Friedo Lampe
Ratten und Schwäne
Friedo Lampe

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»Mama, nun sieh dir das Kind an«, sagte Luises Schwester. »Im Nachthemd am Fenster. Wenn die sich nicht erkältet, dann weiß ich's nicht.« Luise war ein wenig eingenickt. Ihre Arme lagen auf der Fensterbank, und ihr Kopf lag auf den Armen.

»Kind, was machst du denn?« Die Mutter faßte sie unter die Arme und zog sie sacht ins Bett.

»Da bin ich nun eingeschlafen«, sagte Luise und gähnte. »Erst hab ich noch Herrn Hennickes Stimme gehört und dann bin ich eingeschlafen.« Luise war wieder etwas wach geworden und dehnte sich behaglich im Bett.

»Nun bete schnell und dann schlaf weiter.« Die Mutter und die Schwester standen beide hinten vorm Bett, und die Mutter faltete schon gewohnheitsmäßig die Hände vorm Leib. Anni ließ ihre Hände dagegen einfach auf dem Bettrand liegen. Luise sah das wohl.

»Anni faltet ja gar nicht ihre Hände«, sagte Luise triumphierend.

Da wurde Anni aber ärgerlich. »Was kümmert dich das. Aufs Händefalten kommt's nicht an.« Geniert legte sie ihre Hände ein wenig aufeinander.

34 »Richtig gefaltet ist das nicht«, beharrte Luise.

»Kind, nun los. ›Müde bin ich‹ – Also fang schon an. Nicht so viel Fisematenten . . . « Die Mutter schloß schon die Augen. Das tat sie immer beim Beten.

Luise begann den Spruch monoton und gemacht gleichgültig herunterzusagen. Anni brauchte nicht zu denken, daß sie eine so dumme Gans war, die das ganze Getue nicht durchschaute. Hatte sie nicht heute noch mit Hans über das Beten gesprochen und waren sie sich nicht einig, daß Luise viel zu alt zum Beten sei?

Da brach sie plötzlich ab und kicherte in die Bettdecke hinein.

»Aber Kind, beim Beten lachst du?« Die Mutter war ganz traurig geworden.

»Ach Mama, Anni guckt so komisch.«

Anni hatte angestrengt und starr zum Fenster hinausgesehen. Nun mußte sie auch lachen. Sie ärgerte sich, aber sie mußte lachen.

»Mama, was ist das für ein freches Ding. Na, macht man alleine weiter. Ich gehe lieber solange nach nebenan.« Sie konnte Luise so gut verstehen. Daß Mama nicht fühlte: in diesem Alter kann man nicht mehr mit den Kindern beten. Bei ihr hatte sie's ja auch so gemacht. Bis sie dann immer anfing zu lachen . . .

Die Mutter wollte heute nicht mehr mit Luise beten. »Die Feierlichkeit ist hin«, sagte sie. Ihre dunklen Augen blickten so ernst und traurig. »Eigentlich sollte ich dir heute keinen Kuß geben«, sagte sie und dabei beugte sie sich schon über das Bett. Luise umschlang sie heftig und drückte ihre Backen an den Kopf der Mutter.

35 »Mama,« flüsterte sie, »ich will ja beten, aber leise. Mama bitte, kann ich von jetzt ab nicht nur noch leise beten? Ganz für mich? Ich werde es bestimmt tun.« Als die Mutter sich zu Anni an den Tisch setzte, sagte sie: »Das Kind macht mir Sorge.«

»Ach, sie wird älter, das ist alles.«

Luise war froh und erleichtert. Sie freute sich, daß sie der Mama die Wahrheit gesagt hatte. Sie streckte ihre Glieder und zog die Decke bis zum Hals. Von draußen klang Stimmengemurmel herein. In Herrn Hennickes Laube unterhielt man sich. Die Pferde im Fuhrgeschäft schnaubten manchmal auf, und da erklang ja auch wieder die schöne Musik. Herr Berg war fertig mit dem Abendbrot, Frau Jacobi hatte abgeräumt, es war wieder dunkel im Zimmer, und Herr Berg stand auf seinem Platz am Fenster und spielte. Im Zimmer nebenan unterhielten sich die Mutter und Anni. Die Tür mußte immer ein wenig angelehnt bleiben, damit Luise die Stimmen hören und etwas von dem Lichtschein sehen konnte.

»Er wollte gar nicht, aber er mußte hingehen«, sagte Anni. »Was liegt Georg an solchen Vergnügungen.«

»Ich finde das auch sehr vernünftig«, sagte die Mutter. »Das ist er sich und seiner Stellung als Zeichenlehrer schuldig.«

»Weißt du, wovor ich nur schreckliche Angst habe? Daß er betrunken, oder auch nur angeheitert nach Hause kommt. Ich hasse das so. Anni, hat er beim Weggehen gesagt, es kann sein, daß ich beim Kegeln etwas trinken muß. Wenn die Kollegen trinken, kann ich mich natürlich nicht ausschließen. Und da ich ja sonst kaum etwas Alkoholisches trinke – ich glaube ja, es wird gut gehen. Aber nicht wahr, wenn ich mal 36 etwas sonderbar sein sollte, du wirst nicht böse. Ich war natürlich empört. Ich hab ihm gesagt: für so was hab ich gar kein Verständnis. In keinem Fall . . .«

Die Mutter lächelte nachsichtig. »Ach Kind, an so etwas gewöhnt man sich auch.«

Luise war unterdessen eingeschlafen. Herr Hennicke und der Zollinspektor saßen noch immer zusammen. Herr Berg spielte Bach, und Anni fand, daß es Zeit sei, nach Hause zu gehen. Sie zog ihre kleine Kappe über das kurzgeschnittene, schwarz glänzende Haar und gab ihrer Mutter einen leichten Kuß. Ihre dunklen Augen blickten düster: »Ich habe wirklich ein wenig Angst.« Die Mutter klopfte ihr ermunternd auf die Schulter: »Na, na, na.«

»Ach Mama, bis jetzt war alles so ideal.« »Mein Gott, ihr seid ja auch erst ein paar Monate verheiratet . . .«

Anni ging fort. Sie ging langsam durch die Straßen nach Hause. Sie wollte gleich zu Bett gehen, denn was sollte sie so allein in der Wohnung?

