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Aus dem Leben.

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Herbstfäden.

Zugleich eine Einleitung.

Ich schreite langsam einen schmalen Feldweg hin und lasse mich von der Sonne bescheinen. Sie sticht nicht mehr; auch bei ihr scheint die Zeit der Leidenschaft für dieses Jahr vorüber zu sein und sie blickt nur mehr mit warmer Freundschaft auf die Erde hinunter – vielleicht auch mit leiser Wehmut. Wenigstens liegt etwas Gehaltenes, Ernstes in dem Blau des Himmels und auch auf der Ebene, welche sich vor mir ausdehnt. Dem Blicke zeigen sich fast nur mehr Stoppeln; hie und da beginnt ein Bauer das Feld für die Aussaat des Winterroggens vorzubereiten, das Kartoffelkraut ist zum Theil schon gebräunt und dürr; seltsam genug nehmen sich dann einzelne Stämmchen aus, die jetzt erst ihre bläulichroth gestreiften Blüthen mit dem gelben Stern in der Mitte entfaltet haben. Selten nur fährt ein verspätetes Schwälblein durch die Luft, um so mehr machen sich die Sperlinge bemerkbar, und zuweilen scheucht mein Schritt einen Hasen auf, welcher mit weiten Sätzen in den Furchen des Kartoffelfeldes davonrennt.

Es liegt etwas Unsagbares, Beruhigtes in diesen Spätsommertagen. Die freigebige Erde hat fast alle ihre Gaben, welche sie uns Bewohnern des nördlichen Deutschlands zu geben pflegt, gespendet und hält nur die letzten noch bereit. Ihr Jahreswerk ist dem Ende nahe, und sie verfällt, von leiser Müdigkeit überschlichen, zuweilen in stilles Träumen. Es ist wie die Ruhe eines Geistes, welcher seine Pflichten treu erfüllt und alle Kräfte aufgewendet hat, um recht vielen Menschen zu nützen. Er weiß, daß sich sein Können dem Untergange zuneige, aber noch liegt vor ihm eine Spanne Zeit, wo die Sonne scheint. Beruhigt ist der leidenschaftliche, traumhafte Werdedrang seines Lenzes, des Sommers Glut; die Ernte ist geborgen und überwunden sind die Schmerzen über manche vernichtete Saat. Nun blicken die Augen mild und ernst hinaus in das Gedränge der Welt, schauen zurück in die Zeit, welche nur mehr in der Erinnerung lebt: das Helle verklärt gedämpft das Dunkle und Trübe. Nicht ist's nöthig, daß sich Silberfäden in das Haar schlingen, wenn der Altweibersommer des Lebens kommt, denn unser Dasein hängt nicht ab von der Zahl der Jahre, sondern nur von deren Inhalt. Ein Tag in früher Jugend kann dem Lenz, welcher noch lange hätte dauern können, ein Ende machen, und es kann, während das Aeußere noch der Höhe der Lebenskraft zu entsprechen scheint, schon längst der Altweibersommer in das Herz eingezogen sein. Ein Jahr ist wie ein Sack aus sehr dehnbarem Stoffe: er faßt wenig oder hält viel, denn er schließt sich dem Inhalt an. Mancher alte Mensch hat äußerlich und innerlich wenig erlebt und bleibt jung oder jungenhaft in seinem ganzen Wesen, mancher junge dagegen hat gekämpft von den Frühlingstagen seines Lebens an – und auch hier zählen Kriegsjahre doppelt.

Als ich so im Sinnen vorwärts gehe, fliegt mir ein im Sonnenlicht schimmelnder Faden entgegen, jenes Gewebe junger Spinnen, welches vom leichtesten Hauche vom Gesträuch oder vom Boden losgerissen, durch die Luft dahinfliegt.

Von jeher hat sich das Volk mit diesen Fäden beschäftigt. In Holstein sagt man noch heute: die »Metten« haben gesponnen. Mit Metten sind die Nornen, die nordischen Schicksalsschwestern, gemeint. In katholischen Ländern, so im Süden unserer Heimat und in Frankreich, wird das Gespinnst mit der Mutter Christi in Verbindung gebracht und dort »Mariengarn«, »Marienfäden«, hier » fil de la Vierge«, »Faden der Jungfrau« genannt.

Der Dichter kann es aber noch anders erklären. Als der erste Sommer auf die junge Erde kam, freuten sich die Gewächse und Thiere unsäglich. Da besprachen sie mit einander, wie sie ihn wohl fesseln könnten, damit er immer bei ihnen bleibe. Als die starken Thiere und die großen Bäume aber kein Mittel anzugeben vermochten, da sagte ein Gräschen; »Die Spinnen können ein Gewebe machen, dann wird es der Wind aufheben, und wenn der Sommer fort will, wird er sich darin fangen.« Und so geschah es. Die Spinnlein begannen gar fleißig zu arbeiten und dann kam der Wind und hob die tausend und tausend Fäden hoch in die Luft. Aber es war vergebens: der Sommer zerriß das Netz und entfloh. Da begannen alle Gräser und Bäume zu weinen – die Menschen nennen es Herbstthau.

Jedes Jahr wiederholen seitdem die Spinnlein, immer vergebens, denselben Versuch.

Aber auch wir sind meistens nicht klüger. Gar viele Menschen spinnen aus der Phantasie heraus ihre Fäden, um den Sommer des Lebens zu fesseln. Die schöne Weisheit, der Jugend zu entsagen, verstehen sie nicht zu üben, und halten deren Schein krampfhaft fest, unglückliche Thoren, welche erst der Herbstthau der Reue belehrt, daß alle Mühe umsonst gewesen sei. Manches ältere Mädchen kann nicht vergessen, daß die Jugend dahin sei, und macht sich selbst zum Gegenstand des Spottes; mancher Mann nährt die thörichten Träume bis in Zeiten, wo Thaten allein die Mannheit bekunden. Und sie alle weben das glänzende trügerische Gespinnst, welches nichts zu halten vermag. Alles was wir weben, um dann das irdische trügerische Glück einzufangen, es erweist sich als Sommerfäden, welche doch nicht halten, wenn das Lebensjahr sich seinem stillen Ende zuneigt.

