daß ich lange lebe«; – da ich das Judenfremdeste – den kategorischen Imperativ – verstehe, o gewiß, im Empirischen bin ich kein Jude mehr, bin es weniger als mancher Christ und Arier – aber was bedeutet mir das Empirische? Ich weiß es besser und will mich nicht belügen. Im Metaphysischen, im Einzig-Wesentlichen, da ist das Judentum ein anderes als ein bloßer Zustand und Entwicklungsgrad, dort ist es der ewigen Ursünde Symbol und irdische Erscheinung und ist mir so auferlegt wie ein Buckel, wie ein Aussatz, wie angeborene Blindheit.

 

Ich trage die Fackel, die fremde Hand im Dunkel des Unbewußten mir übergeben, trage sie treu und pflichtbewußt, ob sie auch schwelend rußt und ihr Qualm mir den Atem raubt und glühend Pech auf mich niedertropft und mich versengt – ich trage sie bis dorthin, wo ich sie brennend und wohlbehütet an andere Hand übergeben darf. Mein Stückchen Weges, ich muß es gehen – und wenn mir auferlegt war, es als Jude zu gehen, wenn dieser schwarze, herbe Qualm mir in den Hals schlägt und mich schier erstickt, – so darf ich nicht fragen: Warum? – Denn zwischen dem Schicksal und seinem Träger besteht keine kausale Verbindung.

Ach ja, was wißt Ihr auch, Ihr Lichtalben, Ihr blonden blauäugigen Götterlieblinge, was wißt Ihr von Niblheims ewiger, sonnenloser Nacht. Und doch fühle ich vor Euch nicht Neid noch Haß. Ich liebe Euch, liebe Euch, weil ich alles Hohe, Edle, Schöne lieben muß. Ich sage »ja« zu jeder höheren Form, die meine nicht ist, und stehe darum in diesem Leben willig zur Seite. Aber seht, mein Inhalt überschäumt und überquillt meine Form. Sie faßt ihn nicht mehr, sie ist zu eng für ihn; mein Inhalt haftet nicht mehr an ihr, ist ihr nicht angehörig und darum wohl fühle ich mich von fremder Höhe nicht erniedrigt, sondern mit erhöht. Ich bin nicht mehr, was ich erscheine. Ich bin der Erscheinung enttaucht mit meinem Wesen. Für Tage, für Stunden befreit.

 

Wie bitter ist es, daß ich gerade dort, wo ich nun einmal wurzele, nicht hingehören darf, daß ich scheu vorüberschleichen muß am Tore, hinter dem meine Heimat liegt.

Immer wieder und wieder erkenne ich, wie ganz und gar germanisch mein Fühlen ist. Aus indischer Metaphysik und deutscher Mystik steigen meine eigenen Empfindungen und Gedanken mir beglückend vertraut entgegen. »Das bin ja ich«, fühl' ich freudig aufatmend. Und »nein«, sagt höhnisch, mit einem Fußtritt mein Schicksal. » Das dort bist du«, und wirft mich verächtlich ins Ghetto zurück. In die Gemeinschaft jener Eklen, die ich hasse. Die ich verneine mit jedem Tropfen meines Bluts. Was hilft es, die Fäuste zu ballen? Was hilft mir alle Verzweiflung? Ich trage das Brandmal – unauslöschlich. »Jude«! Und wer, wer auch nur, der nicht selbst das ewige Christusschicksal an sich erlebt und erlitten hat, wer ahnt es, wer glaubt es, daß keiner das Judentum so ganz von sich abgetan haben kann, wie jener, der es überwunden hat!

Nur wer eine Krankheit überstanden hat, ist fürderhin vor ihr gefeit, nur wer die Pest gesehen und überlebt hat, ist sicher vor Ansteckung. Ich muß meine Vernichtung ruhig wollen, wenn ich das Germanentum wahrhaft liebe. Ich habe keine Wahl.

 

Es gibt heute kaum ein tragischer Los als das jener wenigen, die sich wahrhaft ihrer jüdischen Herkunft entrungen haben und denen man das nicht glaubt, nicht glauben will. Wohin, wohin mit uns? Rückwärts ist Abscheu und Ekel, vorwärts gähnt der Abgrund. Kein Boden unter den Füßen. Heimatlos, wurzellos. Gnadenlos verbannt in einen todesstarren Kreis des Hasses.

      »Siehst da und dort sie aus den Hütten schaun,
      dann schlagen sie vor dir das Fenster zu.«

Und wenn ich's auch zeitweise vergessen mag, wenn ich's abschüttle, wenn ich aufatme in meiner selbstgewollten Einsamkeit und Zuflucht suche dort, wo kein Haß und keine Verachtung mir entgegenzüngeln, dort bei den großen Freunden, die mir Trost und Erkenntnis schenken, bei Yajnavalkya und Ekkehard und Schopenhauer, es fällt mich doch jählings wieder an und schlägt mir glasscharfe Krallen in den Nacken: » Jude!« Und mir ist, ich müßte auf meinen Schultern allein die ganze aufgehäufte Schuld jener verfluchten Menschenbrut tragen, deren giftiges Albenblut meine Adern verbrennt.

Mir ist, ich müßte, ich allein alles abbüßen, was jene am Deutschtum verbrechen und dann will es mir gerecht so erscheinen, daß mir von überall Abscheu entgegenschlägt, als träfe es mich für alle.

Und den Deutschen möchte ich zurufen: Bleibt hart! Bleibt hart! Habt kein Erbarmen! Auch nicht mit mir!

Eure Mauern, Deutsche, sollen undurchdringlich bleiben. Sie sollen kein verschwiegen Hintertürchen haben, das sich dem Einzelnen öffnet. Denn durch dies Türchen schleicht eines Tages wohl der Verrat. Schließt, schließt alle Türen, alle Fenster, alle Lücken. Draußen ist die Pest! Und wer sein Haus vor Ansteckung bewahren will, der lasse niemanden, wahllos niemanden hinein aus der verseuchten Gegend. Euch bleibt keine Zeit mehr, die Wenigen zu sichten. Es ist zu spät. Schließt, schließt alle Ritzen. Denn jeder Hauch von dorther bringt die Pest. Schließt Eure Herzen und Eure Ohren für alle, die draußen noch um Einlaß flehen. Es geht ums Letzte! Kleine letzte Festung des Ariertums, halte dich stark und treu!

Nein, nein, nein – es war nicht recht so, daß Gott um eines Gerechten willen Sodom und Gomorrha verschonen wollte! Auch nicht um zehn, auch nicht um hundert Gerechter willen.

Fort mit dem Seuchenpfuhl! Verbrennt das Wespennest! Auch wenn hundert Gerechte mit den Ungerechten vernichtet werden. Was liegt an ihnen? Was liegt an uns? Was liegt an mir? Nein! Habt kein Erbarmen! Ich bitte darum.«



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