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Heim und Staat

(Rede beim Stimmrechtskongreß zu Stockholm im Juni 1911.)

Meine Herren und Damen! Vor allem habe ich der Kongreßleitung, die mich eingeladen hat, bei diesem Anlaß zu sprechen, meinen Dank zu sagen; und in diesem meinem Dank liegt nicht nur eine Anerkennung der Ehre, die der Auftrag bedeutet, sondern ich will auch dafür danken, daß mich die Leitung, indem sie mich zur Vertreterin der Stimmrechtssache machte, genötigt hat, mich selbst mit jener vielfältigen und vielleicht weltumgestaltenden Erscheinung auseinanderzusetzen, die Frauenbewegung heißt.

Denn, nicht wahr? Eines ist es, mit in den Reihen zu gehen, stumm der Schar zu folgen, wie ich es bis jetzt getan habe. So lange ist man nur sich selbst verantwortlich, und so lange kann ein fester Glaube an die praktische Notwendigkeit der neuen Richtung genügen. Ein anderes ist es aufzustehen und den Vorbeigehenden zuzurufen, daß der rechte Weg gefunden ist, und daß der gut tut, der sich uns anschließt. Damit nimmt man eine Verantwortung auf sich, die man nicht tragen kann, wenn es einem nicht zugleich klar ist, daß diese Bewegung auch von so idealer Bedeutung ist, daß es ein Gutes ist, für sie zu kämpfen, gleichviel was man dabei erntet: Freud oder Leid, Erfolg oder Niederlage.

Ferner will ich bekennen, als ich mich hinsetzte, um meinen Vortrag zu überdenken, da glaubte ich, ich würde ohne jede Schwierigkeit die Gründe finden, die die Rechtmäßigkeit unserer Forderung beweisen. Ich hatte das Gefühl, daß ich nur in eine wohlversehene Rüstkammer zu gehen und dort die Waffen hervorzuholen brauchte, deren ich bedurfte. Da waren sie schon in Ordnung, stark und scharf geschliffen, der Geschichte und dem Leben entnommen, der Welt des Gedankens wie der Erfahrung. Ich brauchte nur zu wählen.

Laß mich einmal sehen, sagte ich zu mir selbst, wir Frauen verlangen das Wahlrecht. Worauf haben wir uns zu berufen, das uns berechtigen kann, an der Reichsverwaltung teilzunehmen?

Wir schwedischen Frauen pflegen die Aufmerksamkeit auf die Stimmrechtsbewegung selbst zu lenken, die in so wenigen Jahren unter uns entstanden ist. Wir rühmen uns unserer hundertundsiebzig Stimmrechtsvereine, der Unmenge Broschüren, die wir aussenden, der Vorträge, die war halten. Wir erinnern daran, daß wir dreißigtausend Frauen sind, die in Stimmrecht fordernde Organisationen eingetreten sind, wir berufen uns auf unsere große Petition mit ihren hundertundvierzigtausend Namensunterschriften. Aber bei näherem Nachdenken fand ich, daß es keinen Zweck für mich hatte, dies wieder vorzubringen. Würde man mir nicht ganz einfach entgegenhalten, daß die schwedischen Frauen, die kein Stimmrecht verlangen, zahlreicher sind als die, welche es wünschen?

Wir pflegen auch darauf hinzuweisen, wie viele unser sind, die nunmehr ihr Brot durch eigene entlohnte Arbeit verdienen. Aber der Staat entlohnt unsere Arbeit niedriger als die des Mannes und schließt uns noch von einer Anzahl Erwerbsmöglichkeiten aus. Wir müssen ein Wort in die Gesetzgebung dreinzureden haben, damit dies anders wird. Wir wünschen eine Änderung in der ökonomischen Lage der verheirateten Frau, und wir wünschen für sie das Recht, über ihre eigene Person zu bestimmen. Aber wird man uns schwedischen Frauen je aus diesen Gründen das Wahlrecht geben? Sicherlich würde man uns antworten, daß diese Maßnahmen der Gerechtigkeit ohne unsere Mitwirkung durchgeführt werden können, sowie uns schon das gleiche Erbrecht und so vieles andere bewilligt wurde.

