Artur Landsberger
Das Blut
Artur Landsberger

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Zwölftes Kapitel.

Im »Strammen Hund« saßen nur wenige Gäste. Ein paar aufgetakelte Dirnen, von denen man ebensowenig wie von den männlichen Gestalten wußte, ob sie neu gekommen waren oder noch vom Abend zuvor dasaßen. Sie benahmen sich so ungeniert wie möglich. Ein Kerl lag mit dem halben Oberkörper über den Tisch, und eine etwas beschwipste Dirne fuhr ihm im Halbschlaf mit den Fingern im gleichen Tempo, in dem ein heiseres Grammophon prustete, durch's Haar. Ihm schien es zu gefallen, denn er stöhnte behaglich und rutschte, sobald sie die Hand für einen Augenblick zurückzog, mit seinem Kopf näher an sie heran. Eine fette, schmutzige Wirtin, die hinter dem Buffet stand, beachtete niemand. Umso machtvollkommener bewegte sich eine junge, sehr hübsche Kellnerin hin und her, die von Tisch zu Tisch ging und nicht nur mit Worten auf Ordnung hielt. Sie duzte Alle, stieß Dirnen an, die den Männern zu nahe auf den Leib rückten, und versetzte wohl auch diesem oder jenem einen Stoß, der sich ihrem gewiß nicht engherzigen Urteil nach nicht so benahm, wie es sich schickte.

»Donnerwetter!« rief Peter Last als er neben Johannes van Gudry das Lokal betrat, blieb stehen, sperrte den Mund weit auf und starrte die Kellnerin wie ein Wunder an.

Johannes, der ihn genau beobachtet hatte, war befriedigt, schmunzelte und sagte unbefangen: »Was ist dir?«

Peter Last wies, ohne sich von der Stelle zu rühren, zitternd mit dem Finger auf die Kellnerin und lallte: »Da!«

Und da er in seiner Verblüfftheit vergessen hatte, den Mund wieder zu schließen, so stieß ihm die Kellnerin, der sein blödes Gesicht mißfiel, eine schmutzige Gabel mit Weißkohl hinein, den irgendein Gast hatte stehen lassen.

»Bravo!« rief Johannes, und fing laut an zu lachen. Und Peter Last, der an dem Weißkohl würgte, sagte mit vollem Munde:

»Ja, sind Sie's nun oder sind Sie's nicht?«

»Idiot!« schalt die Kellnerin – die man von verschiedenen Tischen »Brigitte« rief – wandte sich an Johannes und fragte: »Wo hast du denn den her?«

»Was ist dir wirklich?« fragte Johannes.

»Bri – gitte heißen Sie?«

»Schafskopf! was geht's dich an?« erwiderte sie.

»Und Kornelia . . .? – wie? – Sie kennen sie?«

»Was für 'ne Kornelia?«

»Eine Schwester von Ihnen?« fragte er sie und fuhr, zu Johannes gewandt fort: »Ich könnte die Beiden nicht auseinanderhalten.«

»Wenn doch alle Menschen solche Kamele wären wie du!« sagte Johannes aus vollster Überzeugung – »dann wäre mir geholfen! – Immerhin! ich bin mit dem Debüt zufrieden! – Vorwärts, Brigitte, eine Flasche Champagner! und du setzt dich zu uns! – die Alte wird die Gäste bedienen! – da!« – er schob ihr eine Banknote in die Bluse – »eil dich!«

»Na, wie gefällt sie dir?« fragte Johannes als sie saßen. »Was meinst du?«

»Wozu?« fragte Last.

»Rate!«

Der schüttelte den Kopf.

»Man muß sie austauschen!« sagte Johannes, lachte und schlug Peter Last so kräftig auf die Oberschenkel, daß der aufschrie. »Verstehst du, die eine für die andere setzen! – Wenn man glaubt, Brigitte vor sich zu haben, dann muß es sich herausstellen, daß es Kornelia ist – und umgekehrt.«

»Wozu? Was hat man davon?« fragte Last.

»Idiot!« schalt Johannes. »Wenn du ein Kerl wärst, wüßtest du, was du zu tun hast.«

Peter Last kniff die Augen zusammen und verzog den Mund.

»Hm,« sagte er – – »Ich verstehe.«

»Nichts verstehst du!«

»Es käme darauf an, was für mich dabei herausspränge.«

Johannes sah ihn scharf an – überlegte. Dann rückte er seinen Stuhl dicht an den von Peter Last und sagte: »Du bist verrückt!«

»Wieso?« – wenn Kornelia verschwindet – das ließe sich schon machen.« – –

»Weiter!« drängte Johannes.

»Nun ja – ich meine so, daß sie nie wiederkäme« – und dabei machte er eine nicht mißzuverstehende Handbewegung – – »und diese Kellnerin Brigitte läge eines Morgens in Kornelias Bett . . .«

». . . so würde die Amme,« fiel ihm Johannes ins Wort, »noch ehe Brigitte die Augen öffnet, schon an der Art, wie sie sich räkelt und gähnt, erkennen, daß es nicht Kornelia ist.«

Peter Last machte ein dummes Gesicht und sagte: »Das stimmt!«

»Es wäre also saudumm – nicht wahr, Brigittchen,« wandte er sich an die Kellnerin, die eben mit der Flasche und den Gläsern an den Tisch trat – »an das, was vielleicht später geschehen muß, zu denken, bevor dein Training beendet ist« – und dabei faßte er sie um die Taille und zog sie zu sich auf den Stuhl.

