Artur Landsberger
Das Blut
Artur Landsberger

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Dreißigstes Kapitel.

Bei dem Gefängnisdirektor ließ sich ein Advokat Dr. Ziemssen melden, der angab, die Strafgefangene Brigitte aus vermögensrechtlichen Gründen sprechen zu müssen. Da Dr. Ziemssen sich auswies, so sah der Direktor keinen Grund, die Bitte abzuschlagen.

Kornelia erklärte der Wärterin, einen Advokaten dieses Namens nicht zu kennen. Auch kämen vermögensrechtliche Fragen, da sie völlig mittellos sei, für sie nicht in Frage. Sie sei arm und wolle arbeiten und sich ihr Geld selbst verdienen. Infolgedessen habe sie keinerlei Interesse, mit dem Herrn zu sprechen.

Die Wärterin widersprach und meinte: »Ihre guten Vorsätze in allen Ehren! Aber so schroff lehnt man nicht ab. Wenn es sich wirklich um Zuwendungen von Verwandten handelt, so brauchen Sie das Geld ja nicht für sich zu verwenden« – und dabei wies sie auf die anderen Gefangenen, die abseits standen und nur teilweise hörten, was sie miteinander sprachen.

»Sie haben recht!« rief sie, »führen Sie mich zu ihm.«

Kornelia erschrak, als sie in dem engen Empfangsraum Johannes van Gudry gegenüberstand. Sie erkannte ihn sofort, trotz seiner Maske, die ihn anderen gegenüber unkenntlich machte.

Als die Wärterin draußen war, sagte Kornelia: »Hätte ich gewußt, daß Sie es sind, ich wäre nicht gekommen. – Ich will Sie nicht sehen; ich will überhaupt mit Ihnen nichts zu tun haben.«

»Um sich den Luxus zu gestatten, Ihren Verkehr nach Sympathie zu wählen, hätten Sie anders leben müssen.«

»Ich bin frei! – völlig frei! – Ich kann tun und lassen, was ich will.«

»Den Eindruck habe ich nun grade nicht,« erwiderte Johannes mit einem Blick auf die vergitterten Fenster.

»Ich spreche von meiner innerlichen Freiheit – aber davon verstehen Sie nichts – können Sie nichts verstehen – da Sie kein Mensch sind.«

»Sie scheinen ja bei ausgezeichneter Laune zu sein.«

»Das bin ich. Und ich habe mich nie im Leben freier, froher und glücklicher gefühlt.«

»Dann werden Sie am Ende zeitlebens hier Aufenthalt nehmen.«

»O nein! Ich werde nach Schloß Vestrum zurückkehren. – Und zwar anders, als ich gekommen bin. – Erhobenen Hauptes und frei im Willen.«

»Das, fürchte ich, wird nicht mehr gut möglich sein!«

Kornelia erschrak.

»Wieso? – Was wollen Sie damit sagen?« fragte sie lebhaft.

»Nehmen Sie an, durch eine genaue Untersuchung wären Ihre sämtlichen – – ich darf es sagen?«

»Bitte!«

»Diebstähle auf Schloß Vestrum festgestellt.«

»Was wäre dann?« fragte sie ruhig.

»Zunächst wäre ideell damit Ihr Prestige erschüttert.«

»Das habe ich mit mir alleine abzumachen. – Und zu Ihrer Beruhigung kann ich Ihnen sagen, daß das bereits geschehen ist.«

Der sonst so Beherrschte verbarg schlecht sein Entsetzen, wurde unsicher, sah sie forschend an und fragte: »Ist das wahr?«

»Mein Wort darauf!« erwiderte sie bestimmt.

»Gut!« erwiderte er mit erheuchelter Ruhe, »dann bliebe noch immer Materielles abzumachen.« – Und da sie völlig unbewegt schien und schwieg, so fuhr er fort: »Verjährtes scheidet aus – aber es bleibt noch genug bestehen, um . . .« – er zögerte und sah sie an.

»Ich bedarf keiner Schonung!« erwiderte sie. »Ich bin darüber hinaus! – völlig! – über alles!«

»Jedenfalls würde das, was bestehen bleibt, Ihren Aufenthalt hier um Etliches verlängern.«

»Möglich!« sagte sie, »wenngleich unwahrscheinlich. Denn ich habe der Stelle, die allein es angeht, und die nicht Sie sind, Herr van Gudry, davon Mitteilung gemacht – natürlich ohne meinen Namen preiszugeben. – Die Dinge stehen so, daß ich nichts zu fürchten habe, – auch dann nicht! – Im übrigen: ob ich in drei Monaten heimkehre oder in sechs – über mich ist eine Ruhe gekommen, die mich alles ohne Schwere und Bitternis tragen läßt.«

»Verblödet,« dachte Johannes, und erkannte nicht, daß Kornelia eine völlig Andere geworden war.

