Friedo Lampe
Ratten und Schwäne
Friedo Lampe

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Tripp – Tripp – Tripp – kam Fips, der kleine braune Dackel herbeigelaufen, angelockt durch Addis ziehende Töne. Er blieb am Fuß der großen Buche stehen und schaute mit schiefgedrehtem Kopf und treuherzig glänzenden, neugierigen Äuglein in die Baumkrone zu seinem Herrn hinauf. Seine langen Ohrlappen steiften sich lauschend, und sein kleiner harter glatter Schwanz zuckte erregt und freudig hin und her. Und auf einmal bewirkte der Gesang das, was Addi mit all seiner mühsamen Dressur nicht hatte in Fips hineinbekommen können: wie hochgezogen von dem hellen zarten Gesang setzte sich Fips auf die Hinterbeine, hob die Vorderpfoten mit anmutigem Knick und machte hübsch. Unbewegt saß er so da, begeistert nach oben blickend, und nur sein kleiner Schwanz schlug dankbar den Boden.

95 Einige Leute sahen den männchenmachenden Hund mit diesem seligen spitzbübischen Gesicht, sie amüsierten sich und lachten, sie zeigten mit den Fingern auf das Tier, sie prusteten los. Einige glaubten, das gehöre zur Nummer, wohl die meisten, und fanden es fabelhaft, wie die Sache klappte. Das war mal eine reizende Vorführung. Was für eine überraschend lustige Wendung. Die Mütter dachten an ihre Kinder. Schade, daß sie zu Bett lagen und das nicht sahen.

»Vogliges Zeug«, sagte Oskar und schüttelte den Kopf. »Wie gesucht das Ganze. Die wissen auch nicht mehr, was sie machen sollen. Übrigens paß auf die Uhr, daß wir rechtzeitig zum Dampfer kommen.«

»Hoffentlich ist Bauer nicht mehr da, wenn wir hinkommen«, sagte Anton.

»Wenn er schlau ist.«

Der Hypnotiseur machte noch immer seine dirigierenden Handbewegungen und sah mit seinem rotbäckigen Gesicht verklärt nach oben, da hörte er das Lachen der Leute, sah zu Boden, sah den kleinen Hund, seine Hände dirigierten noch weiter, aber das selige Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden, finster und mit verhaltener Wut blickte er auf das Tier.

»Der Junge kann verflixt singen«, sagte Oskar, »aber das mit dem Hund, das finde ich nun ganz albern.«

Beide waren aufgestanden, um besser sehen zu können.

»Diese listigen Äuglein«, sagte Anton und lachte ein bißchen.

Der Hypnotiseur machte eine abschließende Bewegung: »Nun Schluß, Addi, meine Nachtigall – komm herunter – endige, endige den Gesang.«

Addi verstummte. Er erhob sich sofort aus der Gabelung und kletterte mit ruckartigen Bewegungen und 96 zauberhafter Fixigkeit von Ast zu Ast, glitt leicht und mühelos am Stamm herab, war schon halb unten, da sah ihn Fips. Der Hund hatte sich, sobald der Gesang aufhörte, wieder auf die Vorderbeine fallen lassen, und als er Addi nun sah, da fing er plötzlich an zu bellen, kurz, hart und freudig. Addi, von dem Gebell erweckt, schlug die Augen auf, blickte zutiefst erschrocken um sich, wußte gar nicht, wo er war, blickte in den Baum, in den Garten, auf die Leute und Lichter mit totenblasser Miene, seine Hände ließen die Zweige los, er schwankte –

Da sprang der Hypnotiseur von der Bühne in den Garten und unter den Baum, auch der Conferencier, der im Dunkel der Veranda an der Wand gelehnt hatte, schoß herbei: »Er fällt, halten Sie ihn, stellen Sie sich dahin. Hoppla!« Und sie fingen ihn beide in ihren Armen auf. »Ist schon gut, ist ja nichts«, sagte der Conferencier über Addis Gesicht gebeugt. »Siehst du, ich bin's ja.«

»Wo bin ich denn«, fragte Addi leise.

»Hier im Garten, siehst du. Da bin ich, und da ist dein Papa.«

Das Publikum klatschte begeistert. Eine glänzend gelungene Nummer. Der Hypnotiseur hielt Addi hinten am Kragen aufrecht, er verbeugte sich, Hacken zusammen, er mußte Addi nach unten drücken. »Verbeugung, nimm dich doch einen Augenblick zusammen.« Fips stand neben Addi und sah ihn wedelnd an. Neben Fips stand der Conferencier mit bedenklichem Blick auf den Jungen.

Die Musik setzte mit einem frischen Marsch ein, und der Hypnotiseur führte den Jungen über die Bühne in den Hinterhof, wo die Ulme und die Kulissen standen, 97 und von da in die Holzbaracke. Addi weinte leise. »Alte Heulliese.«

In ihrem Garderobenraum legte er ihn dann doch auf die Chaiselongue, »da kannst du ja liegen und schlafen. Was willst du denn mehr? Wie so'n Pascha liegt er da.« Er lachte, aber Addi lachte nicht mit, er setzte sich aufrecht, faßte sich an den Leib und würgte, er sah den Vater verzweifelt an. Sein Gesicht war grünlich-blaß.