Und Herr Berg spielte, spielte über die Gärten hin. Der Sterbende hörte ihn nicht, konnte ihn nicht mehr hören, und auch Luise hörte ihn nicht mehr. Aber der Zollinspektor und Herr Hennicke, die sich noch immer gedämpft und gemächlich in der Laube unterhielten, die hörten ihn, leicht und silbrig umgeisterten die beiden die Töne. Und auch an das Ohr des alten Mannes, der nun auf seinem Zimmer allein saß, drangen diese strengen und gleichmäßigen Klänge. Aber sie drangen nur an sein Ohr, sie drangen nicht hinein ins Innere. Der alte Mann ging langsam im Zimmer hin und her. Wenn er in das hintere Zimmer kam, das auf den Garten hinaussah, hörte er das Flötenspiel deutlicher. Er blickte über die Gärten weg, auf die jenseitige 37 Häuserwand. Er hörte die Töne, die Bäume rauschten leise, aber das sagte ihm alles nichts, und er ging wieder nach vorne, sah auf die Straße. Da gingen Leute vorüber, von ferne klang wohl mal Autogetute, Wagengerassel, Straßenbahnläuten. In den anderen Häusern saßen die Familien in erleuchteten Zimmern um den Tisch. Die Liebespaare gingen flüsternd vorüber, alle Menschen sprachen gedämpft und hatten sich etwas mitzuteilen. Der alte Mann setzte sich in den großen Ohrenstuhl ans Fenster. Die Zimmer waren dunkel und nur ein schmaler Lichtstreif fiel durch die Gardine auf die Wand. Er zeichnete dort das Gardinenmuster ab. Wie ein heller Schleier lag dies Muster auf dem Bilde seiner verstorbenen Frau. Mit gleichgültigem, strengem Blick sahen ihre großen schwarzen Augen durch diesen Schleier über ihn hinweg in die Ferne. Er stand wieder auf. Ging hin und her. Machte Licht und holte das Patiencespiel aus dem Vertikow. Eine kurze Zeit legte er die Karten, aber das Spiel interessierte ihn auch nicht mehr, und er versuchte Zeitung zu lesen. Dann machte er das Licht wieder aus und wanderte abermals durch die Zimmer. Karl und Berta waren nicht gekommen, nun würden sie auch nicht mehr kommen. Sollte er zu Bett gehen? Nein, lieber nicht. Dies mit offenen Augen Daliegen und sich Hinundherwerfen war schrecklich. Da war es schon besser, er wanderte durch die Zimmer. Wenn dieser Mensch mit seinem ewigen Flötengeleier doch wenigstens aufhören wollte. Das war ja nicht zum Aushalten. Der spielte ja immer dasselbe. Die Uhr unter der Glasvitrine, ein goldener Schmied mit einem Hammer, schlug mit hellem, zitterndem Schlag die Stunde. Mein Gott, noch so früh. Wie langsam kroch die Zeit dahin! 38

 

Ja, die Zeit ging dahin, für den einen zu langsam und für den andern zu schnell. Und doch ging sie weder schnell noch langsam, sondern in gleichmäßigem, unerbittlichem, pausenlosem Schritt, streng und gesetzhaft wie das Flötenspiel des Herrn Berg, das über die Gärten dahinklang, steigend, fallend, unaufhörlich, in ehernem Gleichmaß. Und dies Dahingehen, Dahinfließen war nicht froh und nicht traurig, sondern einfach daseiend – unergründlich. Die Zeit bewegte sich in allem, bewegte alle und alles, und alle bewegten sich in ihr, sie trieb in Wasser und Bäumen und Wind, im Blut und im Pochen der Herzen, sie trieb und sie strömte und drängte, sie drängte aus dem Dunkel und ins Dunkel zurück, anfang- und endelos. Der Tag war verströmt, die Nacht war heraufgekommen, irgendeine, eine von unzähligen, und sie würde nie so wiederkommen. Wie sie jetzt das Leben fügte, so würde es nie sich wieder fügen, und wer sie nicht lebte, in Traum oder Wachen, wer sie versäumte, der hatte sie für immer versäumt, und sein Leben war um weniges, um unmerklich weniges ärmer. Ein Tag war vergangen, und eine Nacht war heraufgekommen, irgendeine, wichtig-unwichtig, eine volle, warme Septembernacht – ganz war sie jetzt da. Breit und schwer rauschte sie dahin. Sie füllte die Straßen und Gärten, nistete in den Bäumen und Büschen und wühlte mit ihrem lauen Atem die Blättermassen auf und schleifte die durchdringenden Gras- und Blumengerüche durch die Straßen. Sie sank in die Anlagen, Teiche und Gräben, brütete überm Hafen, überm Fluß, und verdichtete sich unter den Brückenbögen. Dumpf rauschte das Wasser an den Pfeilern vorbei. Und die Stadt versuchte sie ein wenig zu verdrängen: mit Laternen und 39 Bogenlampen, mit Musik und Gespräch – aber die Nacht war mächtiger. Alles füllte sie, umfaßte sie und führte es in immer tiefere Schwärze. Sie war der weiche, strömende, volle Grund, auf dem alles ruhte, in den alles zurücksank, sie löste die Glieder und machte müde und satt. Viele schliefen jetzt schon, Luise schlief schon, der Sterbende schlief, und seine Frau saß in der finsteren Kammer neben ihm und lauschte auf seinen immer schwächer werdenden Atem. Und auch die Kapitänswitwen in der »Seefahrt« löschten jetzt eine nach der andern das Licht aus und gingen zu Bett. Sie waren schon am Tage nicht mehr ganz wach gewesen, nun sanken sie in noch tieferen Schlaf, sie sanken von Traum in Traum. Und auf ihren Kommoden lagen in der dunklen Stube die Korallenstücke und großen Muscheln, Andenken an ihre Männer, die schon lange auf dem Grunde des Meeres ruhten. Viele aber wurden jetzt in der Nacht erst richtig lebendig. Die Frauen gingen auf die Hafenstraße und blickten umher. Sie knipsten mit den Augen und riefen. Unter der Laterne standen sie und bei der bunten Anschlagsäule. Die große Bogenlampe strahlte lila und weiß. Es füllten sich die Bierhallen, die Papierlaternen schaukelten, wenn die Türen sich öffneten, und dünn und schrill klirrte das elektrische Klavier. Die Paare saßen auf dem Plüsch der harten Sofas und lächelten sich an, und ihre Hände lagen auf dem Körper des anderen. Männer und Frauen drängten vor der Kasse des Astoria. Durch den Torbogen gingen sie in den Garten. Dort saßen sie an Tischen, vor sich die Biergläser, im Mund die Zigarre, und warteten auf den Anfang. Kellner liefen herum, und die rotgekleideten schlanken Boys mit schiefsitzender Mütze und blassen 40 Kindergesichtern boten Rauchwaren und Schokolade an. Um den Platz liefen Veranden, und auch da saßen Leute. In der Mitte zwischen den Tischen war eine erhöhte Tanzfläche aufgebaut. Eine Jazzkapelle saß seitwärts in einer grünumwachsenen Laube. Sie spielte einen strammen Marsch, und die Ringer kamen in langem Zug aus dem Hintergrund, ihre kräftigen Glieder leuchteten im Lampenlicht. Sie gingen durch die Tische und stiegen auf die Bühne. Dort oben stellten sie sich in einer Reihe auf, und der Conferencier las die Namen derjenigen vor, die heute zusammen kämpfen sollten. Der aufgerufene Ringer trat vor, verbeugte sich mit erhobenem Arm, und die Musik spielte einen Tusch. Das Publikum klatschte bei dem einen, zischte oder verhielt sich gleichgültig bei dem anderen. Manch einer sah erwartungsvoll aufs Programm: Ringkämpfe, dazwischen Varieténummern und Tanz dort auf der großen Fläche. Und wenns hier zu Ende ist, gehts oben, im Haus, im geschlossenen Raum noch weiter: Kabarett und Bar und Tanz. Da konnte man schon zufrieden sein, sich bequem auf seinen Stuhl zurücklehnen, einen ordentlichen Bierschluck tun, seine Zigarre vor sich hinpaffen und die Dinge mal ein wenig an sich herankommen lassen. Viele Matrosen und Hafenarbeiter waren gekommen, und hier und da sah man auch einen Chinesen, einen Neger. Sie hatten ihre Schiffe verlassen, die dort unten im Hafen schwarz und massig ruhten. Nur die Adelaide war hell erleuchtet, die Mannschaft war damit beschäftigt, die Ladung zu verstauen. Der Kapitän erschien von Zeit zu Zeit auf der Kommandobrücke und sah zu, wie der große Kran quietschend und rasselnd die dicken Ballen in den Schiffsleib senkte. Erich und Hans saßen auf einem 41 aufgerollten Tau und musterten das Schiff. Sie sahen in eine erhellte Kabine. Da packten gerade zwei junge Männer ihre Koffer aus und richteten sich häuslich ein. Es waren Oskar und Anton, die beiden Studenten, die nach Rotterdam fahren wollten. Neidisch betrachteten Erich und Hans ihre lautlosen Bewegungen.

