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Das Wasser in der Kirchenbucht

Vor einigen hundert Jahren lebte im Jössesprengel in Värmeland ein ungewöhnlich starker, strenger Propst, der sich nach besten Kräften mühte, die Jössehäringer zu frommen und gottesfürchtigen Menschen zu machen. Nicht genug damit, daß er ihnen Trunksucht und Rauflust abzugewöhnen trachtete, auch das Schmuggeln nach Norwegen und anderes Unrecht – das hatten schon viele Geistliche vor ihm versucht – nein, er verbot ihnen auch, die mächtigen Geister in Feld und Wald und Wasser anzubeten und zu fürchten, und dies war etwas, woran die geistlichen Herren sich sonst hüteten zu rühren.

Die früheren Pfarrer hatten wohl gedacht, wo es nun einmal Hexen im Walde und Nixe im Strom und Heinzelmännchen im Hause gab, so könne man es auch den Leuten nicht verwehren, sich vor ihrer Arglist zu schützen, entweder durch Opfer oder dadurch, daß man einen Vertrag mit ihnen abschloß; aber von solchen Dingen wollte der jetzige Propst nichts hören. Gott und sein Wort, das war das einzige, woran die Menschen sich zu halten hatten, und tat man dies nur, so brauchte man nicht zu glauben, daß es etwas anderes gebe, das die Macht habe, einem zu schaden oder einen ins Verderben zu stürzen.

Obgleich der Propst ein gewaltiger Prediger war, so war es doch von Anfang an klar, daß all seine Reden gegen die Unterirdischen in den Wind gesprochen sein mußten. Die meisten Zuhörer fürchteten nur, daß er die Naturgeister gegen sie aufreizen würde, und es entstand eine solche Feindschaft gegen ihn, daß er auch in allem anderen, wofür er eiferte, keinerlei Erfolg hatte. Schließlich kam es so weit, daß alles, dem er entgegenwirken wollte, geschätzt und geehrt wurde; aber um Gottes Sache stand es mit jedem Tage, den er im Kirchspiel blieb, nur immer schlimmer.

Gerade um die Zeit, als er von all dem Mißerfolg, der ihn getroffen, ganz niedergeschmettert war, ging er eines Abends aus, um sich durch einen Spaziergang zu erquicken. Sein Haus lag am Seeufer, und er ging seinen gewöhnlichen Weg, über die Landstraße zur Kirche und wieder zurück. Zu wiederholten Malen sah er über den See hin, der gefroren und schneebedeckt dalag, und dachte dabei an die Mühe, die die Frühlingssonne sich geben mußte, um das Eis zu schmelzen. Sie war damit noch nicht weit gediehen. Er sah sogar, daß ein paar Schlitten über den blankgefahrenen Weg glitten, der vom Pfarrhof abzweigte und quer über den See zum benachbarten Kirchspiel führte.

Aber was verschlug es der Sonne, wenn es langsam ging, das Eis aufzutauen? Sie war doch auf jeden Fall sicher, damit zu Stande zu kommen. Wenn er für sein Teil nur die Zuversicht gehabt hätte, daß auch seine Arbeit von Erfolg gekrönt sein würde, dann wollte er nicht nach Widerstand oder Beschwerden irgendwelcher Art fragen.

Mitten auf dem Wege faltete er die Hände und wandte den Blick zum Himmel. »Oh Gott,« sagte er, »wenn du siehst, daß meine Arbeit nie Früchte tragen wird, so gib mir ein Zeichen, und ich will aufhören, Priester zu sein. Ich schwöre dir, ich bin bereit, Tagelöhner zu werden und mein täglich Brot durch meiner Hände Arbeit zu verdienen, wann immer du mir zeigst, daß ich mein Werk nicht so wirken kann, daß es dir zum Wohlgefallen dient.«

Es war seltsam. Kaum hatte er dies gesagt, als er merkte, daß es wunderlich still um ihn wurde. Oder richtiger gesagt, es dünkte ihm, daß seine Ohren sich allem verschlossen, was sie sonst vernahmen, und daß er statt dessen gleichsam eine neue Art von Gehör bekam. Er hörte seine eigenen Schritte nicht, nicht das Knirschen der Schlittenkufen, nicht das Klappern der Dreschflegel, die in den benachbarten Bauernhöfen auf den Tennenboden aufschlugen. Aber dafür konnte er Laute und Stimmen vernehmen, wie sie sonst nicht zu Menschenohren dringen, und mit dieser neuen Gabe hörte er, wie es dreimal hintereinander unten vom See her rief:

