Artur Landsberger
Das Blut
Artur Landsberger

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Achtes Kapitel.

Mit seinem Manöver hatte Johannes van Gudry erreicht, daß Kornelia ohne jedes Widerstreben, ja wie selbstverständlich, mit ihm ausgestiegen war und sich in einer seiner Wohnungen, die irgendwo im Norden der Stadt lag, ein Zimmer hatte anweisen lassen, das alles andere als freundlich und behaglich war.

Auch die alte Frau, die er ihr als Bedienung brachte, flößte wenig Vertrauen ein.

»Bis wir eine Form für Ihre Rückkehr gefunden haben, ist es notwendig, daß nur zuverlässige und uninteressierte Menschen, die nicht neugierig sind, nichts fragen und niemandem Auskunft geben, um Sie sind,« sagte er. »Hier vermutet Sie niemand. Die Frau ist nur für Sie da. Jenseits des Flurs wohne ich mit meinem Diener und stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.«

Auf Kornelia wirkte zunächst das Gefühl der Sicherheit und der Glaube an Gudrys Takt und guten Willen beruhigend. Daher litt sie denn auch nicht übermäßig unter dem ungewohnten Milieu, das sie, voll von Gedanken, Plänen, Erwartungen, kaum beachtete.

Und Johannes van Gudry umgab sie mit allem, was sich ein anspruchsvoller Mensch wünschen konnte. Dabei blieb er ihr selbst gegenüber zurückhaltend und sprach – was ihr Ruhe gab und Achtung abnötigte – nie mehr von Wünschen und Gefühlen, die ihn und sie betrafen. Aber mit einer Meisterschaft, die sie nicht einmal die Absicht spüren ließ, hielt er in ihr den Eindruck wach und vertiefte ihn, daß ihre Situation verzweifelt und, wenn überhaupt, dann nur durch ihn zu retten sei.

Schon am zweiten Tage durfte er so, daß es in ihre Stimmung paßte, zu ihr sagen: »Bin ich Ihnen noch immer so unsympathisch?«

Aus voller Überzeugung erwiderte sie: »Nein!«

»Man soll Menschen nie nach dem ersten Eindruck beurteilen!«

»Ich hatte Furcht vor Ihnen.«

»Und nun?«

»Nun habe ich beinahe Vertrauen.«

»Ich befürchte, daß dies Vertrauen, das ich als meinen einzigen Lohn betrachte, nicht dazu beitragen wird, Ihre Leidenszeit hier zu verkürzen.«

»Wie soll ich das verstehen?«

»Niemand außer Ihnen weiß, daß ich der Detektiv war. Nehmen Sie an, es wäre ein pathologischer Verbrecher, der in der Maske irgendeines Ihrer Landarbeiter aus krankhafter Veranlagung oder aus Sport – auch das gibt es – seit langem in Ihrem Hause herumspukt.«

»Zu welchem Zweck?« fragte Kornelia.

»Einmal braucht man bei einem Kranken nicht nach logischen Gründen zu forschen, tut man es aber, was liegt dann näher, als daß dieser Verbrecher systematisch darauf ausging, Sie in seine Gewalt zu bekommen? Was mir der Zufall in die Hände spielte, könnte das Meisterstück eines abgefeimten Verbrechers sein.«

»Sie meinen, daß ein Anderer alles dies tat, um mich zu belasten und dann . . .?«

»Gewiß! – Ich sehe keinen anderen Ausweg.«

»Und wer sollte sich dazu hergeben?«

»Peter Last.«

Kornelia sprang auf und ergriff seine Hand.

»Der täte das?«

»Es hinge von mir ab. – Er ist meine Kreatur; glaubt an mich; tut, was ich ihm befehle.«

»Ja – – und weiter!« drängte Kornelia.

»Das eben ist es, was zu sagen mir widerstrebt.«

»Sie dürfen mir Alles sagen, Herr van Gudry!« Zum ersten Male nannte sie seinen Namen.

»Unserer Tragödie fehlt der Held. – Der Mann, der Tag und Nacht umherjagt, den Zusammenhängen nachspürt und schließlich Licht in den mysteriösen Fall bringt – – Sie verstehen, Fräulein Kornelia, dieser Mann könnte nur ich sein!«

Kornelia begriff.

