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Auch ein Pessimist.

Es ist ein herrlicher Maimorgen; die Sonne blickt mit übermütiger Lustigkeit auf den schon reich belaubten Tiergarten, auf die vornehmen, villenähnlichen Häuser der ihm benachbarten Straßen und auf deren sorgfältig gepflegte Gärten nieder. Auf allen Blättern der Bäume und des blühenden Buschwerks glitzert der Thau und der geschorene Rasen schimmert wie Sammt. – Alles ist unten eben so lebensmutig und hoffnungsvoll, eben so jugendfrisch und klar wie der tiefblaue Himmel oben.

Die Fenster einer Villa, welche lauschig unter herrlichen, alten Bäumen hervorlugt, sind weit geöffnet und lassen die duftende feuchte Luft einströmen.

Auf der nach Osten liegenden Veranda, von welcher eine Treppe in den Garten führt, richten ein Diener und eine Zofe den reichlich besetzten Frühstückstisch her; der erstere legt zu der einen Tasse ein Päckchen Zeitungen und Briefe – die angekommene Morgenpost – dann verschwinden die dienstbaren Geister und fast im gleichen Augenblick erscheint der Herr des Hauses, trotz der Neigung zur Rundlichkeit eine geschmeidige Erscheinung, das Gesicht blühend und die Augen frisch. In behaglichster Stimmung atmet er die köstliche Luft ein.

»Herrlicher Tag,« sagt er und läßt sich am Tische nieder. Da ertönen Kinderstimmen und aus dem anstoßenden Speisezimmer stürzen zwei Knaben heraus, welchen eine junge Frau in spitzenbesetztem Morgenkleide folgt. Die Kleinen springen zu dem Herrn, »Guten Morgen, Papa!« klettern beide an dem Vater empor, und jedes will ihm den ersten Kuß geben; die Dame schlingt von rückwärts die Arme um ihn, der nun, von dreifachen Liebesketten umschlungen, fast den Atem verliert.

»Wollt Ihr den Papa umbringen?« ruft er aus; »hier, Egon hast Du Deinen Kuß, und so, Walter, Du den Deinigen. Jetzt setzt Euch aber!«

Dann bleibt sein Auge liebevoll an der anmutigen Gattin haften, und er schlägt den Arm um ihre Mitte.

»Wie hübsch Du heute wieder bist, Anna! Gieb mir noch einen Kuß!«

Sie beugt sich lachend nieder und küßt den Gemahl, dann waltet sie als Hausfrau ihres Amtes. Nach dem Frühstück holt die Sonne die beiden Knaben zum Spiel in den Garten ab; der Herr des Hauses zündet sich eine Cigarre an und ergreift die Zeitungen: friedlich liegen nebeneinander die »Nordd. Allg.« und das »Berliner Tageblatt«, das »Deutsche Tageblatt« und der »Börsen-Courier«.

Aber nur flüchtig liest er hier und dort einige Zeilen, zuckt die Achseln bei fortschrittlichen, wie bei konservativen Ansichten und wirft dann die Blätter auf den Tisch.

»Ich gehe arbeiten, Aennchen.«

»Willst Du denn nicht noch ein wenig mit mir plaudern?« entgegnete die junge Frau, welche sich indessen mit einer Stickerei beschäftigt hatte.

»Nein, Kind, es geht nicht, – ich muß heute den Aufsatz zu Ende schreiben.«

Bei den Worten erhebt er sich, streichelt der Gattin zärtlich die Wangen und schreitet durch die anliegenden Gemächer in sein großes Arbeitszimmer. Es ist ein fürstlich eingerichteter Raum; zwei Langwände sind mit kostbar gearbeiteten Bücherschränken besetzt, auf den anderen hängen Bilder bedeutender Meister der Berliner und Münchener Schule; in den Ecken stehen auf granitenen Säulen Marmornachbildungen antiker Köpfe und mitten im riesigen Erkerraume prangt in voller Größe die Venus von Melos, eine von Künstlerhand gefertigte Kopie, aus Blattpflanzen und Blumen in eine grünliche Dämmerung aufragend, welche das hoheitsvolle Bild wie vergeistigt erscheinen läßt.

Der Besitzer dieser Kostbarkeiten, Dr. Karl von Bergen, ist Schriftsteller, und zwar einer von denen, welche es gar nicht nötig haben. In glänzenden Verhältnissen aufgewachsen, durch seine Mutter, eine Gräfin A., mit den vornehmen Familien Preußens verbunden, hatte er stets das Leben nur von der angenehmen Seite kennen gelernt – das Leben sowohl, als auch die Wissenschaft. Nachdem er dem Wunsche des Vaters gemäß das juridische Doktorat erworben hatte, begann er allerlei Liebhabereien zu leben, trieb Archäologie, dann Literaturstudien und seit einiger Zeit Philosophie – Alles zum Vergnügen. Er teilte die Zeit zwischen den großstädtischen Vergnügungen, seiner Familie und der Wissenschaft, auf welche er sich um so mehr steifte, je öfter man in seinen Kreisen darüber spöttische Bemerkungen machte.