»Die Zeit ist erfüllt, aber der Mann ist nicht gekommen.«

»Die Zeit ist erfüllt, aber der Mann ist nicht gekommen.«

»Die Zeit ist erfüllt, aber der Mann ist nicht gekommen.«

Es kam dumpf und gedämpft, nicht von der Eisrinde, die den See deckte, sondern aus der Tiefe darunter. Es war wie das unheimliche Heulen ausgehungerter Wölfe und kam so wild und schaurig unter dem Eise herangerollt, als stände dort unten ein wildes, blutdürstiges Tier und schrie nach Beute.

Sowie der dritte Ruf verklungen war, dünkte es dem Lauscher, daß eine Luke in seinem Kopfe sich schloß, und nun hörte er wiederum nichts anderes als jene Laute, die man gewöhnlich vernimmt. Der Wind säuselte ganz sachte im Schilf des Strandes, der Schnee knirschte unter dem Fuß, und von einem hochbeladenen Wagen, der eben vorbeifuhr, klingelte leise ein schwaches Glöckchen.

Aber die Erinnerung an den Ruf vom Seegrunde war in ihm lebendig. Ein Mal ums andere vermeinte er, den raubgierigen, tierischen Laut zu hören, und all die Angst, die er in seiner Kindheit vor Nöck und Nix empfunden, stieg von neuem in ihm auf und ließ ihn vom Scheitel bis zur Sohle erbeben. Sie bekam solche Macht über ihn, daß er anfing zu laufen, dem Pfarrhof zu. Aber nach ein paar Schritten hielt er inne und suchte seines Schreckens Herr zu werden. »Du bist ein Christenmensch und ein Diener Gottes,« sagte er zu sich selbst, »die unreinen Geister in Wald und Feld und See sollen nicht die Freude haben, zu sehen daß du sie fürchtest.«

Er zwang sich, langsam zu gehen, aber unwillkürlich duckte er Kopf und Schultern, wie man es tut, wenn man eines Überfalls von rückwärts gewärtig ist. Bald jedoch richtete er sich empor. Sein Herz schlug nun mit gleichmäßigen Schlägen, und ein Gefühl neubelebter Hoffnung durchströmte ihn.

»Du hast ja Gott um ein Zeichen gebeten,« sagte er zu sich selbst, »du hast ja Gott um ein Zeichen gebeten.«

Als er in den Pfarrhof zurückkehrte, trug er den Kopf hoch und ging seinen gewöhnlichen, festen Schritt.

Ehe er sich in sein Arbeitszimmer begab, öffnete er die Küchentüre und bedeutete dem Gesinde, falls sie einen Wanderer sähen, der vom Wege abweiche, um sich auf den See zu begeben, so sollten sie ihn zurückrufen und ihm sagen, der Propst wünsche mit ihm zu sprechen.

Es währte nicht lange, so hörte man fremde Schritte im Hausflur. Die Türe zum Zimmer des Propstes öffnete sich, und ein junger Bursche trat herein. Er trug eine Friesjacke und gelbe Beinkleider aus Sämischleder, wie alle anderen Bauernburschen im Sprengel, aber aus einer gewissen Zierlichkeit und Schmuckheit in der Kleidung glaubte der Propst schließen zu können, daß er einen wohlbestallten Mann vor sich habe.

Der Propst sah den Eintretenden lange und prüfend an, bevor er etwas sagte. Er fühlte sich sogleich zu ihm hingezogen. Es war ein ziemlich kleiner, aber schlanker und gut gewachsener Mann, schön, mit grauen Augen, die wie leichtgekräuseltes Wasser bei starkem Sonnenschein glitzerten, und mit einem Lächeln, so hell, daß es den ganzen Menschen überstrahlte.

»Wenn ich diesen Mann davor bewahren kann, heute nacht über das Eis zu gehen und zu ertrinken,« dachte der Propst, »so soll mir dies ein Zeichen von Gott sein, daß ich fortfahren darf, ihm zu dienen.«

* * *

Volle zwei Stunden hatte der Propst mit dem Fremden gesprochen. Nun stockte das Gespräch schon eine Zeit lang, und es war still in der Stube. Draußen war es schon längst dunkel geworden, aber auf dem Schreibtisch brannte ein Talglicht, und bei seinem Scheine konnte man die zwei Männer unterscheiden. Der Bauer saß auf dem äußersten Rande eines Stuhles, noch immer sein glitzerndes Lächeln im Gesicht, während der Propst, der vor seinem Schreibtisch saß, sich sichtlich in einem Zustande großer Angst befand. Er hatte die Arme auf die Tischplatte gestützt und saß vorgebeugt da, den Kopf in den Händen. Hie und da stieß er einen Seufzer aus, so tief, daß er seine ganze Gestalt erschütterte.