Sollte ich die Arbeit anführen, die wir Frauen als Krankenpflegerinnen, als Diakonissinnen, als Slumschwestern, als Freiwillige auf dem Gebiete der Armenpflege geleistet haben und leisten? Man würde mir antworten, dies zeige gerade, welche Macht die Religion auf die Frauen ausübt. Das Stimmrecht den Frauen, das würde soviel wie eine wiedererstandene Priesterherrschaft bedeuten.

Oder sollte ich betonen, daß die Frau akademische Examina ablegen kann, so wie der Mann, daß sie sich als Entdeckerin und Forschungsreisende einen Namen gemacht hat, daß sie Unternehmungen leitet, und sagen: daß, wenn sie auf diesen Gebieten mit dem Mann konkurrieren kann, sie sich wohl auch fähig zeigen wird, sich in das parlamentarische Leben einzuarbeiten? Ich weiß, man würde mir erwidern, daß, wenn es auch die eine oder die andere Frau gibt, der man gerne das Stimmrecht zuerkennen würde, dafür Tausende da sind, in deren Händen man es nicht gerne sehen möchte; und da man nicht für die Ausnahmen Gesetze geben kann, so müssen eben alle verzichten.

Aber haben wir denn nichts getan, das uns zu denselben Forderungen berechtigen kann wie der Mann? begann ich mich selbst zu fragen. Unsere Zeit auf Erden ist lange gewesen, ebenso lange wie seine. Ist sie spurlos vorübergegangen? Haben wir nichts geschaffen, was für das Leben und die Kultur von unersetzlichem Werte ist? Haben wir denn, außer daß wir Menschen in die Welt gesetzt haben, nichts zum Besten des Ganzen geschaffen? Ich weiß doch, die Frauen vor unserer eigenen Zeit haben ihr Leben nicht als tändelnde Kinder vergeudet, sondern sie haben gearbeitet. Ich sehe auf Gemälden und auf Kupferstichen Bilder alter Frauen aus alten Zeiten. Ihre Gesichter sind abgehärmt und streng, ihre Hände knochig. Sie haben nicht als stumpfe Gefangene im Harem gesessen, sie haben ihr Streben und ihr Interesse gehabt. Was haben sie getan?

Ich stelle mich vor Rembrandts alte Frau, mit ihren tausend Runzeln in dem klugen Antlitz, und ich frage sie, wozu sie gelebt hat. Sicher nicht, um von vielen Männern angebetet zu werden, nicht um einen Staat zu regieren, nicht um einen Gelehrsamkeitsgrad zu erwerben. Und doch kann die Arbeit, der sie sich gewidmet hat, nichts Unbedeutendes gewesen sein. Sie ist nicht leer und töricht durch die Welt gegangen. Männer- und Frauenblicke ruhen lieber auf ihrem greisen Antlitz als auf dem der holdesten jungen Schönheit. Ihr Leben muß einen Inhalt gehabt haben.

Wir wissen alle, was die Alte auf meine Frage antwortet. Wir lesen die Antwort in ihrem sanften, gütigen Lächeln: ich habe nichts anderes getan als ein gutes Heim geschaffen.

Und sieh da, das würden sie antworten, die Frauen, wenn sie Geschlecht um Geschlecht aus ihren Gräbern auferstehen könnten, das eine Tausend, die eine Million nach der anderen:

Wir haben nichts anderes getan, als uns bestrebt, ein gutes Heim zu schaffen.