Einmal war nun der böse Geist gekommen und hatte in ihm über Nacht den schriftstellerischen Ehrgeiz geweckt. Die Sehnsucht, sich gedruckt zu sehen, wuchs von Tag zu Tag und ließ ihn nicht rasten, bis er das Ziel endlich erreicht hatte, und die Besprechung eines philosophischen Werkes in der »* Zeitung« erschienen war. Aus Freude über das wichtige Ereigniß trat Dr. v. Bergen in den Schriftsteller-Verein und schenkte der Schillerstiftung tausend Mark.

Seitdem hatte er schon öfters das Vergnügen gehabt, seine Meinungen schwarz auf weiß gedruckt zu sehen: er schrieb einen anständigen Stil – und begehrte nie Bezalung, zwei Eigenschaften, welche seltener sind, als man gewönlich annimmt.

Jetzt eben ist er wieder für eine Wochenschrift mit einem Aufsatz beschäftigt, in welchem er seinen Lieblingsstoff, die Erbärmlichkeit des ganzen Lebens »frei nach Schopenhauer« behandelte.

Er liest aufmerksam die letzten Sätze des schon Niedergeschriebenen durch. Sie enden in dem Ausspruch:

»Wer sich die Klarheit des Blickes bewahrt hat: wird zugestehen müssen, es sei ein Vergehen, ja ein Verbrechen, durch Fortpflanzung das Elend der Menschen fortzusetzen.«

Bergen greift nach der Feder, taucht sie bedachtsam ein und fährt fort:

»Ist doch das Dasein nur eine Kette von Leiden. Was spricht man von dem Glück der Kindheit! Und ist's wirklich Glück? Nein; mit Schmerzgefühl kommt das kleine, hilflose Wesen zur Welt und wehrt sich mit Weinen gegen das Schicksal; Schmerzen begleiten die erste Entwickelung und dann kommt eine Zeit des unbestimmten Wolempfindens, welches doch jeden Augenblick durch Unlust-Empfindungen unterbrochen wird.«

In demselben Augenblick klirrt das Fenster und ein großer Gummiball fällt in das Zimmer; vom Garten her tönt das helle Lachen der Kinder und beide rufen: »Papa, Papa!«

Bergen erhebt sich, nimmt dann den Ball auf und beugt sich zum Fenster hinaus.

Die Knaben stehen unten und blicken, die Gesichtchen von der Erregung des Spiels gerötet, die Augen funkelnd, zum Vater hinauf. »Siehst Du, Papa,« ruft Walter, das Nesthäkchen, »wie hoch ich werfen kann! Ich habe ins Fenster getroffen. Jetzt gieb mir den Ball wieder!«

»Wenn Du artig bist, ja.«

Da faltet der Kleine die Händchen und sieht flehend mit den blauen Augen hinauf: »Bitte, bitte!«

Bergen wirft den Ball in weitem Bogen mitten auf den Rasenplatz und die Knaben laufen nach dem Spielzeug.

Der Vater aber sieht ihnen lächelnd nach, freut sich über ihre Frische und flüstert: »Liebe, liebe Kinder!« – dann setzt er sich wieder mit der pessimistischen Falte an den Schreibtisch und schildert das Elend der Kindheit weiter, geht zum größeren Jammer der Erwachsenen über und gelangt zuletzt zum allgemeinen Naturelend.

»Es ist eine Fiktion, welche man höchstens jungen Lyrikern verzeihen kann, die Fiktion, daß die Natur allein friedlich und friedebringend sei. Dem Auge des Forschers zeigt sich kaum mehr als ein ununterbrochener Kampf ums Dasein, – barmherzig ist die Natur nur, wenn sie die im sinnlosen Schöpfungstriebe erzeugten Geschöpfe sterben läßt.«

Bergen springt plötzlich auf. »Himmel, das hätte ich ganz vergessen!«

Er eilt in das Speisezimmer und schreitet mit der Sicherheit, welche auf einen gewohnten Vorgang schließen läßt, auf einen kleinen Anrichtetisch zu. Dort ergreift er eine ziemlich geräumige Schüssel, gefüllt mit kleingeschnittenen Brodstückchen und geht wieder ins Arbeitszimmer zurück, wo er sich ans offene Fenster stellt. Er pfeift zwei Mal in eigentümlicher Weise und siehe, ein Gurren, Flattern und Glucksen und von allen Seiten fliegen seine weißen Tauben herbei; manche setzen sich auf das Fenster und lassen sich das schneeige Gefieder furchtlos streicheln, während der Herr ihnen das Futter reicht. Aber auch Meisen,, Finken und vor Allem freche Spatzen mischen sich in die Gesellschaft, ergreifen ein Stückchen und fliegen mit der Beute auf den nächsten Ast, um sie in Ruhe zu verzehren. Die beiden Knaben kommen herbeigerannt, Egon will durchaus ein Täubchen fassen und tappt so ungeschickt danach, daß er dem Tierchen wehetut.

