Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das heilige Bild in Lucca

Vor langer, langer Zeit begab es sich einmal, daß ein armer Häusler und seine Frau über die Hauptstraße von Palermo gingen. Die Frau führte einen Esel, der mit zwei Gemüsekörben beladen war, und der Mann ging hinterher und trieb mit einem Stock das Tier an. Wie sie so ihres Weges zogen, sahen sie einen Mönch, der an einer Straßenecke stand und predigte. Er war von einer großen Volksmenge umgeben, und man hörte eine Lachsalve nach der anderen.

»Lieber Mann,« sagte die Frau, wenn du so willst wie ich, so bleiben wir ein paar Augenblicke stehen und hören diesem Manne Gottes zu. Es scheint ein lustiger Kauz zu sein, und ich hätte nichts dagegen, den Tag mit einem fröhlichen Lachen zu beschließen.«

»Meiner Treu, ich auch nicht,« sagte der Mann. »Die Arbeit ist ja für heute zu Ende, warum sollten wir uns eine kleine Zerstreuung versagen, namentlich da sie nichts kostet?«

Sie drängten sich durch die Volksmenge, aber als sie nahe genug herangekommen waren, um die Gesichtszüge des Redners unterscheiden zu können, waren sie ganz betroffen. Er war sicherlich kein Gaukler, wie sie zuerst geglaubt hatten, sondern er stand da und redete mit der allerfeierlichsten Miene, was jedoch keineswegs verhinderte, daß alle, die ihm lauschten, sich vor Lachen geradezu krümmten.

»Wie in aller Welt kann das zusammenhängen?« fragte die alte Frau verwundert. »Dieser Mönch sieht doch ganz andächtig aus, warum lachen denn alle. Menschen über ihn?«

Einer der Umstehenden hatte die Frage der armen Frau gehört. »Ihr dürft euch nicht verwundern, daß wir lachen,« sagte er. »Dieser Mönch ist aus Lucca in Italien, und er bettelt um Geld für ein Heiligenbild, das in einer Kirche dort in der Stadt sein soll. Er versichert, das Bild sei so mächtig, daß es jede Gabe, die man ihm darbringt, hundertfach vergälte. Kann man sich etwas Lächerlicheres denken?«

»Ich bin nur ein ungelehrter Landarbeiter,« flüsterte der alte Mann seiner Frau zu. »Darum verstehe ich wohl auch nicht, weshalb er dies so lächerlich findet.«

Sie drängten immer näher, und endlich konnten sie mit eigenen Ohren hören, wie der Mönch beteuerte, wenn jemand dem heiligen Bilde des Gekreuzigten, das in der Domkirche zu Lucca verwahrt werde, eine Gabe darbringen wolle, groß oder klein, so werde sie ihm hundertfach vergolten werden.

Der Mönch gab seine Versicherung mit dem treuherzigsten Gesichte der Welt ab, aber die Städter konnten sich nichts anderes denken, als daß er scherze. Mit jedem Worte, das er sprach, wurden die Lachsalven immer lauter und die Witzworte immer freier.

»Ich kann diese Stadtleute wahrhaftig nicht verstehen,« sagte die arme Frau. Sehen sie denn nicht, was für ein prächtiges Angebot man ihnen macht? Ich wünschte nur, ich hätte etwas, das ich diesem Bilde geben könnte.«

»Du hast ganz recht,« stimmte der Mann bei. »Sieh dir nur den Mönch an! Das ist ein ehrlicher und glaubwürdiger Mann, der weiß, was er sagt. Wenn ich einer dieser reichen Stadtleute wäre, ich würde keinen Augenblick zögern, dem Bilde mein ganzes Vermögen zu geben, um es verhundertfacht wiederzubekommen.«

»Lieber, guter Mann,« rief jetzt die Frau, »mache doch Ernst mit dem, was du sagst! So ganz bettelarm sind wir ja nicht. Haben wir nicht unseren Gemüsegarten, unsere Hütte und unseren alten Esel? Es käme ja keine große Summe heraus, wenn wir das alles verkauften, aber denke dir, daß sie dann auf einmal ums Hundertfache vergrößert würde! Dann wären wir gewiß so reich, daß wir bis ans Ende unserer Tage unser Auskommen hätten.«

»Du nimmst mir das Wort aus dem Munde,« erwiderte der Mann. »Wir haben uns unser ganzes Leben lang geplagt und abgerackert, ohne darum reicher zu werden. Jetzt kommt die Zeit heran, wo wir uns nicht mehr selber erhalten können. Wir dürfen diese Gelegenheit nicht versäumen, uns ein sorgenfreies Alter zu verschaffen.«

Hiermit war ihr Beschluß gefaßt. Am nächsten Tage gingen sie zu ihrem Nachbarn, einem reichen und verständigen Landwirte, und fragten ihn, ob er ihnen nicht ihre Hütte, ihren Garten und ihren alten Esel abkaufen wolle.

Der reiche Bauer hatte sich schon längst gewünscht, das kleine Stückchen Erde zu besitzen, das dicht an seinen Hof angrenzte, und war darum über den Antrag sehr erfreut. Aber ehe er den Kauf abschloß, wollte er, wie es einem guten Nachbarn geziemt, doch in Erfahrung bringen, wovon die alten Leute zu leben gedächten, nachdem sie ihr bischen Hab und Gut veräußert hätten.