»Wenn du kotzen mußt, dann hättest du das doch gleich sagen können, dann wären wir zum Klosett gegangen. Nun gehts wieder auf den Boden und nachher haben wir wieder die Scherereien mit dem Direktor.«

Addi würgte und würgte, der kleine Hund stand neben der Chaiselongue und blickte ihn mit schiefgedrehtem Kopf und gekrauster Stirn an. Addi wollte noch aufstehen, aber da kam es schon, und er hing über den Chaiselonguerand.

»Sie müssen ihn auf den Rücken klopfen, das lindert«, sagte der Conferencier, der gerade eingetreten war, und als der Vater es nicht tat, tat er es selber. »Sehen Sie nun endlich ein, daß das eine elende Menschenschinderei ist«, sagte er, als Addi sich erschöpft zurückgelegt hatte.

»Daran ist nur allein der Dreckköter schuld«, sagte der Hypnotiseur, »sonst wäre alles glatt gegangen.« Und er gab Fips, der mit der Nase am Boden schnüffelte, einen Tritt, daß er winselnd in die Ecke flog. »Morgen verkauf ich dich, du Mistvieh, und wenn ich dich nicht verkaufen kann, dann ersäuf ich dich, sollst mal sehen.«

Addi begann wieder zu weinen, er erhob sich und wollte zu Fips in die Ecke. »Fips nicht wehtun. Bitte, bitte. Oh, das tut ihm ja so weh!«

98 Da faßte ihn der Vater am Matrosenkragen wie eine Katze und legte ihn mit festem Schwung auf die Chaiselongue zurück. »Da bleib.«

Plötzlich kam es über ihn wie eine Erleuchtung. »Finden Sie nicht auch«, sagte er zum Conferencier, »daß man mit dem Hund zusammen eine Nummer machen könnte? Das wäre doch eine reizvolle Zutat.«

»Da kann ich ihnen wirklich nicht raten«, sagte der Conferencier und verließ den Garderoberaum.

 

Die beiden Schwäne schliefen vor ihrem Häuschen, den Kopf im Gefieder, und das Häuschen schwamm mitten im Wasser, und das Wasser war ganz schwarz, dick und schwer, man konnte gar nicht etwas hineinsehen. Nirgends war ein Licht, und die Luft war schwül und legte sich um die Schwäne und das Häuschen und auf das Wasser, und alles war eine dicke, schwarze, volle Dunkelheit, und man hatte das Gefühl, daß man nur schwer durch diese Luft durchkam, und daß sie weich und rauchig einen umfloß und umdrängte und hinderte beim Vorwärtsgehen, Vorwärtsgleiten. Aber man mußte doch über den Graben, wenn man alles sehen wollte. Ich will ja gar nichts sehen, dachte Luise, das will ich ja nicht sehen, was da passiert, aber dann zog es sie, und sie glitt hin, schwebte übers Wasser, sie mußte die Schwäne sehen, vom Ufer aus konnte sie das noch nicht. Ein Wunder war's, daß das Gefieder der Schwäne in dieser Schwärze noch so matt schimmerte, ja, sie mußten sehr, sehr weiß sein, daß sie jetzt noch etwas grauweiß schimmerten, und sie wurden immer leuchtender, immer weißer, je näher sie kam. Da pfiff es auch schon vom Ufer herüber. Luise wollte 99 den Schwänen helfen, sie wußte ja was kam, aber da hatte sie keine Hände zum Greifen, konnte sich gar nicht bewegen, wo war sie denn? Viele leise Pfiffe. Luise wußte wohl, wer das war – aber würden sie denn rüberkommen? Die konnten doch gar nicht schwimmen. Luise atmete schon auf, sie mußte sogar etwas lachen über die kleinen Luder. Aber da bekam sie einen furchtbaren Schreck: sie konnten ja schwimmen, und da warfen sie sich ja auch schon ins Wasser – platsch, platsch, platsch – sie sah sie nicht, aber sie hörte sie, ihre kleinen, runden Leiber schossen durchs Wasser, angetrieben durch die kleinen Füße und durch den zuckenden, stoßenden Schwanz. Hui – hopp! sprang eine auf die Platte vom Schwanenhäuschen, hopp zwei, hopp drei und happ, happ, happ in die Schwäne, die spitzen Zähne in die weißen Schwanenleiber, und aufschreien die Vögel erwachend, schon halb tot gebissen, strecken die Hälse so lang und schreien gell und klagend, spreiten die Flügel noch einmal weit und schlagen sie angstvoll. An jedem Schwan hängen ein paar von den Biestern, beißen sich, saugen sich fest, schütteln und zerren und zausen an den armen Tieren, und das Blut fließt in Strömen über die weißen Leiber in das Wasser, das Wasser spritzt auf, und die Federn fliegen umher und fallen still in die Flut. Und dann sinken auch die Schwäne über den Plattenrand ins Wasser, und sie werden von den Blutsaugern hinuntergezogen, tief hinunter, und verschwinden.

