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Der dienstbare Geist

Krus Erik Erson, der Dorfschuster, und sein Lehrling, Konstantin Karlsen, hatten die ganze Woche im Pfarrhofe gesessen und Schuhe gemacht; und nun, so etwa um neun Uhr am Samstagabend, waren sie auf dem Heimweg zu ihren an der äußersten Grenze des Kirchspiels gelegenen Behausungen.

Es war Herbst, und die Sonne war schon längst untergegangen; aber sie wanderten darum doch nicht durch die Dunkelheit, sondern vielmehr durch klare Luft und Mondschein. Es war so schön, wie man es sich nur denken konnte. Der See unterhalb des Pfarrhofs lag spiegelblank da, und eine silberne Straße ging darüber hinweg, und auf den Feldern sah man an jedem Halm Tautropfen hängen, die im Mondschein zu weißen Perlen wurden. Nur hie und da, wenn sie ein Gehölz zu durchkreuzen hatten, wurde es dunkel um sie. Der Herbst war noch nicht weit vorgeschritten, die Bäume waren noch belaubt, und ihre Kronen breiteten sich wie tiefschwarze Wölbungen über den Köpfen der Wanderer aus.

Es kam sie ein bißchen ungewohnt an, zu gehen, nachdem sie sechs Tage über die Schusterbank gebückt dagesessen hatten. Sie pusteten unter der Last ihrer Ränzel, und keiner von ihnen sprach ein Wort.

Aber der Weg aus dem Pfarrhaus führte am Friedhof vorbei, und als Krus Erik Erson die alten Grabkreuze über die Kirchhofmauer schimmern sah, da kamen ihm plötzlich allerlei Gedanken.

»Ja, Konstantin,« sagte er, und seine Stimme klang ängstlich und sehnsüchtig zugleich, so etwa, wie man, nachts an einem fremden Obstgarten vorbeigehend, davon spricht, wie schön es wäre, ein paar Äpfel mitnehmen zu können. »Das wäre doch prächtig, wenn man ein bißchen Graberde kriegen könnte.«

»Graberde,« sagte der Lehrling und war so verdutzt, daß er stehen blieb. »Davon könnt Ihr doch haben, soviel Ihr mögt. Aber was wolltet Ihr denn damit anfangen?«

Krus Erik blieb ebenfalls stehen. Er war jetzt so ergriffen von dem, wovon sie sprachen, daß er kein lautes Wort herausbringen konnte, sondern flüstern mußte.

»Auf diese Art bekommt man nämlich einen ›Spirrtus‹. Und wer einen Spirrtus hat, der kann alles haben, was er will. Da brauchte unsereins nie mehr ein Paar Schuhe zu machen. Man könnte sich ein Haus bauen, so hoch wie der Glockenturm, und sich Pferde und Wagen anschaffen und brauchte keinen Schritt mehr zu gehen.«

Der Lehrling war aus einem Hause, wo große Frömmigkeit und Gottesfurcht herrschte und aller Aberglaube in Acht und Bann getan war. Er stand in dumpfem Staunen da und konnte gar nicht glauben, daß Krus Erik das ernst meinte.

»Es ist doch wohl nicht möglich, daß Ihr an derlei glaubt, Meister Erik,« sagte er.

»Und ob ich es glaube,« sagte der andere.

Und wie sie so vor dem Gottesacker standen, begann er von diesem und jenem zu erzählen, der sich einen Spirrtus verschafft und sich seiner bedient hatte.

Aber es gelang ihm nicht, bei dem Lehrling Glauben zu finden. Der war ein hochaufgeschossener schöner siebzehnjähriger Bursche von gutmütigem, aber ein wenig schläfrigem Aussehen. Er fragte in aller Unschuld:

»Wenn Ihr so fest dran glaubt, warum verschafft Ihr Euch nicht selbst einen solchen Helfer?«

Doch Krus Erik antwortete düster: »Das kann ich nicht. Es geht über meine Kraft.«

Und seufzend schob er sein Ränzel höher auf die Schulter und setzte seinen Weg fort.

Konstantin blieb stehen. Es sah aus, als sei ein leises Interesse an der Sache in ihm erwacht.

Als Krus Erik ein paar Schritte gegangen war, blieb er auch stehen und drehte sich nach dem Lehrling um.

»Du kannst doch nicht meinen, Konstantin,« und die Stimme zitterte bei dem bloßen Gedanken an etwas so Unerhörtes, »du meinst doch nicht etwa, ich könnte auf den Friedhof gehen und dort Erde einsammeln?«

»Nein,« sagte der Lehrling nachdenklich. »Wenn Ihr wirklich daran glaubt, begreife ich schon, daß Ihr es nicht könnt.«

»Ich kann nie nachts an einem Friedhof vorbeigehen, ohne mir einen Spirrtus zu wünschen,« sagte Krus Erik. »Aber ich kann mir keinen verschaffen. Drum lohnt es nicht, daß wir noch länger hier stehen bleiben, Konstantin.«

Und er setzte seine Wanderung fort, aber langsam, gleichsam in der Hoffnung, aufgehalten zu werden.