Ein weißer Vergnügungsdampfer glitt leise rauschend in den Hafen, seine Lichter schimmerten im Wasser. Er legte am Kai an, und die Brücke wurde herangeschoben. Die Leute stiegen aus. Berta stand bleich und still neben Karl. Ihre Blicke glänzten sonderbar. Der Steuermann stand an der Brücke und nahm die Billets ab. Berta ließ Karl vorgehen. Der Steuermann flüsterte ihr zu: »Geht doch zum Astoria. Da sind die Ringer, und da ist Tanz. Ich komme auch gleich hin.« Berta sah ihn nicht an und ging weiter. Aber sie hatte leise genickt. Die Leute, die mit dem Vergnügungsdampfer gekommen waren, gingen durch den Hafen, an der Adelaide vorbei, durch die Hafenstraße, vorbei am Astoria, an Restaurants und Kinos. Einige bogen ins Astoria ein, andere aber gingen langsam nach Haus. Einige, die einen weiten Weg hatten, stiegen auch gleich am Hafeneingang in die Elektrische – Linie eins, die dort schon auf sie wartete. Sie fuhren durch die Hafenstraße. Die eine Seite war hell erleuchtet und belebt, dort waren die Restaurants, aber auf der anderen Seite stand weinrot und still das große Zollhaus. Die Fenster waren dunkel. Der Zollinspektor saß jetzt bei Herrn Hennicke in der Laube, unterhielt sich behaglich mit seinem Freunde und lauschte hin und wieder auf Herrn Bergs Flötenspiel. Denn Herr Berg hatte schon wieder begonnen. Die Elektrische fuhr weiter, sie fuhr unter der Eisenbahnbrücke durch. Die Wurstbude unter der 42 Brücke war noch immer umlagert. Der Kessel dampfte, und die Männer stopften gierig das rote, scharf gepfefferte Fleisch in sich hinein. Dann fuhr die Bahn an den Wallanlagen vorbei. Die Paare saßen auf den Bänken am Graben, eng umschlungen, wortlos, und blickten auf die teerschwarze, glatte Wasserfläche. Weiß und wollüstig leuchtete das Gefieder der Schwäne durch die Nacht. Andere saßen hinter Büschen, unter Bäumen, befaßten sich und kicherten. Oben auf dem Hügel ragte zwischen den alten Kastanien die Mühle in den Himmel. Im Erdgeschoß brannte Licht. Der Anlagenwärter war schon einige Zeit zu Hause, seine Rundfahrt war beendet, still lag sein vermorschter Kahn am Ufer. Er hatte ihn ein wenig mit der Spitze ans Ufer gezogen und die Kette mit einem Stachel in der Grasböschung festgesteckt. Der spitze Strohhut des Anlagenwärters hing am Ständer im Zimmer, und der alte Mann saß bei der Lampe und las in der Zeitung. An der Wand hingen ausgestopfte Vögel, bunt schillernde Enten, ein Schwan. Seine Lieblinge, die gestorben waren. Die Vögel, die lebendigen und die toten, waren das einzige, was ihm geblieben war. Seine Frau war tot, und seine Tochter hatte er aus dem Hause geworfen. Sie hatte jetzt ein kleines Zimmer in der Hafenstraße, und abends lief sie dort auf und ab. Auch heute stand sie dort, bei der bunten Anschlagsäule, und als sie Peter zum zehnten Male an sich vorbeirennen sah, rief sie ihn an:

»Was hast du denn, mein Junge?« Sie ging zu ihm und hakte sich in ihn ein, sie blieb einfach bei ihm und ging neben ihm her.

Peter wollte sich losmachen. »Nein, nein, bitte nicht . . .«

43 »Nun stell dich doch nicht so an.«

»Ich hab das aber noch gar nicht gemacht«, sagte er leise.

»Dann wirds aber höchste Zeit. Wie alt bist du denn?«

»Achtundzwanzig.«

»Ach du meine Güte. Und noch immer ein Knäblein rein und fein?«

Peter nickte. Ihm war so beklommen. Nun hatte er also das, was er sich schon so lange gewünscht und wovor er sich gefürchtet hatte. Eine Frau hing an seinem Arm, und nun würde alles seinen Lauf nehmen. Er würde diese Sache endlich mal kennenlernen. Er würde sehen, was eigentlich an ihr dran war. Wenn ich mich nur nicht zu albern benehme. Sie macht sich ja über mich lustig. Sie findet mich lächerlich und mit Recht.

Sie mußte einen Augenblick stehenbleiben und bog sich vor Lachen: »Da hab ich mir aber mal einen Feinen geangelt. Ein ganz unbeschriebenes Blatt. Einen kleinen ahnungslosen Jungen.«

Peter machte sich plötzlich mit einem Ruck frei und sah sie verquält und hilflos an. »Ich will doch nicht. Heute noch nicht. Ich komme wieder. So geht das doch nicht.«

Sie sah in sein gutes rundes Gesicht. Seine dunklen Augen blickten zornig und traurig, und um seinen Mund zuckte es. Das war ja noch einer, der Gefühl hatte, nicht son Kalter und Abgebrühter. Er war ganz bei der Sache. Sie war gerührt und fand es auch etwas komisch.

»Du magst mich also nicht.« Sie stand plötzlich vor ihm wie ein ganz kleines Mädchen. Vereinsamt. Schutzbedürftig. Der Roheit ausgeliefert. Ihre eben 44 noch so frechen Augen blickten enttäuscht nach unten, die ein wenig aufgeworfene Stupsnase stand merkwürdig zu ihrer Traurigkeit, und an ihrem mageren Körper bewegte sich leicht im Nachtwind die dünne rote Seidenbluse. Sie sah auf ihren Fuß, der über das Pflaster hinstrich. Ein armes, kleines, bedauernswertes Ding, dachte er. Und er bekam wieder etwas Mut.

»Ich geh also mit«, sagte er mürrisch.

Sie drängte sich an ihn, umschlang ihn, ob er wollte oder nicht. »Du bist ein fabelhaft netter Kerl.« Sie standen mitten auf der Hafenstraße. Die Bogenlampe strahlte über ihnen lila und weiß. Die Menschen gingen vorüber und blickten erstaunt.

»Wenn du so was machst, laß ich dich einfach stehen«, sagte er geniert.

Da gingen sie weiter, Arm in Arm, die Hafenstraße entlang, durch die Nacht, durch die Lichter und Menschen. Sie gingen durch die Eisenbahnbrücke, an der Wurstbude vorbei. Sie sagten kein Wort. Dann gingen sie in die Anlagen. Sie schmiegte sich dicht an ihn an, sie fühlte sich für Augenblicke geborgen. Peter ging mit etwas steifem, behindertem Schritt, er fühlte, ihm war eine Aufgabe gestellt, und er war gespannt, ob er sie richtig lösen würde. Seine breite Brust atmete schwer und langsam, und seine Augen blickten starr in die Dunkelheit.