Wie wenige von ihnen würden etwas anderes erwidern! Die eine oder andere Klosterschwester würde rufen, ihr Lebensziel sei es gewesen, Gott zu dienen, die eine oder andere Regentin würde erklären, sie habe dem Staat gedient. Aber ihre Gestalten würden in der Menge verschwinden. Ihre Stimmen würden nicht gehört werden unter all jenen, die sprächen: Unser Streben war es, ein gutes Heim zu schaffen.

Wir alle wissen, daß dies wahr ist. Wir wissen, wenn wir die Männer befragten, wenn wir die Generation um Generation aufstellen könnten, Tausende und Millionen hintereinander, von ihnen würde keiner auf den Gedanken kommen zu antworten, sie hätten gelebt, um ein Heim zu schaffen. Das ist Sache der Frau gewesen. Es gibt keinen Mann, der Anspruch auf die Ehre erhebt, das Heim geschaffen zu haben.

Und wir wissen, daß es unnötig ist, nach anderem zu forschen. Wir würden nichts finden. Unsere Gabe an die Menschheit ist das Heim gewesen, dies und nichts anderes. Wir haben an diesem kleinen Bau seit Mutter Evas Zeit gebaut. Wir haben den Plan geändert, wir haben experimentiert, wir haben Neues entdeckt, wir sind zu Altem zurückgekehrt, wir haben uns angepaßt. Wir sind ausgezogen und haben die wilden Tiere gezähmt, deren das Heim bedurfte, wir haben unter den Pflanzen der Erde die Getreide ausgesucht, die Obst tragenden Bäume, die wohlschmeckenden Beeren, die schönsten Blumen. Wir haben unser Heim wohnlich gemacht und es geschmückt, wir haben seine Sitten ausgearbeitet, wir haben die Erziehungskunst geschaffen, das Behagen, die Höflichkeit, die fröhlichen, traulichen Umgangsformen.

Für das Heim sind wir groß gewesen, für das Heim waren wir auch kleinlich. Nicht viele unter uns haben mit Christina Gyllenstjerna auf den Mauern Stockholms gestanden und haben eine Stadt verteidigt, noch wenigere sind mit Jeanne d'Arc ausgezogen, um für das Vaterland zu kämpfen. Aber wenn der Feind bis zum eigenen Tore käme, da standen wir da mit Wischfetzen und Besen, mit der scharfen Zunge und der krallenden Hand, bereit, bis zum äußersten zu kämpfen, um unsere Schöpfung, das Heim, zu verteidigen.

Und dieser kleine Bau, der so unsägliche Mühe gekostet hat, ist er geglückt oder mißglückt? Ist der Beitrag der Frau für die Kultur gering oder wertvoll? Ist er geschätzt oder verachtet?

Man braucht ja, um eine Antwort zu finden, nur auf die Äußerungen aufzumerken, die wir beständig rings um uns hören können. Warum ergeht es einem Menschen in der Welt wohl? Weil er ein gutes Elternhaus gehabt hat. Ein anderer geht zugrunde. Auch das beruht wiederum auf der Erziehung, die er aus seinem Heim mitgebracht hat. Wie konnte dieser Mann so harte Schicksalsschläge ertragen? Weil seine Frau ihm stets ein gutes Heim geschaffen hat.

Ist sie nicht auch bewunderungswürdig, diese kleine Freistatt? Sie nimmt uns als zarte, hilflose, beschwerliche Kinder mit Freuden auf. Sie hat für uns als schwache, gebrechliche Greise einen Ehrenplatz. Sie bietet dem Manne Freude und Erquickung, wenn er müde nach des Tages Arbeit wieder dahin zurückkehrt. Sie empfängt ihn ebenso warm, ob die Welt ihn steinigt oder erhöht. Da gibt es keine Gesetze, nur Gepflogenheiten, die man befolgt, weil sie nützlich und zweckmäßig sind. Da wird gestraft, aber nicht um zu strafen, sondern um zu erziehen. Da ist Spielraum für alle Talente, aber wer keine hat, kann ebenso geliebt werden wie der genialste. Sie kann arme Diener in ihre Welt aufnehmen und sie fürs Leben behalten. Sie verliert keinen der Ihren aus den Augen und schlachtet das gemästete Kalb, wenn der verlorene Sohn wiederkehrt. Sie ist ein Asyl für die Sagen und Weisen der Väter, sie hat ihr eigenes Rituale für Feste und Feierlichkeiten, sie bewahrt die Erinnerung an Vorfahren, die keine Geschichte zu nennen weiß. Da kann ein jeder er selbst sein, solange er die Harmonie des Ganzen nicht stört. Es gibt nichts Geschmeidigeres, nichts Barmherzigeres unter allem, was Menschen zustande gebracht haben. Es gibt nichts so Hochgeschätztes, so Geliebtes, wie die Schöpfung der Frau: das Heim.