Luise war dabei, sie mußte dabei sein und konnte nichts tun, sie glitt hin und her, aber sie hatte keine Hände zum Helfen, alles geschah, und sie mußte es mit ansehen und wollte schreien, machte den Mund 100 auf, aber da sank sie unter in das Wasser, das blutige Wasser, hinuntergezogen, gurgelnd –

Und da, da konnte sie plötzlich, plötzlich schreien, gurgelnd, das blutige dicke Wasser in der Kehle: »Die Schwäne! Die Schwäne! Die Ratten!«

Luise starrte auf die Mutter. Sie stand vor ihrem Bett. Die Nachttischlampe brannte.

»O Mama,« rief sie, »die Ratten sind auf die Schwäne losgegangen und haben sie totgebissen.«

»Kind, du träumst. Was für Schwäne, was für Ratten? Das ist ja alles Traum.«

»Die Schwäne, die auf dem Stadtgraben sind«, sagte Luise und sah auf ihre Mutter. Wie sollte sie ihr das nur erzählen? Die Mutter stand im langen, weißen Nachthemd da. Sie hatte ihre Haare in einem Zopf zusammengeflochten, der hing ihr hinten kurz herunter, ein kleines, komisches Schwänzchen. Sie lächelte Luise ernst und ermunternd an: »Merkst du nun, daß du geträumt hast?«

Luise blickte lange in das stille, freundliche, traurige Gesicht der Mutter, sie sah in das gewohnte Zimmer, sie sah aus dem geöffneten Fenster – dort standen unbeweglich und dunkelgerundet die Baumkronen überm Fensterrand, sie hörte das Flötenspiel und das Gemurmel aus Herrn Hennickes Laube.

»Ja«, sagte sie. »Oh, es war ganz schrecklich. Mama, können Ratten denn Schwäne richtig totbeißen?«

»Unsinn«, sagte die Mutter. »Die kleinen Tiere? Die Schwäne können sich auch wehren, die haben doch die Schnäbel, mit denen sie beißen können. Die beißen die Ratten einfach tot.«

»Nicht wahr, das tun sie? Das können sie mit den großen Schnäbeln?«

101 »Natürlich doch. Was für eine Kraft werden die in ihren Schnäbeln haben.«

»Warum gibt es auch diese dummen Ratten«, sagte Luise nörgelig und gähnte.

»Das ist nun mal so«, sagte die Mutter. »Aber man wird sie schon tüchtig bekämpfen, und eines Tages, du sollst mal sehen, sind keine mehr da. So, und nun schlaf weiter.«

Sie streichelte Luise über die feuchte Stirn: »Es ist ja gar nichts, gar nichts«, knipste die Nachttischlampe aus und trat zurück. Aber sie ging noch nicht wieder gleich ins Bett, sie ging noch ein wenig ans Fenster, um die milde, würzige Gartenluft in sich einzuatmen – und sie tat einen langen Zug. Luises Schreien hatte sie nicht geweckt, sie hatte überhaupt noch gar nicht geschlafen, nur mit offenen Augen dagelegen.

Herrn Bergs Flöte spielte kühl und ziehend, mit durchdringender Klarheit.

Sie beugte sich etwas über das Fensterbrett, und ein leiser, lauer Wind drang ihr durchs Nachthemd an die Haut.

»Nun sieh dir die Frau da oben an,« sagte der Inspektor und schüttelte den Kopf, »im Nachthemd am Fenster. Ganz unbeweglich steht sie da, schon eine ganze Weile. Was der wohl durch den Kopf gehen mag?«

Herr Hennicke sah auf, in der einen Hand hatte er eine Briefmarke, in der anderen die Lupe. »Ich glaube, sie träumt. Vielleicht denkt sie an ihren verstorbenen Mann, schon zwei Jahre ist er tot. Schade, daß sie ihn so früh verloren hat. Ich glaube, sie lebten gut zusammen. Früher standen sie oft gemeinsam nachts an dem Fenster. Es ist die Mutter der kleinen Luise, meiner liebsten Schülerin.«

102 »Sie hört sich vielleicht noch ein wenig das Flötenspiel an«, meinte der Inspektor.

»Wer weiß«, sagte Herr Hennicke und wendete sich wieder den Marken zu. Er sah durch die Lupe. »Ein rauchender Vulkan und eine Eingeborenenhütte ist darauf«, sagte er. »Hm, findest du es nicht ehrlich getauscht, wenn ich dir für die Jamaica eine Borneo gebe? Ich meine doch.«

»Alter Quälgeist, da nimm sie«, brummte der Inspektor. »Du setzt mit deinem Dickkopf ja doch durch, was du willst. Jetzt wird es aber auch Zeit für mich.« Er knöpfte seinen Rock, seinen hohen Kragen zu und hörte ein letztes Mal auf das Flötenspiel. Herr Hennicke klebte die Jamaica zart und behutsam in sein Album und schloß es zu, dann nahm er die Lampe vom Tisch, und sie gingen durch den Garten, durch das Souterrain. In der Waschküche mußten sie sich etwas bücken, um unter der Wäsche durchzukommen, die dort an Leinen ausgespannt hing. Feucht und kühl schlug sie ihnen trotzdem ins Gesicht. »Paß auf die Lampe auf«, warnte der Inspektor. Ein Wäschestück klatschte aber schon leicht gegen den etwas über die Kuppel hinausragenden Zylinder, und die Lampe erlosch. »Kindischer Leichtsinn«, murmelte der Inspektor. »Schadet ja nichts«, sagte Herr Hennicke, »nun brauchen wir sie ja nicht mehr.« »Aber die Feuersgefahr«, sagte der Inspektor. »Ist doch nasse Wäsche«, sagte Herr Hennicke. In der Küche saß Meta, das Dienstmädchen, noch unter der Lampe und schrieb einen Brief. Sie schrieb an Otto, warum er gar nicht mehr komme. Ach, nun war das auch wohl wieder vorbei.