Am Graben blieben sie einen Augenblick stehen. Schneeig schimmerte das Gefieder des Schwans über der Schwärze des Wassers.

»Da, Papas Schwan«, flüsterte sie.

»Was soll das heißen?«

»Nun, mein Vater ist doch der Anlagenwärter, und die Schwäne und Enten sind sein ein und alles.«

45 »Der Anlagenwärter Ihr Vater? Der Mann mit dem spitzen Hut?«

»Du kennst ihn, meinen alten, dummen Papa?«

»Ich habe ihn heute abend gesehen. Er fuhr mit einem Boot über den Graben. Dann wohnst du also auch in der Mühle da oben?«

»Früher ja.« Sie faßte ihn hastig am Arm. »Komm, wir wollen mal sehen, was der Alte jetzt macht. Ich guck abends gern mal in seine Stube. Er ist jetzt sehr einsam. Aber warum stellt er sich auch so albern an.«

Sie zog ihn auf den Hügel. Kaum konnten sie den Weg im Dunkeln sehen, aber sie kannte ihn genau. Von den Bänken klang das Geflüster und Geschäker der Pärchen, sehen konnte man sie nicht recht, sie verschwammen mit Büschen und Bäumen zu schwarzer Undeutlichkeit.

Peter brauchte sich nur etwas auf die Zehenspitzen zu stellen, dann konnte er in die Stube blicken, aber Fanny mußte sich einen alten Kasten holen und daraufstellen. Der Anlagenwärter las noch immer in der Zeitung. Trotz seiner Brille mußte er sich weit über das Gedruckte beugen. Sein weißes Haar stand borstig vom Kopf ab und gab ihm einen eigensinnigen Ausdruck. Peter sah die ausgestopften Vögel an den Wänden, die buntschillernden Enten und einen großen flügelspreitenden Schwan hoch überm Sofa. Seine Federn waren schon etwas grau und angeräuchert.

»Er putzt die Tiere nicht mehr recht. Wie sieht der Schwan dreckig aus«, sagte Fanny kopfschüttelnd. »Diese toten Tiere brauchen nämlich auch noch ihre Pflege.«

»Das ist Mutter«, sagte sie dann und zeigte auf 46 eine große Photographie, die überm Sofa, .direkt hinter dem alten Manne hing. Eine dicke, robuste Frau.

»Tot?« fragte Peter.

»Ja, seit zwei Jahren. Die hat an allem Schuld. Aber nun ist sie tot, und mich ist er auch los.«

»Ja, und wollen Sie denn nicht lieber wieder zurück? Vielleicht würde er sich doch freuen . . .«

»Und ob. Hat mir ja schon x Briefe geschrieben. Aber nun will ich nicht.«

»Aber er ist doch schon alt. Und wenn Sie nicht bald – ich weiß nicht –«

»Wenn er tot ist, dann ist er eben tot. Dann muß es eben so weitergehen. Manchmal möcht ich wohl zurück. Aber dann denk ich auch: es geht gar nicht mehr, ich bin schon zu sehr auf den Hund gekommen.«

»Ach, da würde ich aber doch zurückgehen, sehen Sie mal . . .«

»Was verstehen Sie denn davon? Das können Sie doch gar nicht beurteilen. Nun quatschen Sie nicht über meine Angelegenheiten. Das geht Sie gar nichts an. Komm, wir wollen weiter, wir wollen auf mein Zimmer«.

Sie faßte ihn hart am Arm und zog ihn wieder fort, und abermals gingen sie wortlos dahin, durch die Anlagen, am Graben vorbei, durch die Eisenbahnbrücke in die Hafenstraße.

»Warum sagst du denn nichts?« Sie blickte ihn auf einmal ängstlich an. »Nun magst du mich wohl nicht mehr? Ja, ich war eben gemein. Aber nun komm rauf. Du willst doch noch?«

Beklommen folgte ihr Peter auf der schmalen steilen Treppe. Ein kleines trübes Lämpchen beleuchtete ein 47 wenig die fahlgrünen, fleckigen Wände. Unten war eine Wirtschaft, und da lachten die Männer.

 

Der Anlagenwärter beugte sich noch tiefer über die Zeitung und schob sie dicht unter die Lampe. Aha, da haben wirs. Er las:

Ratten untergraben New York.

»Die Öffentlichkeit von New York sollte eigentlich nichts davon wissen, aber es gelingt nicht mehr, die Sache als harmlos hinzustellen. John Hart, der Kommissar der Parkanlagen von New York hat einen Ausschuß gebildet, und zwar von Spezialisten, die sich auf die Beseitigung von Ratten verstehen. Auf der Konferenz der Rattenvertilger, auf der jeder seine Erfahrungen mitteilte, stellte es sich dann heraus, daß nicht nur im Central-Park und in den zoologischen Anlagen von New York die Ratten ihr Unwesen trieben, sondern daß diese ekelhaften und gefährlichen Tiere die ganze Stadt unterwühlten und sich gerade da Gänge bohrten und bauten, wo es den um ihre Sicherheit sehr besorgten Menschen wahrlich nicht angenehm ist.

Es läßt sich nicht länger verheimlichen: New York erlebt eine Rattenüberschwemmung. Nicht nur in Parks und Anlagen, in sumpfigen Geländen, nein, auch in Häusern, Schuppen, Zimmern brechen diese Tiere angriffslustig und oft in zahlreichen Rudeln zerstörerisch und feindselig hervor. Es handelt sich um eine ganz besonders kräftige und draufgängerische Rattengröße. Große hellhaarige Tiere von derselben Art, wie sie vor rund einem Jahr von den Riker-Inseln gemeldet 48 worden waren. Dort hatten sie fast ein ganzes Dorf zum Einsturz gebracht.

Die mutigen Rattenbekämpfer – sie sind augenblicklich die Helden unserer an Helden so reichen Stadt – haben schon ihre ersten Abenteuer mit den Ratten hinter sich. Die Vorpostengefechte sind erledigt. Sie kosteten einem Beamten zwei Finger. Der Beamte wollte ein paar Ratten auf einem Parkweg totschlagen, die Tiere aber nahmen, in die Enge getrieben, den Kampf an. Kaum hatte der Wärter den ersten Schlag geführt, da stürzten wohl ein Dutzend Ratten auf ihn los, versuchte an ihm hochzuklettern und sich an ihm festzubeißen. Nur die Flucht durch einen künstlichen Wasserfall rettete den Beamten vor weiteren Angriffen der widerlich pfeifenden, schrill schreienden, blutgierigen Tiere.

Wer will sich anmaßen, abschätzen zu können, wieviel Ratten in New York ihr Unwesen treiben? Die einen sprechen von fünfhunderttausend und die anderen von zwei Millionen. So oder so! Die Gefahr ist groß. New York leitet in aller Stille und mit zäher Beharrlichkeit einen Rattenkrieg ein. Wird es gelingen, das lichtscheue Gesindel in seine dunklen unterirdischen Gänge zurückzubannen? Bange Frage.