Mit all seinem Reden hatte er nun doch nicht vermocht, dem anderen das bestimmte Versprechen abzuringen, daß er über die Landstraße heimkehren werde. Er machte nur Ausflüchte, bald sagte er, sie erwarteten ihn zu einer bestimmten Zeit daheim, dann wieder, er sei zu müde, den langen Umweg rings um den See herum zu machen … Der Propst erbot sich, ihn über die Landstraße nach Hause zu kutschieren, allein er wollte nicht darauf eingehen. Er hatte Angst, jetzt zu fahren, wo die Wege so schlecht waren; er hatte Angst vor allem, nur nicht davor, über das Eis heimzugehen.

Da saß nun der Propst und überdachte alles, was sie gesprochen hatten, er mußte herausfinden, wie er den Mann anzupacken hatte, um ihn zu retten. Das war ja das Wunderliche an ihm, daß er dem Propst immer wieder entglitt und sich nicht fangen ließ. Es war so gewesen, als steckte man die Hand in rinnendes Wasser und versuchte es festzuhalten.

Der Propst hatte damit begonnen, ihm zu sagen, daß er ihn deshalb gebeten habe, hereinzukommen, um ihm davon abzuraten, den Seeweg zu nehmen. Er wisse, daß das Eis hier vorne in der Kirchenbucht unsicher sei. Darauf hatte der Fremde nur geantwortet, heute morgen, bei seinem Aufbruch von daheim, sei das Eis eine Elle dick gewesen. In einem Tag könne es wohl nicht aufgetaut sein, wenn die Sonne auch stark geschienen habe. – Nein, draußen auf dem See habe es keine Gefahr, das glaubte der Propst auch gar nicht, aber in der Bucht, da wo der Fluß mündete. – Da hatte der Bursche ausgesehen, als hätte er alle Mühe, nicht hell auszulachen. Er war doch Fischer und hatte all sein Lebtag hier an diesem See gehaust, da konnte sich der Propst doch denken, daß er klug genug war, sich vor einer Flußmündung in acht zu nehmen.

Aber nun war da noch ein besonderer Grund, weshalb er sich hüten sollte, gerade an diesem Abend über das Eis zu gehen. Und der Propst erzählte ihm, was er eben erst auf der Landstraße gehört hatte. Es war merkwürdig, wie wenig der Mann darauf gab, nicht mehr als auf ein Liedchen, das die Leute alle Tage trällern. Wollte man sich um derlei kümmern, hatte er gesagt, dann könnte man sich nie auf einen See wagen.

Der Propst hatte ihn gefragt, ob er ihm denn nicht glaube. Ja, gewiß glaubte er ihm. Er hatte sie auch schon in der Tiefe brüllen und toben hören, aber er wußte, daß das nur Schreckschüsse waren. Es waren die kleinen Seekobolde, die Allotria trieben. Sie waren eben auch Jössehäringer und liebten es, zu spielen und zu tollen.

Die ganze Zeit stand er da und lächelte, und er war unmöglich dazu zu bringen, die Warnung ernst zu nehmen. Da stieg in dem Propste die Angst auf, daß es ihm nie gelingen würde, ihn davon zu überzeugen, daß ihm Gefahr drohe. Es sah aus, als könnte das gar keine so schwere Sache sein, aber hier stellte sich offenbar etwas Besonderes in den Weg. Der Propst sagte sich selbst, daß er herausfinden müsse, was dies sei, wenn er Macht über den Mann gewinnen sollte.

Der Fischer war übrigens recht mitteilsam und schwatzte, wie man so sagt, das Blaue vom Himmel herunter. Der Propst hatte schon erfahren, daß er Gille Folkesson hieß und am anderen Seeufer wohnte. Verheiratet war er auch, hatte eine junge schöne Frau, auf die er nicht wenig stolz war. Sie stammte nicht von Kleinhäuslern ab, wie er selbst, nein, sie war die Tochter eines Großbauern. Nun, er stand sich ja auch gut, wenn er auch nur ein Fischer war. Sie hätte es als Bäuerin nicht besser treffen können.