Der Lehrling folgte ihm auch jetzt nicht. Die Sache war nämlich so: wenn es jemand auf Erden gab, dem er so recht von Herzen gut war, so war es Krus Erik. Die Eltern daheim waren so streng, daß sie weder Scherz noch Spiel duldeten. Der Schuster hingegen war voll Späßchen und Schnurren, und es ließ sich so leicht mit ihm umgehen, als zählte er selbst erst siebzehn Jahre. Und als Konstantin ihn nun so alt und gebeugt am Wege stehen sah, da wandelte ihn die Lust an, ihm eine Freude zu machen.

Er stieß mit dem Fuße an ein Rasenstück, so daß die Tauperlen in die Luft sprühten.

»Seht Ihr, Krus Erik, ich habe vor einer Erdscholle so wenig Angst wie vor der anderen, und wenn Ihr nur ein kleines Weilchen auf mich warten wollt, sollt Ihr haben, was Ihr Euch wünscht.«

Er hatte, während er so sprach, sein Ränzel abgenommen und es auf die Straße geworfen. Nun war er mit einem Satz über den Straßengraben und die Mauer gesprungen und stand schon auf dem Kirchhof, ehe noch Krus Erik ihm befehlen konnte, von seinem Vorhaben abzustehen.

Es war auch notwendig, daß alles für den Meister so überraschend kam. Denn Krus Erik lag das Wohl seiner Lehrlinge ebenso sehr am Herzen wie sein eigenes. Er hätte, wenn er gefragt worden wäre, Konstantin nie und nimmer erlaubt, nächtlicherweile einen Kirchhof zu betreten.

Es wäre für Konstantin ein leichtes gewesen, ein wenig Erde aus einem Grab in der Nähe der Friedhofsmauer zu nehmen. Aber das wollte er nicht. Es bot sich ihm nicht so oft Gelegenheit, sich irgendwie auszuzeichnen, aber Mut hatte er, und es war ihm nicht unerwünscht, daß Krus Erik sich davon überzeugte.

Endlich machte er bei einem Grabhügel halt, der mitten auf dem Friedhof lag, lockerte mit dem Fuß ein Rasenstück und grub dann mit den Händen die oberste Erdschicht ab.

Als er glaubte, tief genug gekommen zu sein, nahm er ein paar Hände voll Erde und füllte die Taschen seines Kittels damit. Wie viel Erde für einen brauchbaren Spirrtus nötig war, konnte er freilich nicht so genau wissen, aber er dachte, zwei Taschen voll würden schon reichen.

Die ganze Zeit war er mit Eifer bei der Sache und verspürte nicht die leiseste Furcht. Seine Gedanken waren bei Krus Erik, was würde der wohl anfangen, wenn er einen Spirrtus in seiner Gewalt hatte?

Ganz totenstill war es rings um ihn. Er fand es beinahe schmählich, daß er nichts von alledem sah und hörte, was Leute auf Kirchhöfen zu hören und zu sehen pflegen. Nun konnte er mit gar keinem Abenteuer prahlen, wenn er zum Meister zurückkam.

Er schüttete die aufgeworfenen Erdschollen wieder in die Grube und legte den Rasen zurecht. Er tat dies ganz langsam, damit es noch ein Weilchen dauerte. Krus Erik sollte ja nicht glauben, er hätte Eile fortzukommen.

Mitten in der Arbeit hielt er inne und wurde ganz still, aber es war kein Gespenst, das ihn erschreckt hatte, nur ein wunderlicher, kleiner Gedanke.

Er kam sich mit einem Male recht dumm vor, daß er sich so abmühte, um Krus Erik einen Spirrtus zu verschaffen. Warum behielt er ihn denn nicht selber? Er hatte ihn wahrhaftig ebenso nötig wie der Meister.

Blitzschnell sah er eine kleine graue Hütte mit einem einzigen Gelaß vor sich, das war sein Heim, einen mageren, traurigen, totkranken Mann, das war sein Vater, eine abgearbeitete blasse Frau, das war seine Mutter. Weiß Gott, er brauchte einen Spirrtus nötiger als irgend jemand.

Während er noch so dachte, fiel ein Blatt von einem Baume. Es raschelte, wie es an seinem Kopfe vorbeiflatterte, und er sprang hastig auf.

Mit verwirrten Blicken sah er sich um. War etwas geschehen, während er über das Grab gebeugt dagestanden hatte? Wachten die Toten am Ende auf? Es ging bestimmt ein Flüstern von Grab zu Grab. Dort in dem schwarzen Schatten der Bäume schimmerte etwas Weißes. Da standen die Toten in hellen Scharen. Sie waren die ganze Zeit dagewesen. Im nächsten Augenblick würde er sie sehen.

Er war erschrocken, einen Augenblick, aber er lief nicht davon, sondern blieb stehen. Er zwang seine Blicke. Die durften nicht nach allen Seiten irren und nach Gespenstern ausspähen. Er wollte sich nicht einschüchtern lassen, wollte nicht atemlos und zitternd zu Krus Erik zurückkommen.

Und vor den festen Blicken verschwand alles. Die Luft wurde gleichsam von Spuk und Gespenstern gesäubert, und er konnte ruhig den Rückweg antreten.