Ja, ja, New York hat schon seine Sorgen. Einmal machen die Gangsters den Bürgern, die sich nach einem friedlichen, geordneten Dasein mit Recht sehnen, eben dieses Dasein unsicher, dann kommen die Prohibitionsagenten über sie und die Wirtschaftskrisen, und schließlich wird nun die große Stadt noch von den Ratten angeknabbert . . .«

Der Anlagenwärter ließ die geballte Faust auf den Tisch fallen, daß die Lampe ein wenig wackelte, und 49 blickte ratlos und verstört über die Wände mit den ausgestopften Vögeln hinweg. Das war doch . . . Also so weit konnte es mit diesen Tieren kommen! Ich ahnte es ja. Jetzt liefen sie noch ziemlich harmlos am Grabenrand in kleinen Rudeln umher, aber sie vermehrten sich schnell, sie würden anwachsen, sie würden in die Stadt, in die Häuser dringen. Er hatte die Stadtverwaltung also mit Recht gewarnt. Den Herren wird das überlegene Lächeln auch noch eines Tages vergehen. Zwei Finger hatten sie dem Kerl abgebissen, die Blutsauger. Er sah auf seine eigene Hand. Zwischen Daumen und Zeigefinger, mitten zwischen Sommersprossen und grauen Haaren, waren zwei kleine rote Striche, geronnenes Blut, und die Hand war noch immer geschwollen. Diese unverschämten, dreisten Bestien. Seinen Lieblingen wollten sie ans Leben. Den Spaß wollte er ihnen verderben. Leise war er ans Entenhäuschen herangerudert, schaute behutsam in den warmen, gemütlichen Kasten. Da sah er Lilli, die bunte, am Hals grünschillernde, dick und traurig in der Ecke sitzen und auf das Ei starren mit schwarzglänzenden Augen, auf das Ei, an dem das Untier gerade sog . . . Und als er mit der Hand schnell hineingriff, um es zu verscheuchen, da sprang es schreiend, zischend auf seine Hand zu, biß sich fest, sog zappelnd, blieb hängen, als er die Hand herauszog. Er nahm das Ruder und schlug es ihm auf den Kopf, da plumpste die Ratte tot ins Wasser. Ha ha.

Er stand auf, schwankend mit seinem breiten, gebogenen Rücken, ging zum Vertiko und holte Briefpapier heraus. Er holte das Tintenfaß und den Federhalter und schrieb langsam und krackelig in großen, unbeholfenen Buchstaben und weitgebauschten Schleifen: 50

An die Stadtverwaltung . . .

Hochverehrte Herren,

noch einmal schreibe ich und bitte dringend und ganz ergebenst um Gehör. Soeben lese ich folgendes in der Zeitung. Ich lege Ihnen zu gütiger Kenntnisnahme den betreffenden Ausschnitt bei. Ich bitte Sie, nehmen Sie die Sache nicht zu leicht . . .

 

Die Betten lagen übereinander, und Anton saß auf dem unteren Bett. Ihm gegenüber stand ein kleiner Tisch und dahinter ein Sofa. Darauf saß Oskar. Sie schwiegen, sie hatten ihre Hände ineinander gelegt und ruhten sich ein wenig aus. Auf dem Tisch stand eine kleine Lampe und schien auf Bücher und Hefte. Oskar wollte auch während der Fahrt etwas arbeiten. »Die Reise ist eigentlich zu schade zum Arbeiten«, sagte Anton. »Ich werde wohl immer auf Deck sein.«

»Genaue Zeiteinteilung, mein Lieber, dann geht es schon. Natürlich werde ich ein paar Stunden täglich draußen sein, aber ich werde auch arbeiten. So, jetzt möchte ich mir noch meine Hände waschen und dann in den Speiseraum gehen. Drück da doch mal.«

»Warum denn ich?« sagte Anton, aber er stand schon auf und drückte auf die Klingel neben der Tür. Darunter stand: »Steward«.

Nach einer Weile klopfte jemand an die Tür.

»Herein«, rief Oskar.

Der Steward trat schnell und leise ein, und verbeugte sich tief vor den beiden. »Guten Abend, meine Herren. Ich bin der Steward. Ich bin zu Ihrer Bedienung da. Was befehlen die Herren?« Der Steward war von zierlichem Körperbau, er hatte blondes, gelocktes Haar, 51 ein rosiges, pockennarbiges Gesicht, seine blauen Augen blickten liebenswürdig und ein wenig ängstlich, und seine Nase war keck und etwas frech nach oben geworfen. Er trug eine weiße Leinenjacke und schwarze Hosen.

Anton sah erstaunt in dies weiche, pockennarbige Gesicht, während Oskar sagte: »Bitte Wasser«.

»Sofort.« Der Steward verschwand.

»Weißt du was?«

»Nun?« Oskar blätterte schon wieder in einem Buch herum.

»Das ist Bauer.«

»Bauer? Was soll das?«

»Dieser Steward ist Bauer. Fritz Bauer. Vom Seminar in Marburg. Weißt du nicht mehr? Vor ein paar Jahren saß er doch immer im Historischen Seminar. Er sieht ihm verteufelt ähnlich.«

»Ist ja Unsinn.«

»Ich will ihn mal fragen.«

»Ach, laß dich doch nicht mit diesen Leuten ein.«

Es klopfte, und der Steward trat wieder mit zwei Wasserkannen ein. Anton beobachtete seine weichen Bewegungen. Anton stand auf und trat ihm näher. Sein rundes biederes Gesicht lächelte freundlich und ein wenig verschämt. Er zögerte, ehe er fragte: »Hören Sie, Sie kommen mir so bekannt vor. Aber es kann ja wohl nicht sein. Sie sind nicht Fritz Bauer, der mal in Marburg studiert hat? Das wäre ja zu komisch.«

Der Steward wurde rot und lächelte erschreckt und verlegen. »Stimmt. Bin ich. Aber wie können Sie wissen . . . Ich kann mich gar nicht erinnern . . . Aber mein Gott, man sieht ja auch so viele Menschen . . .«

»Sie sind wahrhaftig Bauer? Das ist ja phantastisch. 52 Ich habe es doch gleich gesehen. Habe ich nicht sofort gesagt: das ist Bauer aus Marburg?«

Oskar nickte. Er saß noch immer auf dem Sofa. Die Szene berührte ihn peinlich. Er lächelte höflich und kühl. »Mein Gott, wie seltsam . . .«

Anton ergriff Bauers Hand und schüttelte sie. »Wissen Sie nicht mehr? Wir saßen doch im Historischen Seminar in Marburg zusammen.« Er nannte seinen und Oskars Namen.

»Nein, sowas«, sagte Bauer. Seine blauen Augen blickten ins Leere. Er stand noch immer in devoter Haltung da, die Hände an der Hose. »In Marburg? Warten Sie einmal – in Marburg? Ach, das ist schon lange her. Verzeihen Sie, verzeihen die Herren, aber ich kann mich nicht mehr so genau erinnern. Was liegt auch alles dazwischen. Ach Marburg, ja ja . . . Aber was hab ich seitdem nicht alles gesehen. Die Universität, mein Gott. Also das gibt es jetzt noch. Das geht immer noch so weiter. Sie studieren vielleicht noch? Entschuldigen Sie, wenn ich die Herren so einfach frage . . .«

»Ja, wir studieren noch«, sagte Anton, »aber bald sind wir fertig. Gott sei Dank. Nur noch ein oder zwei Semester. Augenblicklich sind wir auf einer Studienreise nach Holland. Oder vielmehr – mein Freund ist auf einer Studienreise, und ich bin nur so mitgefahren, aus purem Vergnügen. Er arbeitet über Calvin, wissen Sie, und da muß er nach Holland, nach Amsterdam. Wichtige Dokumente. Na, Sie kennen ja den Rummel. Aber Sie werden jetzt wohl über den ganzen Kram lachen? Das wird Ihnen wohl alles ganz albern vorkommen?«