»Nein, weiß Gott,« rief er, als er gehört hatte, wie sie ihr Geld anzulegen gedachten, »ich habe mir lange euren Garten gewünscht, um einen Weg hindurchlegen zu können, aber ich kann es nicht verantworten, eurem Wunsche zu willfahren, nun ich höre, in welch törichter Weise ihr den Kaufschilling anzuwenden gedenkt. Ihr seid doch mehr als dreißig Jahre meine Nachbarn gewesen, und ich will nicht zu eurem Unglücke beitragen.«

Da erklärten ihm die beiden Alten noch einmal, daß sie von einem Mönch gehört hatten, das heilige Bild habe die Macht, ihnen alles hundertfach zu vergelten.

»Warum nicht gleich tausendfach?« sagte der Nachbar. »Derlei sagen alle Mönche lediglich aus alter Gewohnheit, ohne zu erwarten, daß jemand ihre Worte ernst nimmt.«

Der Bauer erhob alle Einwände, die ein ehrlicher Mann in einem solchen Falle vorbringen muß. Erst als die beiden Alten drohten, ihr Anwesen einem der anderen Nachbarn anzubieten, gab er nach und kaufte ihnen alles für eine Summe von dreißig Gulden ab, die er ihnen aus einem Lederbeutel aufzählte.

»Seht her,« sagte er, »hier ist das Geld, aber kommt dann nicht und gebt mir die Schuld, wenn alles dahin ist und euch kein anderer Ausweg bleibt, als betteln zu gehen.«

»Lieber Nachbar,« sagte die alte Frau, »wenn Ihr uns wiederseht, dann haben wir hundertmal so viele Gulden wie heute. Warum sollten wir dann Euch oder irgendeinem anderen damit lästig fallen, um Almosen zu bitten?«

»Nun,« sagte der Bauer und lachte, »Ihr seid so lichterlohverrückt, daß es sich gar nicht lohnt, ein vernünftiges Wort mit euch zu reden. Sagt mir jetzt nur, was ihr fürs erste zu tun gedenkt?«

»Was wir zu tun gedenken,« wiederholte der Arme. »Aber lieber Nachbar, was sollten wir anderes tun, als mit unserer Gabe nach Lucca wandern und sie vor dem heiligen Bilde niederlegen?«

»Ich glaube wahrhaftig, dieser Mönch war ein Hexenmeister, der euch den Kopf verdreht hat,« sagte der Bauer mit großer Heftigkeit. »Wie könnt ihr euch einbilden, ein Heiligenbild könne euch in dieser Weise bar bezahlen? Und warum sollte gerade euch in so wunderbarer Weise geholfen werden und allen anderen nicht? Seht, ich habe eine Tochter, die liegt seit mehr als einem Jahre krank danieder. Wenn ihr wüßtet, wie viel ich für sie der Santa Rosalia di Palermo und anderen Heiligen geopfert habe! Aber glaubt ihr, mir wäre geholfen worden? Nein, ich sage euch, keiner der Heiligen hat einen Finger für sie gerührt. Sie geht jetzt wohl bald von mir, und dann ist es für mich in diesem Leben mit aller Freude vorbei.«

Als der reiche Mann dies gesagt hatte, winkte er seinen Nachbarn zum Abschiede zu und ging rasch in sein Haus, denn er war nahe daran, in Tränen auszubrechen.

Die beiden Armen blieben einen Augenblick stehen und sahen ihm nach.

»Ja, es ist schon wahr, – von Sorgen bleibt keiner verschont,« sagte die Frau und wischte sich die Augen. »Vergiß nur nicht, lieber Mann, daß wir das heilige Bild bitten wollen, unseren lieben Nachbar zu belehren, warum seine Gebete nicht erhört werden. Er ist ein guter Mann, und verdient es wohl, sein Lieblingskind am Leben zu behalten.«

Das alte Paar ging nun, von seinem treuen Esel zärtlichen Abschied zu nehmen, und dann gab es nichts mehr, das sie in der Heimat zurückhielt, und sie konnten die Wanderung nach Lucca antreten.

Da sie jedoch um keinen Preis die dreißig Gulden angreifen wollten, mußten sie den ganzen Weg zu Fuß zurücklegen; und um Essen und Nachtherberge zu bekommen, blieb ihnen nichts anderes übrig als zu betteln. Es war also keine leichte Reise, aber sie schlugen sich doch ohne eigentliche Schwierigkeiten durch, bis sie nach Messina kamen, wo sie eine Fähre nehmen mußten, um über die Meerenge zu kommen, die Sizilien von dem Festlande trennt. Als sie an den Hafen kamen, bemerkten sie sogleich eine kleine Fähre, die für Reisende bestimmt schien, welche zu Fuß gingen und kein großes Gepäck hatten. Sie wollten ohne weiteres einsteigen, wurden aber von dem Fährmann, einem armen Galeerensklaven, der mit starken Fesseln an sein Fahrzeug geschmiedet war, abgewiesen.

»Nein, nein, meine Mitchristen! Keiner von euch kommt mir hier herauf, eh ihr nicht jeder einen halben Gulden für die Überfahrt bezahlt habt.«

Er hatte sich, so gut es ging, auf der Ruderbank ausgestreckt und warf nun einen recht unwirschen Blick auf die frommen Wanderer, denn sie waren gerade in der heißesten Mittagsglut zur Fähre gekommen, wo sonst aller Verkehr aufzuhören pflegte; und in dieser Zeit hatte der Fährmann das Recht auf ein paar Stunden der Ruhe.

