Artur Landsberger
Das Blut
Artur Landsberger

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Viertes Kapitel.

Schon am nächsten Vormittag erschien ein Herr mit blauer Hornbrille, ungepflegtem Bart, einer Handtasche und einer deutschen Schäferhündin, und verlangte, Fräulein Kornelia vorgeführt zu werden. Der alte Hausmeister lehnte das alter Weisung zufolge rundweg ab. Auch der Hinweis, daß er im Auftrage des Dr. Kargert komme, verschaffte ihm keinen Einlaß. Er tat daraufhin seine Visitenkarte in ein Kuvert, schloß es und trug dem Alten auf, sofort damit zu seiner Herrin zu gehen.

Kornelia saß mit ihrer Amme beim Morgenkaffee, hastig öffnete sie und las

Dr. N. F. Sievers
von der Detektei Smith & Co.

Sie schien anfangs ablehnend, überlegte, lächelte. Es schien sie plötzlich zu reizen; auf alle Fälle wollte sie den Mann sehen. Doch als Dr. Sievers gleich darauf eintrat, erschrak sie und bereute im selben Augenblick auch schon, ihn empfangen zu haben.

Sievers stellte sich vor und sagte: »Ich glaube versichern zu können, daß ich in drei Tagen den Dieb entlarvt habe.«

Kornelia schloß die Augen, wurde blaß.

In einem Spiegel, der sich im Hute des Detektivs befand, beobachtete dieser genau jede Veränderung in dem Gesicht Kornelias.

»Sie versprechen viel!« sagte sie.

»Nicht mehr als ich halten kann.«

Ihre Angst wich jetzt der Lust am Abenteuer.

»Und wie beabsichtigen Sie, das anzustellen?«

»Das freilich muß mein Geheimnis bleiben.«

»Mir dürfen Sie es wohl verraten.«

»Bedaure! – das ist nicht etwa Mißtrauen . . .«

»Sie vergessen, daß ich hier Herrin bin!«

»Durchaus nicht! Aber nach Allem, was ich höre, handelt es sich hier um eine mit äußerstem Geschick und Geist arbeitende Person, die möglicherweise in Ihrer nächsten Umgebung ist und Ihnen alles, was Sie wissen, vom Gesicht abliest. Derartige Fälle von Gedankenübertragung . . .«

Außer meiner Amme ist niemand um mich.«

»Da ich in drei Tagen bereits in ähnlicher Mission in Paris sein muß, so bitte ich, sofort an die Arbeit gehen zu dürfen.«

»Dem steht nichts im Wege.«

»Wollen Sie Ihren Diener bitten, mir ein Zimmer anzuweisen?«

»Wie? – Sie wollen hier wohnen?«

»Selbstverständlich! – Und zwar ganz offiziell – als Ihr Gast.«

»Unmöglich!«

»Verzeihung! – Ich habe einen bestimmten Auftrag. Wie ich mich dessen entledige, ist meine Sache.«

»Hier geschieht, was ich will!«

»Nehmen Sie mir meine Offenheit nicht übel, aber vergessen Sie nicht, daß jede Behinderung in meiner Arbeit, den Dieb zu entlarven, ungünstig auf das bereits gefährdete Renommée des Schlosses Vestrum wirken würde.«

»Das geht lediglich mich an!«

Der Detektiv verbeugte sich und sagte: »Verzeihung!«

Kornelia läutete und trug dem eintretenden Diener auf, dem Detektiv ein Zimmer anzuweisen.

»Im Übrigen hat der Herr Zutritt zu allen Räumen, in und außerhalb des Schlosses; sagen Sie das den Leuten.«

Dr. Sievers ging mit dem Diener hinaus. Der Dackel, der sich knurrend verkrochen hatte, kam unter der Chaiselongue hervor und ging an Kornelia hoch. Der Barsoi Ivan aber, der sonst auf's Wort parierte, hob wohl den Kopf und spitzte die Ohren, als Kornelia rief, wich aber nicht von der Seite der Schäferhündin, die dem Detektiv die Treppe hinauffolgte. Dieser Ungehorsam Ivans, der ihr im Kampfe mit dem Detektiv ein Bundesgenosse sein sollte, verstimmte Kornelia.

Den ganzen Tag nahm der Detektiv Besichtigungen in und außerhalb des Schlosses vor, machte sich Notizen und erzählte den Leuten, daß er an einem Werke über alte Schlösser arbeite. Besondere Aufmerksamkeit schenkte er den Gewölben im Keller, die kein Ende nahmen, deren Wände und Böden er beklopfte, so daß der Hausmeister, der stets in seiner Begleitung war, ihn fragte, ob er etwa einem verborgenen Schatze auf die Spur zu kommen hoffe.

