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Volksgeist und Sprache.

Die Anlagen und die Eigenart eines Volkes prägen sich im Laufe von Jahrhunderten in der Sprache aus. Wichtiger darum, als die Geschichte der äußeren Schicksale, der Kämpfe, Wanderungen und staatlichen Umwälzungen ist die Sprache, welche, so wie sie uns in schriftlichen Denkmalen vorliegt, die innere Geschichte der Völker, deren Denken und Vorstellen verborgen in sich trägt. Diese beiden beeinflussen die Bildung und Weiterbildung des Wortvorrats, wie das Gemüt dessen ästhetisches Gepräge. Der Umkreis der zu jeder Zeit vorhandenen Worte entspricht einem abgegrenzten Vorstellungs- und Gedankenkreis; doch diese Grenzen sind beweglich, da sich von jedem Worte aus neue Vorstellungen, neue Beziehungen bilden können. So entwickeln sich aus den vorhandenen Worten nach verschiedenen Gesetzen neue, um dem im Geiste entstandenen weiteren Inhalt zu genügen.

Aber dieser Fortschritt vollzog sich fast nirgendwo lange ungestört, weil die Berührung verschiedener Stämme und Völker, freundliche oder feindliche, vom geschichtlichen Prozeß natur- und geistnotwendig gefordert war. So wurden denn auch die Sprachen, welche ihre stille Vorgeschichte besitzen, von dem Strome des weltgeschichtlichen Werdens ergriffen. Die äußeren Schicksale der Völker blieben ihr gegenüber nicht einflußlos. Veränderungen der Lebensbedingungen, vornehmlich Wechsel der Wohnplätze; Siege oder Niederlagen im Kampfe mit andern, vielleicht weiter vorgeschrittenen Völkern; Handelsbeziehungen, welche durch noch unbekannte Erzeugnisse der Natur oder der Gewerbe neue Bedürfnisse schaffen; die Einführung neuer Erwerbszweige, Verkehrsmittel: das Alles wirkt auf die Sprache ein. Je vielfältiger in seinen Beziehungen sich das geistige Leben entfaltet, je reicher der Staat sich gliedert und bisher unbekannte Pflichten und Rechte schafft; je mehr der ursprüngliche Hausbetrieb zurückgeht und von ihm aus selbstständige Gewerbe sich lostrennen, welche mit heimischen oder eingeführten Werkzeugen nach selbstgeschaffenen oder fremden Vorbildern neue Erzeugnisse hervorbringen, um so mehr muß die Sprache thätig sein, neue Worte zu erzeugen – oder das Volk nimmt mit fremdländischen Dingen zugleich fremde Worte auf. So geht es mit dem Kriegswesen, mit Schiffahrt- und Bergwerksbetrieb: jenes Volk, welches den andern die Sache zum Vorbild liefert, giebt zumeist auch das Wort mit. Griechische Baumeister bringen Ausdrücke für Bauglieder nach Rom, deutsche Bergleute ihre heimischen Worte nach England mit dem Betrieb, von England kommen mit Einzelheiten des Schiffsbaus und des Fahrtbetriebs englische Worte in das deutsche Seewesen. Nicht gering ist von jeher der Einfluß des Handels gewesen, welcher mit neuen Erzeugnissen der Natur, wie mit Getränken und Speisen, mit neuen Nutzpflanzen auch fremde Ausdrücke einführte.

Von großer Bedeutung ist das Aufkommen einer auswärts entstandenen Religion, welche schon einen entwickelten Gottesdienst aufzuweisen hat. Alles was mit diesem zusammenhängt, Bauten, Geräte des Kultus und sonstige Einrichtungen, bringt schon fertige Worte mit; zuweilen werden wohl auch einheimische benutzt und mit neuem Inhalt erfüllt.

Diese Sätze gelten im Allgemeinen, wenn auch die Gesellschaftung der einzelnen Ursachen eine vielfältige sein kann. Sie haben ihren Einfluß auch auf das Werden unserer Sprache geäußert.

Es geht daraus klar hervor, daß keine Sprache irgend eines Kulturvolkes sich aus der Quelle des eigenen Volksgemüts und Volksgeistes allein entfaltet habe, d. h. daß ohne Fremdwörter nicht eine einzige war noch ist.

So lange sie jedoch Kraft besitzt, überwindet sie das Angeeignete derartig, daß sie es sich ganz einlebt, es nicht nur oft nach ihren besonderen Lautgesetzen umwandelt, oder durch ihre Endungen sich anähnelt, sondern auch aus dem fremden Stammwort Ableitungsworte nach ihrer Eigenart hervortreibt. Viele derartige Fremdworte bürgern sich (wie z. B. Wein, Fenster, Engel, Bischof, Priester, segnen) so ein, daß Jeder, dem ihre Wurzel nicht bekannt ist, sie für heimischen Ursprungs hält.