»Mein Freund,« sagte der arme Mann. »Ich merke, daß du uns für Bettler hältst, die von dir übergesetzt sein wollen, ohne etwas dafür zu bezahlen. Aber so verhält es sich keineswegs. Wir sind im Gegenteil auf der Wanderung nach Italien begriffen, um unser Geld zu verzinsen, und wenn wir zurückkommen, dann werden wir so reich sein, daß wir dir fünf Gulden bezahlen können, wenn du es wünschest. Hilf uns nur diesmal umsonst übers Wasser. Du wirst es nicht zu bereuen haben.«

Der Galeerensklave hob den Kopf ein wenig, warf ihnen aus halbgeschlossenen Augen einen flüchtigen Blick zu und legte sich wieder zurecht.

»Ihr seht mir gerade danach aus, als ob ihr Geld zum Verzinsen hättet.«

»So wahr ich lebe,« sagte der arme Mann, »ich habe nicht weniger als dreißig Gulden in meinem Beutel. Aber ich will sie nicht anrühren, weil sie für einen bestimmt sind, der alles, was man ihm gibt, hundertfach zurückzahlt. Du kannst dir also denken, daß ich die Summe jetzt nicht verringern will, sondern dir die Überfahrt lieber bezahle, wenn ich wiederkomme.«

Der Fährmann hob den Kopf mit etwas größerer Teilnahme.

»Wer ist denn das, der hundertfach zurückbezahlt?« fragte er.

»Wer sollte es sonst sein als das heilige Bild in Lucca?« rief der Arme.

Da brach der Galeerensklave in bitteres Lachen aus.

»Ich will euch etwas sagen. Mir ist freilich von der Obrigkeit befohlen, von jedem, den ich übers Wasser führe, einen halben Gulden zu verlangen. Aber jetzt in meiner freien Zeit habe ich das Recht, euch ohne Bezahlung überzusetzen. Dankt mir nun nicht dafür, denn es wäre viel barmherziger, euch nicht weiter zu helfen, aber ich habe keine Lust, barmherzig zu sein, und darum sollt ihr nach Italien hinüberkommen. Seid ihr einmal dort, so findet ihr vielleicht auch den Weg nach Lucca, und dort werdet ihr schon sehen, wie man euch angeführt hat.«

Er winkte ihnen, in das Boot einzusteigen. Auf der ganzen Überfahrt sagte er kein Wort, aber als sie in Reggio anlegten, begann er aufs neue mit seinen bitteren Reden.

»Da ihr so sicher darauf vertraut, daß dieses Bild euch helfen wird, will ich euch sagen, daß niemand mehr Gebete zum Himmel gesandt haben kann als ich, der ich hier an die Ruder festgeschmiedet sitze. Und ich hätte auch Hilfe finden müssen, denn ich sitze hier nicht eines Verbrechens wegen, das ich begangen habe, sondern infolge eines ungerechten Urteils. Die Mächtigen im Himmel müßten in einem solchen Falle doch Hilfe bringen. Aber ich merke nichts davon, daß es einem von ihnen eingefallen wäre, etwas für mich zu tun.«

Als die beiden Armen das Boot verlassen hatten und das Ufer hinaufgingen, bemerkte die alte Frau, die Welt sei doch reicher an Schmerz und Unglück, als sie je geglaubt hätte.

»Ja,« sagte der Mann, »sie ist wahrlich von Betrübten erfüllt. Denke daran, liebe Frau, daß wir nicht vergessen dürfen, das mächtige Bild zu fragen, warum dieser Mann nicht Erhörung finden und von seinen Leiden befreit werden kann.«

Hierauf schlugen sie den Weg nach dem Norden ein und wanderten wochen- und monatelang. Endlich eines Tages, um die Abendzeit, kamen sie in eine Stadt, von der man ihnen sagte, daß dies Lucca sei.

»Lieber Mann,« sagte die alte Frau, als sie zum Stadttor hineingingen, »wie bin ich doch froh, daß wir am Ziele unserer Wanderung angelangt sind. Wenn du so willst wie ich, begeben wir uns alsogleich in die Domkirche. Ich kann weder Rast noch Ruhe finden, bis ich das heilige Bild gesehen habe.«

»Du hast ganz recht,« sagte der Mann, »aber wenn wir dem Bilde noch heute unsere Gabe überreichen sollen, müssen wir uns sehr sputen. Es ist schon so spät am Tage, daß es nicht lange dauern kann, so ist die Abendandacht in den Kirchen zu Ende, und die Türen werden geschlossen.«

Obgleich sie nach der Wanderung eines ganzen Tages sehr müde waren, beschleunigten sie doch ihre Schritte, und als sie so weit kamen, daß sie die Mauern des Domes sahen, begannen sie zu laufen. Aber sie kamen doch zu spät. Der Sakristan, dem die Sorge für die Kirche oblag, stand eben auf der Kirchentreppe, und steckte, als sie herankamen, das schwere Bund mit den Kirchenschlüsseln in den Gürtel.