An der Souterraintür verabschiedeten sich Herr 103 Hennicke und der Inspektor. »Na, also gute Nacht, Alter.«

»Gute Nacht.«

»Wenn es dir recht ist, komme ich morgen wieder«, sagte ein wenig zögernd und mißtrauisch durch die Brille blickend der Inspektor.

»Natürlich doch, du kannst immer kommen«.

»Wenn ich dich aber langweile oder dich störe –«

»Nun hör aber auf«, sagte Herr Hennicke und gab dem Inspektor einen liebevollen Knuff. »Alter Esel.«

Dankbar sah der Inspektor Hennicke an. »Na also, ich komme.« Er gab ihm nochmals die Hand: »Gute Nacht.«

»Gute Nacht.« Die Türklingel bimmelte, und der Inspektor schritt steif und gravitätisch von dannen, durch die leeren Straßen, an den Vorgärten, unter den Lampen vorbei, dem Zollhaus entgegen, das jetzt weinrot und still, mit dunklen Fenstern dem Astoria gegenüberlag. Dort hatte er seine Wohnung.

Herr Hennicke trat in die Küche und stellte die Lampe auf den Tisch. Unterm Arm trug er das große grüne Markenalbum. »Zu Bett, Meta, es wird Zeit.«

Schüchtern und verschämt lächelnd sah Meta von ihrem Brief auf. Ihre blauen Augen blickten dumm und gutmütig, und ihr dichtanklebendes Haar leuchtete weizengelb.

Herr Hennicke drohte listig lächelnd mit dem Finger: »Ein kleiner Liebesbrief?«

»Nee, nee«, sagte Meta und griente traurig. »Bestimmt nicht.« Ach, Herr Hennicke hatte ja keine Ahnung, wie dieser Mensch sie schikanierte. Wenn sie sich doch nicht mit ihm in den Wallanlagen ins Gras gelegt und ihm erlaubt hätte, alles mit ihr zu machen, 104 was er wollte. Ach, das wollte er ja bloß, und nun hatte er sie satt.

»Na, sei dem wie ihm wolle«, sagte Herr Hennicke.

»Nicht wahr, Sie gehen gleich ins Bett?«

»Ja, Herr Hennicke.« Und als Herr Hennicke fortgegangen war, schrieb sie an den Schluß des Briefes: »Ach, laß man alles, ich will dich auch gar nicht mehr bitten. Bleib man weg. Du wolltest ja doch nur, daß ich mich am Wall bei dir hinlege und daß du dann deinen Spaß mit mir hast. Ich weiß jetzt ganz genau, was du für einer bist. Ich falle nicht wieder auf euch rein.«

 

Der Tanz war zu Ende, und die Paare stiegen von der erhöhten Tanzfläche herunter und gingen an ihre Tische zurück. Der Steuermann hatte doch noch mal mit Berta getanzt. »Wenn du noch länger so mit glubschigen Augen nach dem Neger guckst, dann brauchst du Donnerstag nachmittag gar nicht mehr zu mir kommen«, hatte er gesagt. »Will ich auch gar nicht mehr«, sagte Berta patzig. »So einen wie du, den gibts massenhaft.« »Na, dann amüsier dich man mit deinem Neger, da läuft er ja schon hinter dir her.« Der Steuermann ließ sie einfach mitten im Garten, mitten im Gewühl stehen. Der Neger trat dicht an sie heran, sie blickte in seine feuchtglänzenden kräftigen Augenkerne, sah das bläuliche Weiß seiner Augen, den aufgeworfenen Mund, die großporig unebene braunblaue Haut, versank in sein mitziehendes vielversprechendes Grinsen. »Kommen Sie«, sagte der Neger. Und er ging durch die Tische, in die Veranda. Berta sah dem Steuermann nach, sah zu ihrem Mann, dann 105 ging sie dem Neger nach. In der Hinterwand der Veranda war die Tür zu dem Hof mit der Ulme, wo die Kulissen standen, der Hof zwischen Bühnenraum und Holzbaracke. Durch diese Tür gingen sie.

