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Zur Literatur.
Ernst und Scherz.

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Was man im Papierkorb erzählt.

Eine denkwürdige Geschichte.

Es hat eine Zeit gegeben, wo sich des ganzen Alls urplötzlich eine leidenschaftliche Schwatzhaftigkeit bemächtigte: der Wald begann zu erzählen, dann folgten die Blumen und Bächlein, die Sterne und der Mond; die Zinnsoldaten und Gummischuhe, Hundertthalerscheine und Markstücke. Die Dichter hatten alle Hände voll zu thun, um nur diese Geschichten niederzuschreiben, welche bei dem kosmischen Kaffeeklatsch zum Besten gegeben wurden.

Ein Wesen nur verhielt sich still und ich hatte deshalb ein Recht, es für stumm zu halten: es war der Papierkorb. Bekanntlich giebt es auch Menschen, welche so viel schweres Leid ertragen mußten, daß sie allmälig jeden Widerstand aufgeben und mit himmlischer Geduld, ohne zu murren, alles auf sich nehmen. Ich erklärte mir nun die Sache so: auch der Papierkorb wird schwer geprüft und hat nun mit der Zeit jene stille Sanftmut sich angeeignet, wie sie geprüften Seelen eigen ist und duldet mit Schweigen, was sich nicht ändern läßt.

Ich sollte jedoch eines Bessern belehrt werden.

Eines Abends – alles war schon zur Ruhe gegangen und tiefe Stille herrschte im Hause – wollte es mir mit einer dichterischen Arbeit nicht vorwärts gehen. Plötzlich war der Fluß von Gedanken und Bildern ins Stocken geraten, als sei er vereist. Umsonst zeichnete ich Mädchenprofile mit wunderbar schönem Nasenansatz und üppigen Locken, was sonst mir vortrefflich weiter hilft. Da griff ich endlich zu dem letzten Mittel: ich löschte die Lampe aus und legte mich auf ein Ruhebett, um mit geschlossenen Augen weiterzusinnen. Es war kurz vor Mitternacht. Eben brach der Mond durch das zerrissene Gewölke; die neugierigen Strahlen trennten sich von ihm und flogen zur Erde, einige glitten durch das Fenster, schlichen über den Schreibtisch und guckten in das Tintenfaß oder kribbelten auf dem unvollendeten Gedicht herum und sprangen dann in den Papierkorb, welcher bis zum Rande mit schlechten Gedichten, mit Aufsätzen und Briefen gefüllt war.

Plötzlich wurde ich aus dem Sinnen aufgestört: deutlich hörte ich meinen Namen flüstern. Schauer flog durch meine Glieder. Woher kam der Laut? Und wieder ertönte es klar und bestimmt: »Otto!« Meine Augen fliegen durch das Zimmer: alles steht unbewegt an seiner gewohnten Stelle – doch da, ist's möglich? Bewegt sich nicht eine Troddel an dem Papierkorb, nicht dort die zweite? Und jetzt zum dritten Male schlägt mein Name an das Ohr und der Ton kommt, es ist nicht zu bezweifeln, von dem Korbe her. Ich fasse mir Mut und frage:

»Bist Du es, welcher spricht?«

Die Stimme klang mir selber unheimlich fremd.

»Ja,« scholl es zurück und die sämmtlichen Troddeln hoben und senkten sich, »ich bin's. Fürchte Dich nicht; ich will Dir nur etwas erzählen. Sieh, ich bin ein viel gequältes Wesen. Selbst schuldlos, muß ich die Flüche tragen, welche Du verursachst! Aber nicht genug daran. Wenn die Mitternachtsstunde schlägt und Du zufällig schon früher das Zimmer verlassen hast, so beginnt meine Leidensstunde; dann werden die Blätter und Briefe lebendig und jedem entsteigt ein verkleinertes Abbild der Urheber. Und nun fangen sie alle an zu klagen, das ginge noch an, aber sie lesen zuweilen sogar die abgelehnten Gedichte vor! Diese Qual hat Dante den Verdammten nicht einmal zugemutet. Bleibe hier und halte Dich ruhig – dann wirst Du Zeuge sein und kannst vielleicht ein Mittel ersinnen, meine unverdienten Qualen zu lindern!«