»Aber Egon!« schilt Bergen, »was ist denn das! Laß doch die Taube, sie freut sich des Lebens gerade so wie Du!«

Die Fütterung ist vorbei – der Doktor kehrt zum Schreibtisch zurück.

»Sterben läßt,« murmelte er. »Richtig!« Und mit steigender Behaglichkeit läßt er die Feder weiter spazieren, klagt über das öde Einerlei des Lebens, und die Sonnenstralen dringen, gedämpft durch Baumeswipfel, zu ihm herein; er schildert, wie Alles nur ein langsames Hinsiechen sei – und zu ihm tönt hundertstimmig der Gesang der Vögel und mit demselben mischt sich hier und da das helle, jubelnde Lachen seiner Kinder, so frisch, so herzlich, daß er unwillkürlich den Lauten horcht und vom Schreibtisch nach dem Fenster hinnickt, als grüße er die lieben, herzigen Jungen.

Aus all der Heiterkeit und dem Glanze, die ihn umgeben, gewinnt er um so leichter den Gegensatz, die dunklen Farben für sein lichtloses Bild, und er freut sich, wenn er wieder einen recht lebensfeindlichen Satz aufgezeichnet hat.

Ueberzeugend legt er dar, daß alle Freuden, welchen der Mensch nachjagt, nichts seien, als Trugbilder, daß jede zerfällt, sobald der wahrheitsuchende Geist in sie eindringe, um sie auf ihren Gehalt zu prüfen. Als unantastbar bleibe nur bestehen, daß es keine größere Thorheit gebe, als das Leben, »dieses Scheingut«, durch alle möglichen Mittel zu erhalten zu suchen.

So weit ist Bergen gekommen, als die große Uhr im Treppenhause die dritte Stunde schlägt und bald darauf die Hausfrau in das Zimmer tritt.

»Karl – zu Tische! Rate, was Du heute bekommst!«

Der Gatte erhebt sich und legt die Feder nieder.

»Nun?« fragt er dann erwartungsvoll.

»Schildkrötsuppe und dann Spargel.«

»Ach, das ist ja fast zu viel des Schönen.«

Arm in Arm schreiten beide in das Speisezimmer. Bergen entwickelt die kräftige Eßlust eines gesunden Menschen und läßt jedem Gerichte volle Ehre widerfahren; mit größtem Behagen schlürft er dann im Schaukelstuhl den Kaffee und raucht eine Habanna, deren Duft das Zimmer erfüllt.

»Die Zeit nach dem Diner ist eigentlich doch köstlich!« bemerkt er zu Anna, »man ist zwar nicht besonders geistreich – aber man fühlt sich so ganz einverstanden mit Gott und der Welt.«

Die Worte kommen immer langsamer, dann sinkt der Kopf zurück und nach einer Minute ist der Doktor sanft entschlummert. Die junge Hausfrau setzt sich mit einem Buch neben ihn hin und blickt nur manchmal auf, um zu sehen, ob nicht eine unverschämte Fliege den Schlafenden störe.

Eine halbe Stunde später sitzt Bergen wieder am Schreibtisch, um den Nachweis zu führen, daß die »Verneinung des Willens zu leben« das Mittel sei, welches alle Schmerzen des Kulturmenschen am bequemsten beseitige, und stellt Annahmen darüber auf, wie sich diese Verneinung am besten in der Wirklichkeit ausführen ließe. Er kommt dabei indeß zu keinem festen Ergebniß und springt mit einer kühnen Wendung zum Schlusse hinüber. Da meldet der Diener, daß der Wagen angespannt sei, um die Herrschaften ins Theater zu fahren, und kaum ist der Türvorhang hinter ihm zusammengefallen, erscheint auch die Hausfrau.

»Bist Du noch nicht fertig, Karl?«

»Sofort Liebchen,« lautet die Antwort.

Und mit langen Zügen fügt er hinzu:

»Wie man die Sache auch betrachten möge, ob vom rein metaphysischen Standpunkte oder von der gewöhnlichen Erfahrung aus, die Untersuchung gipfelt immer in dem Ausspruch des Weisen von Frankfurt: ‹Das Leben ist ein Geschäft, welches die Kosten nicht deckt›.«

»So,« ruft Bergen aus, »Punktum! Der Aufsatz hat mir wirklich herzliche Freude gemacht.«

Dann steckt er die Arbeit in einen Umschlag, versieht denselben mit der nötigen Aufschrift und klingelt.

»Besorgen Sie den Brief noch heute,« ruft er dem eintretenden Diener entgegen.

Einige Minuten später rollt das vornehme Gespann mit dem jungen Paare davon und der Doktor sagt, sich die Handschuhe zuknöpfend: »Ich freue mich sehr, die bayrischen Schauspieler wiederzusehen.«

Wir aber wünschen ihm, daß er sich immer den Luxus zu gönnen vermag, Pessimist in so bequemer Weise zu sein, wie jetzt.

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