»Ach, Herr Sakristan, Herr Sakristan,« begann die Alte, denn sie war es, die zuerst anlangte. »Wollt Ihr Euch nicht unser erbarmen und uns nur für ein paar Augenblicke in die Kirche einlassen. Ihr wißt nicht, wie weit wir gewandert sind. Wir kommen aus Palermo, um dem heiligen Bilde, das sich hier befindet, eine Gabe darzubringen.«

»Herr Sakristan,« rief der alte Mann, seine Frau unterbrechend. »Wir sind keine Bettler. Hier seht Ihr einen Beutel mit dreißig Gulden, den wollen wir Eurem wundertätigen Bilde schenken, weil wir wissen^ daß es uns alles hundertfach zurückzahlen wird.«

Sie waren so eifrig, daß sie den Sakristan am Mantel faßten, um ihn zurückzuhalten. Aber diese ihre Heftigkeit brachte den Kirchenhüter auf die Vermutung, daß er es mit ein paar Wahnsinnigen zu tun habe.

»Was fällt euch ein? Die Kirche ist für heute geschlossen. Vor morgen früh wird keine Messe gelesen.«

»Lieber Freund,« sagte die Frau. »Wir wollen ja keine Messe hören. Wir haben Priester und Kirchen genug in Sizilien, dazu hätten wir nicht den langen Weg hierher wandern brauchen. Wir kommen einzig, und allein, um Eurem heiligen Bilde dreißig Gulden zu geben, weil wir wissen, daß es alle Gaben, die man ihm bringt, hundertfach zurückzahlt.«

Die arme Frau sprach mit noch größerer Sicherheit als gewöhnlich, weil sie nun an die Stätte gekommen war, wo sie sicher war, Verständnis zu finden. Aber der Sakristan schien über ihre Behauptung ebenso verwundert wie alle anderen.

»Lieber Herr Sakristan,« sagte die Frau, »Ihr müßt ja doch wissen, wie sich die Sache verhält. Ein Mönch aus dieser Stadt hat unten in Palermo von diesem Bilde erzählt.«

»Ich versichere euch, meine lieben Freunde, daß ich nichts weiß, und daß ich kein Wort von dem, was ihr sagt, verstehe. Erzählt mir einmal alles ordentlich der Reihe nach. Ihr seht ja aus wie kluge, verständige Leute, aber ihr sprecht, als wäret ihr von Sinnen.«

Während sie nun ihre Geschichte von Anfang an erzählten, dachte der Kirchenwächter:

»Wenn diese Menschen so eigensinnig sind, daß sie die Wanderung von Palermo bis Lucca gemacht haben, um dem heiligen Bilde das Geld zu bringen, dann nützt es ja nichts, wenn ich es ihnen abschlage, die Kirche zu betreten. Sie werden sich ja doch nicht zufrieden geben, bis ich ihnen das Tor öffne.«

Und so nahm er das Schlüsselbund aus dem Gürtel und schickte sich an, die Kirchentüre zu öffnen, während er seinen letzten Versuch machte, sie aus ihrem Irrtum zu reißen.

»Ach, meine Freunde,« sagte er, während er an den schweren Riegeln zerrte, »es ist wohl wahr, daß sich in dieser Kirche ein altes Bild des Gekreuzigten befindet, aber es ist in ganz verfallenem Zustande. Es hängt unbemerkt an einer Säule, und niemand, der in die Kirche kommt, pflegt seine Gebete an dieses Bildnis zu richten. Ich kann darauf schwören, in all den fünfundzwanzig Jahren, die ich Sakristan an der Domkirche bin, hat es keine Wunder gewirkt.«

Die Alten waren über diese Auskünfte höchlichst verwundert.

»Ach, meine Freunde,« fuhr der Sakristan fort, »wenn dieses Bild solche Macht hätte, wie ihr sie ihm zuschreibt, dann müßte es doch wenigstens diesem Rosenbusch helfen können, der hier an der Kirchenmauer steht. Früher einmal war es meine größte Freude zu sehen, wie er blühte. Die ganze Ecke bis zum Turm hinauf bekleidete er mit den schönsten Rosen, aber jetzt hat er seit einigen Jahren ganz aufgehört, Blüten zu treiben. Ich gieße und pflege ihn so gut ich kann, und er sieht auch ganz frisch und grün aus; ich kann durchaus nicht verstehen, warum es mir nie mehr vergönnt ist, ihn in seiner herrlichen Blütenpracht zu sehen.«

Er seufzte tief und sah wirklich so betrübt aus, daß die beiden armen Wanderer versprachen, sobald sie vor dem heiligen Bilde ständen, es zu befragen, warum der Rosenbusch keine Rosen mehr trage. Aber der Sakristan schien ihren Worten keinerlei Beachtung zu schenken.

»Eilt euch jetzt nur,« sagte er, indem er die Kirchentüre öffnete. »Ich bleibe hier draußen und warte auf euch. Nichts ist leichter als das Bild zu finden, es hängt an der Säule, die der brennenden Lampe zunächst steht.«

Die beiden Alten waren freilich von seinen Erklärungen betroffen, aber ihr Glaube war keineswegs erschüttert, und kaum sahen sie die Türe geöffnet, als sie auch schon in die Kirche eilten. Aber drinnen angelangt, blieben sie wieder stehen, denn in dem altertümlichen Gotteshaus, das nur ganz wenige und sehr schmale Fenster hatte, herrschte schon tiefe Dunkelheit. Ganz weit vorne schimmerte freilich ein rotes Flämmchen, aber sie wußten nicht, wie sie dahin gelangen sollten, ohne an Säulen und Grabdenkmäler anzustoßen.