Die Graberde für sich zu behalten, daran dachte er gar nicht mehr.

Wozu sollte das gut sein? Es war ja nur Erde.

Es kam ihm recht seltsam vor, daß ein so kluger Mann wie Krus Erik sich sein ganzes Leben lang in Sehnsucht nach solchen Kindereien hatte verzehren können.

Das war auch was Rechtes, um sich danach zu sehnen. Konstantin steckte die Hände in seine wohlgefüllten Taschen. Nur ein bißchen Erde.

Aber im selben Augenblick stieß Konstantin einen schrillen, gellenden Schrei aus, so wild und angstvoll, als hätte ein Gespenst sich auf ihn gestürzt.

Als seine Hände sich in die Taschen versenkten, da hatte er gefühlt, daß das, was da lag, nicht Erde war, sondern die Überreste toter Menschen. Es waren Finger, Zehen, glatte Augäpfel, verrunzelte Haut, verfilztes Haar, Fleisch, Knochensplitter, Sehnen.

Und all das war klebrig, kalt, weich, in Auflösung begriffen. Er riß die Hände heraus, und in wildester Flucht setzte er über die Mauer und eilte der Landstraße zu, während er zugleich versuchte, seine Taschen umzukehren, um sich von ihrem entsetzlichen Inhalt zu befreien. Die ganze Zeit schrie er, weniger aus Angst als aus Ekel.

Als er wieder auf dem Wege stand und sich nach Krus Erik umsah, merkte er, daß dieser schon weit über die Kirche hinausgelaufen war.

Konstantin packte in aller Eile sein Ränzel und warf es über die Schulter. Am liebsten wäre er so rasch gelaufen wie die Beine ihn tragen wollten, aber er mochte sich nicht auslachen lassen. Und so biß er die Zähne zusammen und schlug seinen gewohnten gemächlichen Trab ein, bis er schließlich beim Meister anlangte, der an der Ecke des Gemeindehauses stand und auf ihn wartete.

»Nun, wie steht es mit dir?« fragte Krus Erik, und als Konstantin antwortete, mit ihm stände es ganz gut, stellte er keine weiteren Fragen. Denn, seht ihr, Krus Erik wußte ja, wenn man den Verdacht hegt, daß jemand etwas Wunderliches gesehen hat, dann ist es nicht ratsam, gleich mit ihm darüber zu sprechen, sondern man muß erst einige Zeit verstreichen lassen.

Wie es mit dem Einsammeln der Graberde gegangen war, das sah er nur zu gut an Konstantins umgestülpten Taschen.

* * *

Im Sommer und so tief in den Herbst hinein wie nur möglich schlief Konstantin auf dem Dachboden, wo er sich mit ein paar Brettern einen Verschlag abgeteilt hatte, den er seine Kammer nannte. Groß war sie freilich nicht, eine schmale kleine Bettstatt nahm fast den ganzen Raum ein, aber sie hatte das Gute, daß er sich am Sonntagmorgen da ausschlafen konnte. Hätte er unten in der Stube bei den Eltern gelegen, dann hätte er beizeiten aufstehen müssen, damit die Mutter das Bett zurechtmachen konnte, ehe sie zur Kirche ging.

Seit er bei Krus Erik zu arbeiten begonnen, war es keine Seltenheit, daß er am Sonntag schlief, bis die Wanduhr unten in der Stube zwölf schlug, aber am Tage nach dem Abenteuer auf dem Kirchhof passierte ihm das nicht, an dem Morgen erwachte er schon vor neun. Sogleich erinnerte er sich an alles. Er spürte den Ekel noch in den Fingerspitzen. Es kribbelte in ihnen, sowie er nur daran dachte, was sie berührt hatten.

Natürlich war es alles nur Einbildung gewesen, pure Angst. Er wußte ja, es war nichts anderes als Erde gewesen, was er in die Taschen gesteckt hatte.

Aber Krus Erik hatte doch recht gehabt. Es war kein Spaß, nachts auf den Friedhof zu gehen und da Graberde zu holen.

Plötzlich war er mit einem Satz aus dem Bett. Man denke, wenn Mutter und Krus Erik sich auf dem Weg zur Kirche träfen, und wenn nun der Meister erzählte, daß Konstantin gestern abend auf dem Friedhof gewesen sei, um dort einen Spirrtus zu holen. Er mußte gleich mit dem Meister sprechen und ihn bitten, reinen Mund zu halten, Mutter würde ja ganz außer sich geraten.

So eilig er es auch hatte, konnte er es doch nicht über sich bringen, die Schuhe so staubig und schmutzig anzuziehen, wie sie waren. Er nahm Schuhlack und Bürste aus dem Ränzel und zog den Schuh über die Hand.

Da fiel eine ganze Menge Erde heraus.

Konstantin zog heftig den Atem ein und stieß ihn mit einem Pfeifen wieder aus. Er wußte, woher es kam, daß er Erde in den Schuhen hatte. Sie mußte hineingefallen sein, als er auf dem Friedhof seine Taschen ausgeleert hatte. Die Schuhe waren ja oben so weit. Jaja, es konnte gar nicht anders zugegangen sein.