Ein weicher, dunkelvoller Gongschlag hallte durch den Garten. Der Conferencier stand auf der Bühne und hatte gegen das Becken geschlagen. Er rief in die eintretende Stille hinein: »Meine Herrschaften, Fortsetzung der Ringkämpfe, ich glaube, Sie sind jetzt gekräftigt und bereit zu erneutem Schauen. Nun kommen die beiden Meisterringer Dieckmann und Alvaroz. Die beiden Meister haben noch nie zusammen gekämpft, sie treten sich zum erstenmal gegenüber. Dieckmann, der Alterprobte, immer Siegreiche, Erfahrene, und Alvaroz, die junge Hoffnung, der kraftvolle Beginn, die sieghafte Jugend. Wir sind stolz darauf, daß es uns gelungen ist, diese beiden Männer zusammen zu verpflichten und Ihnen diesen außerordentlichen Kampf darbieten zu können. Herr Kapellmeister –« Der Kapellmeister trat in seine Laube zurück, und die Kapelle spielte schmetternd und zackig: »Auf in den Kampf, Torero«.

Der Conferencier lehnte sich mit untergeschlagenen Armen an die Bühnenwand und blickte abwartend. Zwei Boys trugen einen Tisch herein und stellten ihn im Hintergrund auf, zwei Stühle kamen dazu, und dann folgten zwei dicke, bieder dreinblickende Männer mit Melonen auf dem Kopf und breiten Uhrketten um die Bäuche. Sie setzten sich, und der eine schlug eine Aktenmappe auf und nahm einen Füllfederhalter aus der »Westentasche. Das waren zwei Schiedsrichter. Dann kam Hein Dieckmann, geführt von Jonny. Er ging etwas steif und blickte finster-stierartig von unten.

106 »Du mußt es kriegen«, flüsterte Jonny und kniff ihn in den Arm. »Wie fühlst du dich?« »Glänzend«, sagte Hein düster. »Nimm alle Kraft zusammen«, flüsterte Jonny. »Brauchst du mir gar nicht erst zu sagen.« Jonny ließ ihn los, trat zurück neben den Conferencier, und Dieckmann verbeugte sich brummig. Das Publikum begrüßte Hein mit heftigem Klatschen, mit Hurra und Halloh. Einige allerdings waren auch etwas verärgert durch Heins unhöfliches Betragen. Der Kerl wurde hochnäsig. Der konnte sich wohl alles erlauben? Tu dich man nicht so, Hein, wollen erst mal abwarten, wie die Sache ausläuft, was der andere kann . . . Ein paar leidenschaftliche Anhänger von Alvaroz pfiffen sogar.

Schwerfällig und etwas gebückt trat Hein von der Rampe zurück.

»Was hat er? Warum ist er so muffig?« fragte der Conferencier.

»Ach, hat vorhin sone Geschichte mit Alvaroz gehabt«, sagte Jonny.

Der Conferencier machte einen verstehenden Pfiff. »Sie beißen nicht mehr an, was?« sagte er.

»Nee«, sagte Jonny. »Aber nun sollen Sie mal sehen, wie er den armen Jungen bearbeitet. Der hat nichts zu lachen.«

Alvaroz trat mit elastischem Sprung vor die Rampe, hob den schöngeformten Arm in edler Geste und verbeugte sich. Zuerst war der Beifall nicht so lebhaft wie bei Hein, aber dann wurde er immer stärker. Mit Wohlgefallen betrachtete man diesen straffen, durchtrainierten Körper, der bronzebraun leuchtete, die knappen, festen Bewegungen, die gerade Haltung. Alvaroz' schwarzer Scheitel spiegelte, seine Augen 107 blickten stark und voll, und lächelnd gab er das Gebiß frei. Die Blicke der Frauen wanderten auf seiner Haut umher. Sie saßen vorgeneigt, sie klatschten, sie waren begeistert.

»Der ist fabelhaft gewachsen, das muß der Neid ihm lassen«, sagte Anton. »Wie dick und häßlich der andere dagegen.«

»Wir wollen uns aber nur noch diesen Kampf ansehen«, sagte Oskar, »dann müssen wir zum Dampfer zurück.«

»Ja, ja«, sagte Anton und reckte den Hals. Der dicke Mann neben ihnen war wach geworden, er saß vorgeneigt, den Hut nach hinten geschoben, da und stierte auf Alvaroz: »Donnerwetter, was für'n Bursche. Ein Grieche, ein richtiger Grieche!«

»Ein Grieche?« sagte Oskar. »Eher ein Italiener, ein Spanier –«

»Na ja, ich meine man so – Sie müssen das nicht so wörtlich nehmen.«

Alvaroz sprang federnd zurück und stellte sich in straffer Haltung auf, seine Waden, seine harten Schenkel bebten wie bei einem jungen Füllen. Finster brütend und lauernd sah Dieckmann zu ihm herüber. Er murmelte etwas vor sich hin.

Der Conferencier hatte Nita und Fred erkannt, sie standen seitwärts vor der Veranda, sie hatten ihre Sommermäntel über ihr auffälliges Zeug gezogen, am Halse flimmerte Nitas Schuppenkleid aber doch noch etwas heraus. Fred sah kalt und starr auf das Mädchen, das mit gespanntem Ausdruck Alvaroz' Bewegungen verfolgte.

»Der Alte sitzt in der ersten Reihe«, sagte Jonny.

Der Conferencier sah den Direktor vom Astoria. 108 Wahrhaftig, da saß er in der ersten Reihe. Einmal am Abend kam er nur, nun also war der wichtigste Moment da. Er war feist und aufgequollen, mit einem glänzenden Scheitel bis zum Nacken. Sein öliger Blick ruhte mit träumerischer Traurigkeit auf dem jungen Ringer, und einmal hob er sogar die Hände und deutete ein mattes Klatschen an. Dann lag seine kurzfingrige, ringgeschmückte Hand wieder gespreizt auf seinem fetten Schenkel.

