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Heute nun ist Frau Maria Magdalenas Sandsteinplatte auf dem Friedhof, der längst nicht mehr draußen vor dem Städtchen, sondern ruhevoll feiernd inmitten der lauten Stadt liegt, ebenso verwittert wie die des seligen Maire neben ihr, die doch ein Vierteljahrhundert älter ist. Aber wenn einer Zeit und Mühe sich nicht gereuen läßt, mag er wohl die Grabschrift noch entziffern, die die fromme alte Dame selber sich verordnet hat. Nicht nur den Namen und die Daten und darunter das zuversichtliche Wort des Hiob: »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt!«, sondern auch die kunstvoll verschlungenen Wörter in dem Ährenkranz, der als ein zierliches Relief und Symbol des Lebens die ganze Fläche des Grabsteins einrahmt. Jahrelang haben die Leute gedacht, es handle sich da gewiß um eine entlegene Stelle der Heiligen Schrift, auf die man in Anbetracht ihrer Seltsamkeit wohl des näheren hätte hinweisen dürfen. Und im Herbst 1878, als der Geheime Kommerzienrat Friedrich Wilhelm Wolf seiner langen Wanderung mit dem Jahrhundert plötzlich müde geworden war, als ein Trauerzug, wie die Stadt noch keinen gesehen, dem Ehrenbürger das letzte Geleit gab, und der Pastor Wackerblüh am Schluß seiner Rede der mütterlichen Grabschrift gedachte, da mochten dieser wohl nur wenige sich erinnern, und daß sie einst in Büchners Handkonkordanz vergeblich nach ihr gefahndet hatten.

Sein ganzes langes Leben hindurch, so hatte Wackerblüh gesagt, hätte Gottes Vatertreue über dem nun Heimgegangenen gewaltet und dabei in besonderer Weise weiblicher Herzen und Hände sich bedient. Am augenfälligsten jetzt vor acht Jahren, als der Siebzigjährige mutigen Herzens seinen Wagen mitten durch die feindlichen Vorposten gelenkt, um in Feindesland die beiden als vermißt gemeldeten Söhne zu suchen. Daß, ihm unbewußt, in seiner Brieftasche noch die Skizze der Ringofenziegelei sich befunden, die der rastlos Tätige zu jener Zeit gerade erbaut, das wäre beinahe sein Verhängnis geworden, sintemal die Franzosen solche Zeichnung für die eines Forts gehalten. Aber da, in der höchsten Not, hätte Gott einer alten Französin die Augen geöffnet, daß sie in dem weißhaarigen deutschen Kriegsgefangenen einen Freund ihrer Jugend wiedererkannt hätte. Die Fürsprache und unermüdlichen Bemühungen dieser um das französische Lazarettwesen hochverdienten Dame hätten den Geheimrat vor dem Standrecht bewahrt und nach einigem gemeinsamen Suchen ihn auch glücklich den vermißten Söhnen zugeführt, ja alsbald ihm sogar die Erlaubnis erwirkt, die beiden Verwundeten in die Heimat mitzunehmen. – Von Antoinette Jeanbon, die dem nun Entschlafenen das Leben gerettet, war Wackerblühs Rede auf die gekommen, deren beglückenden Liebe es ihm über die Maßen reich und schön gemacht hatte: seine beiden Frauen, seine Töchter und seine Schwiegertöchter, um dann bei Der zu enden, die einst es ihm geschenkt, und die, nachdem sie fünftehalb Jahrzehnte hindurch ihn begleitet, vor einem Vierteljahrhundert in ein höheres Leben ihm vorangegangen wäre. – Auf die ewigen Fragen des Menschenherzens, so hatte der Pastor geschlossen, Fragen, die angesichts eines entstehenden oder vergehenden Lebens immer von besonderer Dringlichkeit wären, gäbe es keine schönere Antwort als die auf dem Grabstein dieser gesegneten Mutter: die persönliche Gewißheit des Hiob, die Gnade sei, im Rahmen der vertrauenden Zuversicht aller Kreatur, wofür Gott vor sechshundert Jahren einem frommen Dominikaner, Meister Eckhardt, dem Mystiker, dieses Wort geschenkt habe, das ihn alles Lobgesangs und aller Predigt Krone dünke. Und das zugleich die größte wissenschaftliche Leistung unseres Jahrhunderts, den Entwicklungsgedanken, vorweggenommen und bestätigt habe, also, daß das jetzt beliebte Streiten darüber müßig sei:

Alles Kornes innerste Natur meinet Weizen,
alles Metall meinet Gold,
alle Geburt meinet den Menschen.


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