Brigitte goß ein, sah Johannes nicht grade vertrauensvoll an und sagte: »Mich laßt gefälligst heraus bei Euern saubren Geschäften. Ich bin noch nicht vorbestraft. Und wenn nicht mindestens ein Wald von Affen dabei herausspringt, riskier' ich meinen guten Ruf und meine Freiheit nicht.«

Peter Last lachte auf und rief: »Sie ist auf ihren guten Ruf bedacht! und verkehrt in so seiner Gesellschaft!« – dabei wies er auf die Dirnen und die Kerls, die an den Tischen saßen.

»Geht mich nichts an, wer hier verkehrt. Ich verdiene mein Geld. Und ob ich hier einem Schieber ohne Kragen eine Flasche auf den Tisch setze, oder am Kurfürstendamm einem Schieber im Frack, bleibt sich ganz gleich.«

»Da hat sie vollkommen recht,« stimmte Johannes bei, stieß mit ihr an, trank, goß wieder ein. »Aber anstatt eines Walds von Affen könnte es am Ende ein Schloß am Rhein sein!«

»Her damit!« rief Brigitte belustigt.

»Was? dafür riskiertest du sogar deinen guten Ruf?«

»Das würd' ich mir noch überlegen. Aber einsperren, wenn's nicht zu lange ist, ließe ich mich dafür.«

»Also du säßest eher . . .?«

»Als daß ich mich einem Kerl an den Hals würfe, der mich anekelt – – selbstredend!«

»Na, wie stände es damit denn bei mir?«

Sie musterte ihn genau und ungeniert.

»Läßt sich ertragen« sagte sie. »Schön bist du nicht, und nachts in einem Wald begegnen möcht ich dir auch nicht.«

Johannes und Peter Last lachten laut.

Sie sah ihm frech ins Gesicht.

»Aber du gewinnst, wenn man die Augen zukneift.«

»Frechdachs!« rief Johannes und gab ihr einen Klaps.

»Und im Zusammenhang mit einem Schloß am Rhein wär' es schon möglich, daß ich mich überwände.«

Johannes beugte sich zu ihr, nahm ein volles Glas und goß es ihr in den Mund.

»Dir muß man erst einmal den frechen Schnabel stopfen,« sagte er, während sie sich den Mund wischte und Atem holte. Dann rutschte sie mit dem Stuhl dicht an ihn heran, stützte die Ellbogen auf den Tisch und sagte:

»Also heraus mit der Sprache! was habt Ihr vor? Wenn es lustig ist und nicht zu gemein, und Geld bringt, dann mache ich mit. – – Mir gefällt es hier längst nicht mehr.«

»Hast du Geduld?« fragte Johannes.

»Wenn es sich lohnt! – warum nicht?«

Sie sah erst jetzt, daß er ihre Hand genau betrachtete und sich mit einem fragenden Blick an Peter Last wandte, der befriedigend und zustimmend nickte. Sie zog plötzlich die Hand zurück und sagte: »Habt Ihr es etwa auf meine Ringe abgesehen? Mit mir ist schlecht Kirschen essen!« und sie wies auf einen Tisch am Buffet, an dem drei Kerle bei Schnaps und Karten saßen. »Meine Leibgarde! Alle drei! Wie verrückt hinter mir her! Natürlich ohne Erfolg. Ich werf' mich nicht weg! An die Art Menschen schon garnicht! Aber um so ergebener sind sie mir. Von wem sie glauben, daß er mich anschaut, der sieht morgen nur noch auf einem Auge. Und ob Euch« – sie wies auf ihre Hände – »der Kram das wert ist, bezweifle ich.«

»Der Kram nicht, aber die Hände,« erwiderte Johannes.

»Die Hände?« fragte sie erstaunt, »was ist damit?«

»Sie sehen nicht danach aus, als ob sie schon lange Bierkrüge schleppten.«

»Wenn Ihr wüßtet, wer mein Vater war, würdet Ihr staunen.«

»Geheimnis?«

Brigitte lacht: »Strengstes! Ich weiß es nämlich selber nicht. Ich pfeif' auch drauf. Aber meine Mutter sagte immer: ›Das Einzige, was das Aas dir hinterlassen hat‹.«

»Und das Aas war . . .?«

»Ich glaube, sie weiß es selbst nicht. Jedenfalls aus mir ist was zu machen, wenn nur der Richtige käme.«

»Der sitzt schon da!« sagte Peter Last und wies auf Johannes.