»Da ich nun aber von Beruf weder Kommissar noch Detektiv bin, so könnte der Anlaß, um glaubhaft zu wirken, kaum etwas anderes als« – – er machte eine Pause – – »eine große Liebe sein.«

Kornelia zuckte zusammen.

»Der, und nur der würde man es glauben. Denn sie allein findet gefühlsmäßig den Weg, wo selbst letzte Weisheit versagt.«

»Das heißt mit anderen Worten, daß Sie und ich . . .« sagte Kornelia und schloß die Augen.

»Ja! – – Sie müßten sich dazu bekennen, meine Braut zu sein.«

Kornelia zitterte und entzog ihm die Hand.

»Also doch!« sagte sie und sah ihn forschend an.

Johannes schüttelte den Kopf.

»Wenn Sie mit dem Gefühl nicht dabei sind! Nein! ich bin Ihnen widerwärtig.«

»Nein! nein!!!« widersprach sie lebhaft und aus Überzeugung.

»Ich verzichte auf Schonung und finde mich damit ab! Sie lieben lammsanfte Männer wie diesen Kargert; Geschmacksache! Mir liegt es nicht, den Troubadour zu spielen und im Mondschein vor Ihrem Fenster zu schmachten. Aber, wenn der Teufel Sie eigenhändig zu seiner Großmutter verschleppt, dann pauke ich Sie heraus oder ich sterbe an Ihrer Seite.«

»Sie verkennen Kargert.«

»Sie brauchen einen Mann! keine Memme! Oder glauben Sie, daß Kargert die Kraft oder auch nur den Wunsch hat, auf Ihren Willen einzuwirken? – Zwei eiserne Fäuste müssen dauernd drohend vor Ihren Augen stehen! Sie müssen ständig in dem Gefühl leben, daß diese zwei Fäuste im selben Augenblick, in dem Ihre Hand nach etwas Fremdem greift, auf Sie niederrasseln. Sie müssen Ihren Trieb einem fremden Einfluß entgegenstellen, der stärker ist und nur von einem Manne herrühren kann, der ein Recht auf Sie hat.«

Kornelia schämte sich. Sie hatte das Gefühl, als stände sie von allem entblößt, womit sie sorgsam den Menschen gegenüber sich umkleidete, vor Johannes. Sie senkte den Kopf und sagte: »Quälen Sie mich nicht!«

Und zugleich erschrak sie über die Schärfe, mit der dieser Johannes van Gudry beobachtete.

»Ich will Ihnen im Gegenteil Ruhe geben,« erwiderte Johannes. »Es gibt für Sie nur ein Entweder – Oder. Im Zusammenleben mit einem Menschen wie Kargert zerfallen Sie nur immer tiefer mit sich selbst und treiben unrettbar der Katastrophe zu. Ein Dr. Kargert, der eines Tages Ihr – nun, nennen wir es mal: zweites Gesicht sähe, würde nicht das menschliche Verstehen aufbringen wie ich, sich vielmehr voll Abscheu von Ihnen abwenden oder Sie in eine Anstalt sperren.«

»So hören Sie auf, mich zu quälen!« wiederholte Kornelia.

Aber Johannes fuhr fort: »Sie dürfen die Augen nicht vor sich selbst verschließen. Ein Verbrecher, der sich zu seinem Gewerbe bekennt, ist ehrenhafter als eine Dirne, die sich mit einem Heiligenschein umgibt. Eine Ehe zwischen Kargert und Ihnen kann sich nur auf einer großen Lüge aufbauen. Sie werden, in ständiger Furcht, entdeckt zu werden . . .«

»Warum sagen Sie mir das alles?« unterbrach ihn Kornelia. »Alles das weiß ich und wäre, wenn es anders wäre, längst seine Frau.«

»Bringen Sie es nicht über sich, Ihr Leben in meine Hand zu legen, so bekennen Sie sich wenigstens zu dem, was Ihre Natur ist

»Sie meinen, ich sollte . . .« sagte sie zaghaft und sah zu ihm auf, als wenn sie sagen wollte: »das kann doch nicht Ihr Ernst sein!«

»Niemand ist für seine Veranlagung verantwortlich.«

»Nicht wahr? das habe ich mir oft gesagt!«

»Wem das Gemüt einer Taube beschert ist, hat es leicht, mit gefalteten Händen im Kirchstuhl zu sitzen; in wessen Adern aber das Blut von Rittern oder Zigeunern fließt . . .«

Kornelia entfärbte sich, sprang auf.