»Lachen nicht, wirklich nicht«, sagte Bauer ruhig und 53 bescheiden. »Nur bin ich aus alledem so herausgekommen. Aber nun will ich die Herren auch nicht länger stören. Würden die Herren übrigens jetzt zum Essen kommen? Der Kapitän wartet schon.« Er blickte Anton einen Augenblick freundlich und ergeben an, ein Lächeln war um seinen breiten Mund, und in den pockennarbigen Wangen erschienen Grübchen. Keck und vertrackt stand seine aufgeworfene Nase im Gesicht. Wie bei einem Clown, dachte Anton. Dann verbeugte er sich tief, und zwar mehr nach Oskar als nach Anton hinüber, und verschwand lautlos und weich auf seinen weißen Tuchschuhen. Anton goß sich Wasser in die Schale und wusch sich die Hände, auch Oskar tat das. »Bauer aus Marburg. Kaum glaublich. Hier auf der Adelaide.« Anton schüttelte den großen runden Kopf. »Wie findest du das? Du sagst ja nichts?«

»Ich finde das Ganze peinlich. Offen gestanden.«

»Aber ich bitte dich: peinlich? Oskar, was fürn Unsinn. Ist doch nett, daß wir den Kerl mal wiedersehen. Er tut mir übrigens leid. Weiß selbst nicht weshalb.«

»Werde nur nicht zu intim. Er ist der Steward. Und am besten ist schon, wir lassen uns hier auf dem Schiff überhaupt nicht merken, daß wir ihn kennen.«

»Oskar, rede nicht son vermottetes Zeug.«

»Handtücher sind auch nicht da«, sagte Oskar und hielt vorwurfsvoll seine nassen triefenden Hände in die Luft. Er klingelte.

Es klopfte, und der Steward trat weich und geräuschlos ein.

»Wir haben gar keine Handtücher«, sagte Oskar. Er blickte Bauer streng und überlegen an. Der korrekte Oskar, dachte Anton.

54 »Verzeihung. Ich bringe sofort welche.« Bauers blaue Augen waren hilflos und schuldbewußt. Er verschwand und kam gleich wieder, zwei Handtücher überm Arm. Während Oskar und Anton sich die Hände trockneten, sagte er leise: »Die Herren kommen zum Essen, nicht wahr? Der Kapitän sitzt schon am Tisch.«

»Ja,« sagte Oskar, »führen Sie uns hin.«

Bauer öffnete ihnen die Tür und ließ sie vorangehen, er verbeugte sich wieder leicht vor ihnen. So devot brauchte er auch nicht zu sein, dachte Anton. Er genierte sich für Bauer.

Sie gingen durch das Schiff, durch die Gänge, an Kabinen, an der Küche vorbei, wo der weiße Koch stand. Sie sahen in den Maschinenraum, und sie hörten das Rasseln und Quietschen des Krans, der die Ladung in den Schiffsleib beförderte. Das Schiff war schwarz, und es lag in der schwarzen Nacht, auf dem schwarzen Wasser. Aus den Kabinen fiel ein wenig Licht auf den Kai und ins glatte Wasser. Im Hafen war es jetzt sehr still. Hin und wieder gluckerte die Flut an die Kaimauer. Nur die Leute der Adelaide waren in Bewegung, und ihre Rufe tönten durch die Nacht. Erich und Hans hatten sich jetzt das Schiff genau angesehen, sie hatten in die Kabinen geblickt, in den Laderaum, sie hatten Oskar und Anton in der Kabine beobachtet und gesehen, wie der Steward mit der weißen Joppe eintrat, er hatte zwei Handtücher über dem Arm, und sie hatten den Kapitän auf der Kommandobrücke gesehen und seine laute rohe Stimme gehört. Mein Gott, was konnte der Mann schimpfen und fluchen. Nun kam er aber nicht mehr, er saß im Speisezimmer und wollte mit Oskar und Anton Abendbrot essen. Seine brutalen behaarten Hände lagen auf dem Tisch und 55 spielten gereizt mit Messer und Gabel. Verflucht, diese Passagiere! Na, in Rotterdam stiegen sie ja schon wieder aus.

Erich und Hans saßen auf einem aufgerollten Tau. Sie sagten lange nichts. Es dämmerte sich so schön hin. Der Himmel war schwer und undurchsichtig – ohne Mond. Die Nacht drängte sich um sie zusammen. Auf der Adelaide wurde es jetzt auch stiller. Die dicken Leiber der Schiffe lagen rund und stumm da, sie lösten sich weich in die Finsternis auf. Die Jungens rochen das säuerliche Holz der hingeduckten Schuppen. Die Sonne hatte am Tage darauf gebrannt, und sie hatten sich mit Wärme vollgesogen, nun strömten sie diesen warmen Atem aus. Eine Katze umkreiste gespreizt und hochaufgerichtet mit leisem Miauen den Schuppen.

Da sagte Erich zaghaft: »Können wir jetzt wenigstens nach Hause gehen?«

Hans blickte hochmütig ins Wasser. Nach einer Weile sagte er kurz auflachend: »Luise schläft nun wohl schon. Langweilig, nicht?«

»Ach, die schläft schon lange. Wie spät mag es wohl sein? Sicherlich sehr spät.«

»Aber Luise ist eigentlich doch ein feines Mädel, nicht?« fragte Hans.

»Ich finde sie auch fein.«

»Ein Mädel ist sie natürlich.«

»Das schon.«

»Sie ist viel netter als Fifi zum Beispiel.«

»Ja, Fifi ist albern. Die lacht manchmal so dumm.«

»Aber Luise nicht.«

»Nein, Luise nicht, die ist fein.«

Hans gähnte. »Na, dann können wir ja so langsam nach Hause pendeln. Du willst ja doch ins Bett.«

56 Sie bummelten durch den Hafen. Erich mußte seinen Schritt bezähmen. Am liebsten wäre er pfeilschnell nach Hause gerast, aber er wußte, das ging nicht. Nachlässig schlenderte er neben Hans einher. Vorm Astoria blieb Hans noch einmal stehen. »Eigentlich müßte man ja rein.« Aus dem Garten klang Musik und Gejohle. Der Portier trat auf sie zu. »Das ist noch nichts für so kleine Herren. Marsch, ins Bett.« Hans blickte hinter sich. Da stand ja niemand. »Wen mag er wohl gemeint haben?«

 

»Calvin?« fragte der Kapitän. Er versuchte interessiert zu sein. Seine Augen blickten mit plumper Höflichkeit zu Oskar hinüber, und auf seiner niedrigen und gewöhnlichen Stirn erschienen ein paar angestrengte Falten. »Hat der denn mal in Holland gelebt? Mein Gott, man hört ja so wenig von diesen Leuten.«

»Nein, er ist ein Schweizer«, erklärte Oskar würdevoll. »Aber Sie werden wohl wissen, daß der holländische Protestantismus calvinistische Formen angenommen hat.«

»Mir neu, der Protestantismus? Aha. Sehr interessant. So, und Sie wollen diesen Protestantismus an Ort und Stelle –«

»Nein, nicht eigentlich den Protestantismus. Ich will die Beziehungen zwischen dem Calvinismus und der Wirtschaftsethik –«

»Entschuldigen Sie. Was ist das? Was es nicht alles für Dinge gibt.« Kapitän Martens lehnte sich zurück und lachte gequält. Seine dicken, roten, behaarten Hände lagen auf dem Tisch und hielten Messer und Gabel kerzengerade nach oben. Greulich, dies 57 Gequassel mit dem eingebildeten Fatzken. Was sollte das nun alles? »Warum machte ihm die Reederei immer wieder diese Scherereien? Dies ist das letzte Mal, daß ich Passagiere mitnehme . . .