Er sah sich die Erdschollen an. Sie waren ganz wie andere Erde. Ja gewiß, alles andere war nur Einbildung gewesen.

Er leerte beide Schuhe aus und scharrte die Erde mit dem Fuße zusammen.

Viel war es nicht, aber – – – vielleicht konnte es doch zu einem Spirrtus reichen.

Wieder öffnete er das Ränzel, zog eine kleine Blechdose heraus, in der er Nägel und Pflöckchen zu verwahren pflegte, leerte sie aus und fegte die Graberde hinein. Krus Erik sollte seinen Spirrtus haben. Er sollte sehen, daß Konstantin Manns genug gewesen, ihn heim zu bringen. – – –

Obgleich Konstantin sich kaum die Zeit genommen hatte, das Brot und die Milch zu kosten, die die Mutter ihm hingestellt hatte, kam er doch nicht rechtzeitig zu Krus Erik. Der Meister war schon in die Kirche gegangen. Konstantin eilte ihm nach, um ihn womöglich auf dem Wege einzuholen, und das wäre ihm wohl auch gelungen, wären die Schuhe nicht gewesen.

Er wußte nicht, was in die gefahren war. Sie schlappten bei jedem Schritte wie nie zuvor und rieben den Fuß auf. Die Haut begann so zu brennen, daß er stehen bleiben mußte.

Er legte die Schuhe ab und setzte sich am Wegesrand nieder.

Barfuß zu gehen konnte er sich nicht entschließen, und mit den Schuhen kam er nicht vom Fleck. Er hatte schon wunde Stellen an beiden Füßen.

Während er noch so ratlos auf der Erde saß, kam ein Wagen herangefahren, und darin saßen Oest Samuel Andersson und ein Fremder, der wie ein Stadtherr aussah. Sie fuhren ganz langsam, was ihn wundernahm, denn Oest Samuel war Pferdehändler und pflegte sonst immer wie ein Wilder zu fahren.

Oest Samuel war ein guter alter Freund von Konstantins Eltern. Ihre Hütte lag auf einer Trift unter dem Oesthof, und er hatte ihnen manches liebe Mal mit Rat und Tat beigestanden, namentlich seit Vater die schlimme Krankheit hatte, die ihn fast immer ans Bett fesselte.

Als Oest Samuel Konstantin sah, zog er die Zügel an und fragte ihn, wohin er wolle.

Ja, er wolle zur Kirche, aber er habe wunde Füße, und so müsse er wohl wieder umkehren.

Da bot ihm Oest Samuel an, hinten aufzusitzen. Er fuhr nicht zur Kirche, sondern zum Kirchenvorsteher in Aspnäs, aber Konstantin sparte doch immerhin den halben Weg.

Konstantin sprang hinten auf den Wagentritt. Dies war ja immerhin eine gute Fügung.

Vorne im Wagen sprachen sie über Konstantin. Zuerst sagte der Fremde etwas, aber in so leisem Tone, daß er es nicht hören konnte. Oest Samuel hingegen hatte eine dröhnende Stimme, und er verstand es nicht, sie zu dämpfen. Konstantin hörte, wie er zugab, der Junge sehe nicht so übel aus und sei ganz ordentlich, aber er habe keine rechte Schneid, und das wäre doch so nötig. Der Vater läge beständig krank, die Mutter rackerte sich fast zu Tode, aber der Junge ginge am liebsten herum und stähle unserem lieben Herrgott den Tag. Jetzt hätten sie ihn zu einem Schuster in die Lehre getan, und der Meister sagte, er sei brav und willig, aber er glaubte doch nicht, daß ein rechter Schuster aus ihm werden könnte, er hätte keine glückliche Hand und wäre langsam.

Wieder sagte der Fremde mit seiner leisen Stimme etwas. Er mußte wohl daran erinnert haben, daß Konstantin vielleicht hörte, was sie sagten.

Doch Oest Samuel antwortete ganz unbekümmert, dieser Bursche höre nichts. Der gehe immer herum wie im Schlafe.

Woher es nun kommen mochte, aber an diesem Tage schlief Konstantin nicht. Er hörte nicht nur dies, sondern auch alles andere, was die beiden Gefährten sprachen.

Dort wo der Weg nach Aspnäs von der Landstraße abzweigte, hielt Oest Samuel das Pferd an. Konstantin stieg aus, und die anderen fuhren weiter zu dem Bauernhof.

»Du mußt dich aber tüchtig sputen, wenn du noch in die Kirche kommen willst, bevor der Pfarrer von der Kanzel steigt,« rief Oest Samuel ihm nach.

Aber weiß Gott, es war für Konstantin nicht so leicht, sich zu sputen. Jeder Schritt tat ihm weh. Er kam nicht rascher vom Fleck als eine Schnecke. Vielleicht wollte der Spirrtus nicht, daß er ihn hergebe.

Und so war der Gottesdienst zu Ende und die Kirchenbesucher auf dem Heimweg, als Konstantin noch kaum das Kirchdorf erreicht hatte.

Einer der ersten, denen er begegnete, war der Kirchenvorsteher aus Aspnäs, der mitten über die Straße geschritten kam, so groß und breit, als wollte er sie für sich allein behalten.