»Sie wird es nicht mehr so gut haben, wenn du hingehst und dich ertränkst,« hatte der Propst gesagt. Aber das nahm Gille wiederum nur als Spaß und hätte laut gelacht, wenn er sich nur getraut hätte.

Er war der zufriedenste Mensch unter der Sonne, und es läßt sich nicht leugnen, daß er ein klein wenig prahlte. Er hatte sein Boot selbst gemacht, und es war so leicht, daß es nur so übers Wasser flog, wenn er die Ruder noch so leise berührte. Er hatte auch größeres Fischerglück, als irgend ein anderer. Dies machte es, daß er in Wohlstand lebte, obgleich er kein Land besaß. Es war gar nichts Seltenes, daß er auf einen Zug so viele Fische in seine Netze bekam, daß sie im Boot gar keinen Platz fanden.

Diese Reden von seinem Fischerglück hatten den Propst stutzig gemacht. »Du bist wohl einer, der sich ganz auf sein Glück verläßt, he?« hatte er ganz plötzlich gefragt. »Ja freilich,« kam die Antwort, und dabei glitzerte es noch stärker als früher in den Augen des Fischers, »ich habe wohl auch guten Grund dazu.«

Er hatte sich ein wenig gesträubt, zu erklären, was er damit meinte, aber der Propst hatte es bald aus ihm herausbekommen. Es kam ihn auch schwer an, darüber zu schweigen. Er schien nun bei dem angelangt, was ihm näher lag als alles andere.

Er erzählte dem Propst, wie seine Mutter, ein paar Monate ehe er, Gille, auf die Welt kam, in einer schönen Sommernacht einen Weg gewandert war, der durch einen dichten Wald führte. Die Äste hatten sich so eng über ihr verflochten, daß sie beinahe in der Dunkelheit ging, obgleich es kurz nach Johannis war, wo die Nächte doch hell sind. Ganz plötzlich hatte sich der Wald gelichtet, und der Pfad hatte jäh abfallend zu einer großen halbkreisförmigen Bucht hinabgeführt, fast ebenso schön wie die Kirchenbucht hier vor dem Pfarrhof. Sie war von grünen, üppigen Wiesen umgeben, und auf diesen Wiesen, die voll großer Blumen waren und von Tau glitzerten, hatte ein weißes Pferd gegrast. Es war das schönste Tier, das sie je gesehen. Die Mähne war so lang, daß sie auf die Hufe herabhing, der ganze Leib apfelfarben, die Beine schmal und biegsam wie die Sehne eines Bogens und der Schwanz so dick wie eine Roggengarbe und so lang, daß er auf dem Boden nachschleifte. Kaum mehr als einen Augenblick durfte sie sich an dem Anblick erfreuen. Denn als sie sich durch die hochblumigen Strandpflanzen näher an das Pferd heranschleichen wollte, erblickte es sie und floh. Aber nicht dem Lande zu, sondern gerade hinaus in den See. Es sprang durch das seichte Wasser, so daß der Schaum um seinen Bug sprühte, und sowie es in die Tiefe kam, tauchte es unter, ohne einen Versuch zu machen, zu schwimmen. Da wußte die Mutter, daß dies niemand anderes gewesen sein konnte, als der Nöck, der sich, wenn er ans Land geht, in Gestalt eines Pferdes zu zeigen pflegt. Die Mutter hatte für sich selbst keine Angst gehabt, aber sie dachte an das Kind, das sie unter dem Herzen trug, und besorgte, daß diese Begegnung ihm Nachteil bringen könnte. Zur größeren Sicherheit war sie zu einem »weisen Mann« gegangen, hatte ihn gefragt und den Bescheid erhalten, daß dies dem Kinde nicht schaden würde. Wenn sie einen Sohn bekäme, sollte sie einen Fischer aus ihm machen, denn der Nöck würde sich sicherlich seiner annehmen, so daß er gutes Fischerglück haben würde. Aber würde aus dem Kinde wirklich ein Fischer, dann müßte er sich vor einer einzigen Sache in acht nehmen, und das war, niemals Wasser aus dem See zu trinken, in dem er seine Fische fing.