Wenn es nicht Staunen erregt, falls Menschen dumm sprechen, warum hätte ich mich verwundern sollen, als der Papierkorb so klug sprach! Ich fühlte mich sogar zu ihm hingezogen und wollte ihm die Hand schütteln. Da er aber keine besaß, so begnügte ich mich damit, ihm eine Troddel verständnißinnig zu drücken. Sodann legte ich mich wieder bequem nieder und harrte der kommenden Dinge, die Augen auf den Korb gerichtet, welcher ganz im Scheine des Mondes stand.

Endlich begann die Uhr im Nebenzimmer zu schnurren und nun: Eins, zwei u. s. w. bis zwölf. Todtenstille. Auf einmal Knittern und Knistern in den Papieren, dann ein Gemisch von flötenden, piepsenden, grollenden Stimmen, von hysterischem Lachen und Räuspern. Noch war kein einzelnes Wort zu unterscheiden, der Lärm nahm aber zu. Da begannen aus der Tiefe des Korbes daumlange Gestalten emporzuklettern und stellten sich auf den flachen, umgestülpten Rand des Korbes. Wenige nur erkannte ich, die meisten waren mir dem Aeußeren nach fremd.

Plötzlich streckten alle zu gleicher Zeit die rechte Hand, zur Faust geballt, vor und riefen deutlich dreimal: »Leixner, Pfui!« und spuckten sodann zum Zeichen der Verachtung in den tiefen Schlund des Papierkorbs. Ich habe wohl nicht nötig, zu bemerken, daß mich dieser Vorgang in tiefer Seele erschütterte.

Nun ließen sich die Versammelten in bunter Reihe nieder: ein Herr, zwei Damen und so fort. Ein weibliches Wesen erhob sich aber sogleich und knixte nach allen Seiten. Es war nicht jung, eigentlich das Gegenteil, aber Tracht und Bewegungen waren die eines Mädchens von etwa zwanzig Jahren. In die Stirne fielen künstliche Löckchen und auf der spitzen Nase schwankte ein Zwicker. Nachdem die Dame genug Verbeugungen zum Besten gegeben hatte, begann sie:

»Meine Damen! Meine Herren Kollegen! Dasselbe Gefühl lodert in unser aller Herzen, denn ein gleiches Schicksal hat uns in diesen verfluchten Papierkorb zusammengeführt. Jeden Tag erscheint hier in dem Hause eine Reihe von Opfern (»Bravo« von allen Seiten), welche ein herzloser, (Beifall) brutaler (starker Beifall) Nachrichter begeisterter Seelen (wilde Zurufe) zerschlachtet, zerreißt, zerfetzt, zernichtet. Sollen, können, werden, dürfen wir uns das länger gefallen lassen?«

(»Nein, nein!« von allen Seiten.)

»Haben Sie nicht bemerkt, wie manche meiner Parnaßschwestern in den Kritiken der Roman-Zeitung behandelt werden? O, ich weiß, diese Männer fürchten das Genie der Frau –«

(Jubel der weiblichen Zuhörer – Gemurmel bei den Männern.)