Der Schuhmacherlehrling, der auf jedem Hof im Kirchspiel gearbeitet hatte, erkannte den Kirchenvorsteher sofort. Er stellte sich gerade vor ihn hin, streckte die Hand aus und sagte Grüßgott. Der Kirchenvorsteher reichte ihm die rechte Hand, in der er den Stock mit dem großen Silberknopf hielt. Er nahm den Stock nicht in die andere Hand, sondern ließ Konstantin, so gut dies eben gehen wollte, die zusammengeballte Faust und den Stockgriff schütteln.

Aber der Junge ließ sich das nicht anfechten und sagte rasch:

»Ich meinte, ich müßte Euch doch sagen, daß Ihr daheim Besuch habt. Oest Samuel und ein Herr aus Falun sind zu Euch gefahren. Ich weiß es, weil ich hinten auf dem Wagen aufsitzen durfte.«

»Soso, soso, das sind ja große Neuigkeiten. Ist es schon lange her, daß sie gefahren kamen?«

»Es wird wohl eine Stunde sein. Aber sie warten schon, bis Ihr heimkommt, denn sie wollen Eure graue Stute kaufen.«

Es war seltsam. Konstantin verspürte an diesem Tage keinen Respekt vor dem Kirchenvorsteher, keine Scheu. Er wagte sogar, ein wenig mit ihm zu scherzen.

»Ich hörte auch, um wie viel sie Euch voriges Jahr übers Ohr gehauen haben, als sie Euch ein Pferd abkauften, und ich weiß, was die Stute wert ist und wie viel Ihr dafür kriegen könnt, wenn Ihr nicht nachgebt.«

Im selben Augenblick, in dem er das hervorgestoßen hatte, ging er auch schon weiter, der Kirche zu. Er ging rasch, ohne sich um seinen wunden Fuß zu kümmern.

Der Kirchenvorsteher rief ihm nach, aber Konstantin tat, als höre er nicht, und schritt rüstig aus. Da kam der große schwere Mann hinter ihm hergelaufen.

Konstantin ging nur um so rascher. Es war ganz gut, wenn der Kirchenvorsteher es für ein anderes Mal lernte, den Stock in die andere Hand zu nehmen, wenn er jemand begrüßte.

Endlich befand er es für gut, stehen zu bleiben. Der Kirchenvorsteher kam ganz außer Atem und keuchend auf ihn zu.

Es könne doch nicht möglich sein, daß er so viel wisse, wie er da flunkerte. Es habe ihm wohl nur Spaß gemacht, daß ein alter Kerl sich zuschanden lief, um ihn einzuholen.

Konstantin machte ein beleidigtes Gesicht. Es lohnte sich ja nicht, zu sagen, was er wußte, wenn der Kirchenvorsteher glaubte, er löge.

Der Kirchenvorsteher musterte ihn mit einem raschen Blick. Dann steckte er die Hand in die Brusttasche, zog die Brieftasche heraus und zeigte ihm einen Fünfkronenschein.

»Ich glaube nicht, daß du lügst,« sagte er. »Erzähle, was du gehört hast, dann sollst du den haben.«

Der Schuhmacherlehrling, der noch ohne Lohn arbeitete, wurde ganz heiß vor Eifer, als er einen so großen Schein erblickte. Das hätte Oest Samuel sehen sollen, er, der glaubte, daß Konstantin weder sehe noch höre, sondern nur im Schlaf umhergehe.

Nun erzählte er natürlich, was er wußte, und bekam auch die versprochene Belohnung.

Als er mit dem Fünfkronenschein in der Tasche weiterwanderte, begegnete er endlich Krus Erik.

Gleich fiel ihm der Spirrtus ein. Dies war die allerbeste Gelegenheit, ihn dem Meister zu geben. Die beiden waren jetzt mutterseelenallein auf dem Wege, und niemand sah und hörte sie.

Aber Konstantin ging an Krus Erik vorbei, ohne stehen zu bleiben. Gerade nur, daß er grüßte und hinwarf, er wolle Barsche fischen gehen. Er habe sich gestern mit den Jungen vom Pfarrhof verabredet.

Der Spirrtus steckte in seiner Tasche, als wäre er festgenietet. Er sagte sich, ehe er ihn weggebe, müsse er doch erst selbst erproben, ob er etwas tauge.

* * *

Am Montagmorgen, als Konstantin wieder an dem niedrigen schmalen Schustertisch Krus Erik gegenüber saß, war ihm so gottsjämmerlich zumute wie nie zuvor in seinem ganzen Leben.

Er war sich nun ganz klar darüber, daß er Krus Erik den Spirrtus abtreten müsse. Er wollte nichts mehr damit zu tun haben.

Den ganzen Sonntagnachmittag hatte er beim Fischen ganz merkwürdiges Glück gehabt. Einen großen Barsch nach dem anderen hatte er heraufgezogen, während die anderen Jungen, die mit ihm im Boot waren, gar nichts gefangen hatten.

Es war nicht so leicht zu sagen, woher das kam. Er wußte nur, daß er die ganze Zeit eifrig und wachsam gewesen war, während die anderen geplaudert und an weiß Gott was gedacht hatten.