Ich will nachher zu ihm gehen und ihn fragen, ob ich reisen kann, entschloß sich der Conferencier. In wenigen Stunden würde er zu Hause schon viel Gutes stiften können. Mit Blumen zu seiner Frau, die Wohnung abschließen und den Jungen in ein Kinderheim bringen, das ließ sich doch alles machen?

Dann war es Zeit zu beginnen. Er gab der Musik ein Zeichen zu schweigen. Sie brach ab. »Achtung«, rief er. Dieckmann und Alvaroz stellten sich gegenüber, und der Conferencier nahm eine kleine Pfeife zum Mund und pfiff. »Los«, rief er und fuhr scharf mit seinem Arm durch die Luft.

Und Dieckmann und Alvaroz begannen zu ringen. Die Musik spielte gedämpft und aufreizend zu ihren Bewegungen, und in der Menge war es auf einmal ganz still. Die Ringenden legten tastend und klatschend die Hand auf den Körper des anderen, um einen festen Angriffspunkt zu finden, sie glitten wieder ab, näherten sich von neuem, umstrichen, umkreisten einander wie zwei lautlose Panther. Es war ein stilles Spiel der Glieder, ein noch nicht Zusammenkommenkönnen, ein kurzes Umschlingen, Sichaneinanderschmiegen, Sichabstoßen. Aber jede Berührung der Körper machte sie erregter, stachelte sie auf, drängte 109 sie mehr zusammen, erzeugte durch Reibung elektrische Ströme.

Alvaroz war zuerst der Beweglichere, Dieckmann hatte noch immer etwas Schwerfälliges, Dumpfbrütendes. Alvaroz entglitt ihm, sprang ihn wieder an, umtänzelte ihn elastisch, griff seinen Arm und bog ihn nach hinten, wurde fortgeschleudert, fiel, war schon wieder auf, sprang erneut ihn an.

Da legte ihn Dieckmann mit einem plötzlichen Griff auf den Boden, warf sich über ihn, faßte ihn stählern am Oberarm, um ihn auf den Rücken zu legen, seine Beine mit denen des Gegners verschlungen und strampelte und keuchte: »Hab ich dich endlich, mein Junge, mußt du nun stillhalten – he?«

»Nein«, rief Alvaroz, ruck warf er Dieckmann zur Seite, griff ihn um den Hals, auch Dieckmann griff ihm an den Hals, und sie rollten über den Boden, bäumten sich, überkugelten sich, und Alvaroz sprang wieder auf die Beine – frei. »Bravo«, klatschte das Publikum. »Gib's ihm, Alvaroz. Gib's ihm!«

Stiernackig, mit vorgebeugtem Kopf, rannte Dieckmann wieder an. »Scheißleute«, murmelte er wütend. Er packte Alvaroz an der Schulter. »Du bist mir zum letzten Male entwischt, mein Junge. Nun komm mal her, mein kleiner Prinz.« Mit seinem Bein umhakte er Alvaroz' Bein, warf ihn hin, lag schon wieder über ihm und grinste. »Das hast du wohl nicht gedacht, was?« Er griff ihm knetend den Körper ab und hielt ihn doch fest, als wenn er zehn Hände auf einmal hätte, war wieder ganz dicht mit seinen dicken Lippen, mit seinen Augen an Alvaroz' Brust, an seiner Kehle, lachte glucksend: »Da liegt er nun unter mir. »Wie, das wolltest du doch nicht? Oh, nicht so böse 110 gucken.« »Altes Schwein«, rief Alvaroz und rollte wütend mit seinen kräftigen Augen.

»Da muß er nun unter mir liegen, muß, muß, ob er will oder nicht«, kicherte Dieckmann. Alvaroz hatte sich schräg gedreht, aber er kam nicht frei. »Du Vieh,« fluchte er, »benimm dich anständig.«

Der Conferencier hatte sich über die Ringenden gebeugt. »Dieckmann, was soll das denn? Dieckmann, kommen Sie zu sich.« Er pfiff. Dieckmann kümmerte sich nicht mehr darum, er war unerreichbar. Er wälzte sich über Alvaroz, lachte, redete vor sich hin, betastete blitzschnell Alvaroz' Körper, aber wenn sich Alvaroz losmachen wollte, dann hatte er ihn schon wieder in seiner Umklammerung und preßte sich auf ihn.