Solche Worte aus einseitiger Reinigungssucht aus einer Sprache entfernen zu wollen, wäre ein kindisches Bemühen.

Aber es sind in künstlicher Art in unsere Sprache eine Unmenge Fremdworte eingeschmuggelt worden, welche vorhandene deutsche Ausdrücke verdrängt haben.

Die jahrhundertlange Zersplitterung unserer Heimat, welche ein Beutestück für Jeden, der zugreifen wollte, als allgemeines Schlachtfeld für Fremdlinge dalag, hatte die Bildung volksmäßigen Bewußtseins und gesunden Heimatstolzes verhindert. So wurde die Ausländerei zu einer Krankheit, welche sich tief in den Volkskörper hineinfraß. Man verachtete heimisches Wesen, heimische Sitte und ahmte, besonders in den vornehmen Ständen, nacheinander Spanier, Franzosen, Engländer nach. Vor Allem die Zweiten. Wohl kam gegen Ende des vorigen und anfangs dieses Jahrhunderts ein Rückschlag und zeitigte auch manches Werk, welches unsere Sprache von den Flecken und Flicken befreien wollte. Doch das hielt nicht lange vor. Seit etwa 1830 stieg die Auslandssucht von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, äußerte sich in der Literatur, in der Volkswirtschaft und der Politik, unterwarf sich die Bühnen, die Lebensgebräuche der oberen Stände.

Wol kam endlich die Erfüllung des einen Traums: errungen wurde die Einheit durch den »eisernen Kanzler« mit Hilfe der Fürsten und des tapferen, opferfreudigen Volks. Aber nach Siegen, bis dahin unerhört in der Geschichte, kam erst der tiefste Fall in jener Zeit des Schwindels: es sanken Dichtung und Bühne; allmälig erlangten Schriftsteller von durchaus undeutschem Geiste die Führung und den Beifall der Menge und die Sprache verlor immer mehr von ihrer Kraft und Würde. Wie ein Emporkömmling sich gerne bunt kleidet, so setzte sie ihrem Gewande farbige Fetzen an. Noch in der jüngsten Zeit konnte so eine Schriftstellerin, welche das Deutsche als Sammelbecken für den Abhub aller Sprachen betrachtet, in einer der vornehmsten Monatsschriften zum »Stern« werden. So weit griff das Uebel um sich, daß selbst Männer von wirklicher Bedeutung ihre dichterischen Erzeugnisse mit ganz überflüssigen Fremdworten verunreinigten und es gar nicht mehr als Fehler empfanden, das zu tun.

Lange schon hatten Männer in allen Theilen Deutschlands das Uebel erkannt, aber erst als Prof. Hermann Riegel in einer Flugschrift als streitbarer Kämpfer für die gute Sache eintrat, kam die Bewegung in Fluß. Es entstand der »Allgemeine deutsche Sprachverein«, welchem nun nahe an 3000 Mitglieder angehören. Die Grundsätze, nach welchen er vorgeht, sind weit entfernt von kleinlicher Reinigungssucht, aber er will in allen Schichten das sprachliche Gewissen aus dem Schlummer wecken, damit beseitigt werde eine unheilvolle Gleichgültigkeit gegen das Erbe der Väter, damit ein Ende nehme der Mißgebrauch überflüssiger Fremdwörter, für welche wir bessere, heimische Ausdrücke besitzen.

Die Bewegung hat Gegner. Es sind zuerst die trägen Geister, welche jede kleinste Mühe scheuen und sich deshalb am liebsten vom Strome treiben lassen. Dann die Menge der Verbildeten oder Halbgebildeten, welche es lieben mit Flittern zu prunken und deren spielerischer Geist und Witz in ihrer ganzen Hohlheit daständen, risse man denselben die bunten Flicken vom Leibe. Nicht zuletzt aber die Gruppe gelehrter Herren, welche, vom lebendigen Flusse deutschen Gefühls losgerissen, mit tausend »Wenn« und »Aber« von den olympischen Höhen schulmeisterlicher Beschränktheit die Ueberflüssigkeit und die Gefahren der Bewegung darzutun suchen, wie jüngst Gildemeister es getan hat. Sie gleichen einem Arzte, welcher dem Verdurstenden das Wasser ganz versagen wollte, weil der Sterbende durch hastigen Trunk sich schaden könnte.