Schließlich hatten die anderen sich geärgert, daß sie nichts fingen, und waren mitten in seinem besten Fischerglück heimgerudert. Und da das Boot und die Fischgeräte ihnen gehörten, hatten sie auch alle Barsche behalten. Wenn sie sich nicht darüber geärgert hätten, daß er allein Glück hatte, würden sie ihm vielleicht ein paar Fische gelassen haben. So aber mußte er mit leeren Händen abziehen.

Dies war schon recht verdrießlich gewesen, aber noch Schlimmeres erwartete ihn, als er nach Hause kam. Oest Samuel war bei den Eltern gewesen und hatte sich über ihn beklagt. Er hatte einem guten Freund behilflich sein wollen, ein Pferd zu kaufen, das ganz so wie eines war, das er einmal gehabt hatte. Aber nun hatten sie für des Kirchenvorstehers graue Stute viel zu viel bezahlen müssen, und das war Konstantins Schuld.

Der Kirchenvorsteher hatte nämlich nicht den Verstand gehabt, über den Handel zu schweigen, sondern kaum war der Kauf glücklich abgeschlossen, erzählte er Oest Samuel, woher er wußte, wie hoch die Käufer gehen wollten. Und nun wußten die Eltern von dem Fünfkronenschein und der ganzen Sache.

Sie waren ganz verängstigt, weil er Oest Samuel erzürnt hatte. Was sollten sie anfangen, wenn er seine Hand von ihnen abzog?

Mutter konnte gar nicht verstehen, was in ihn gefahren war. Nie hatte er so etwas getan. Wie konnte es ihm einfallen, anderer Leute Geheimnisse zu verraten und sich dafür noch obendrein bezahlen zu lassen? Er war ein rechter Judas.

Die fünf Kronen hatte die Mutter an sich genommen, um sie dem Kirchenvorsteher zurückzugeben. Solches Sündengeld konnten sie nicht behalten.

Konstantin suchte sich noch selbst weiszumachen, er glaube gar nicht, daß diese Graberde irgendwelche Macht habe. Aber im tiefsten Innern war er doch überzeugt, daß sie die Schuld an allem trug.

Heute morgen, als er von daheim fortgegangen war, war er fest entschlossen gewesen, sich des Teufelszeugs zu entledigen, sowie er nur Krus Erik träfe. Aber das Seltsame war, daß er es nicht vermocht hatte. Schon mehrere Male war er mit der Hand in die Tasche gefahren und hatte die Dose gefaßt, um sie herzugeben, aber immer wieder hatte es ihm leid getan. Es war doch etwas daran, ein solches Ding sein eigen zu nennen und sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob es wirklich Macht hatte. Bisher hatte es nur Elend über ihn gebracht, aber dennoch schien es ihm ganz unmöglich, sich davon zu trennen.

Er war von diesen Gedanken so benommen, daß er schlechter arbeitete als sonst, und Krus Erik merkte es. Aber Krus Erik hatte eine so prächtige Art, mit seinen Lehrlingen umzugehen. Er schall sie nie, sondern er hatte seine kleinen Finten, die er anwendete, um sie zur Arbeit anzuhalten.

»Du, Konstantin,« sagte er, »ich habe nun zwei Paar Schuhe bezeichnet, die wollen wir heute fertig machen. Was meinst Du, wenn wir um die Wette arbeiteten? Du machst das eine Paar und ich das andere, und dann wollen wir sehen, wer zuerst fertig wird.«

Der Spirrtus glitt wieder in die Tasche. Konstantin ging mit Feuereifer auf den Vorschlag ein. Das war einmal eine gute Gelegenheit zu erproben, ob das Teufelszeug zu etwas taugte.

Sie nahmen Messer, Hammer, Zangen, Leisten, Leder, Schuhgarn, Nägel, Pfriem, Ahle, kurz alles, was zur Schusterei nötig ist, und legten es vor sich hin. Dann zählte der Meister feierlich: Eins, zwei, drei, und der Wettkampf begann.

Sie schnitten das Oberleder zu, kleisterten das Futter mit Roggenmehlpapp fest, und während dies dann auf dem Herde trocknete, drehten sie das Schuhgarn zu hartem Draht und befestigten an den Enden Schweineborsten.

Damit wurden sie alle beide zugleich fertig, aber Krus Erik wunderte sich nicht wenig, als er sah, wie behend Konstantin sich anstellte, als er den Faden drehte und die Borsten befestigte. Dies waren andere Griffe als seine gewöhnlichen.

Dann hieß es, die Sohle zuschneiden und einweichen, um dann leichter damit hantieren zu können.

Es war merkwürdig zu sehen, wie rasch Konstantins Messer durch das harte Leder schnitt.

Erik Erson hatte anfangs etwas langsamer gearbeitet als gewöhnlich, damit Konstantin nicht mißmutig werde und die Hoffnung zu gewinnen aufgeben solle. Aber nun merkte er, daß er sich etwas mehr beeilen mußte, wollte er nicht selbst zurückbleiben.