Aber wenn dem nun so ist, wenn wir erkennen, daß alle andere Frauenarbeit von verschwindender Bedeutung ist, verglichen mit dem Außerordentlichen, das sie im Heim geleistet hat, wenn wir sehen, wie hartnäckig die weibliche Begabung in diese Richtung weist, müssen wir da nicht aus ganzem Herzen die Frauenbewegung beklagen, diesen Aufbruch der Frauen aus dem Heim, ihre Auswanderung möchte ich sagen, aus dem eigenen gewohnten Tätigkeitsgebiet in das Arbeitsfeld des Mannes?

Die meisten Männer und recht viele Frauen selbst haben getrauert und sich geängstigt, sie haben auch aufgehalten und gehemmt, soviel sie nur konnten, aber nichts hat gefruchtet. Es gab nicht viel Anerkennung für das Streben des jungen Weibes nach Arbeit, dafür um so mehr Hohn und Spott. Die wenigst lockenden Stellungen, die schlechteste Entlohnung sind ihr geboten worden, und sie hat dankbar zugegriffen. Aber nur wenige haben daran etwas Bewundernswertes gefunden. Man hatte vielmehr das instinktive Gefühl, daß sie unrecht handelte, wenn sie den häuslichen Dienst verließ.

Man stellt in unseren Tagen die weitgehendsten Untersuchungen über die Ursachen der Auswanderung an. Man findet, daß sie auf ökonomischem Druck beruht, auf der Freude an Freiheit und Gleichheit, der Sehnsucht nach Abwechslung, lockenden Beispielen – –

Aber hat man damit genug gesagt? Fühlen wir nicht alle, daß dieses gewaltsame Losreißen von der heimatlichen Erde durch einen unerklärlichen und unwiderstehlichen Zwang verursacht zu sein scheint? Wir vergleichen es mit einer Krankheit, dieses, das Tausende und aber Tausende aus bekannter Umgebung und von geliebten Angehörigen weg in fremde Länder treibt, wo sie sich einer neuen Natur anpassen, eine neue Sprache lernen, sich neue Arbeitsmethoden aneignen müssen. Der Lohn ist ungewiß, aber die Unannehmlichkeiten und die Schwierigkeiten sind sicher und unvermeidlich. Muß es nicht ein großes Naturgesetz sein, das die Auswandererscharen in Bewegung setzt?

Wir anderen wagen kaum, etwas zu tun, um da zu hemmen, denn wir wissen, solange es noch auf dem Erdenrund Neuland gibt, solange wird es auch Ansiedler geben, die dahin trachten. Man wird den Menschen nie verbieten können, die Erde zu füllen und sie bewohnbar zu machen.

