Artur Landsberger
Das Blut
Artur Landsberger

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Fieberhaft war die Tätigkeit, die Johannes in dieser Zeit entwickelte. Bevor er ganz öffentlich als der Erwählte Kornelia van Vestrums galt, sprach er mit Kargert und der Amme, in deren Hände er die letzte Entschließung legte.

»Sie Beide!« sagte er, »kennen Kornelia am besten. Sie, Robert Kargert, kennen auch mich. Ich bin nicht mehr der Jüngste, habe ein bewegtes Leben hinter mir, bin reif für die Ehe. Ich bin immer ein Kämpfer gewesen. Ein Troubadour war ich nie. Ich werde auch auf Schloß Vestrum auf Kraft und Gesundheit achten und nicht als Minnesänger mit der Laute zu Kornelias Füßen sitzen. Sentimentalität ist ihrem Wesen nicht förderlich. Hätte sie mehr Kraft und Selbstvertrauen besessen, nie wäre geschehen, was geschehen ist.«

Kargert war überzeugt und gestand sich, daß er nicht der richtige Mann für Kornelia gewesen wäre. Sie war bei Johannes außer Gefahr und in sicherer Obhut.

Auch die Amme, durch Brigitte vorbereitet, verschloß sich nicht der Einsicht, daß nach all den Erschütterungen für Kornelia und Schloß Vestrum eine starke Hand und ein zielbewußter Wille notwendig waren. Beides, was Kargert nicht zu geben vermochte, bot Johannes. Und so unterstützten sie ihn in seiner Absicht und gaben der Überzeugung Ausdruck, daß diese Verbindung im Interesse Kornelias durchaus wünschenswert sei.

Kurz darauf stellte Kornelia der Dienerschaft Johannes van Gudry als ihren Verlobten vor.

Von nun an war es selbstverständlich, daß er unangemeldet im Schlosse aus- und einging. Und als er im Auftrage Brigittes, die ihn schon jetzt als Herrn schalten ließ, die Weisung gab, alle Räume, Böden, Decken und Wände nach einem Gemälde abzusuchen, auf dessen Entdeckung er eine hohe Belohnung setzte, rührten sich Tagelang von früh bis spät alle Hände.

Aber sie fanden nichts.

Machte der Wert des Bildes auch nur einen verschwindenden Bruchteil von dem Gesamtwert dessen aus, was Schloß Vestrum repräsentierte, so ließen Sammlerleidenschaft und der Trieb, einmal Begonnenes zu Ende zu führen, Johannes keine Ruhe. Dabei beging er, wie die meisten Menschen, den Fehler, dem am Nächstliegenden keine Aufmerksamkeit zu schenken.

Zwar ließ er aus der Bibliothek, in der die Ahnenbilder hingen, sämtliche Bücher entfernen und die Wände beklopfen. Aber an den Ahnenbildern selbst, den Gobelins und dem Spiegel rührte er nicht, weil er sich als standesbewußter Herr van Gudry sagte, daß dies geheimgehaltene, von der Mesalliance eines der Ahnen zeugende Bild nicht in diesen heiligen Räumen hängen werde. –

Gleichzeitig mit diesen Nachforschungen liefen wichtige Veränderungen, die den Zweck hatten, letzte Unterschiede zwischen Kornelia und Brigitte zu beseitigen. Es hatte sich an Hand von Kornelias Schuhen herausgestellt, daß Brigitte einen schmaleren Fuß hatte.

»Das nutzen wir aus!« sagte Johannes. Und als ihn Brigitte verständnislos ansah, fuhr er fort: »Die Schuhe Kornelias werden verbrannt! sämtlich! neue und alte! Und für jedes dieser Paare bekommst du ein neues, eng an deinen Fuß anschließendes. Du trägst sie ab, und zwar gewaltsam, bis sie aussehen, wie diese hier. Und wenn du Tag und Nacht darin herumlaufen mußt.«

»Was soll das?« fragte Brigitte.

»Es könnte sein, daß Kornelia eines Tages hier auftritt und die Stirn hat, zu behaupten, sie sei die rechtmäßige Herrin.«

»Ach du lieber Gott!« sagte Brigitte enttäuscht. »Das hältst du für möglich? dem hast du keinen Riegel vorgeschoben?«

»Doch! aber man muß jede Möglichkeit ins Auge fassen – auch die unwahrscheinlichste.«

»Und mit einem paar Dutzend Stiefeln glaubst du ihre Unrechtmäßigkeit nachzuweisen?« fragte sie spöttisch.

»Die nebensächlichsten Dinge entscheiden oft die wichtigsten Fragen. Im übrigen ist das nur eins unter vielem. Denke dir, Kornelias Schuhe werden hervorgeholt – sie passen dir und ihr nicht! Ja, dieser stumme Zeuge bewiese mehr als ein Dutzend Lebender.

»Du bist mit allen Wassern gewaschen,« sagte Brigitte.