»Ja, die Beziehung zwischen dem Calvinismus und der Wirtschaftsethik der Holländer im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Das bedeutet . . .«

Anton konnte es nicht mehr aushalten. »Das interessiert Kapitän Martens doch gar nicht«, sagte er. »Quäl ihn doch nicht mit dem Zeug.« Wie war dies Gespräch auch peinlich für Bauer, der gerade und stumm neben dem Tisch stand, leise hin und her lief, um Speisen und Teller zu bringen. Er lächelte mühsam und sah manchmal ängstlich den Kapitän mit seinen sanften blauen Mädchenaugen an. Seine pockennarbige Haut war leicht gerötet. Auch der Kapitän sah während des Essens hin und wieder von unten herauf zu Bauer hinüber mit einem eigentümlich lauernden Blick.

Da legte der Hund, der neben dem Kapitän auf dem Sofa saß, auf einmal seine Pfote auf den breiten Schenkel seines Herrn. Es war ein fettes widerliches Vieh. Ein kurzhaariger weißer Terrier mit ein paar schwarzen Flecken und kleinen bösen Augen. Er jaulte leise auf und guckte erst auf den Teller des Kapitäns, auf das Fleischstück, das da rot und saftig lag, dann in das rote, blauadrige Gesicht des Kapitäns.

»Ach, willst du auch was haben, mein Junge? Hat meine kleine Nelly Hunger?«

Nelly jaulte lauter auf und hob geschmeichelt den Kopf.

»Wieder vergessen«, sagte der Kapitän und sah Bauer drohend an. »Was soll das heißen?« Er klapste ein paarmal auf den fetten Hundeleib. »Meinen Sie, für 58 so ein Tier brauchen Sie nicht zu sorgen? Der Hund gehört zur Herrschaft und ist mehr als Sie, Sie Lümmel. Verstanden?«

Bauers Glieder lösten sich und fielen zusammen. Er sah nach unten zur Seite. »Ja, Käpten«, hauchte er.

»Also marsch, füll ihm die Schüssel und bring sie. Wie stehst du denn überhaupt da?« Kapitän Martens stand auf. Er trat ihm ganz nahe und sah ihn lange von oben bis unten an. »Haltung.« Bauer straffte sich. »Ansehen.« Bauer sah ihn mit tief ergebenen unglücklichen Augen an. Sie blickten sich beide stumm einen Moment an. Kapitän Martens atmete schwer. »Los, hol die Schüssel«, sagte er dann und setzte sich wieder. Bauer glitt mit weichen Gliedern aus der Kajüte.

»Nelly – also ein Weibchen?« sagte Oskar, um abzulenken.

»Falsch geraten. Ein Männchen, ha ha«, lachte Kapitän Martens. Er hob den Hund an den Vorderbeinen hoch, um zu zeigen, daß es kein Weibchen war. »Er heißt nur Nelly, weiß auch nicht mehr weshalb, aber er ist ein richtiger Junge. Oder bist du ein kleines Mannweibchen, ein Weibmännchen, mein kleiner, dicker Moppi, wie?« Er tätschelte ihn wieder und drückte ihn zärtlich an die Brust. Der Hund schnaufte und grunzte vor Vergnügen.

»Denken Sie,« sagte Anton, »wir kennen Bauer, den Steward, von früher her.«

»So?« sagte Kapitän Martens. Oskar sah Anton vorwurfsvoll an. Er sollte doch den Mund halten.

»Er war mal Student in Marburg«, sagte Anton, »er hat mal bessere Tage gesehen. Es kann einem deshalb leid tun, wenn man –«

»Ach was, den Burschen muß man stramm halten. Ein 59 ganz schlapper Kerl. Aber ich will ihn schon kriegen. Hat schon ordentlich parieren gelernt. Ja, ja, ich weiß, daß er mal ein anderes Stück Welt gesehen hat. Hat allerlei hinter sich. Ich hab das alles aus ihm herausgeholt. Hat er mir einfach erzählen müssen. Ich sage: Bauer, wie war das, nun schieß los, halt nicht hinterm Berge – und dann muß er reden, ob er will oder nicht. Wissen Sie, der Kerl hat ja keine Energie, ist weich wie ein Mädchen. Im Tingeltangel ist er auch mal gewesen. Hat so Lieder vorgetragen, ganz komische Lieder. Wissen Sie das?«

»Nein«, sagte Anton. »Er tut mir aber sehr leid.«

»Leid? Warum? Hat's hier ja gut. Will's ja gar nicht anders haben. So will er's ja gerade haben, das ist es ja . . . Haben Sie eine Ahnung.«

Bauer kam mit der Schüssel und dem Hundefraß wieder herein. Er stellte die Schüssel auf den Boden und rief: »Nelly«. Kapitän Martens schubste Nelly sanft vom Sofa. »Na, friß.« Nelly stand auf dem Teppich und bellte Bauer erst eine Weile gereizt und böse an, ehe er sich knurrend ans Fressen machte.

»Fritz,« sagte Kapitän Martens, »du könntest uns mal eins von deinen Liedern vorsingen. Die Herren wollen dich mal hören.«

»Oh nein«, sagte Bauer zutiefst erschrocken und trat ein wenig zurück. »Jetzt doch nicht.«

»Gerade jetzt. Junge, zier dich doch nicht. Zeig mal, was du kannst.«

»Käpten, jetzt nicht, bitte nicht.« Bauer rang die Hände und sah ihn mit flehenden Augen an.

»Willst du mal singen, wenn ich es befehle. Hol die Quetschkommode her.«

»Käpten, bitte nicht, nicht vor den Herren. Die Herren 60 kennen mich ja. Ich habe ja mit ihnen zusammen . . . Bitte machen Sie mich nicht lächerlich.«

»Da sollte doch gleich . . . Also los, hol die Quetschkommode her, ich will dich begleiten. Du sollst tanzen und singen. Meine Herren, Sie werden Ihr blaues Wunder erleben –«

»Wenn Herr Bauer keine Lust hat, so verzichten wir aber gern auf seinen Vortrag. Sie sehen doch, daß er nicht mag«, sagte Anton. Oskar sah verlegen auf seinen Teller.

»Herr Bauer mag nicht? Sieh mal an! Herr Bauer wird überhaupt gar nicht darum gefragt, ob er mag oder nicht. Holst du nun endlich das Ding da?«

Bauer holte die Ziehharmonika und sagte leise: »Bitte Käpten, tun Sie es nicht.«

Der Kapitän lachte: »Doch, ich tue es. Was wollen wir denn zuerst mal singen? Das Lied von der Wilden Anny von Bilbao? Los, das wollen wir singen. Passen Sie auf, meine Herren Gelehrten!«

Und er begann zu spielen.

Bauer sah Anton an. Weich und traurig und verquält und sinnlich blickten seine Augen. Und er hob die Hände an die Hüften und begann sich zu wiegen im Takt. Da sah er abermals auf Anton und Oskar.