»– ja, so ist's, auch wenn Sie, meine Herren, Laute der Unzufriedenheit ausstoßen. Lassen Sie uns noch zehn Jahre weiter sein, und es giebt keine schreibenden Männer mehr.«

»Hören Sie,« unterbrach ein grober Baß den Redefluß, »das ist denn doch zu toll. So klug, wie Sie, sind wir auch. Ich bin fest überzeugt, daß Ihre Gedichte nichts sind, als bloße Reimereien, Dilettantenarbeit –«

»Darüber,« fiel ihm die Rednerin mit einem großartigen Blicke der Verachtung ins Wort, »haben Sie kein Urtheil! Ich weiß, daß Sie nur ein ganz gewöhnlicher Oekonom sind.«

»Was, Sie wollen grob werden? Gewöhnlich? Ich stelle meinen Mann, Sie aber sind zu gar nichts zu brauchen, Sie alte Schach –.«

»Ruhig, ruhig,« rief eine ältere Dame, und schnitt die Beleidigung in der Mitte entzwei, »wir wollen uns doch beraten – –«

»Nein, nein, nicht ruhig,« fiel ihr die erste Rednerin ins Wort. »Dieser ungebildete Mensch hat meine Gedichte Dilettanten-Arbeiten genannt – meine geehrte Versammlung, ich stehe im Schriftstellerlexikon! – bin Mitglied beider Schriftstellervereine – und da soll ich mich Dilettantin nennen lassen? Nie? Eher sterben!«

Mit einer königlichen Gebärde griff sie in die Tasche und zog daraus ein Blatt Papier hervor.

»Hier ist das abgelehnte Gedicht. Ich will es Ihnen vorlesen.« Sie spitzte süß den Mund:

» Das Blauveigelein.

Ich gehe ganz gemache
Im Sonnenschein am Bache
Mit traurigem Sinn
Und denke her und hin.
Da schaut mit süßen Aeugelein
Mich an ein Blauveigelein,
Blauveigelein.

Da sagt ich zu dem Blümchen
Dem holden Rosenmühmchen
Dem herzigen Tröpfchen
Mit lieblichem Köpfchen:
»Was denkst Du süßes Blümelein
Du kleines Blauveigelein
Blauveigelein?«

»Ich warte, daß beglücket
Mich eine liebende Hand pflücket!«
Da grub das Pflänzchen ich aus
Und nahm es mit nach Haus.
Jetzt blüht bei mir im Kämmerlein
Mit seinen süßen Aeugelein
Blauveigelein.«

Sie ließ das Blatt sinken, blickte umher und warf das Haupt zurück; »Und dieses Gedicht, welches den ganzen Reiz des Volksliedes athmet, hat der Mann – Sie wissen, wen ich meine – abgewiesen! Einfach lächerlich

Ein herzzerreißender Seufzer tönte durch das Gemach – er kam aus dem Papierkorbe und galt dem Gedicht. Jetzt begriff ich den Schmerz des Wackeren. Die Versammlung aber schien nichts gehört zu haben, denn die letzten Worte der Rednerin hatten die Leidenschaft Aller wieder wachgerufen.

Ein junger Mann sprang mit geballter Faust auf und schrie:

»Auch meine Gedichte hat dieser – dieser anmaßende (lebhafter Beifall) Patron, dessen eigene Gedichte kein Mensch kennt, zu tadeln sich erfrecht. Aber ich finde schon Gelegenheit: dann haue ich ihn so in die Pfanne, daß kein Hund ein Stückchen Brot von ihm nehmen soll!« (Wütende Zustimmung.)

»Bleib treu diesem Vorsatze!« schrie ein ganz bartloser Jüngling, »und wir alle werden Dir dankbar sein. Du erlösest die dichtende Menschheit von einem Alp! Auch mich hat er beleidigt! Ich sandte ihm ein Gedicht, welches meine Kollegen – ich bin Ober-Sekundaner – und meine Tanten und Muhmen als etwas noch nicht Dagewesenes bezeichnet haben.«

»Na, na!« warf der Oekonom ein, wurde aber zur Ruhe verwiesen und der Schüler fuhr fort:

»Bitte hören Sie:

Prophetenworte.