»Mir fällt es nicht ein,« fuhr van Gudry fort, »Leidenschaften zu unterdrücken, die mir überkommen sind. Gesetze, die ihre Existenz der Furcht und Feigheit besorgter Bürger verdanken, existieren für mich nicht! Ich tue, was mir gefällt, und kümmere mich den Teufel was um das Urteil der Menschen!«

»Das täten Sie?« sagte Kornelia laut und hatte zum ersten Male ein menschliches Gefühl für ihn.

»Für jede Leidenschaft, die ich mehr hätte, wäre ich Gott dankbar! Denn schließlich sind es ja doch nur die Leidenschaften, die unserem Leben so etwas wie Gehalt und Poesie geben.«

»Sie dächten also garnicht daran, dagegen anzukämpfen?«

»Ich würde sie pflegen, leidenschaftlich! – Und ich will Ihnen verraten, daß es bei mir nicht nur Theorie ist, sondern, daß mir von den Raubrittern, meinen Ahnen, Eigenschaften überkommen sind, die den Ihren verteufelt ähnlich sehen.«

Kornelias Augen glänzten. Das Bild der Zigeunerin stand plötzlich vor ihr. Die Augenlider halb gesenkt, sah es sie schmunzelnd an, lächelte verschmitzt und schien zu sagen: »Siehst du, dem solltest du folgen!«

»Allerdings, ich habe meine Spezialität! alte Bilder!« fuhr er fort, »Wenn Sie irgendwo von einem großen Bilderdiebstahl lesen, bei dem der Täter unermittelt bleibt, so können Sie darauf schwören, daß ich es bin.«

Und nun schilderte er mit einer Leidenschaft, die ihn selbst in Erstaunen setzte, die großen Freuden und starken Gemütsbewegungen bei der Ausführung seiner Meisterstücke. Dabei ließ er Kornelia nicht aus den Augen.

Sie stand mit weit geöffneten Augen da, hing an seinem Mund, krallte die Nägel in die Hände und packte ihn, als er eben, bildhaft vollendet, den Diebstahl in einer Gemäldegalerie beschrieb – wie er, ohne jede Absicht, nur des ästhetischen Genusses wegen durch die Säle ging, in einem Raume etwa ein Dutzend Menschen vor einem kleinen Bilde Bellinis stehen sah, das er aus Abbildungen und Beschreibungen schon lange liebte – wie die Sehnsucht ihn packte, das Bild zu besitzen, wie langsam erst, dann intensiver etwas in ihm dagegen ankämpfte und ihn zum Ausgang trieb, wie er sich umwandte und die Augen der Saaldiener auf sich gerichtet sah, wie deren Argwohn ihn von neuem reizte und trieb, wie ihm im selben Augenblick auch schon die Erleuchtung kam, er die Arme hochwarf, in den Nebenraum stürzte, Saaldiener und Publikum hinter ihm her, wie er von der Wand irgendeinen alten Meister riß und ihn einer hysterischen Frau, die schreiend neben ihm stand und die er nie zuvor gesehen hatte, in den Arm warf und ihr zurief: »Festhalten!« – wie die, gleichsam hypnotisiert, das Bild umklammerte, wie Saaldiener und Publikum aus allen Sälen zusammenliefen und sich auf die harmlose Frau stürzten, während er in aller Ruhe den Bellini von der Wand des nun völlig menschenleeren Raumes nahm, ihn unter dem Mantel verbarg und ungehindert damit ins Freie gelangte – wie er das voller Leidenschaft erzählte, da setzte auch Kornelia dem vererbten Triebe keine Hemmung mehr entgegen, sie sprang auf, nahm Johannes, der noch ganz im Erleben des erzählten Vorganges war, am Arm und bettelte:

»Ich auch – – ich will auch! Nehmen Sie mich mit!«

Johannes sah lächelnd auf sein Opfer, das arglos die Arme auf seine Schultern legte, ihn ansah und wie ein Kind um ein Spielzeug bat.