Dies hatte Gille auch immer vermieden, obgleich es manchmal gar nicht so leicht gewesen war. Es war schwer, sich mit keinem einzigen Tropfen Wasser zu laben, wenn man an heißen Sommertagen in seinem Boot auf dem See lag. Wenn er zu Fremden kam, wagte er es kaum, ein Glas zum Munde zu führen. Es gab Leute, die über derlei nur lachten, und die versuchten, ihn aus purem Unverstand zu verleiten, Seewasser zu trinken. Sie konnten nicht glauben, daß dies etwas für ihn bedeuten würde. Es kam auch hier und da vor, daß die Seekobolde kleine Versuche machten, ihn zu verlocken, Seewasser zu trinken. Aber bisher hatte er sich tapfer gehalten, und es war ihm in allen Stücken gut gegangen, wie es ihm voraus gesagt war. Und viele, ja unzählige Male hatte er gesehen, daß die kleinen Seejungfern, die nicht größer waren als Barsche und die holdseligste Gestalt bis zu den Hüften hatten, wo der Fischschwanz anfing, in ganzen Schwärmen um sein Boot geschwommen waren, wenn er an schönen Sommerabenden still lag und angelte, und sie hatten ihm einen Fisch nach dem anderen an den Angelhaken gehängt. Und ebenso hatte er auch im Herbst bei Sturm und Unwetter, wenn sein Garn sich verwirrte, bei ihnen Hilfe gefunden.

Als der Propst diese Geschichte aus Gilles eigenem Munde hörte, da hatte sie ihn nicht so erregt wie jetzt, wo er nur daran dachte. Während Gille sprach, hatte er ganz deutlich die lieblichen kleinen Värmlandseen vor sich gesehen mit ihrem Badestrand und ihren Angelstellen, wo er als Knabe seine fröhlichsten Stunden verbracht hatte. Er sah das Wasser blinken und spiegeln, es ging bis in seine Kammer hinein, es wogte sanft und schmeichelnd rings um ihn. Er hatte das Gefühl gehabt, als gehörten Gille und seine Zaubergeschichten und das Fischen und das sorglose Leben auf dem See zusammen, er hatte nichts Anstößiges darin sehen können. Er war wie vom Wellenrauschen eingelullt gewesen. Auch hatte er nicht recht gewußt, ob Gille es ernst meinte oder im nächsten Augenblick sagen würde, er habe nur gescherzt. Und so hatte er nur ganz sanftmütig gesagt, es könne gefährlich sein, Hilfe von solchen anzunehmen, die nicht unserer Welt angehören.

Aber Gille hatte wieder gesagt, für ihn habe es keine Gefahr, solange er das Wasservolk nicht dadurch herausforderte, daß er Wasser aus dem See trank wo er fischte; täte er das, geriete er freilich in ihre Gewalt. Wie es jetzt war, hatte er nur Hilfe und Nutzen von ihnen.

Um dies zu beweisen, erzählte er dem Propst eine Geschichte von seiner Hochzeit.

Als Gille vor den Traualtar treten sollte, da war es ihm so schlimm ergangen, daß er sich fast nicht zur rechten Zeit im Hochzeitshause hätte einfinden können. Einer der Nachbarn hatte versprochen, ihm ein Pferd zu leihen, aber am selben Tage war dies Pferd krank geworden, und da stand nun Gille, und guter Rat war teuer. Da hatte er plötzlich ein Pferd erblickt, das auf der Strandwiese ging und graste. Es war ein schönes Tier, ein rosigweißer Apfelschimmel, die Mähne so lang, daß sie bis zur Erde reichte, wie nur das Pferd den Kopf senkte, und der Schwanz dick wie eine Roggengarbe. Gille hatte das Pferd nie zuvor gesehen und wußte nicht, wem es gehörte, aber er meinte, Not kennt kein Gebot. Er mußte ein Pferd haben, gleichviel wo er es hernahm, sonst konnte er zur Trauung nicht zurechtkommen. Er versuchte das fremde Pferd einzufangen, und siehe da, es ging kinderleicht. Es ließ sich auch vor das Wägelchen spannen und zog es, ohne zu murren. Gille glaubte freilich zu merken, daß es einen wunderlichen Gang hatte und nicht recht eingefahren war, so daß es sich nicht auf Zeichen und Zurufe verstand, aber er war ja in seine Bräutigamsgedanken versunken und achtete nicht groß auf das Pferd, sondern war schon zufrieden, wenn es nur vorwärts ging. Aber als er in das Haus der Braut kam, da liefen die Leute heraus, um sein Pferd anzusehen, und vergaßen Braut und Bräutigam darüber, es zu loben und zu rühmen. Niemand konnte sich erklären, wo Gille ein solches Tier herbekommen habe. Das mußte zum allermindesten in des Königs Stall aufgewachsen sein. Gille beeilte sich, es abzuschirren und stellte das Pferd zu den anderen. Er legte ihm schönes Futter vor, sagte ihm Dank für seine guten Dienste, aber band es nur mit einer Schleife fest. Als die Trauung vorüber war, gingen die Leute wieder heraus, um sich das Pferd anzusehen, aber da war es verschwunden. Gille gab sich selbst die Schuld, weil er es nicht sicher genug angebunden hatte, und sagte, es wäre vermutlich heimgelaufen. Dort im Hochzeitshause hatte er sich nicht anmerken lassen wollen, daß ihm die Sache nicht recht geheuer vorkam, aber er war zur Überzeugung gelangt, daß es niemand anderes als der Nöck sein konnte, der ihm den Dienst erwiesen hatte, ihm auf seiner Bräutigamsfahrt das Pferd zu machen.