Sie nahmen nun Ahle und Pechdraht, um das Oberleder zusammenzunähen. Die Hände des Lehrlings bewegten sich so rasch wie Vogelflügel. Krus Erik verlangte die Arbeit zu sehen. Er fürchtete, daß Konstantin vor lauter Eile etwas zusammenpfuschte.

Doch Konstantin zeigte ihm eine Naht, die ganz gerade und gleichmäßig war, eine rechte Perlsticharbeit.

Keinen Augenblick war es Krus Erik in den Sinn gekommen, er könnte am Ende nicht Sieger in diesem Kampfe bleiben. Aber nun begann er ein wenig bedenklich zu werden.

Konstantin hatte schon einen Vorsprung. Und seine Finger bewegten sich so rasch wie bei einem, der auf einem Jahrmarkt Zauberkünste macht.

Als es zur Mittagsrast läutete, hatte Konstantin schon den ersten Schuh auf dem Leisten und klopfte jetzt auf die Sohle, um sie glatt und hart zu machen. Krus Erik war noch lange nicht so weit. Keiner von ihnen sah von der Arbeit auf, obgleich jetzt ihre freie Zeit war.

Konstantin dachte ganz flüchtig daran, wie er sich sonst zu freuen pflegte, wenn er ausruhen durfte, aber heute war es etwas anderes, heute ging die Arbeit ganz von selbst. Er wurde nicht müde, und nichts fiel ihm schwer. Er hatte früher gar nicht gewußt, daß es ein Spaß sein kann, zu arbeiten.

Sie wurden zum Mittagessen in die Küche gerufen. Als sie ein paar Bissen heruntergewürgt hatten, liefen sie, einer an dem anderen vorbei, wieder in die Gesindestube, wo sie ihre Werkstatt aufgeschlagen hatten.

Das andere Hofgesinde merkte, was da vorging. Und statt ihre Mittagsrast zu halten, stellten sich die Leute hin und sahen den zwei Schustern zu.

Alle hielten es zuerst für ausgemacht, daß Krus Erik als erster fertig werden würde. Aber als sie ein Weilchen zugesehen hatten, begannen sie ihre Meinung zu ändern. Einer nach dem anderen sagte zu Krus Erik, einen so tüchtigen Lehrling wie diesen habe er gewiß noch nie gehabt.

Krus Erik saß jetzt da und hämmerte Nägel in die Sohle. Er schlug ungleich und heftig, und alle sahen, daß er keine so gute Arbeit machte wie sonst.

Für Konstantin hingegen legte sich alles zurecht. Alles paßte an die richtige Stelle. Jeder Hammerschlag traf.

»Das werden schöne Schuhe,« sagten die Leute. »Du kannst bald dein eigener Herr sein.«

Die Knechte gingen ihrer Wege, und die Schuhmacher arbeiteten, klopften und hämmerten schweigend weiter. Plötzlich stieß Krus Erik einen leisen Schrei aus. Er hatte daneben geschlagen, der Hammer hatte den Daumennagel getroffen.

Konstantin warf einen raschen Blick zu Krus Erik hinüber. Es gab niemanden, der so gut gegen ihn gewesen war, so viel Geduld mit ihm gehabt hatte. Jetzt erst fiel ihm ein, daß es dem Meister vielleicht weh tun würde, wenn es sich zeigte, daß der Lehrling rascher und besser Schuhe machen konnte als er.

Der Alte sah ganz elend aus, wie er da saß und sich abrackerte.

Es war auch vielleicht kein ganz ehrlicher Kampf, Konstantin mußte zugeben, daß er an einem anderen Tage, wo er keinen Spirrtus in der Tasche hatte, nicht so hätte arbeiten können.

Er merkte, daß Krus Erik sich nicht einmal die Zeit nahm, den Daumen ins Wasser zu stecken. Er hatte natürlich Angst, daß Konstantin einen zu großen Vorsprung gewinnen könnte.

Der Lehrling fühlte wohl, daß er den Meister schonen und ein bißchen langsamer arbeiten sollte, aber er konnte sich nicht halten. Es war eine solche Arbeitslust über ihn gekommen.

Als die Uhr fünf schlug, standen beide Schuhe fertig vor ihm. Er schob sie zu Krus Erik hinüber.

Der Meister legte den Schuh, den er in der Hand hielt und der noch nicht fertig gesohlt war, beiseite. Er prüfte die Arbeit des Lehrlings lange und eingehend.

»Du brauchst heute nichts mehr zu machen. Du kannst nach Hause gehen,« sagte er still.

»Arbeiten wir morgen auch hier?«

»Ja, ich arbeite hier,« sagte Krus Erik. Und als er nun den Kopf hob, flog ein scharfer, haßerfüllter Blick zu Konstantin hinüber, »aber du nicht. Ich kann doch nicht mit einem Lehrling dasitzen, der besser arbeitet als ich selber.«

Konstantin erwiderte nichts, er nahm nur seine Mütze und ging auf die Tür zu. Aus der Schwelle drehte er sich um. Die Hand fuhr unwillkürlich in die Tasche, aber sie verblieb da, sie kam nicht wieder in die Höhe.