»Es gibt nichts Schöneres, nichts, was die Nerven mehr aufpeitscht,« fuhr Johannes fort. »Jedes Spiel, jeder Sport, jede Musik, jedes Narkotikum verblaßt daneben, weil es anstelle der Ohnmacht das Gefühl der Macht und Überlegenheit setzt. Denken Sie sich, Kornelia, Sie ständen in einem Ballsaal inmitten von Hunderten geputzter Menschen. Sie allein gegen Alle! Sie nähmen während des Tanzes vom Halse einer Frau, so sanft, daß die Fingerspitzen nicht einmal die Haut berühren, die kostbarste Kette und halten im selben Augenblick auch schon Millionen-Werte in Ihren Händen! Um was sich die emsigsten und gescheitesten Menschen ihr Lebenlang quälen, das ist für Sie die Tat eines Augenblicks, einer einzigen, genialen Handbewegung. – – Reif für das Tollhaus wären Sie, wenn Sie Ihre Gaben nicht nutzten, für die Sie denen auf Knien danken sollten, die sie Ihnen vererbten. Jedes Genie hat das Recht, sich auszuleben – ob zum Schaden oder Nutzen der Menschheit, geht das Genie nichts an. Hat Napoleon danach gefragt? Oder hat sich je die Menschheit um das Genie gekümmert? Die Verpflichtung bestände nur, wenn sie gegenseitig wäre! Ein Rembrandt, ein Verlaine verreckten im Rinnstein, ohne daß eine Hand sich für sie rührte. Seine Leidenschaft ausleben, darin liegt letzte Lebensweisheit!«

»Ich fühle wie Sie!« erwiderte Kornelia. »Geben Sie mir Gelegenheit! – – Oder glauben Sie, daß nur Sie . . .? Ich wage es mit Ihnen! gegen Sie! wie Sie wollen! Ich fürchte mich nicht! Nun schon garnicht, wo ich nichts mehr zu verlieren habe! frei bin!«

»Abgemacht!« sagte Johannes »ich werde Sie heute Abend auf einen Ball führen und Ihnen eine Dame zeigen, deren Halsschmuck berühmt ist.«

Kornelia bewegte nervös die Hände.

»Jetzt müßte es sein!« sagte sie lebhaft. »Halten Sie mich in Stimmung bis zum Abend! – Warum ist hier kein Flügel? Ich brauche Musik!«

»Frieda!« rief Johannes, und die alte Frau kam bestürzt und bedreckt herein. »Setz' dich drin ans Klavier und spiel'!«

»Aber das Essen steht auf dem . . .«

»Maul halten und spielen! verstanden!«

Frieda watschelte hinaus, und gleich darauf ertönten in künstlerischer Vollendung die Klänge von Puccinis Bohème.

Kornelia traute ihren Ohren nicht. Sie horchte gespannt zur Tür, war ergriffen: »Wer spielt da?«

»Die Alte!«

»Unmöglich!«

»Sie ist eine Künstlerin, die ich eines Tages bei einem Diebstahl ertappte und zu mir – rettete. Sie dankt es mir ihr Lebelang!«

»Ja . . . aber . . .« fragte Kornelia ängstlich.

»Ich habe ihren Willen gebrochen; sie ist mir völlig ergeben und tut, was ich will.«

»Schrecklich ist das!«

»Vor ein paar Jahren noch war sie sehr schön.«

»Und ich? – – was wird aus mir?«

»Eine Königin!« erwiderte Johannes, nahm ihre Hand und küßte sie, »deren gehorsamer Diener ich ewig sein möchte.«

»Wenn es nur erst Abend wäre!« sagte Kornelia ungeduldig. Johannes Erzählung und die aufreizende Musik ließen sie nicht lange über ihr Schicksal nachdenken. Sie war völlig von dem Trieb, dem sie, diesmal zum ersten Male bewußt, keinen Widerstand mehr entgegensetzte, beherrscht.

* * *


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