»Sie haben geistig gelitten!« sagte er, »und brauchen Hilfe.«

Kornelia erwiderte lächelnd: »Möglich! – Man merkt das ja bekanntlich selbst zuletzt. – Aber von wem, meinen Sie, sollte mir diese Hilfe kommen? – doch nicht von Ihnen?«

»Doch! – Sie stehen im Begriff, den Namen van Vestrum zu schänden.«

»Nein! – Das Gegenteil ist der Fall! Er war geschändet – durch Generationen! – durch einen Fluch, der auf ihm lastete und der sich forterbte – auch auf mich. – Ich habe mich, und damit auch die, die nach mir kommen, davon befreit! – Wie, das werden Sie nie verstehen! – Jedenfalls bin ich stolz darauf.«

Johannes zog die Stirn in Falten und sagte: »Gut! ich glaube es! Sie haben gestohlen, gekämpft, gebüßt und sich geläutert. Sie werden von nun ab nie mehr stehlen. – Das ist an sich gewiß recht lobenswert; und Sie haben ein Recht, darauf stolz zu sein. Aber sie vergessen, wie unendlich gleichgültig das für den Ruf des Namens van Vestrum ist.«

»Wie?« fragte Kornelia erstaunt – »gleichgültig wäre das?«

Johannes fuhr unbeirrt fort: »Und auf den vor allem kommt es an! Weit mehr, als auf Ihre Person!«

»Ich weiß das!«

»Nun also! Sie können stehlen, soviel Sie wollen! Tausende mehr und tausendmal ungenierter. Das schadet dem Ruf Ihres Namens nichts! Nur auf eins müssen Sie achten: Sie dürfen sich nicht dabei fassen lassen! – Das Stehlen ist eine Kunst wie jede andere. Was bestraft wird, ist der Dilettantismus. – Sie hätten also viel klüger und weit mehr im Interesse des Namens van Vestrum gehandelt, wenn Sie sich, statt sich zu läutern, in der Kunst des Stehlens vervollkommnet hätten!«

»Das sind die Prinzipien eines Verbrechers.«

»Möglich! – Jedenfalls urteilt die Welt danach – und von dem Ruf oder dem Klang, den der Name Vestrum in der Welt genießt, sprachen wir ja wohl.«

Kornelia schüttelte den Kopf und sagte: »Reden Sie ruhig, Herr van Gudry, mich können Sie nicht mehr irre machen. Letzten Endes kommt es für einen anständigen Menschen auf die innere Reinheit an; daß er vor seinem eigenen Gewissen besteht. Tut er das, dann ficht ihn das Urteil der Welt nicht an.«

»Sie haben sich in diesen heiligen Räumen zu der Moral einer Pastorentochter herabentwickelt, über die man in der Welt draußen lacht.«

»Mag man lachen – das kümmert mich wenig.«

»Sie sollten dann aber auch konsequent sein und sich in ein Kloster verkriechen.«

»Ich brauche mich vor niemandem mehr zu verkriechen!«

»Vor Einem am Ende doch!«

»Auch nicht vor Ihnen!« erwiderte Kornelia.

»Sie vergessen schnell!«

»Und wenn Sie den Rest Ihres Lebens damit verbringen, der Welt zu verkünden: Kornelia van Vestrum ist eine Diebin: so wird ein tausendfaches Echo Ihnen erwidern: Sie war's! Jahrhundertelang lastete auf dem Geschlecht der Vestrums ein Fluch. Kornelia hat das Kreuz auf sich genommen: Sie hat gebüßt für Alle und das Geschlecht der Vestrums von dem Fluch befreit.«

»Das werden Sie nicht tun!« rief Johannes.

»Ich werde es tun!« erwiderte sie erhobenen Hauptes. »Und es kann Ihnen geschehen, Herr van Gudry, daß Sie aus der Diebin und Büßerin eine Heilige machen!«

Dann schritt sie zur Tür, vor der die Wärterin stand und wartete:

»Sie wollen den Kampf!« rief Johannes ihr nach. »Sie sollen ihn haben!«

Kornelia schritt freier und stolzer noch als sie gekommen war, aus dem Zimmer, ließ die Tür hinter sich offen stehen und sagte, ins Zimmer weisend zu der Wärterin – so laut, daß er es hören mußte: »Dieser Mensch da ist unter falschem Namen hier eingedrungen! In diesem Hause ist keiner, der ihm an Schlechtigkeit gleichkommt. Sorgen sie dafür, daß man ihn hinauswirft und nie mehr vorläßt.«

Und die Wärterin, die in diesem Augenblick vergaß, daß sie eine Gefangene vor sich hatte, ging hinaus, um nach Kornelias Worten zu handeln. –

Johannes verschwand schnell. Er war in der Absicht gekommen, Kornelia zu veranlassen, daß sie nach Ablauf der neun Monate mit den Papieren Brigittes auf ein paar Jahre nach Manáos zu seinem Vetter ging, wo sie, als Dame behandelt, dem Hause vorstehen und ein angenehmes Leben führen konnte, bis die Zeit reif für ihre Rückkehr war.

Er hatte alles bis ins Kleinste durchdacht und war überzeugt gewesen, daß es ihm mühelos gelingen würde, Kornelia, deren Widerstandskraft er gebrochen wähnte, für seinen Plan zu gewinnen. Sie war dann, wie so mancher vor ihr, eines Tages einfach verschollen. Wer sich in den Wäldern bei Manáos verirrte, galt für verloren, und auf den meist zwecklosen Versuch, ihn wiederzufinden, verwandte man nicht viel Mühe. So dachte Johannes; und so durfte er denken, da auf den Manáoser Vetter Verlaß war.

Und nun war ihm statt der gebrochenen Kornelia ein neuer Mensch entgegengetreten. Einer der Wenigen, die den äußeren Schein des Lebens als unwesentlich erkannt, daher abgestreift hatten und nach Innen lebten. Menschen dieser Art, die ihren Wert in sich und nur in sich trugen, war schwer beizukommen. Denn sie schreckte keine Drohung; was man ihnen nehmen konnte, galt ihnen nichts.

Johannes war klug genug, um die Gefahr zu erkennen, die ihm hier drohte. Sie zu beheben, war nicht leicht; gab es nur einen Weg – den äußersten, den er ungern beschritt. Denn geistigen Menschen gilt die Gewalt als letztes Mittel.

* * *


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