Er hatte auch noch andere Begebenheiten erzählt, aber es war vor allem dieses, das ihn in dem Glauben bestärkt hatte, daß er in dem Wasservolk Freunde hatte und es nicht zu fürchten brauchte.

Der Propst fand Gefallen an dem Manne, und seine Geschichten hatten ihn, wie schon gesagt, an sein Jugendleben im Wald und auf dem See erinnert, und das war es, was ihn gleichsam zur Ruhe gewiegt und ihn verhindert hatte, Gille zuzurufen, doch einzuhalten und in seiner Gegenwart nicht von solchen Dingen zu sprechen.

Es gab Menschen genug, die nicht an diese Wesen glaubten, die das Volk in der Natur gesehen zu haben vorgab, doch der Propst gehörte nicht zur Zahl dieser. Aber eins war es, zu glauben, daß sie da waren, ein anderes, Hilfe und Beistand von ihnen anzunehmen, wie es dieser Fischer tat. Diese Wesen waren ihrer Natur nach böse, und für den, der sich mit ihnen einließ, nahm es immer ein schlechtes Ende. Das wußte die Kirche, und aus diesem Grunde verbot sie allen Umgang mit ihnen. Auch Gille Folkesson würden sie Unglück bringen, wenn der Propst nicht imstande war, ihn aus den Fesseln seines Aberglaubens zu lösen.

Tausenderlei Geschichten hatte der Propst von dem Treiben dieser Geschöpfe gehört. Alle endeten sie so, daß sie sich auf den, welcher eine Zeitlang in ihrer Gunst gestanden und ihre Wohltaten genossen hatte, stürzten, wenn er ihnen ganz blind glaubte, und ihn zugrunde richteten. Alles an ihnen war List, Tücke und Bosheit. Sie gehörten in die Unterwelt, und ihr einziges Trachten war es, die Menschen in ihre Dunkelheit hinabzuziehen.

Nun erkannte er, der Propst, daß dies ihre deutliche Absicht mit diesem Fischer war. Er war in Sicherheit eingelullt, er glaubte an ihre freundliche Gesinnung. Keine Warnung hatte mehr die Macht, ihn abzuschrecken, und in dieser Nacht sollte er in das Netz fallen, das von seiner Geburt an für ihn ausgespannt war. Ja, so mußte es kommen, wenn der Propst nicht imstande war, ihn zu retten.

Der Propst stand da und erwog diese Aufgabe in Gedanken hin und her. Eins gab es, worauf Gille sein Vertrauen und seine Zuversicht setzte, und das war, daß er noch nie Wasser aus dem See getrunken hatte, in dem er seine Angeln und Netze auswarf. Aber was war nun das für ein Glaube, konnte man darauf vertrauen? Eine falsche Stütze war das, eine, die in dieser Nacht versagen würde; denn der Propst hatte gehört, daß man unten in der Tiefe auf Gille wartete. Eine morsche Planke war es, die ihn nicht tragen konnte. Wenn er fortfuhr, darauf zu bauen, mußte er elendiglich zugrunde gehen.