In meinem Geiste,
Dem ahnungsschwangeren, stürmt,
Gleich einem Wetter
Unter Donner und Blitzen
Die Zukunft!
Ich höre das Rollen
Des Zeitenwagens
Es sprühet die Nabe
Von Funken
Und Staub wirbelt empor.
Aber der Lenker
Der Zukunft Messias,
Mit blitzenden Augen
Hält er die Zügel,
Und die feurigen Rosse
Zerstampfen die Saat.
Schreckliches Gesicht!
Mich den Propheten
Schrecket es nicht –
Aber dahinter
Schon hebt sich aus purpurnen Wolken,
Aus blutigen Fahnen des Sieges
Die Sonne der Zukunft!
Dann werden die Menschen
Der Freiheit dienen,
Sich nur beugen,
Vor dem einzigen Fürsten,
Dem Geiste des Dichters,
Des echten und wahren!«

»Genial!« rief ein Backfischchen, und blickte zärtlich nach dem Jüngling.

»Na, na!« brummte der Oekonom.

»Und sehen Sie, Verehrte, dieses Gedicht in freien Rhythmen,« fuhr der Gymnasiast fort, »hat diese nüchterne Seele im Briefkasten einfach ‹Phrasenschwulst› genannt.«

»Lächerlich!« sagte die erste Sprecherin.

»Empörend!« rief der Backfisch und sprang so heftig auf, daß die Zöpfe flogen. »Auch mich hat er elend behandelt und meine Gedichte –« das Mädchen begann zu schluchzen – »als Kindereien – abgelehnt – und – mich – lyrisches Klatschröschen – genannt!«

»Einfach lächerlich!« ertönte es wieder. »Lesen Sie vor!«

»Ja, ja, vorlesen!« schrie man von allen Seiten – der zweite herzzerreißende Seufzer verzitterte ungehört.

Das Backfischchen zog ein dickes Heft aus der Tasche, trocknete die Augen und begann:

» Frühlingsahnen

Es ist noch schrecklich kalt
Der Schnee liegt weit umher
Doch wenn der Frühling kommt
Dann lieget er nicht mehr.

Dann kommen Gräser und Blumen
Und wir gehn in den Wald,
O geh doch böser Winter
O Frühling komm doch bald!

Dann singen viele Vögel
Und wir, wir singen auch
Und essen Frühlingsspeise
Mit grünem Schnittelauch!

»Mit grünem Schnittelauch!« platzte der Oekonom heraus, »det is jut! das kann so bleiben! Hören Sie, kleines Fräulein, das Gedicht hätt' ich auch in den Papierkorb geworfen.«

Die Kleine begann heftig zu schluchzen. »Wie können Sie das niedliche Mädchen so beleidigen?« schrie der Sekundaner. »Das Gedicht ist zwar noch etwas jugendlich –«

»Jugendlich? Na, Sie, Grünschnabel, Sie sind selber noch jugendlich –«

Doch schon hatte der Gymnasiast sich auf den Gegner geworfen. Kreischende Rufe, Gelächter, Ohnmachtsanfälle: »Um Himmelswillen, meine Herren!« »Ruhe, Ruhe!« »Da sieht man die Roheit der Männer!« So scholl es durcheinander.

Da schlug die Uhr Eins. Plötzlich schienen die Zwerggestalten zu erblassen: immer heller schimmerten sie, wurden zugleich flach und breit und siehe, schließlich sah ich, daß sie alle sich in Blätter Papier zurückgewandelt hatten, welche eins nach dem andern in den dunklen Schlund des Korbes niederflatterten.

»Armer Teufel!« sagte ich im Erheben zu diesem, »jetzt verstehe ich Deine Leiden! Des Nachts, wo Du schlafen willst, zwischen Zwölf und Eins solche Gedichte anhören zu müssen, das ist traurig! Von heute ab sollst Du jeden Abend ausgeleert werden.«

Eine einzige Troddel hob sich matt empor, als wollte sie mir Dank sagen im Namen des ganzen Korbes. – Gesprochen hat er seit jener Zeit nichts mehr, aber sein ganzes friedliches Aussehen sagt, daß er mir dankbar sein werde bis zu seinem seligen Ende.

*


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