Die alte Frau machte einen Schritt vorwärts, aber sie wäre fast über eine Stufe gefallen und blieb ganz erschrocken stehen.

»Lieber Mann,« sagte sie. »Das nenne ich wirklich Unglück! Zu wissen, daß das heilige Bild nur ein paar Schritte weit ist, und nicht zu ihm gelangen zu können!«

»Verhalte dich nur ein paar Minuten still, bis unsere Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt haben,« flüsterte der Mann, denn er war von der Heiligkeit der Stätte zu sehr ergriffen, um ein lautes Wort zu wagen.

In diesem Augenblick kam es ihnen vor, als ob das rote Flämmchen, das vorne in der Kirche brannte, sich entzwei spalte. Die eine Hälfte begann in der Kirche hin und her zu schweben, und überall, wo sie hinkam, flammten plötzlich die Wachskerzen auf, auf den Altären und in den Kronleuchtern, so daß die Finsternis sich rasch erhellte.

»Ach, lieber Mann,« sagte die alte Frau, »siehst du, man zündet schon Lichter an. Bald wird es keine Kunst mehr sein, zu dem heiligen Bilde hinzufinden.«

»Liebe Frau,« sagte der Mann, »der Sakristan war uns doch freundlicher gesinnt, als es den Anschein hatte. Er ist durch die Sakristei hereingekommen, um Lichter anzuzünden, damit wir den Weg finden.

Nur eines kann ich nicht verstehen, daß er sich um unsertwillen so viel Mühe macht. Zwei, drei Kerzen wären doch genug gewesen, aber siehst du, er zündet nicht nur am Hochaltar Licht an, sondern auch in den Seitenkapellen und den Nischen.«

So war es wirklich. Die ganze Kirche strahlte von Licht. Die beiden waren jedoch in diesem Augenblick so von dem Gedanken an das wundertätige Bild erfüllt, daß sie gar nicht mehr nachdachten, weshalb so viele Flammen brannten und wer sie wohl entzündet hatte.

»Es ist ja möglich, daß hier ein Heiligenfest gefeiert werden soll,« sagte die Alte. »Auf jeden Fall bin ich froh, daß so viele Kerzen brennen. Es ist mir immer noch einmal so andächtig zumute, wenn ich in einer Kirche so viele Kerzenflammen sehe. Weißt du was, ich wünschte nur, daß hier auch die Orgel gespielt würde.«

Kaum war dies gesagt, als ein leises Brausen von Tönen von der Orgelempore her erklang.

»Nein, aber höre doch nur,« sagte der Mann. »Ich glaube, heute abend geht dir jeder Wunsch in Erfüllung. Und wie schön man in dieser Kirche spielt! So herrliche Musik habe ich nicht einmal im Dom von Palermo gehört.«

»Es ist so holdselig, daß man glauben könnte, ein Engel spielte,« sagte die Alte, »aber Geringeres hätte ich auch in dieser Kirche nicht erwartet. Nun wünschte ich nur noch, daß sie auch von Weihrauchduft erfüllt wäre, denn die duftenden Weihrauchwolken lassen mich immer fühlen, daß ich mich in einem heiligen Raume befinde.«

Kaum hatte die Frau zu Ende gesprochen, als der alte Mann mit Staunen in der Stimme ausrief:

»Hast du je einen so herrlichen Wohlgeruch geatmet. Das ist doch der feinste, mildeste, lieblichste Weihrauch, den ich je gespürt habe.«

Sie sahen niemanden, der Weihrauchgefäße schwang, ebensowenig bemerkten sie auf der Orgelempore einen Organisten, aber sie versuchten auch gar nicht herauszufinden, woher all dies kam. Sie lebten nur in dem Gedanken an das heilige Bild. Sie hatten sich nun aufgemacht um zu ihm hinzugelangen, aber sie wanderten sehr langsam den Hauptgang hinunter, denn es wäre ihnen unschicklich vorgekommen, irgendwelche Eile zu zeigen.

Als sie ungefähr in der Mitte der Kirche angelangt waren, blieben sie stehen, denn über den Gang kam ihnen jemand entgegen. Es war eine hohe, liebliche Frauengestalt, in ein blaues Kleid und einen roten Mantel gehüllt. Sie trug ein Krönchen aus Perlen und Edelsteinen auf dem Kopfe und reiche Geschmeide um Arme und Hals.

Sie grüßte die alten Leute mit dem allerfreundlichsten Lächeln, etwa wie eine Hausfrau es zeigt, die geehrten und ersehnten Gästen entgegengeht, und fragte sie, was sie so spät am Tage noch in der Kirche suchten.

»Hochgeehrte Frau Königin,« sagte die alte Frau mit freudiger Stimme, denn ein so gutes und schönes Antlitz glaubte sie noch nie erblickt zu haben. – »Wir sind hergekommen, ich und mein Mann, um unser Opfer vor dem heiligen Bilde des Gekreuzigten niederzulegen, das an einer Säule hier in der Kirche hängen soll.«

Hierauf begannen die Alten, wie es ihre Gewohnheit war, ihre ganze Geschichte zu erzählen, von der Abendstunde an, wo sie den Mönch in der Hauptstraße von Palermo predigen gehört hatten, bis zu ihrer Begegnung mit dem Sakristan draußen auf der Kirchentreppe.