Darum gibt es auch niemanden, der über den Emigranten lacht. Und ich glaube auch, es wird bald mit dem Spott über die arbeitende Frau aus sein. Man wird begreifen, daß, wenn sie getrieben wurde, aus dem Heim auszuwandern, dies nicht nur aus ökonomischen Gründen geschah, nicht nur aus dem Verlangen nach Gleichstellung, nicht aus Sehnsucht nach Abwechslung und Freiheit. All dies hat eine Rolle gespielt, aber auch noch etwas anderes. Ein Zwang, stärker als der Zwang der eigenen Natur, ein Hauch des Unerklärlichen in der Welt, hat die Frau in Bewegung gesetzt. Man wird dies verstehen, und man wird es nicht mehr wagen zu hemmen und abzuschließen. Goldene Weizenfelder, neue Städte, aufblühende Staaten zeigen uns den Weg des Emigranten. Die Frau wird vielleicht auch einmal zeigen können, daß, als sie in das Arbeitsgebiet des Mannes eindrang, sie Wüsteneien und Ödland in den Bereich der Kultur bringen wollte.

Aber bevor wir wagen, etwas über die Zukunft der Frau zu sagen, wollen wir doch zuerst sehen, was der Mann auf dem Arbeitsfeld, dem er sich gewidmet, geleistet hat! Und vor allem anderen: worin hat seine Arbeit bestanden? In den Tausenden von Jahren, die die Frau an ihrer kleinen Schöpfung, dem Heim, gearbeitet hat, was hat der Mann in erster Linie geschaffen?

Über die Antwort kann kein Zweifel sein. Der Mann hat den Staat geschaffen. Für ihn hat er gedient, für ihn hat er gelitten. Er hat ihm seine übermenschliche Arbeit gegeben als sein Leiter, er hat das Leben gewagt, um ihn zu reformieren. Er hat ihm seine tiefsinnigsten Gedanken geschenkt, er hat sich vor die Kanonenmündungen gestellt, um ihn zu verteidigen. Er hat sein Gebiet zusammengeschlossen, seine Gesetze ausgearbeitet, die Volksklassen in diese unendlich kunstreiche Schöpfung eingeordnet, die uns alle umfaßt und vereint wie die Glieder eines Körpers.

Nie wird man dem Mann seinen großen Ruhm als Schöpfer der Gesellschaft streitig machen. Nicht nur der große Gesamtstaat, sondern all diese kleinen und großen Organisationen, die er umfaßt, sind sein Werk. Sowie wir nur aus den vier Wänden des Heims hinaustreten, begegnet uns er und wieder nur er. Er hat das Gehöft, das Dorf, die Kommune, den Staat geschaffen; er hat die Kirche, die Universität, das Industriegemeinwesen ins Leben gerufen; alle jene Staaten im Staate, die wir kennen, sind von Anbeginn an sein Werk. Er ist der größte Baumeister menschlicher Ameisenhaufen, er steht nie allein, er gehört immer einem Zusammenschluß an. Kein Mann ist so geehrt wie der Staatsmann, wie der große Regent, weil wir fühlen und verstehen, daß die vornehmste Gabe des Mannes an die Kultur der wohlgeordnete, starke, schützende Staat ist.

Aber nun mögen wir Frauen uns wohl fragen: ist es für uns möglich, unsere kleine Schöpfung, das Heim, mit dem stolzen Werk des Mannes, dem Staat, zu vergleichen?

Wir wollen fürs erste eines feststellen. Es ist nicht meine Absicht zu sagen, daß das Heim, so wie ich es eben dargestellt habe, überall verwirklicht ist. Wenn dem so wäre, dann würde die Menschheit wahrscheinlich an ihrem Ziele stehen, und keine weiteren Reformen oder Fortschritte wären notwendig. Natürlich weiß ich, daß die meisten Heime nicht vollkommen sind, ja viele schlecht. Aber die guten, die glücklichen Heime, gibt es doch. Wir haben sie gesehen. Wir haben in ihnen gelebt. Wir haben sie vielleicht nicht selbst besessen, aber wir können bezeugen, daß sie da sind. Sie sind nicht nur ein Traum. Frauen können sie schaffen, in Armut wie im Reichtum, in Schlichtheit wie in Verfeinerung. Sie sind in der Königsburg und in der Taglöhnerhütte zu finden. Sie sind etwas, das es wirklich gibt.

