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Randbemerkungen in Reim und Prosa

 

Der Sämann streut die Saat –
Vertrauend in die Erde
Und weiß, daß auf dem Feld
Er Garben binden werde.
Der Dichter giebt die Saat
Den ungewissen Winden –
Wird er die Frucht einmal
In Menschenherzen finden?

 

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Das Ich und die Selbsterziehung.

Eine unversiegbare Quelle mannigfacher Irrtümer liegt darin, daß wir genötigt sind, die Wahrheiten in Worte zu kleiden, die Auffassung derselben aber nicht nur von Jahrhundert zu Jahrhundert wechseln, sondern sich schon auf dem Wege von Mensch zu Mensch verändern kann.

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Die Selbstbeobachtung lehrt uns sittliche Bescheidenheit. Es giebt wol einzelne Menschen von so wahrhaft himmlischer Reinheit, daß sie auch nicht in Gedanken sündigen. Aber wir Andern können uns unendlich oft auf schlechten Regungen und auch solchen Thaten ertappen, welche wir vor dem unbestechlichen Richter in uns nicht rechtfertigen können. Sehr häufig besteht unsre Tugend nur im Mangel an Gelegenheit zum Gegenteil. Aber auch Anlaß zum Lächeln, ja Lachen bietet uns diese innere Selbstschau. Es ist merkwürdig, wie viel Geist man oft verschwendet, um sich selbst hinter das Licht zu führen. Wir waren eitel und erklären uns mit rührendem Eifer, es sei berechtigte Selbstschätzung gewesen; wir empfanden Neid, und reden uns mit ciceronianischer Beredsamkeit ein, unser Gerechtigkeitsgefühl habe sich geregt; wir sind verletzend gewesen und halten es für männliche Offenheit. Man könnte Bände mit solchen Anführungen füllen. Wer sich »erziehen« will, darf dieses Talent nicht ausbilden, sondern muß sich die Wahrheit sagen, am besten lächelnd, mit etwas Selbstironie, hinter welcher sich der Ernst versteckt. Wird man aber zuweilen grob, so schadet das auch nichts, denn sich selbst gegenüber darf man sich so etwas schon erlauben.

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Eine schwere aber wichtige Arbeit der Selbsterziehung ist: sich nicht verstimmen zu lassen. Mancher verliert die Neigung wahrhaft zu sein, weil andere ihn belügen; Jener, Gutes zu erweisen nach Kräften, weil er Undank erntet. Und doch ruht die Lösung der uns gestellten Aufgabe darin, trotz allem wolwollend zu bleiben bis zum letzten Atemzuge.

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Es giebt eine Menge Menschen, welche am meisten eindringlich und überzeugungsvoll vor jenen Fehlern warnen, die sie selbst im höchsten Maße besitzen. Sie verfügen aber daneben über die merkwürdige Eigenschaft, das Letztere zu vergessen. Schon eine halbe Stunde nach einem Zornausbruch können sie behaupten, ihr größter Fehler sei die »übertriebene Sanftmut«.

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Guter Rat.

Dich freut es, kannst Du Andre tüchtig lachen aus:
Beschau' Dich selbst, kommst aus dem Lachen nicht heraus.

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In dem Geiste der meisten Menschen sitzt mindestens ein ganz kleines Päpstlein, welches sich für unfehlbar hält. Die Thoren päppeln es mit Eitelkeit auf, die nach Weisheit streben, versuchen es auszuhungern.

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Man zuckt wohl die Achseln, wenn man liest, daß sich einst große Herren besondere »Narren« hielten, und meint dann, so etwas wäre jetzt nicht möglich. Ich aber kenne keinen einzigen Menschen, welcher sich nicht in einem stillen Winkel seines Herzens solch einen Hausnarren hielte, an dem er sich ergötzt, oder – der sich über ihn lustig macht. Genau läßt sich das nicht feststellen.

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Wenn ich zuweilen bei dem Anblick der Thorheiten so vieler Menschen den Kitzel empfinde, mich für klüger zu halten, dann stelle ich mich aus mich selbst heraus, wo ich dann auch die Aussicht auf meine eigene Thorheit genießen kann. Das ist ein gutes Mittel, der Eitelkeit ledig zu werden – wenigstens auf einige Tage.

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Wer Seelenfrieden ehrlich sucht,
Der muß auf Eins das Wollen richten:
Stets festzuhalten stark das Ich,
Und doch darauf verzichten.