»Und du brauchst dich auch nicht zu verstecken,« erwiderte Johannes. »Hier!« – er warf ihr ein Paar langer, grauer Schweden zu, die er aus einer Kommode Kornelias nahm – »zieh' sie mal über, ob sie dir passen.«

Sie saßen wie angegossen.

»Schade!« sagte Brigitte, »wir hätten es sonst mit den Handschuhen ebenso machen können. – Wie ist es denn mit den Hüten?« –

Sie setzte einen Hut Kornelias auf, der ihr entschieden zu breit war. Daraufhin wurden sämtliche Hüte von einem zuverlässigen und sachverständigen Menschen verändert.

Auch das Parfüm, das Kornelia benutzte, wurde nachbestellt, ebenso die Badesalze, Seifen und Puder, was zur Folge hatte, daß, zunächst den Menschen, auch der Barsoi nach kurzem Schwanken der Täuschung verfiel und Brigitte für Kornelia hielt, während der Dackel wohl aus seinem Korbe hervorkroch und Brigitte von allen Seiten beschnupperte, sie dann aber verächtlich ansah, und mit eingezogener Rute in seinen Korb zurückkehrte. Auch daß Brigitte ihm auf Johannes Rat des Nachts getragene Wäsche von sich in den Korb legte, verfing nicht. Er stupste sie, sobald es dunkel war, mit der Schnauze heraus und verscharrte sie unter einen Schrank oder in eine Ecke. Und sie konnte ihn so lieb oder so energisch rufen wie sie wollte, ihn mit dem leckersten Knochen reizen – er kam wohl aus seinem Korb hervor, sah sie scheel von der Seite an, knurrte und verkroch sich unter das Bett.

Er war aber auch der Einzige von etwa Hundert, die Brigitte die Gefolgschaft versagten. Alle Anderen liebdienten wenn möglich noch eifriger als zuvor und fanden, daß ihre Herrin trotz des Erlebten jünger und schöner geworden sei.

Das Erlebte selbst, über das die unsinnigsten Dinge im Umlaufe waren, erhöhte den geheimnisvollen Reiz, der von jeher über ihre Person gebreitet war.

Es waren kaum acht Tage vergangen, da sagte die Amme zu Kargert: »Sie ist dieselbe geblieben. In Allem! Nur ruhiger und gründlicher ist sie geworden.«

Und als Beweis dafür führte sie an, daß sie doppelt so lange wie früher des Abends die Bibel las und mit weit größerer Sorgfalt beim Schlafengehen die Haare steckte.

»Sie spricht auch wieder wie früher,« versicherte sie lebhaft. »Anfangs schien mir in ihrem Blick und in ihrem Organ eine Veränderung vorgegangen zu sein. Alles das ist jetzt nicht mehr! Wir haben sie wieder, ganz so, wie sie war.«

Es war die Gewohnheit, die die Amme auch in der Stimme keinen Unterschied mehr finden ließ, den Kargert, – im Gegensatz zu Johannes, mit dem er darüber sprach – noch immer wahrnahm und den er sich mit allem Möglichen erklärte, nur nicht damit, daß die Trägerin eine andere war. Der Gedanke kam Niemandem auch nur für einen Augenblick.

Ja! Wenn der Dackel hätte sprechen können! Neben dem Körbchen, in dem er nachts, und seit Kornelias Verschwinden meist auch am Tage, lag, stand eine Art Truhe, in der die Zofe Kornelias schmutzige Wäsche aufbewahrte. Schon früher hatte es den Dackel zu dieser Truhe gezogen, in der er es sich in unbewachten Stunden heimisch machte. Hier fühlte er sich, die Nase tief in die Wäsche versteckt, seiner Herrin besonders nahe! Hier war er Dackel, hier durft' er's sein!

Seit Kornelias Verschwinden war die Truhe eine heimliche Zuflucht für seinen stillen Kummer geworden. Stunden glücklichen Erinnerns verlebte er hier im Traum, in dem – wer kümmerte sich noch um ihn! – kein Mensch ihn störte.

Aber aus diesem Liebestempel stürmten ihm außer lieben Erinnerungen auch süße Düfte seiner Herrin entgegen, die er dann den ganzen Tag über in seiner Nase mit sich herumtrug und die ihn immun gegen alle Annäherungsversuche Brigittens machten.

Diese fremde Person, die sich in dem Bett Kornelias breit machte, haßte er. Und er verstand nicht, wie mit allen anderen auch die Amme – die einzige, der er Vertrauen entgegenbrachte – auf diesen plumpen Schwindel hineinfallen konnte.

Außer ihm war es nur noch Kornelias Lieblingsstute Betty, die, wenn Brigitte auf ihrem Rücken saß, keinen Augenblick lang an Kornelia dachte. Aber darin erschöpfte sich auch ihr Protest – sofern man das als Protest bezeichnen kann. Denn sie nahm gern und täglich den Zucker, den Brigitte ihr reichte, und ließ ihn sich genau so munden, als wenn er von Kornelia käme.