Die Schiedsrichter hatten sich weit über den Tisch gelegt, der eine klingelte verzweifelt mit einer kleinen Glocke, der Conferencier pfiff und rief: »Halt!« Jonny stampfte knallend mit dem Fuß auf den Holzboden: »Hein, Hein.« Der Direktor hatte zuerst mit geweiteten, glänzenden Augen dagesessen, da sprang er auf: »Das geht doch nicht, was ist das denn? Das ist doch kein Ringkampf«, und lief über die Holztreppe auf die Bühne: »Schluß, meine Herren, sowas dulde ich nicht in meinem Lokal –«

Das Publikum stand von den Stühlen auf, trat an die Rampe, schrie empört und starrte auf die Bühne. »Nieder mit Dieckmann – Dieckmann aufhören.«

Da richtete sich Dieckmann auf einmal mit blutrotem Kopf und stieren Augen halb auf, Alvaroz vor sich hinhaltend – und dann schlug er plötzlich mit seinen dicken Fäusten auf diesen Körper da vor ihm ein, keuchend, jammervoll. Er schlug in Alvaroz' Gesicht, daß das Blut aus seiner Nase strömte, auf seinen Mund, 111 daß die Lippen aufsprangen, auf die Brust, irgendwohin. Alvaroz wollte sich aufrichten, aber die Schläge donnerten ihn immer wieder nieder.

Das Publikum schrie, pfiff und drohte mit den Fäusten: »Pfui, pfui Dieckmann, nieder Dieckmann – sone Gemeinheit.« Alle waren von den Tischen aufgestanden, in dichten Reihen standen sie vor der Bühne und blickten mit erhobenen Köpfen auf die beiden Ringer. Alles lief durcheinander, einige verließen auch schon den Garten, riefen den Kellner: »Zahlen.«

Der Direktor stand an der Rampe, ein großes Rohr am Munde: »Meine Herrschaften, beruhigen Sie sich – ein kleiner peinlicher, unerwarteter Zwischenfall – bleiben Sie – Sie da hinten, meine Herrschaften, gehen Sie nicht fort. Die Bühne wird geräumt, gleich ist wieder alles in schönster Ordnung. Herr Kapellmeister, bitte Musik, etwas Heiteres, Nettes. Meine Herrschaften, tanzen Sie, seien Sie vergnügt – ich bedaure ja so unendlich – meine Herrschaften, es kommt ja noch ein so schönes Programm, die besten Nummern kommen ja noch.«

Die Musik begann wieder zu spielen. Der Direktor gab das Rohr dem Conferencier: »Das wäre ja eigentlich Ihre Aufgabe gewesen. Ach, im entscheidenden Augenblick muß man ja immer alles selber machen.« Traurig blickte er auf den sich etwas beruhigenden Garten. »Nun vor allem die beiden Kerle weg«, sagte er. Nita und Fred standen neben Alvaroz, Fred blickte starr und unbeweglich auf den zerschundenen Körper: »Da liegt er nun, dein Held«, sagte er leise. Nita hatte vergessen, ihren Mantel zuzuhalten, er stand offen, und ihr Schuppenkleid schimmerte im Rampenlicht. Sie zog die Nase hoch: »I gitt, wie widerlich.«

112 Die Schiedsrichter und zwei Boys trugen Alvaroz von der Bühne. Als sie durch den Hof kamen, sah Berta die Gruppe. Sie saß mit dem Neger auf der Bank unter der Ulme. »Was ist denn das?« sagte sie. »Der hat die Nase voll«, sagte grinsend der Neger und strich an ihrem Bein rauf. Sie schlug ihm auf die Hand. »Schluß. Ich geh jetzt vor. Warte du noch etwas.« »Das war ja man ein kurzes Vergnügen.« »Daß ihr nie genug bekommen könnt.« Berta stand auf, Kleid und Haar ein wenig ordnend. »Da kommt ja schon wieder sone Jammergestalt.« Aus dem Garten hörten sie grelle durchdringende Pfiffe. »Dieckmann«, sagte der Neger. Dieckmann hatte sich auf Jonny gestützt und stieg schlaff und immer wieder einknickend und an Jonny hängend die kleine Holztreppe von der Bühne in den Hof. Er sah trübe vor sich hin.

»Du Idiot,« sagte Jonny, »hast du denn den Satan im Leibe?« »Was bin ich für ein gemeiner Kerl,« seufzte Hein, »wußte selber nicht, daß ich so gemein bin.« Tränen traten ihm in die Augen.

»Das mußte wohl mal so kommen.«

»Sie wollten ja auch alle nicht mehr, und das konnte ich nicht mehr aushalten«, sagte Hein. »Na, nun hast du ja wohl genug«, sagte Jonny.

Hein legte sich in seinem Raum auf die Chaiselongue und starrte zur Decke.

»Nun sei man nicht so traurig«, sagte Jonny und schlug ermunternd mit seiner klobigen Pratsche an Heins Schulter. »Das ist nun mal gewesen, und damit fertig.« Hein schüttelte den Kopf, und seine Backen glänzten feucht im kalten Licht: »Daß so was in einem drinsteckt, nee, nee – ich weiß nicht –«