Der Propst sah deutlich, daß diese Planke Gille Folkesson entrissen werden mußte, ehe es zu spät war. Konnte er nur nicht mehr auf die bauen, dann würde er auch nicht mehr seine Hoffnung auf Nix und Nöck setzen, sondern auf den lebendigen Gott. Konnte er nicht mehr auf sie bauen, dann war er an Leib und Seele errettet und kam glücklich und wohlbehalten heim zu seinem jungen Weibe.

In seiner ganzen Gemeinde wußte der Propst keinen Menschen, zu dem er sich so hingezogen fühlte, wie zu diesem Gille Folkesson. Er konnte ihn ob seiner Verbindung mit den unreinen Geistern nicht so tadeln, wie er sollte, aber es wandelte ihn eine große Sehnsucht an, ihn aus ihrer Gewalt zu erretten. Das Herz tat ihm in der Brust weh, wenn er diesen Mann ansah, der da jung, schön und sorglos vor ihm saß und doch verurteilt war, in dieser selbigen Nacht zu sterben.

Der Propst sah einen Weg, ihn zu erretten, hatte ihn von Anfang an gesehen, aber er wußte nicht, ob er nicht eine Sünde und eine Entheiligung beging, wenn er dieses Mittel anwendete. Aber konnte es eine größere Sünde geben, als einen Menschen mit Leib und Seele der Gewalt der dunklen Mächte zu überantworten? Vielleicht war es erlaubt, in einem solchen Fall zu diesem Ausweg zu greifen? Es lockte ihn und es widerstrebte ihm doch wieder. Es widerstrebte ihm sehr. Er war in furchtbarer Pein. Er brauchte einen Fingerzeig Gottes.

Wenn der Mann da vor ihm von seinem Glauben an die morsche Planke frei werden könnte, frei in der Art, daß er eine neue Stütze, eine neue Hoffnung bekam? Wenn er so ganz und gar befreit werden könnte, daß er sich nicht in Gefahr zu fühlen brauchte, sondern im Gegenteil gesichert und beschützt, wäre das nicht die größte Wohltat, die man ihm erweisen könnte?

Plötzlich schrak der Propst aus seinen Gedanken auf. Der Fischer war es müde geworden, zu warten und stand nun von seinem Stuhle auf. Im selben Augenblick war auch der Entschluß des Propstes gefaßt. Er konnte den Mann nicht in sein Verderben rennen lassen. Er mußte ihn aufhalten, mußte tun, was in seinen Kräften stand, um ihn zu retten.

»Ich sehe, du willst gehen, Gille,« sagte er. Dabei erhob er sich, und Gille wich in aller Eile zur Tür zurück, wie um leichter entkommen zu können. »Du darfst nicht glauben, Gille, daß ich dich mit Gewalt zurückhalten werde, wenn ich gleich Lust dazu hätte. Du kannst gehen, wohin du willst, und ich sehe schon es wird der Seeweg sein.«

»Das wird es wohl, Herr Propst. Ich komme schon auf jeden Fall heim.«

»Aber du mußt wissen, Gille, wenn ich dich jetzt, so wie du willst, den Seeweg gehen lasse, dann ist dies für mich, als schickte ich dich geradewegs in den Tod. Ich bin so sicher, Gille, daß du den nächsten Morgen nicht erlebst, wenn du dich heute nacht aufs Eis begibst, als ich es wäre, wenn ich wüßte, daß blutdürstige Mörder dir vor meinem Hause auflauern. Darum, Gille, will ich dich zum Tode bereiten, so wie ich es täte, wenn du in den letzten Zügen lägest. Ich will dir das heilige Abendmahl geben.«

Gille legte unwillkürlich die Hand auf die Türklinke. Er hätte sich dem, was kommen sollte, am liebsten entzogen, doch der Propst hielt ihn zurück.

»Du darfst nicht gehen, Gille,« rief er mit einer mächtigen Stimme, die vor Gemütsbewegung brach. »Ich bin dein Seelsorger, und ich muß meine Pflicht gegen dich tun, sonst kann ich es nicht vor dem verantworten, der Herr ist über dich wie über mich.«

Der Fischer sah drein wie ein gegen seinen Willen hin und her gezerrter und gezwungener Mann, doch war er nun so sehr von der Ehrfurcht vor dem Propst befangen, daß er stehen blieb. Und sobald dieser merkte, daß Gille ihm zu gehorchen gedachte, begann er seine Vorbereitungen. Er nahm die kleinen Abendmahlskelche hervor, deren er sich bediente, wenn er zu Sterbenden gerufen wurde, entzündete noch eine Kerze und hing seinen Talar um.