»Nein,« rief er, »das ist zu gemein. Das darf man mit mir nicht tun. Das geht doch nicht.« Und er lief hinaus.

Kapitän Martens saß düster und wortlos da. Er legte die Harmonika beiseite. Man hörte Nelly schmatzend die Schale auslecken.

Oskar stand auf. »Entschuldigen Sie, wir wollen fort.«

Anton fragte: »Wann fährt der Dampfer?«

Kapitän Martens zwang sich zu einer freundlichen 61 Miene. »Um zwölf. Sie haben also noch zweieinhalb Stunden Zeit.«

»Was sollen wir da machen? Wir sehen uns vielleicht noch mal den Hafen an.«

»Ja, tun Sie das. Und gehen Sie ins Hafenviertel. Da ist's abends ganz interessant. Da ist zum Beispiel das Astoria.«

»Na, wir werden mal sehen.«

Als sie draußen auf dem Gang waren, sagte Oskar nur: »Widerlich. Nee, nee . . .«

Sie wollten noch etwas spazieren gehen. Wer weiß, wann sie mal wieder in diese Stadt kamen. Sie gingen in die Kajüte und holten Mantel und Hut. Oskar ging schon auf den Kai, Anton mußte noch mal eben aufs Klosett. Der Schreck war ihm auf den Magen geschlagen. Als er dann durch den Gang nach draußen wollte, kam er an der Küche vorbei. Dort saß in dem weißen, hellerleuchteten, kleinen Raum der Steward, den Kopf auf den Arm gelegt. Seine Schultern zuckten. Anton trat ein.

»Nehmen Sie sich das doch nicht so zu Herzen, Herr Bauer.«

Bauer blickte auf. Die Tränen rollten still aus seinen blauen Mädchenaugen über die pockennarbigen Backen. »Er behandelt mich so gemein. Mich so vor Ihnen zu erniedrigen!«

»Warum tut er das denn?«

»Er will mich quälen. Es macht ihm Spaß, mich zu quälen. Immer ist er hinter mir her. Er hat mich ruiniert.«

»Aber warum denn? Warum denn bloß?«

Bauer lächelte trübe und verlegen: »Ja, ist ne komische Art, das kann man schon sagen. Aber sehen Sie, wenn 62 einer immer allein auf dem Meer herumfährt und keine Frauen mitnehmen darf, dann muß er ja verdreht werden.«

»Ach so«, sagte Anton bedrückt.

»Er muß mich quälen, das macht ihm Spaß, das macht ihn ganz wild. Oh, Sie sollten ihn nur mal sehen . . .«

»Ja, aber warum lassen Sie sich denn das alles gefallen? Gehen Sie doch einfach fort.«

»Ja, ja, ich sollte fortgehen«, sagte Bauer. »Aber es ist ja auch nicht leicht, eine andere Stelle zu finden. Und dann . . . Man wird ja so mutlos . . . Man kann sich zu gar nichts mehr entschließen. Und dann bleibt man eben hängen.«

»Herr Bauer, gehen Sie doch fort. Auf alle Fälle. Lieber gar keine Stelle, denke ich mir, als so eine.«

»Ja, Sie haben recht, man sollte es versuchen. Aber nachher schlittert man ja doch wieder rein«, sagte Bauer verlegen und sah zur Seite.

»Das liegt doch ganz an Ihnen, Herr Bauer«, rief Anton.

»Natürlich«, sagte Bauer. Sein müder blauer Blick fiel auf die Türöffnung. Nelly, der Hund, stand plötzlich auf der Schwelle.

»Da, da, sehen Sie«, rief Bauer. »Da schnüffelt er schon wieder hinter mir her. Das ist seine dreckige, gemeine Seele, die steckt in dem Tier.«

Nelly ging langsam auf Bauer zu, leise knurrend, mit wilden, grellen Augen. Die Haare auf seinem speckigen Rücken sträubten sich.

»Fort, du Biest«, rief Bauer. »Du gemeines Aas.«

Nelly bellte immer lauter, kürzer und härter.

»Nun geht das wieder los«, rief Bauer mit kläglichem Blick zu Anton. »Immer springt mich die Bestie an, als 63 wenn sie mich auffressen wollte. Weg, du Satan . . . Eifersüchtig ist der Bursche auch noch. Nun laß mich doch in Ruh.« Aber Nelly dachte nicht daran, immer heftiger und wütiger warf er sich mit seinem kleinen, runden, harten Leib an Bauer heran, schnappte zu seinem Gesicht hinauf, riß an seinem Zeug. Bauer stieß ihn fort mit Händen und Füßen, taumelte zurück bis an den Tisch, lehnte sich nach rückwärts über die Tischkante. Da stieß er mit der Hand an den Fleischhauer, der auf dem Tisch lag. Nelly sprang ihn wieder an, und diesmal biß er nicht nur in Bauers Hose, sondern fest in seinen Schenkel. Zappelnd und gierig wimmernd blieb er am Schenkel hängen. Bauer brüllte auf vor Schmerz. Sein pockennarbiges Gesicht lief bis unter die blonden weichen Locken rot an. Plötzlich griff er zum Fleischhauer und schlug ihn dem Hund krachend vor die Stirn. Nelly plumpste zu Boden und lag auf einmal still da.

»Ach, du meine Güte«, sagte Bauer und ließ den Fleischhauer fallen.

Nelly lag unbeweglich mit gespreizten Beinen und verdrehten starren Augen.

»Ich glaube, er ist hin«, sagte Anton.

Bauer lächelte hilflos und verwirrt. In seinen Wangen erschienen die hübschen Grübchen.

Der Koch trat in die Tür. Mit weißem Kittel und weißer Mütze. Er mußte sich ein wenig bücken, damit er mit seiner weißen Mütze durch die Tür kam. Bauer blickte ihn entgeistert an.

»Guck doch nicht so blöde«, sagte der Koch. »Ach, guten Abend, mein Herr. Sie sind wohl einer unserer beiden Passagiere?«

»Ja«, sagte Anton und sah auf den Hund.

64 »Nun sieh dir diesen unverschämten Köter an. Da liegt er mitten in der Küche.« Er trat ihn mit dem Fuß.

»Er schläft«, sagte Bauer und nahm ihn schnell auf den Arm. Nellys Kopf hing schlaff herab und baumelte. Die Beine waren starr. »Ich trag ihn in seinen Korb.«

»Mein Gott, wie freundlich auf einmal«, sagte der Koch kopfschüttelnd.

Bauer verschwand mit dem Hund. Anton ging ihm nach.

Bauer lehnte sich über die Reling und ließ den Hundekadaver ins Wasser fallen. Er platschte auf.

»Was soll ich denn jetzt machen?« sagte Bauer. »Wenn er das erfährt, dann prügelt er mich tot.«

»Machen Sie, daß Sie fortkommen, ehe er etwas merkt«, sagte Anton.

»Das muß ich wohl«, sagte Bauer schon ganz apathisch. »Und nicht wahr, Sie sagen nichts?«

»Nein«, sagte Anton.

»Ich danke Ihnen«, sagte Bauer. »Und entschuldigen Sie.« Leise verschwand er auf seinen Tuchschuhen in dem dunklen Gang. Die Nacht war still und schwarz, und Anton sah einen Augenblick in das Wasser, wo jetzt der Hundeleichnam schwamm. Erkennen konnte er ihn nicht. Vielleicht war er schon untergesunken. Nun sog sich das fette Tier auch noch mit Wasser voll.

 


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