Gegen Mittag erschien er wieder im Salon Kornelias und wurde übermütig von ihr empfangen: »Nun? haben Sie ihn?«

»Beinahe!«

Wieder erschrak Kornelia, wieder nahm der Detektiv es wahr.

»Aber bezichtigen Sie keinen Falschen!«

»Ich bezichtige nicht, ich überführe!«

»Eine Tätigkeit haben Sie, die mich reizen könnte.«

»Ich nehme Ihre Hilfe gern an.«

»Verfügen Sie über mich!«

»Sie dürfen sich darauf verlassen, daß ich Sie in Anspruch nehme.«

Kornelia brachte im Spiegel ihr Haar, das sich gelockert hatte, in Ordnung.

»Würden Sie mir diese kostbare Spange auf kurze Zeit überlassen?« fragte der Detektiv.

»Aber mit Vergnügen!« erwiderte sie und zog die Spange aus dem Haar.

»Wir wollen sie hier in diese Schachtel tun und sehen, ob sie morgen noch an derselben Stelle liegt.«

Ein Lächeln zog über Kornelias Gesicht.

»Und wer ersetzt mir die Spange, wenn sie fehlt?«

Der Detektiv verbeugte sich und sagte: »Ich!«

Diese Bewegung, die etwas Charakteristisches hatte, kam Kornelia bekannt vor. Sie fuhr zusammen, sah ihn groß an und sagte: »Sind wir uns nicht schon einmal begegnet?«

»Im Büro Dr. Kargerts,« erwiderte er.

»Mag sein!« sagte Kornelia und beruhigte sich. –

Als Kornelia spät abends in ihrem Schlafzimmer war und den Dackel zu sich auf den Schoß nahm, hinterließen seine Pfoten weiße Flecke auf ihrem dunklen Kleide. Sie sprang auf, ging auf den Korridor und nahm wahr, daß von der Bibliothek aus, den ganzen Flur entlang, Mehl gestreut war. Ins Schlafzimmer zurückgekehrt, überzeugte sie sich zunächst, daß alles wie sonst an Ort und Stelle lag. Während sich der Barsoi teilnahmslos an der Tür niedergelegt hatte, schnüffelte der Dackel an den Vorhängen des Fensters herum und erregte damit Kornelias Aufmerksamkeit. Sie trat heran und nahm zu ihrem Erstaunen wahr, daß die Vorhänge, obgleich sie zugezogen waren, nicht ganz schlossen, und eine nähere Beobachtung ergab, daß der Rand des Vorhangs an einer Stelle mit Gummiarabikum umklebt war.

Einen Augenblick lang stand ihr Herz still. Also verdächtigte der Detektiv auch sie! Zum ersten Male kam ihr zum Bewußtsein, in welche Situation sie zu geraten drohe, erkannte sie die Gefahr, in der sie schwebte, und alles in ihr drängte zur Abwehr. Unten am Schloß lagen hohe Kieferstämme, die vor kurzem gefällt waren, schon dieser Tage, als sie daran vorüberging, war ihr der Gedanke gekommen, daß diese Stämme aufgerichtet bis an ihr Fenster reichen würden. Sie kombinierte eben, da sah sie auch schon im Spiegel des Schrankes, der gegenüber dem Fenster stand, die Hälfte des Gesichts eines Mannes, das niemand anderem gehörte als dem Detektiv.

Ihre Nerven waren auf's Äußerste gespannt. Der Mann, der sie herausforderte, mußte unterliegen. In fieberhafter Hast lief sie im Zimmer umher, dicht am Fenster vorbei, packte Kleider ein und aus, stellte Stühle, Vasen, kleine Tische um, vermied, dabei in den Spiegel zu sehen, und huschte auffällig oft an dem Fenster vorüber. Dann nahm sie von dem Kamin eine hohe Standuhr und stellte sie auf das Fensterbrett, so daß die Öffnung völlig verdeckt war. An einen unbeleuchteten Arm der Deckenkrone hing sie hastig ein langes, seidenes, vielfach geschlitztes Tuch auf, rückte eine hellleuchtende Stehlampe dahinter, stellte einen Ventilator auf, so daß das Seidentuch durch den Luftzug in milde Bewegung geriet. Dann lief sie aus dem Zimmer.

Und der Detektiv draußen auf seinem Kieferstamm, der zuvor sein Gesicht dicht an die Fensterscheibe gepreßt hatte, starrte entsetzt die hinter dem Fenster sich hin- und herbewegenden Schatten an.