Da Kornelia aus Gründen, die in ihrem ererbten Triebe lagen, der sie vorsichtig erst, dann menschenscheu werden ließ, für sich gelebt und sich nur wenig um ihre Leute gekümmert hatte, so war es für Brigitte nicht schwer, sich die Sympathien ihrer Untergebenen zu gewinnen.

Sie nahm teil an allem, ging in die Arbeiterhäuser, besserte die Gehälter auf, half, wo Kinder oder Kranke waren, in der Lebensführung nach und zeigte für jeden Wunsch und jede Forderung Verständnis und Gehör.

Alles das geschah genau nach den Anweisungen, die Johannes gab. Auch er gab sich Mühe, freundlich zu erscheinen, heuchelte Teilnahme, verbesserte Anlagen und tat, als wenn sich seine Welt in der Bewirtschaftung des Schlosses und seiner Anlagen erschöpfte.

In Wahrheit verfolgte er ganz andere Pläne. – Diese Menschen kümmerten ihn den Teufel was! Sobald die Gefahr Kornelia endgültig beseitigt war, jagte er diese Tugendbolde sämtlich zum Teufel.

Dies Schloß mit seinen Jahrtausend alten Wäldern, mit seinen Gräben, Teichen, Verstecken, Türmen und verborgenen Gängen war von seinen Erbauern nicht errichtet worden, um dereinst als Musterstätte ehrlicher Arbeit, frommer Tugend und christlicher Nächstenliebe zu gelten. Hier hatten Jahrhunderte Faustrecht und Gewalt geherrscht, die sich den Teufel was um die Gesetze kümmerten. Kaufleute, die des Weges kamen und in der Ferne die Türme des Schlosses aufsteigen sahen, machten Halt oder änderten den Kurs, um mit ihrer Ware dem Raubritter vom Schlosse Vestrum nicht in die Hände zu fallen.

Schämte sich etwa einer der Nachkommen der Vestrums dieser Vergangenheit, von der die Chronik spaltenlang verkündete?

»Ich will die Ahnen ehren und die alte Zeit neu erstehen lassen – eine Raubburg soll Schloß Vestrum werden mit allem modernen Komfort!« – Er lachte laut, als er Peter Last seine Pläne entwickelte. »Der Name van Gudry auf Vestrum soll als der des größten Hochstaplers aller Zeiten jahrtausendelang guten Klang haben! Ich werde die Chronik meines Lebens selbst schreiben, die dann nach zweihundert Jahren veröffentlicht und alle Biographen, die in der Zwischenzeit mein Leben in Büchern einzusaugen suchten, widerlegen soll. Mit einem genauen Verzeichnis all der Kunstschätze, die ich in den fünf Weltteilen zusammengestohlen habe. Der Menschheit werden die Augen übergehen und an den Börsen die Aktien der Versicherungsgesellschaften einen ungewohnten Kurssturz erleiden.«

»Schade, daß wir das nicht miterleben,« meinte Peter Last.

»Was wir erleben, ist tausendmal großartiger!« begeisterte sich Johannes. »Wir werden die ganze Welt in Aufruhr versetzen. Das Märchen von dem Gespenst, das auf Schloß Vestrum herumschleicht und von dem sich bisher nur ängstliche Kinder und alte Weiber etwas erzählen, muß religiös aufgeputzt werden und internationale Berühmtheit erlangen. Schloß Vestrum muß ein Wallfahrtsort der Begüterten dieser Erde werden! – Es gibt keine Dummheit, die, richtig verkündet, nicht geglaubt wird. Das jahrhundertelang im Schloß verborgen gehaltene Bild von Frans Hals muß ans Tageslicht! Wie ein Wunder muß sein plötzliches Erscheinen wirken.«

»Es könnte vielleicht das Gespenst ablösen,« meinte Peter Last und schüttelte sich vor Lachen.

»Gewiß könnte es das,« erwiderte Johannes. »Aber erst, nachdem es uns als Mensch von Fleisch und Blut erschienen ist und uns verkündet hat: ›Wer mich schaut, und an mich glaubt, dem werden die Schätze der Welt in den Schoß fallen.‹ – Drei-, viermal im Jahre wird es erscheinen – je nachdem es uns beliebt. – Aber zwölf Monate lang wird die Menschheit in und um Vestrum auf das große Wunder warten und ihm Opfer bringen.«

»Und wenn wir das Bild nicht finden, so muß es geschaffen werden.«

Johannes schüttelte den Kopf und sagte: »Nein! – Es wird, wie überall, so auch hier, ein paar Menschen geben, die einen klaren Kopf behalten, das Maul aufreißen und ›Schwindel!‹ schreien. Indem man die Echtheit des Frans Hals nachweist, bringt man sie zum Schweigen und stärkt und vertieft zugleich den Glauben der Dummen.«

»Wir müssen Kornelia zwingen.«

»Das werden wir tun, verlaß dich drauf! – Mit Hilfe dieses Bildes kann man einen neuen Glauben schaffen und die halbe Welt aus den Fugen heben.«

* * *


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