Aber trotzdem liegt Tiefsinn in jeder Volkssage, welche das lose Gespinnst den Schicksalsschwestern zuschreibt. Leichte Fäden können dennoch stark werden wie Eisenketten und unser Schicksal bestimmen. Im Drange der Jugend knüpfen wir manches Band, welches uns leicht scheint, wie ein Sommerfaden. Leise schlingen sich um uns, ohne daß wir's immer bemerken, die dünnen Schicksalsfäden der Gedanken, Gefühle und Leidenschaften und wir leben in dem Wahn, sie jeden Augenblick zerreißen zu können. Aber siehe: da kommen die Stunden wo wir erkennen, daß dieses lose, fliegende Gespinnst sich stark um uns gelegt hat und daß es einer Riesenkraft bedarf, um sich von der Umschlingung derjenigen Fäden frei zu machen, welche uns der sittlichen Freiheit berauben können.

Aber ebenso zart sind jene Fäden, welche uns diese Freiheit verbürgen. Die Gesetze der höchsten Sittlichkeit sind Gebote, deren Erfüllung sich nicht erzwingen läßt. Die Satzungen des Staates beziehen sich im Allgemeinen gar nicht auf die höhere Ethik, obwohl das Ringen der Rechtsgelehrsamkeit dahin geht, sie derselben nahe zu bringen. Zumeist strebt das Gesetz nur danach, Rechtsverletzungen zu verhindern und bestimmt Strafen, um zu bessern oder abzuschrecken. Aber ein Leben, welches der höheren Sittlichkeit, die das Gute verlangt, entspricht, läßt sich durch menschliche Satzungen überhaupt nicht erzwingen, und ethisches Handeln deckt sich mit gesetzmäßigem nur im kleinsten Umfange. Bei dem ersteren ist der Menschengeist, indem er sich durch das Gewissen an Gott bindet, in gewissen Grenzen sein eigener Gesetzgeber. Lüge, Untreue in der Freundschaft, geheimgehaltene Verletzungen der Sittlichkeit, Hartherzigkeit u. s. w. entziehen sich alle dem menschlichen Gesetze, obwohl deren Gegentheil von der Ethik gefordert wird. Ich kann sie üben, ohne deshalb aufzuhören, ein »achtbarer Staatsbürger« zu sein; ich kann durch feinen Spott jeden Glauben an ein Höheres in Menschenseelen zerstören und sie dem Verderben in die Arme werfen – und ich bleibe dennoch im Besitze sämmtlicher »Ehrenrechte«, welche der Staat seinem Bürger zugesteht.

Die höhere Sittlichkeit, deren Verbindlichkeit ohne Beziehung auf Gott in nichts zusammenstürzt, fesselt den Einzelnen nur mit »Sommerfäden«. Ein Ruck zerreißt sie – die Welt straft mich darob nicht. Aber diese leichten Bande werden zu eisenfesten Ketten für denjenigen, welcher sie aus Ehrfurcht vor der Quelle des Guten auf sich nimmt. Sie fesseln jedoch nur unsere Selbstsucht, geben dagegen dem Edlen in uns jene Freiheit, in welcher allein wir im Stande sind, die Menschen zu lieben und zu Gott zu streben. Mit den leichten Fäden dieser Gesetze können wir den Riesen Leidenschaft in unzerreißbare Banden schlingen, mit ihnen können wir den friedlichen Spätsommer des Lebens in unseren Herzen festbinden, daß er bei uns bleiben muß, bis der letzte Strahl dieser Sonne für uns verglüht ist. – –

Langsam wandle ich die stillen Pfade heim. Als ich die Thüre des Hauses schließen will, da siehe: ein Sommerfaden ist mir nachgeflogen und hat sich so an den Rahmen des Eingangs gefestigt, daß ich nicht hinauskönnte, ohne ihn zu zerreißen. Die Phantasie darf ja Alles auffassen, wie sie will. So kann auch diesem Faden ein versteckter, tieferer Sinn entlockt werden: die Natur selbst schließt nun bald uns Kindern des Nordens ihr weites Haus zu und bannt uns in unser kleines. Der Geist, im Lenz und Sommer ein gar flüchtiger Geselle, stets bereit hinauszuschweifen in alle Welt, er wird nun bald die Schwingen einziehen und Einkehr halten in sich selbst. Dann rücken die Menschen wieder enger zusammen und dann sind auch die Gedanken und Bilder, welche der Dichter hinausschickt, willkommener.

So sende ich am Beginn der Winterzeit in die Welt hinaus dieses bescheidene Buch, ein Netz von Herbstfäden. Nicht ist's für jene Menschen bestimmt, welche im Wirbel des Gesellschaftstreibens hinleben, für diese entbehrt es ja des flimmernden Glanzes. Aber schlichte Geister, die sich gerne zuweilen anregen lassen und tiefer in das Getriebe des Menschenlebens blicken wollen, ihnen ist das Buch gewidmet. Vielleicht bringt es solchen doch in mancher Stunde stillen Trost in die Seele, vielleicht fesseln mir die Herbstfäden auch manches Menschenherz, und einen größeren Lohn giebt es für uns auf Erden nicht, als Liebe zu wecken und geliebt zu werden. Alles andre ist Scheinwerk.

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