Aber, so mögen Zweifler fragen, ist denn die Begeisterung bei dieser Sache an richtiger Stelle? Hat die Angelegenheit solchen Wert? Ja, und hundertmal ja, allen trockenen Seelen zum Trotz! Die Aufgabe Aller, welche unsere Heimat lieben, ist heute klar vorgezeichnet und lautet: »Werdet deutsch!« Ich bin weit entfernt davon, Teutschtümelei zu predigen. Nicht sollen wir in uns und unseren Kindern Hochmut züchten, denn dieser schlägt – Frankreich lehrt es – den eigenen Herrn. Offen bleibe unser Herz und Gemüt für alles Große, Schöne und Bedeutsame, was fremden Völkern entstammt, denn wir wollen nicht reiche Quellen verstopfen. Aber heilig vor allem sei uns die Ausgestaltung heimischen Wesens und die Neubelebung des deutschen Gemüts. Nicht im Verstande, welcher, seinem Wesen gemäß, ganz in äußerlichen Beziehungen aufgeht, im Gemüt liegen die unerschöpflichen Kräfte der Erneuerung. Ihm allein entspringen die Leitbilder, welche den Völkern auf deren Sieges- und Leidensweg voranleuchten. Kunst und Dichtung, Wissenschaft und Philosophie veräußerlichen, das sittliche Gefüge des Staates löst sich, es lösen sich die Bande, welche den Menschen an Gott knüpfen, wenn das Gemüt erstarrt ist. Hier wurzelt alle Liebe, hier auch die Liebe zur Sprache. Nicht ein Spiel des Verstandes darf uns die Reinigung der Sprache sein, sondern Herzenssache muß sie werden, eines der Mittel das deutsche Gefühl, die echte Vaterlandsliebe zu beleben. Je mehr wir erkennen, welche Beweglichkeit und Anmut bei aller Kraft und selbst Härte in unserer Sprache liegen, um so weniger werden wir zu Fremdworten greifen, deren Bedeutung schwankt und schillert. Das entliehene Wort ist kalt: durch das Gedächtniß gewonnen, durch den Verstand in seiner Bedeutung erkannt, hängt es mit dem warmen Gemüt nicht zusammen, ist uns nicht ursprünglich vertraut, erschöpft die inneren Beziehungen nicht. Darum haftet ihm auch etwas Lüge an. Und diese Lüge geht ins Herz zurück. Wer seine Empfindungen mit viel Fremdworten ausdrückt, ist selten wahr und offen, er verschleiert gerne, will nicht schlicht des Herzens Meinung sagen, oder er hat die Absicht zu blenden. Mit dem Fremdwort ist oft auch Schlechtes und Scheinsames zu uns gekommen und das Niedrige bedient sich desselben gern, um gefahrloser und minder schlecht zu erscheinen. Der Gebrauch solcher Worte gewöhnt zu leicht, auch über die Dinge leicht zu denken; man hütet sich »Frechheit« anzupreisen, nennt sie aber »ein wenig frivol«, das »Lüsterne« will man nicht loben, darum heißt man es »pikant«. Langsam zwar wirkt diese Unterschiebung, aber mit der Zeit vergiftet sie. So liegt in dem Bestreben die Sprache zu reinigen, zugleich ein sittlicher Beweggrund, den man nicht unterschätzen darf.

Noch einmal: »Werdet deutsch!« Es ist ein verhängnißvoller Irrtum, wenn man glaubt, es gäbe ein anderes Mittel, um uns wahrhaft in Eins zu verschmelzen, damit wir den inneren und äußeren Feinden gewachsen seien. Trotz Socialdemokratismus, Anarchismus und weltbürgerlichen Schwärmereien beherrscht noch der nationale Gedanke die Welt und er allein verbürgt heute das Bestehen der Völker und Staaten. Wol wachsen gemeinsame Gedanken heran, welche geistig und körperlich die Völker verbinden werden, aber dieser leitbildliche Staat der Menschheit kann und wird sich nur erheben auf der Grundlage des nationalen Gedankens. Verachtet Euer Volkstum und Ihr werdet weggeschwemmt und vernichtet werden! Unsere und unserer Kinder Zukunft hängt davon ab, daß wir jetzt zusammenstehen, immer fester uns aneinander schließen, unablässig an Allem arbeiten, was die innere Einheit unseres Volkes zu befördern, dessen innere Kraft zu stählen vermag. Dann können wir ruhigen Augs, auch wenn das Schwert noch Jahrzehnte lang locker in der Scheide stecken muß, den Feinden entgegensehen. Eines der Mittel dieser innern Erstarkung ist die Pflege der heimischen Sprache, denn mit ihr pflegen wir den deutschen Geist und das deutsche Gemüt und in diesen ruhen die Wurzeln unserer Kraft.

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