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Die Phantasie wirkt zuweilen seltsam. Mancher Mensch kann das Leid seines Nächsten nachempfinden bis zum körperlichen Wehgefühl. Aber statt ihm zu helfen, bedauert er sich selber, als hätte wirklich er den Schmerz. Das ist eine der feinsten und gefährlichsten Arten der Selbstsucht.

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Glaube nicht, Schlechtes und Unreines sich nur vorzustellen, sei gefahrlos, denn der Wille lauert im Hintergrunde, von unersättlichem Gestaltungsdrange erfüllt, stets bereit, in eine Vorstellung hineinzuschlüpfen und sie zur Tat zu machen. Jede unsittliche Handlung wird zuerst im Geiste vollbracht – eine schwache Stunde, eine Kleinigkeit in den äußeren Verhältnissen und sie springt hervor. Darum muß, wer mit Bewußtsein gut d. h. sittlich zu handeln strebt, zuerst sittliche Vorstellungen nähren und die gegenteiligen aushungern.

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Höre auf zu wünschen, was Du nicht hast, und Du wirst Alles besitzen, was Du brauchst. Der Rat klingt seltsam genug – versuche ihn zu benutzen und Du wirst so glücklich werden, daß Du das sogenannte Glück überhaupt nicht mehr für Dich verlangst.

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Selten ist ein Mensch frei von selbstverschuldetem Leid, welches sich oft mit unverschuldetem unlöslich verbindet. Dann gilt es das letztere als Sühne für das erste zu ertragen. Die Meisten aber denken nur an das letztere und grollen mit Gort und Welt.

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Es ist der Neid des Feiglings Zorn,
Der sich in dessen eigne Seele wendet,
Bis an dem selbsterzeugten Gift
Sein bessres Ich verendet.

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Es kann ein Ganzes werden nie Dein Wissen,
Wenn Du im tiefsten Sein bist selbst zerrissen.

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Wer sein Gemüt benützt,
Um sich damit zu zieren,
Ist auf dem besten Weg,
Es zu verlieren.

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Die erste Bedingung der Menschenkenntniß ist, daß man selbst zunächst einen festen klaren Standpunkt gewonnen habe. Der aber ist nicht zu erreichen, wenn man die Selbstsucht in sich hätschelt. Der Selbstling, und sei er noch so geistreich, wird niemand Andern verstehen, als nur den Selbstling: alle Andern werden ihm ein Rätsel bleiben und mit ihnen die tiefsten Geheimnisse der Seele.

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Es ist ein großes Uebel, daß die selbstsüchtige Leidenschaft zu den Gedanken, welche selbstlose Gesinnung ausgesprochen hat, die erklärenden Anmerkungen schreibt. Die Leute begnügen sich dann, den »Kommentar« zu lesen, und übergehen den Urlaut des reinen Gesetzes. Darum giebt es keine Wahrheit, sei sie noch so erhaben und göttlich, welche nicht geschändet und mißbraucht werden könnte.

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Kein Mensch ist so klug, daß er nicht zuweilen mit großem Aufwand an Klugheit eine noch größere Dummheit beginge.

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Die schlechten Leidenschaften sind wie Gaukler: sie spiegeln uns für die Tat des Augenblicks Beweggründe vor, welche nicht wirklich sind, wohl aber wirksam. So kommt es dann, daß die Folgen einer Handlung, deren Ursache täuschender Schein gewesen ist, auf uns als strafende Wirklichkeit zurückfallen.

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Erst als Gatte und Vater wird der Mann im wahren Sinne Mann. Dem alternden Junggesellen mangelt fast immer etwas zur vollausgestatteten Männlichkeit. Eine »Aktiengesellschaft« zur Austilgung dieser Gattung würde sich große Verdienste um die Menschheit erwerben.

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Die stürmische Jugend kann es nie begreifen, daß die Ruhe des reifen Mannes eine höhere Stufe in der Entwicklung darstelle. Sie glaubt dann, es sei das Nüchternheit und Kälte, ohne zu bedenken, daß diese Ruhe Einheit mit sich selbst bedeute, eine Einheit, in welcher alle Kräfte im Gleichgewicht um einen sie beherrschenden Mittelpunkt kreisen.

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Das Geheimniß der sittlichen Erziehung liegt zum Theil in der Art des Befehlens. Das Kind muß nicht nur den starken Willen über sich fühlen, sondern auch allmälig zur Einsicht gebracht werden, daß dieser Wille immer Vernünftiges wolle. Sobald Kinder merken, daß Launen Gebot und Verbot bestimmen, beginnen sie sich innerlich aufzulehnen und damit ist die Aufgabe der Erziehung schon im Beginn gefährdet.

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Frei sein, heißt sich selbst binden.