Aber nun die Staaten?

Diese unsere großen Heime, so schwer zu bauen, mit solcher Anstrengung errichtet, mit so viel Blut und Tränen benetzt, mit Hilfe der größten Charaktere, der kühnsten Genies aufgebaut, gibt es oder hat es solche unter ihnen gegeben, die alle ihre Mitglieder befriedigt haben? Sind sie nicht in einer steten Reformarbeit begriffen? Will man sie nicht noch heute von Grund und Boden aus umformen? Bergen sie nicht den steten Keim zu Unzufriedenheit und Bitterkeit?

In Runebergs »Nadeschda« sagt Rußlands Zarin Kaiserin Katharina zu ihrer Freundin Fürstin Natalie mit Beziehung auf ihr Heim:

Welches Glück, an jedes Herz zu rühren,
Alle Wunden sanft zu heilen
Und ein Paradies von Glück und Freude
Nur durch seines Herzens Wollen aufzurichten.

Katharina war ein Weib, aber sie spricht hier nicht als Weib, sondern als Regentin des größten Reiches der Erde. Sie weiß, und jeder Staatsmann weiß es, daß der Staat Ordnung schaffen und Verteidigung bieten kann. Aber sie ist von dem Gefühl seiner Begrenztheit und Ohnmacht in anderer Hinsicht tief durchdrungen.

Oder wo fände sich der Staat, wo keine Kinder obdachlos umherirren, wo kein junges Menschenmaterial zugrunde geht, wo alle Jugend in Freude und mit Sanftmut erzogen wird, wie es das Recht des Kindes ist?

Wo ist der Staat, der allen seinen armen Alten ein geborgenes und geehrtes Alter bereitet, wie es jenen gebührt, die sich dem Ende des Lebens nahen?

Wo ist der Staat, der nicht straft um zu rächen, sondern einzig und allein um zu erziehen und aufzurichten, wie es uns klugen und zielbewußten Menschen ziemen würde?

Wo ist der Staat, der jede Begabung wahrnehmen kann? Wo der Staat, wo der Unglückliche ebenso gehegt wird wie der Erfolgreiche?

Wo ist der Staat, der nicht fremde Völkerschaften in sich schließt, die er nicht glücklich machen kann? Wo der Staat, der allen Gelegenheit bietet, ihr eigenes freies Leben zu leben, solange sie nicht die Harmonie des Ganzen stören? Wo der Staat, der keines seiner Mitglieder in Trägheit, Trunksucht, schmählichem Leben zugrunde gehen läßt?

Man antwortet mir vielleicht, daß der Staat dies ja gar nicht anstrebt. Er will Ordnung und Verteidigung. Aber wenn dem so wäre: warum befaßt er sich mit all dem andern? Er tut es, weil er weiß, daß der Staat, der nicht Glück schaffen will, sich nicht aufrecht erhalten kann. Er muß es, weil er der Liebe von Hoch und Niedrig bedarf. Der Staat muß ein Werkzeug des Behagens, der Sicherheit, der Erziehung, der Kultur, der Veredlung sein. Durch ihn will die Menschheit ihre höchst gespannten Hoffnungen verwirklicht sehen.

Der Fehler liegt auch nicht darin, daß die Staaten nicht genügend große Ansprüche an sich selbst stellen, sondern darin, daß es ihnen bisher aus irgendeinem Grunde unmöglich war, sie durchzuführen.

Hier ist nun eines festzustellen. Ich habe die Behauptung gewagt, daß das Heim die Schöpfung der Frau ist. Aber ich habe nie gesagt, daß sie es allein geschaffen hat. Zum Glück für sie und für alle hat sie da immer den Mann an ihrer Seite gehabt. Hausvater und Hausmutter haben miteinander gewirkt. Hätte die Frau sich allein bemüht, sie würde die Aufgabe nicht bewältigt haben. Es hätte das Heim weder als Traum noch als Wirklichkeit gegeben.