Kornelia nutzte die Zeit. Aus einer Kommode im Nebenzimmer holte sie ein paar Riesenfilzschuhe und ein paar Kinderschuhe, die sich die Arbeiter und Kinder bei den Bescherungen über ihre benagelten Stiefel zu ziehen pflegten, stieg in die großen Schuhe selbst hinein, befestigte sie, da sie ihr viel zu groß waren, mit einem dünnen Draht und zog dem Barsoi die Kinderschuhe über. Dann ging sie eilig den Korridor entlang und zwar in seiner ganzen Länge, kehrte um, verschwand im Salon, steckte dem Barsoi ein seidenes Tuch in die Schnauze, ließ ihn die Schachtel vom Tisch auf die Kommode stellen und dann erst die Brillantspange aufnehmen, trieb ihn in das Zimmer des Detektivs, wo er die Spange auf ihr Geheiß, das sie vom Korridor aus gab, in seine offene Handtasche fallen ließ. Dann kehrte sie in ihr Schlafzimmer zurück, stellte den Ventilator ab, ging noch ein paar Male im Zimmer hin und her und begab sich, zufriedener mit sich denn je, zur Ruhe.

Und am nächsten Morgen:

Der Detektiv betrat als Erster den Salon. Er war kaum im Zimmer, da erschien von der anderen Seite auch schon Kornelia.

»Nun – – sind sie am Ziel? Ist die Nadel da?«

»Sie ist gestohlen!«

»Von wem?«

»Das werden wir in wenigen Stunden wissen.«

»Sind sie dessen ganz sicher?«

Der Detektiv wies auf die Spuren auf dem Fußboden und sagte: »Ein Mann mit ungewöhnlich großen Füßen, der aus irgendeinem Grunde zwei Kinder bei sich hatte.«

»Zwei Kinder? Das wäre doch sinnlos!«

»Vielleicht, weil sie schreien, wenn er sie allein läßt!«

»Auf was so ein Detektiv nicht alles kommt!«

»Und dann – – sehen Sie hier!« Er nahm den Karton, in dem die Nadel gelegen hatte, behutsam auf. – – »Hier werden wir einen noch zuverlässigeren Zeugen haben, nämlich die Fingerabdrücke!«

»Sind sie sehr deutlich?«

Das Gesicht des Detektivs wurde länger.

»Sonderbar! Ich sehe nichts.«

»Am Ende erklärt das das Beisein der Kinder. Oder sind die Spuren von Kinderhänden ebenso deutlich erkennbar?«

»Das ist eine ganz tolle Geschichte!«

»Führen die Spuren denn bis zur Treppe?«

»So weit ich gestreut habe.«

»Wie weit ist das?«

»Leider nur den Korridor entlang!«

»Das ist aber ungeschickt, mein Herr! – Da scheinen Sie ja Verdacht auf eine ganz bestimmte Person zu haben.«

Der Detektiv machte ein sehr dummes Gesicht.

»Haben Sie die ganze Nacht darauf verwandt?« fragte sie weiter. »Sie sehen stark übermüdet aus.«

Das klang so spöttisch, daß der Detektiv sagte: »Sie vergessen, daß ich in Ihrem Interesse arbeite.«

»Was zunächst den Verlust einer wertvollen Nadel zur Folge hat.«

»Nadel und Dieb werde ich zur Stelle schaffen!« versicherte der Detektiv, verbeugte sich und ließ Kornelia, die über ihren Erfolg stark belustigt war, zurück. Sie setzte sich an den Schreibtisch und schrieb an Dr. Kargert:

Lieber Freund!

Der Detektiv, den Sie mir geschickt haben, ist ein Trottel! Bitte berufen Sie ihn sofort ab und überlassen Sie alles weitere mir. Herzlich ergeben

Ihre    
Kornelia.

Der Detektiv ging auf sein Zimmer und schloß sich ein. Er nahm Bart und Brille ab, wusch sich und traute seinen Augen nicht, als er im Begriff, ein paar Toilettengegenstände aus der Tasche herauszunehmen, auf die Nadel Kornelias stieß.

Er erschrak aber noch mehr, als er, ohne es zu wollen, plötzlich laut vor sich hinsagte: »Diese Frau ist mir überlegen!«

Er tat die Nadel in eine Schachtel und schrieb:

Sehr Verehrte!

Hier ist zunächst einmal die Nadel, die ich dem Diebe persönlich abnahm! – Den Dieb selbst überantworte ich Ihnen später.

In aller Hochachtung
Dr. Sievers.      

Kornelia saß vor Brief und Schachtel, ohne recht zu wissen, was sie damit anfangen sollte. Aber ein unbehagliches Gefühl beschlich sie doch; und so ungern sie Schloß Vestrum auch nur auf kurze Zeit den Rücken wandte – – an diesem Vormittag wäre sie am liebsten auf Wochen, gleichviel wohin, gefahren.

* * *


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