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Willst du ein Ziel erreichen, dann arbeite mit demselben heiligen Ernst, mit welchem ein Kind, die Welt um sich vergessend, spielt.

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Wenn es in Dir kalt und dunkel ist, zwinge Dich, andern Wärme und Licht zu bringen – dann strahlt es in Dich zurück und die Nacht Deines Herzens entweicht.

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Ob Glück in meinem Herzen blüht,
Ob's in mir ungewittert,
Wie Sonnenschein, so Blitzesglut
Zu Sprüchen sich zersplittert.

*

Dein gutes und Dein böses Wollen
Wird in Gebärden offenbar.
Es leuchtet reinen Geistes Leben
Auf offnem Antlitz sonnenklar.
Doch magst Dein Uebles Du verhüllen:
Es selbst verrät sich doch einmal,
Und durch die Maske zuckt dämonisch
Der innern Gluten Blitzesstral.

*

Hast Du gefehlt, so kannst Du doch auf Erden
Durch festen Willen noch ein Guter werden.
Doch schnell wird Böses sich in Dir entfalten,
Beginnst Du selbst für besser Dich zu halten.

*

Das Unrecht, welches je getan dein Herz,
Das schreib mit fester Hand auf Erz,
Das Gute soll in flüchtigem Sande stehn,
Damit ein Hauch die Züge kann verwehn.

*

Wenn Dich das eigne Leid verbittert,
Stör' nicht den Frieden fremder Herzen.
Denn Du vermehrst nur Deine Schmerzen.

*

Wer tatlos durch das Leben schreitet
Nach einem nur geträumten Ziel,
Dem wird das Ich zuletzt zum Schatten,
Das Leben selbst zum Schattenspiel.

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Es ist menschlich, zu hoffen und immer wieder von neuem zu hoffen. Aber die Zeugung neuer Hoffnungen nimmt viel Kraft in Anspruch, welche sich besser benutzen ließe. »Also soll man hoffnungslos das Leben abtun?« Nein: man erfülle seine Pflicht, um sich und Gott genug zu tun, ohne dafür Sonnenschein als Belohnung zu verlangen. Einige Strahlen sind jedem bestimmt, und sie erwärmen und beglücken um so mehr, je mehr man sie als Geschenk des Schicksals betrachtet.

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Die Menschen wissen Alle, daß nichts Irdisches Bestand haben könne, aber in jedem einzelnen Falle des Wolgefühls begehren sie für sich eine Ausnahme und schmälen, daß die Satzung auch auf sie Bezug habe. Bei gar Vielen reicht die Erfahrung eines Menschenalters nicht aus, sie zu belehren, und sie bleiben darin Kinder, auch wenn sie Vollbärte und Glatzen haben oder Mütter von erwachsenen Kindern sind.

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Das Leid ist ein Baum, welcher tiefe Schatten wirft. Aber auch in diesem läßt es sich zu Zeiten gut ausruhen. Unglücklich, wer das niemals an sich erfahren hat! Er wird wol kaum den Weg in sich selbst hinein finden. Der Andere aber schneidet sich vom Baum des Leids ein Zweiglein ab und birgt es an seinem Herzen. Mit diesem Zauber kann er dann ruhigen Gemüts auch auf den Wegen irdischen Glücks wandeln und wird befreit bleiben von Uebermut, Lieblosigkeit und Selbstsucht.

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Menschen, welche nur denken, können ebenso gefährlich werden, wie jene, die nur empfinden, denn jede Einseitigkeit bringt Maßlosigkeit mit sich und diese rächt sich auf allen Gebieten des Lebens. Vollendet – nach menschlichen, unzulänglichen Mitteln – ist des Menschen Wesen nur, wenn Geist und Gemüt zu höherer Einheit sich verbinden, der Gedanke nicht die Blutwärme des Gemüts entbehrt, das Gefühl von der Vernunft nicht losgerissen ist.

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Verliere nicht im Schmerz die Würde:
Dem Starken nur wird schwere Bürde.

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Eines der größten Geschenke, welches dem Menschen zuteil werden kann, ist ein arbeitsreiches und arbeitsfähiges Greisenalter. Darum ist's ein so schöner Tod, mit dem Arbeitszeug in der Hand zu sterben, sei es nun ein Herrscherstab oder eine Feder, ein Hammer oder ein Pflug.

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Hast Schweiß und Thränen chemisch du gespalten,
Zeigt sich, daß beide reichlich Salz enthalten.
So sagt Natur zu dir in aller Kürze:
»Auch Schweiß und Thränen sind des Lebens Würze.«

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