Die Leute waren wieder an ihre Plätze 113 zurückgegangen und unterhielten sich noch erregt über den Vorfall, die Musik spielte, aber tanzen mochte niemand. Ein Boy in lila Uniform, mit schiefsitzender Mütze, kniete auf dem Bühnenboden und wischte mit einem Tuch das Blut ab. »Kind, mit einem trockenen Tuch, das geht doch nicht«, jammerte der Direktor. Der Boy sah ängstlich auf die breite Blutbahn und in das Gesicht des Direktors, die Hand, in der er das Tuch hielt, zitterte. »Das ist wohl überhaupt nicht die richtige Arbeit für so kleine Jungens«, meinte der Conferencier zaghaft. »Natürlich, das ist gerade 'ne Arbeit für sie«, sagte der Direktor und schüttelte verzweifelt den Kopf. »Sie müssen sich doch auch an so was gewöhnen. Also schnell einen Eimer mit heißem Wasser geholt und einen Besen, verstanden?« Der Boy schoß davon. »Herr Direktor,« sagte der Conferencier, »ich möchte Sie wohl mal was fragen.« »Privatangelegenheit?« sagte der Direktor sofort und sah ihn mißtrauisch an. »Ja.« »Aber das geht doch jetzt nicht, mein Lieber. Daß Sie überhaupt an solche Dinge denken können. Ich muß mich wundern. Machen Sie hier doch erst mal etwas Stimmung. Das ist hier ja alles zum Weinen traurig in diesem Garten. Meinetwegen nachher, kommen Sie nachher auf mein Büro. Richtig, ich hab ja sowieso schon einmal mit Ihnen sprechen wollen.«

Oskar und Anton hatten ihr Bier bezahlt und erhoben sich. »'n Abend«, sagten sie zu dem Mann an ihrem Tisch. »'n Abend«, sagte der Mann und sah sie satt und zufrieden an.

Als sie durch den Torbogen nach draußen auf die Hafenstraße gingen, sagte Anton: »Dieser Abend ist wirklich wie verhext, erst die Geschichte mit Bauer und nun noch dies.«

114 »Bin heilfroh, wenn ich erst wieder auf meiner Bude in Marburg sitze.«

»Na, kannst ja bald in Amsterdam an deinem Calvin arbeiten.«

»Gott sei Dank«, sagte Oskar.

Etwas bleich und zögernd kam Berta zu Karl an den Tisch zurück. »Was ist hier denn eigentlich los?«

»Wo hast du denn die ganze Zeit gesteckt?«

»Ach, ich mußte mal verschwinden, fühlte mich so sonderbar, mein Magen – aber nun geht's schon wieder.«

»Und hier haben sie sich unterdessen fast totgeschlagen.«

 

»Peter heißt du?« sagte Fanny, »was bist du für'n langweiliger Peter.« Sie kuschelte sich im Bett zusammen, zog die Decke bis ans Kinn und legte die Hände unter den Kopf. Vorwurfsvoll sah sie ihn an.

Er sah gar nicht zu ihr hinüber.

»Du willst dich wirklich anziehen?«

»Das siehst du doch.«

»Du willst dich anziehen und dann einfach weggehen?«

Peter nickte trübe.

»Und ich hab gedacht, heute wird's mal besonders nett – so ganz anders.«

»Na, anders ist's ja auch wohl geworden als sonst«, sagte Peter.

»Ja, aber ich meine, so richtig nett. Ich mag dich doch so gern.«

»Du hast mir ja auch gefallen, und ich dachte –«

»Komm mal her, komm mal her«, sagte Fanny. Sie erhob sich aus dem Bett und zog ihn zu sich auf den 115 Bettrand. Sie sah ihm ins Gesicht. »Du warst doch gleich so nett zu mir. Nun magst du mich nicht mehr?«

»Doch, das schon«, sagte Peter.

»Und du hast doch diesen großen roten Mund. Bist du denn gar nicht sinnlich?«

Peter sah zur Seite. »Über so was kann man doch nicht sprechen.«

»Ja, warum geht es denn nicht, warum willst du denn nicht mehr?«

Er blickte auf ihre spitzen, knochigen Schultern, auf ihre verständnislos nach oben gedrehte Stupsnase – und lächelte gequält.

»Ich hab eben gedacht, es geht, aber nun ist's vorbei, nun fühl ich gar nichts mehr.«

»Bin ich denn nicht nett zu dir gewesen?« Sie sah auf den Tisch. Da stand noch im Dunkeln die Likörflasche, und die Flasche und die Gläser schimmerten etwas, weil sich das Licht von der Straße in ihnen brach.

»Du hast doch was getrunken und hast doch das Grammophon gehört, hat dich das auch nicht in Stimmung gebracht?«

»Ach, all der alte Kram«, sagte Peter.

»Du bist ja gar kein richtiger Mann«, sagte sie und legte sich wieder ins Bett, zog die Decke bis ans Kinn. »Nun ziehst du dich wahrhaftig an!«

Er setzte sich wieder auf den Bettrand und bückte sich nach seinen Schuhen. Sie kam von hinten an ihn heran, legte ihre Brüste an seinen Rücken, griff über seine Schulter weg in sein offenes Hemd, strich über seine Brust.

»Laß das doch«, sagte er.

»Komm doch her«, sagte sie.

»Hat ja doch keinen Sinn.«

»Bist du denn ganz gefühllos, kleiner Peter? Nun hab 116 ich mal einen, den ich gern mag, und nun will er nicht einmal.«

»Es geht ja nicht«, sagte Peter. »Ich kann nicht.«

»Warum kannst du denn nicht?«

»Weiß nicht.«

»Komm doch her«, sagte sie, »komm her. So . . . Warum bist du denn so traurig? . . . du Dummer . . .«

 


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