Aber bei der Schöpfung des Staates ist der Mann allein gestanden. Wohl stand eine Königin an der Seite des Königs unter dem Thronhimmel, aber sie war nicht als Königin, sondern nur als Gattin da. Nichts hat den Mann gezwungen, die Frau in den Gerichtssaal, in das Amtszimmer, in das Warenmagazin mitzunehmen. Er hat sich allein mit seiner schweren Aufgabe abgequält. Wie lange ging er nicht auch als Arzt allein in die Krankenhäuser? Noch geht er allein zu seinem priesterlichen Amt. Er bereitet selbst sein Essen in der Kaserne, er erzieht und unterrichtet die Knaben im Gymnasium. Er hat das Schwerste von allem auf sich genommen, für die Armen zu sorgen, er hat keine Arbeit gescheut.

Aber ist ihm sein Werk gelungen?

Was bezeugt der Haß zwischen den Gesellschaftsklassen? Was bezeugen die dumpfen Rufe von unten? Was bezeugt alles Klagen der Arbeitslosen? Was bezeugt die Auswanderung? Bezeugt all dies, daß es ihm gelungen ist, daß es ihm je gelingen kann?

Und nun! Gerade in dem Augenblick, wo die Staaten wanken, so bewunderungswürdig sie auch aufgerichtet sind, wo der soziale Umsturz vor der Türe zu stehen scheint, da beginnt die große weibliche Invasion in das männliche Arbeitsfeld, auf den Boden des Staates!

Hat dies etwas zu bedeuten? Oder bedeutet es nur, daß die Frau sich bessere Lebensbedingungen wünscht? Gleichstellung, Abwechslung, Freiheit, Macht? Warum kommt es dann gerade jetzt? Man müßte blind sein, um nicht zu sehen, taub, um nicht zu hören. Oder vernimmt sie vielleicht in sich ein Etwas, das ruft und mahnt? Ziehe aus, zu neuer, harter Arbeit! Nimm den Platz an der Eisenbahnschiene, fege die Straße, schreibe im Kontor, verkaufe Marken auf dem Postamt, unterrichte tief unten in der »Vorbereitungsklasse«, sitze beim Telephon, sei Handlangerin bei Operationen, tu all diese unbedeutende Arbeit, und sei gewiß, daß sie nicht vergeblich ist!

Sei vor allem überzeugt, daß sie notwendig war! Du mußt überall hinein, du mußt überall zur Hand sein, wenn der Staat einmal geliebt sein soll wie ein Heim. Sei gewiß, daß deine Arbeitskraft, die jetzt so gering geachtet ist, bald geschätzt und gesucht werden wird, ja über deine Leistungsfähigkeit in Anspruch genommen!

Sei gewiß, ebenso wie der Arzt sich nicht mehr ohne Krankenpflegerin behelfen kann, wird der Geistliche und der Armenhausvorsteher die Diakonissin brauchen, der Fabriksbesitzer die Fabriksinspektorin. Sei sicher, wir werden bald überall sein, in der Einöde und in den Städten, mit vielen heute unbekannten Titeln und Berufen. Aber alle für das gemeinsame Ziel arbeitend!

Ach, wir Frauen sind keine vollkommenen Wesen, und ihr Männer seid nicht vollkommener als wir. Wie sollten wir das, das groß und gut ist, vollbringen, ohne einander zu helfen?

Wir glauben nicht, daß das Werk rasch gelingen wird, aber wir glauben, daß es Sünde und Torheit wäre, unsere Hilfe abzuweisen. Wir glauben, daß Gottes Wind uns führt. Das kleine Meisterwerk, das Heim, war unsere Schöpfung, mit Hilfe des Mannes. Das große Meisterwerk, der gute Staat, wird vom Manne geschaffen werden, wenn er die Frau ernstlich zu seiner Helferin macht.


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