Die Fremde betrachtete sie mit großem Wohlwollen, aber es schien ihnen, daß ihr Antlitz einen immer traurigeren Ausdruck annahm, je weiter die Erzählung fortschritt.

»Ach,« sagte sie, als sie alles zu Ende angehört hatte, »es steht mir nicht an zu sagen, ob eure Hoffnungen sich erfüllen werden, aber ich fürchte das Schlimmste. Nichts ist so selten, wie daß Gott den Wünschen der Menschen willfahren kann. Ihre Qual kann ihnen ja als Strafe für irgendeine Missetat auferlegt sein.

Seht nun zum Beispiel den Sakristan hier draußen an,« fuhr sie fort. »Er klagt darüber, daß ein Rosenstrauch, der ihm sehr lieb ist, keine Rosen mehr trägt, aber er bedenkt nicht, daß dies eine Mahnung für ihn selbst sein soll. Seit Jahr und Tag läßt er die vielen Heiligenbilder, die ihr hier rings um euch seht, ganz und gar verfallen und denkt nicht daran, die Vergoldung an ihren Kronen aufzufrischen oder die Schäden gut zu machen, die ihnen bei den vielen Prozessionen so leicht zugefügt werden. Er findet es hart, daß Gott ihm nicht zu seiner ersehnten Freude verhilft. Aber zuerst muß er einsehen, daß er, der verlangt, daß Gott ihm zuliebe den Rosenstrauch mit Rosen schmückt, es nicht versäumen darf, die Bilder von Gottes heiligen Männern und Frauen, die seiner Hut anvertraut sind, in all ihrer Herrlichkeit und Pracht erstehen zu lassen.«

»Ach ja,« sagte das alte Paar seufzend, »wir hätten uns ja denken können, daß es sich so verhalten muß. Sicherlich haben wir schwerer gesündigt als er. Aber wir sind hierher gekommen, im Vertrauen auf das Versprechen, das uns gegeben ward.«

Die schöne Frau vor ihnen hob die Augenbrauen ein wenig, aber fuhr dann mit derselben sanften Stimme fort:

»Es ist eine schöne Sache um einen festen Glauben. Aber dies allein ist nicht genug, damit Gott eure Gebete erhört. Ihr könnt euch ja leicht etwas wünschen, das euch selbst zum Schaden gereichte.

Ihr habt mir eben von dem armen Galeerensklaven erzählt, der eine Fähre zwischen Messina und Reggio hin und her rudert,« fuhr sie fort. »Noch vor wenigen Jahren war er ein reicher Kaufmann, und er war auch ein guter Mann, der niemandem etwas zuleide tat, aber er war so sehr auf das Wohlleben und die Genüsse des Leibes erpicht, daß er sich die furchtbarsten Krankheiten zugezogen hätte und wahrscheinlich schon längst tot wäre, wenn Gott ihm nicht dieses Unglück gesandt hätte. Es begab sich nämlich, daß ein Dieb eine edelsteingeschmückte Krone von einem Marienbilde im Dome stahl, und um den Verdacht von sich abzulenken, brach der Dieb einen der Edelsteine aus der Krone aus und steckte ihn dem reichen Kaufmann in die Tasche. Dieser Stein wurde bei ihm gefunden, man beschuldigte ihn, die Krone der Madonna gestohlen zu haben, und all seinen Unschuldsbeteuerungen zum Trotz wurde er verurteilt, an die Fähre festgeschmiedet, sein Leben lang Reisende über die Meerenge zu befördern. Nichts wäre leichter, als ihm zu helfen, denn der Dieb hat die Krone in einer Ecke des Dachbodens der Kirche versteckt. In demselben Augenblick, in dem sie zum Vorschein käme, wäre die Unschuld des Kaufmanns bewiesen, und er würde freigelassen. Aber wie soll Gott dies zulassen, ehe er nicht anderen Sinnes geworden ist. Würde ihm früher geholfen, so würde er ja gleich sein altes Leben wieder anfangen und dem sichern Verderben entgegengehen.«

»Liebe, gnädigste Frau,« sagte der alte Mann, »wir sind froh, daß dies der Grund ist, weswegen dieser Mann unter seinem ungerechten Urteil leiden muß. Wir haben uns wohl selbst gedacht, daß es sich in ähnlicher Weise verhalten müßte. Was nun uns selbst betrifft, so wissen wir freilich nicht, ob das, was wir uns wünschen, uns zum Frommen oder zum Schaden gereichen würde, wir haben eben nur dieses Versprechen, auf das wir bauen.«

Wieder hob die holde Erscheinung vor ihnen eine Augenbraue, wie vor Ungeduld über ihre Hartnäckigkeit, dann fuhr sie jedoch mit einer Stimme fort, die nur um so milder klang, je länger sie sprach:

»Es ist etwas sehr Gutes um einen festen Glauben, aber es ist doch nicht gewiß, daß Gott nur um dessentwillen eure Gebete erhören kann. Es mag ja sein, daß er euch zuerst lehren will, mit dem Guten zufrieden zu sein, das euch beschieden ist.