Es war kein Wein in der Flasche, die er neben dem Kelch verwahrte, doch er schickte nicht in den Keller, um sie füllen zu lassen. »Möge Gott mir gnädig sein,« dachte er. »Ich fülle seinen Kelch mit dem Naß, das heilig genug ist, in seinem zweiten Sakrament zu dienen.«

Er ließ Gille vor seinem Stuhl niederknien, erteilte ihm die Absolution, las die Worte des heiligen Abendmahls, reichte ihm das Brot und führte den Kelch an seine Lippen.

Im nächsten Augenblick sprang der Fischer schreckensbleich auf. »Was hast du mir im Kelch gegeben, Pfaffe?« rief er und packte den Propst hart am Arm. – »Ich habe dir das gegeben, was du in deinem heidnischen Aberglauben nie zu kosten gewagt hast,« sagte der Propst. »Ich habe dir Wasser aus der Kirchenbucht gegeben, aber ich habe es geheiligt und geweiht. Jetzt ist es über deine Lippen geströmt, nicht als Wasser, sondern als Christi Blut. Möge es die Macht des natürlichen Wassers überwinden! Möge es deine Seele befreien von – –«

Er kam nicht weiter. Gille Folkesson hörte ihn nicht. »Wasser aus der Kirchenbucht,« schrie er so jammervoll wie ein Verwundeter. »Wasser aus der Kirchenbucht.«

Ich nächsten Augenblick war er aus dem Zimmer und lief durch den Flur in den Hof.

Der Propst eilte ihm nach, aber Gille stürmte dahin wie ein Tollhäusler, und es war unmöglich, ihn einzuholen. Während er so lief, rief er mit einer Stimme, die nicht weniger schaurig klang als die Stimme vom Seegrund, die der Propst am Abend vernommen hatte:

»Die Zeit ist erfüllt, und der Mann kommt.«

* * *

Die halbe Nacht war der Propst mit Knechten und Nachbarsleuten auf dem Eise gewesen und hatte nach Gille Folkesson gesucht, der den Pfarrhof in Sinnesverwirrung verlassen hatte. Endlich hatte man nächst der Flußmündung ein Loch in dem schwachen Eise entdeckt, ein Mann war ganz vorsichtig hingekrochen und hatte Gilles Hut auf dem Wasser schwimmend gefunden. Da brauchte man nicht weiter zu suchen sondern konnte heimgehen.

Auf dem Nachhausewege sprachen die Männer natürlich von Gille. Sie kannten ihn gut und erzählten einander von dem Bündnis, das zwischen ihm und dem Wasservolk bestanden haben sollte.

»Es ist sicher, daß die dort unten ihm dienten,« sagte ein Bursche und stampfte auf das Eis. »Aber jetzt ist es so ausgegangen, wie derlei immer ausgeht. Er ist schließlich doch in ihre Gewalt geraten.«

»Er muß sich wohl doch nicht genug in acht genommen haben,« sagte einer. »Er muß Seewasser getrunken haben.«

In demselben Augenblick, in dem dies gesagt war, hörten sie aus ihrer Mitte eine Stimme, die zu reden und zu erzählen begann. Es war eine schwache zitternde Stimme, die Stimme eines alten, gebrochenen Mannes. Die Leute konnten sich anfangs gar nicht denken, wem sie angehörte, sie blieben verwundert stehen. Es war kein schwacher oder alter Mann unter ihnen gewesen, als sie sich aufs Eis begeben hatten.

Aber da merkten sie, daß es der Propst war, der sprach, und sie scharten sich dicht um ihn, um zu hören, was er sagte. Sie sahen sein Antlitz nicht, aber es dünkte ihnen, daß er gebeugt und zitternd dastand und sich kaum aufrecht zu halten vermochte.

Noch nie hatten sie einen Menschen so vernichtet gesehen. Es war junges, sorgloses Volk, die meisten von ihnen, aber sie standen rings um den gebrochenen Mann und weinten wie die Kinder, während er so sprach.

Als er ihnen gesagt, was er an diesem Abend erlebt hatte, ging er einsam ans Land. Die anderen schlichen stumm hinter ihm drein, gerade nur soweit, daß sie ihn im Auge behielten und sahen, daß er heim zu wanken vermochte und nicht auf dem Wege liegen blieb.

»Mit dem ist es zu Ende,« flüsterten sie einander zu. »Der kommt nie mehr auf eine Kanzel.«


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