Brigitte sah ihn mißtrauisch an. Als Johannes jetzt aber eine gefüllte Brieftasche hervorzog, den ganzen Inhalt herausnahm und ihn ihr in die Ledertasche stopfte, den sie an einem Gürtel um die Taille trug, da schwand jedes Mißtrauen und sie sagte:

»Nun, wo ich weiß, daß ich es mit anständigen Menschen zu tun habe, helf' ich Euch, wenn ich kann.«

»Wir wollen dir helfen,« sagte Johannes. »Mit den Händen und dem Teint bedient man nicht, sondern läßt sich bedienen!«

»Gemacht!« rief Brigitte und warf von dem Gelde, das ihr Johannes gegeben hatte, Peter Last einen Schein hin. »Bring mir mal vom Buffet ein kaltes Kotelette – und den drei Kerlen da am Tisch eine Lage Schnaps!«

Last stand auf.

»Das Kotelette sollst du haben, aber deine Kerle bediene gefälligst selbst.«

Sie hielt ihm die Hände vor's Gesicht und sagte kokett:

»Mit den Händen? wäre das nicht schade? – Solange das Geld reicht.« – Und dabei wies sie auf die Scheine in der Tasche – »rühre ich keinen Finger.«

»Das Geld wird erneuert so oft du willst – und zu arbeiten brauchst du überhaupt nicht mehr – das tun Andere für dich.«

»Und was habt Ihr davon?«

»Nichts, wovon nicht auch du was hättest.«

»Nun sag' doch schon!« drängte sie. »Statt mich immer so anzuglotzen.«

Peter Last hatte das Kotelette gebracht, das Brigitte teils mit dem Messer, teils aus den Händen aß.

»Du wirst dir die schönen Hände beschmutzen und dich in den Mund schneiden,« sagte Johannes.

»Das hab' ich mir so angewöhnt. Bei meiner Mutter dürft' ich das nicht.«

»Wo ist deine Mutter?«

»Tot.«

»Hast du sonst Verwandte?«

»Nein.«

»Viel Freunde?«

Sie zog die Schultern hoch.

»Nö – was hier so verkehrt. Sonst nichts. – Um mich kümmert sich kein Mensch.«

»Und wie stehst du zu den Leuten hier?«

»Ich halte sie mir vom Halse. Sie riechen nach Schnaps und ekeln mich an!«

»Gut! ausgezeichnet! – zeig mal deine Zähne!«

»Nanu?« sagte sie erstaunt und lachte.

»Famos!« rief Johannes, »sieh nur Peter. Genau wie der ihre!«

»Es hört sich auch genau so an als wenn Kornelia lachte.«

»Beinahe! Ein kleiner Unterschied ist schon da! – Aber das macht der Alkohol!«

»Mit wem vergleicht Ihr mich?«

»Mit einer der schönsten und reichsten Frauen, an deren Stelle du treten sollst.«

Sofort war Brigittes Ehrgeiz und Neugier wach.

»Ist sie tot?« fragte sie.

»Nein! sie lebt.«

»Wollt Ihr die umbringen?«

»Vielleicht – vielleicht auch nicht.«

»Da mach ich nicht mit! – Das müßt Ihr allein tun – wenn Ihr's für nötig haltet.«

»Davon ist, vorläufig wenigstens, keine Rede. Du brauchst gar keine Furcht zu haben. Alles wird auf natürlichstem Wege vor sich gehen.«

»Was habe ich zu tun?«

»Zu lernen!«

Sie verzog das Gesicht: »Dafür war ich nie!«

»Wann kannst du von hier fort?«

»Wann ich will!«

»Mitten im Monat?«

Brigitte wies auf die schmierige Alte am Buffet: »Wenn du wüßtest wieviel Butter die auf dem Kopfe hat.«

Johannes bestellte eine neue Flasche, und als die zu Ende war, eine dritte. Er achtete genau darauf, daß Brigitte in Stimmung kam, dabei aber nüchtern blieb.

»Also was hab' ich zu tun?« fragte sie.

»Genau zu werden wie jene Frau, der du äußerlich und im Gang zum verwechseln gleichst.«

»Ist sie schön?«

Johannes mußte lachen. Das war echt frauenhaft, wie diese Brigitte in diesem Augenblick, der vielleicht über ihr ganzes Leben entschied, nur die eine Sorge hatte, ob die Frau, die ihr glich, auch nicht etwa unschön war.

Johannes versicherte es ihr und übertrieb, und Brigitte, die von diesem Augenblick ab garnicht mehr nach Zweck und Ziel fragte, brannte vor Ungeduld, Kornelia kennen zu lernen.

»An dem Tage, an dem du in Allem bist wie sie, wirst du Schloß und Dienerschaft, Schmuck und Geld, Autos, Wagen und Pferde haben und es bald nur noch für einen Traum halten, daß du jemals auch nur eine Stunde lang hier unter diesen Menschen warst.«

Brigitte, ausgelassen und vor Neugier brennend, sagte übermütig:

»Dann guck ich dich auch nicht mehr an.«

»Mich wirst du schon mit in Kauf nehmen müssen,« erwiderte Johannes, schlang den Arm um sie und zog sie zu sich heran.

Sie ließ es zu, fuhr ihm mit der Hand durch's Haar, kam mit ihrem Gesicht dem seinen ganz nahe und sagte: »Du könntest mir schon gefallen.«

* * *


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