Mir fällt dabei euer Nachbar ein, der reiche Bauer in der Umgegend von Palermo,« fuhr sie fort. »Außer der Tochter, die krank liegt, hat er noch eine andere, aber diese ist häßlich und ein wenig mißgestaltet, und darum hat er sie immer schlecht behandelt. Sie ist dabei aber klug und gut und arbeitsam und macht sich ihm in jeder Weise nützlich. Ihre Leiden haben Gott gerührt, so daß er diese Krankheit über ihre Schwester verhängt hat. Und obgleich sie sehr leicht zu beheben wäre, – denn sie rührt nur von einem vergifteten Kamme her, den eine böswillige Araberin ihr verkauft hat, – muß sie doch vielleicht daran sterben, wenn ihr Vater nicht lernen kann, seine beiden Kinder gleich zu lieben. Die Kranke brauchte nur aufzuhören, sich mit dem gefährlichen Kamme zu kämmen, um allmählich zu genesen, aber dies wird nicht eher geschehen, als bis ihr Vater gelernt hat, die gute Gabe, die Gott ihm in seiner häßlichen Tochter gegeben hat, auch recht zu schätzen.«

»Wahrlich,« rief die alte Frau, »je länger ich Euch sprechen höre, gute, gnädigste Frau, desto fester bin ich von Gottes Weisheit und Gerechtigkeit überzeugt. Sicherlich haben wir beiden Alten oftmals verabsäumt, ihm für alle seine Wohltaten zu danken, aber wir vertrauen doch trotz allem auf das Versprechen, das man uns gegeben hat.«

Bei diesen Worten überstrahlte das holdeste Lächeln das Antlitz der edlen Frau, und indem sie den beiden Alten winkte, ihr zu folgen, sagte sie:

»Ich habe euch gewarnt, meine Freunde, aber ich sehe, daß es unmöglich ist, euch dazu zu bringen, von eurem Vorhaben abzustehen. Denkt doch noch einmal daran, wie schwer es ist, Erhörung zu finden, bevor ihr all euer Hab und Gut weggebt!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, führte sie sie zu einer Säule und wies in die Höhe. Da hing ganz oben an der Decke ein großes Kreuz aus dunklem Holz, und daran war ein Christusbild befestigt, das so verschieden von allen anderen Bildern des Gekreuzigten war, die sie bisher gesehen, daß sie sich an ihre Begleiterin wandten, um sich zu vergewissern, ob sie auch recht gegangen waren.

»Dieses Bild ist sehr alt,« sagte sie, »und sehr schlecht erhalten, aber dennoch stellt es meinen Sohn dar, den gekreuzigten Heiland.«

Die beiden Alten waren so darein vertieft, das heilige Bild zu betrachten, daß sie nicht in diesem Augenblick, sondern erst später die ganze Bedeutung ihrer Worte erfaßten.

»Lieber Mann,« flüsterte die alte Frau, »der Heilige dort oben macht mir fast bange mit seinen breiten Augenbrauen und seinen tiefen Augen. Mir wird ganz ängstlich zumute, weil er ohne Bart abgebildet ist. Ich kann ihn nicht wiedererkennen.«

Sie wunderten sich auch, daß der Gekreuzigte in einen kurzen Rock von irgendeinem schwarzen Zeug gehüllt war, und einen Gürtel um den Leib trug und Holzsandalen an den Füßen. Das Bildnis war auch sehr verstaubt und hatte sicherlich jahrelang da gehangen, ohne daß es jemandem eingefallen war, nach ihm zu sehen.

»Ihr seid gewiß recht unruhig,« sagte ihre Begleiterin. »Ihr hattet erwartet, daß der Mächtige, der euch helfen soll, ein ganz anderes Aussehen haben würde.«

»Liebe, gnädigste Frau Königin,« sagte der alte Mann, »wir denken nichts dergleichen. Wir sind froh, daß wir ihn nicht gleich erkennen konnten. Wir wissen, daß es ebenso war, als er noch hier auf Erden wandelte; er war seinem Äußeren nach gering, und die Menschen verstanden nicht sogleich, daß er Gottes Sohn war.«

Da kehrte das Lächeln in vollster Klarheit auf dem Antlitz der fremden Frau wieder.

»So überreicht ihm denn eure Gabe,« sagte sie.

Ohne ein Wort weiter zu sagen, sanken die beiden Alten in die Knie und neigten den Kopf auf den steinernen Boden.

»O Christus, Gottes Sohn,« sagten sie, »nimm unsere Gabe und höre unsere Bitte. Sieh hier diese dreißig Gulden, die wir erhielten, als wir unser Gärtchen verkauften, unsere Hütte und unseren alten Esel. Wir haben sie aus Sizilien hierher getragen, weil wir wissen, daß du jede Gabe, die man dir darbringt, hundertfach vergiltst. Mache unseren Glauben nicht zuschanden, sondern schenke uns soviel, daß wir eines sorgenlosen Alters genießen können!«

Während sie dies sagten, löste der Mann den Beutel mit den dreißig Gulden von seinem Gürtel und schob ihn zu der Säule, die das Kreuz trug.

Noch einmal wiederholten sie dieselben Worte, ohne den Kopf zu heben, aber plötzlich hörten sie ein leichtes Knacken über sich. Sie blickten auf und sahen, daß das Holzbild den einen Arm und den einen Fuß von den Nägeln, die sie durchbohrten, befreit hatte.