»Schönen Dank auch, behüt Euch Gott,« sagte er und schloß sachte die Tür hinter sich zu.

* * *

Konstantin stand im Mondenschein daheim auf dem Hof und schoß mit einer Armbrust nach der Scheibe.

Er hatte sie sich vor langer Zeit einmal gemacht, als er etwa zwölf, dreizehn Jahre alt war, aber damals hatte er nie rechtes Glück mit dem Schießen gehabt. Es war noch nie vorgekommen, daß er das traf, worauf er zielte.

Jetzt hingegen schoß er ein Mal ums andere ins Schwarze einer kleinen Schießscheibe, die er auf die Scheunenmauer gezeichnet hatte.

Er sah prächtig aus, wie er dastand und schoß, und eine der Schwestern war herausgekommen, um ihm zuzusehen. Er prahlte und rühmte sich seiner Geschicklichkeit, wie er dies nie getan hatte.

Er fühlte eine unbändige Lust, sich auszuzeichnen, zu zeigen, wie behend und stark und geschmeidig er war. Er hoffte, daß auch Mutter ans Fenster treten und sehen würde, wie gut er schoß.

Aber im tiefsten Herzen hatte er eine Todesangst. Auf dieses Schießen war er nur verfallen, um nicht an Krus Erik und den Spirrtus und das ganze Elend denken zu müssen.

So unglücklich er auch war, fühlte er doch, daß er den Spirrtus mehr liebte als alles andere auf Erden. Es ging ihm wohl so wie den Leuten, die den Branntwein liebten. Sie konnten nicht davon lassen, wenn sie gleich wußten, daß er sie zugrunde richtete.

Der Spirrtus hatte ihm nichts anderes als Unglück eingetragen. Aber dennoch fühlte er sich stolz und stark und zu allem möglichen fähig, solange er ihn in der Tasche hatte.

Er hätte gern jemanden gefragt, ob es böse oder unrecht war, daß er den Spirrtus behielt. Doch mit Mutter getraute er sich nicht von so etwas zu sprechen, und Krus Erik war ihm ja böse.

Plötzlich hörte er zu schießen auf und wandte sich an die Schwester, die daneben stand und ihn betrachtete. Und in fliegender Eile erzählte er ihr all das Seltsame, das ihm widerfahren war.

Sie saß schweigend da, so lange er sprach. Sie glich so ganz der Mutter, wie sie da saß und mit deutlichem Mißfallen zuhörte.

Als er geschlossen hatte, drang sie darauf, das Ganze der Mutter zu erzählen.

»Du willst es ihr klatschen?«

»Nein, aber ich will Mutter bitten, herauszukommen, damit du es ihr sagen kannst.«

Er verbot es ihr in höchster Unruhe, aber sie hielt an ihrem Vorhaben fest und stand auf, um ins Haus zu gehen.

»Tu das nicht, ich schieße auf dich,« rief er und hob den Bogen.

Sie drehte sich um, als er das rief. Er hatte schon den Pfeil auf den Bogen gelegt. Doch sie lachte ihn aus. Der Bogen war klein und schwach und der Pfeil ein Holzpflöckchen ohne Spitze. Nicht einmal einen Sperling hätte er mit dieser Waffe erlegen können.

»Schieße nur, so viel du willst, ich gehe doch zur Mutter,« sagte sie eigensinnig.

Im selben Moment kam der Pfeil herangeschwirrt und traf sie gerade ins Auge – – –

Sie lag lange krank, mehrere Monate mußte sie im Hospital verbringen.

Als sie wieder heimkam, hatte sie nur ein Auge.

Während ihrer Abwesenheit war Konstantin wieder der Alte geworden. Er ging wieder zu Krus Erik in die Lehre. Er war artig und bescheiden, ein bißchen ungeschickt und gleichmütig, ganz wie früher.

»Du darfst nicht glauben, daß ich auf dein Auge gezielt habe,« sagte er. »Ich schoß auf den Dachfirst, aber als der Pfeil ab flog, da war es, als hätte eine Hand darauf geschlagen, so daß er gerade auf dich losflog.«

»Ich habe gesehen, daß du nicht nach meiner Richtung geschossen hast,« sagte sie.

»Ich bin nachts mit ihm auf den Kirchhof gegangen. Ich hatte solche Angst vor ihm.« Sie saß da und grübelte. Sie war seit dem Unglück ganz wie ein alter kluger Mensch geworden. Sie war kein Kind mehr.

»Ich möchte wissen, was es war,« sagte sie.

»Es war wohl nichts. Aber ich sehne mich nach ihm. Jeden Tag sehne ich mich nach ihm.«

»Ich denke,« sagte sie zögernd – – – »wenn du nur glauben würdest, – wenn du dir nur einbilden könntest, daß du ihn hast, – dann könntest du ebenso gut schießen und Schuhe machen, wie damals, als du ihn noch in der Tasche hattest.«

»Nein,« sagte er, »ich habe es versucht, aber es geht nicht. Es ist dasselbe, als wollte dir jemand sagen: Wenn du dir nur einbildetest, daß du dein Auge noch hast, würdest du ebenso gut sehen wie früher. Das sind Dinge, über die man selbst keine Macht hat.«


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