Die alte Frau umklammerte heftig die Hand ihres Mannes, aber keines von ihnen sagte ein Wort. Ihre Herzen klopften in seliger Erwartung. Sie waren nun sicherer denn je, daß ihre Gebete erhört werden würden.

Aber das Christusbild löste mit einem raschen Griff die Holzsandale von seinem Fuße und ließ sie zu den Betenden herabfallen. Dann nahm es seine gewohnte Stellung wieder ein und sah mit derselben strengen und betrübten Miene von seinem Kreuze herab auf sie nieder wie zuvor.

Es war alles das Werk eines Augenblicks, und sie hätten dem Zeugnis ihrer Augen nicht getraut, hätte nicht vor ihnen auf dem Boden die Sandale gelegen.

Es war eine ganz gewöhnliche Sandale mit Holzsohle und Lederriemen. Weder Stein noch Schmuck war daran, sie war ganz wertlos. Die edle Frau, die noch immer neben ihnen stand, glaubte zu bemerken, daß die beiden Armen sich in ihren Erwartungen getäuscht sahen.

»Ach sagte sie mitleidig, »diese Sandale hier ist wahrlich eine schlechte Vergeltung für eure große Gabe. Aber noch ist es ja nicht zu spät. Ihr könnt sie liegen lassen, wo sie liegt und eure Gulden wieder zurücknehmen.«

Da sahen sie die beiden Alten beinahe vorwurfsvoll an.

»Wo denkt Ihr hin, liebe, gnädigste Frau?« sagten sie. »Das heilige Bild hat uns sicherlich so viel gegeben, als es in seiner Armut vermag. Es hat ein Wunder getan, um uns diese Sandale zu schenken. Die ist wohl tausendmal mehr wert als unsere armseligen Gulden.«

Kaum hatten sie dies gesagt, als das Angesicht der hohen Frau von dem zärtlichsten Lächeln erhellt wurde.

»Ihr seid meines Sohnes rechte Diener,« sagte sie, »und ihr sollt euch in eurem Vertrauen zu ihm nicht getäuscht haben. Die unschuldigen Wünsche frommer Menschen kann Gott allezeit erfüllen.«

Während sie so sprach, wurde sie von einem solchen klaren Glanze umstrahlt, daß die Alten ihre Augen schließen mußten. Als sie sie wieder öffneten, herrschte Dunkelheit in der Kirche, die Lichter waren erloschen, das Orgelspiel hatte aufgehört, und die strahlende Frau, die eben noch vor ihnen gestanden hatte, war verschwunden.

Aber sie hatten gar keine Zeit, über die Veränderung zu staunen. Nicht einen Augenblick waren sie allein. Die Kirchentüre wurde aufgerissen, und der Sakristan kam hereingestürzt.

»Ihr lieben, heiligen Wanderer,« rief er, »welches Wunder! Ich habe es gesehen, ich saß auf der Treppe und wartete auf euch, aber als ihr so lange ausbliebt, stand ich auf und guckte durch das Schlüsselloch. Da sah ich euch in Strahlen überirdischen Lichtes dahingehen, und die heilige Mutter Gottes, die sonst auf einem Altar hier vorne thront, war herniedergestiegen und ging an eurer Seite. Dann sah ich, wie sich der Gekreuzigte über euch neigte, um euch seine Sandale zu schenken. Ach, ihr müßt gleich mit mir zum Herrn Bischof kommen!«

Er führte sie zum Bischof, der im Kapitelsaale saß, umgeben von seinen Domherren.

Und der Sakristan erzählte, und die beiden Alten erzählten, und endlich wurde es den frommen Herren klar, welch großes Wunder sich begeben hatte.

Da beeilte sich der Bischof, seinen Schatzmeister, heran zu winken.

»Mein Freund,« sagte er, »ich will die Sandale, die diese guten Menschen in so wunderbarer Weise von dem heiligen Bilde empfangen haben, mit dreitausend Gulden bezahlen, wenn sie sie mir verkaufen wollen. Ich will nicht, daß sie aus Lucca fortkommt.«

Als das Geld aufgezählt und dem alten Mann in die Hand gelegt war, fuhr der Bischof fort:

»Ehe ihr nun Lucca verlaßt, fordere ich euch auf, mit uns anderen dabei zu sein, wie das heilige Bild auf seinen rechten Platz über dem Hochaltar gebracht wird, aber dann sollt ihr schleunigst denselben Weg zurückgehen, den ihr gekommen seid, und alles, was ihr auf eurer Wanderung erlebt habt, einem jeglichen erzählen, der es hören will. Ich freue mich, daß nun durch euch der Galeerensklave von seinen Rudern erlöst und eures guten Nachbars Tochter von ihrer Krankheit geheilt werden wird, so wie ich auch gewiß bin, daß der Sakristan nicht versäumen wird, den Rosenbaum der Kirche wieder blühen zu lassen.«

Er verstummte einen Augenblick, dann breitete er die Hände über die beiden Alten aus.

»Ihr seid die Weisen, und wir sind die Toren,« rief er. »Auch wir wissen, daß Gott allmächtig ist, aber wer von uns wagt es, auf seinen Beistand zu vertrauen? Danket Gott, der euch die Gabe des Glaubens gegeben hat. Das ist die größte seiner Segnungen.«


 << zurück weiter >>