Selma Lagerlöf
Legenden und Erzählungen
Selma Lagerlöf

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Tale Thott

Es war einmal ein Mann, der einen Klumpen Gift fand. Er hob es auf, steckte es ein und führte es getreulich mit sich, wohin er ging, obgleich er gar nicht gedachte, es zu gebrauchen. Aber als er das Gift fünfzehn Jahre verborgen hatte, da traf er einen Menschen, mit dem er es nicht ertragen konnte zusammen zu leben, und da wendete er es an. Er glaubte nachher, daß, wenn er just damals den Giftklumpen nicht zur Hand gehabt hätte, er niemals zum Mörder geworden wäre.

Ein ähnliches Bewandtnis hatte es mit Krild Urups Hund. Er schaffte ihn sich an und richtete ihn ab, lange bevor er eigentlich zur Verwendung kam.

Er war ein großer, kräftiger Mann, Krild Urup, aber so träge. Er hatte starke Zahnreihen und große, glänzende Augäpfel. Sein Aussehen war ein wildes, aber man wußte nichts Böses von ihm. Doch es ist so, daß, wer sich Gift schafft und es bewahrt, wohl fühlt, daß er versucht werden kann, es zu gebrauchen, und wer einen solchen Hund behält, wie Arild Urup . . .

Es war in Kopenhagen, an des alten König Christians Hof. Dort hörte Herr Arild eines Tages den französischen Gesandten erzählen, wie die Rittersleute in Franken und Burgund Hunde einzuüben pflegten, Jagd auf Wildschützen zu machen.

Der König selbst und etliche Ratsherren befragten den Gesandten genau über diese Hunde und ihre Dressur. Sie erfuhren, daß die Tiere abgerichtet wurden, den Wilddieb umzuwerfen und ihn stille unter sich zu halten, bis ihr Herr kam. Sie durften die Zähne nicht gebrauchen, insolange der Dieb nicht zu fliehen versuchte.

Den dänischen Herren schien die Sache vortrefflich, aber sie glaubten nicht, daß sie sich in Dänemark einführen ließ. Der König war alt, er fand an den neuen, ausländischen Gebräuchen nicht Gefallen. Auch gab es keine Hunderasse, die als geeignet erachtet worden wäre.

Herr Arild hatte den anderen beigestimmt, solange er in Kopenhagen weilte, aber kaum saß er daheim auf Ugerup, als er auch schon anderen Sinnes wurde.

So erging es ihm gewöhnlich. Er mußte in seinen vier Pfählen sein, um wirklich zu wissen, was er wollte.

Er bedurfte eines solchen Hundes dringender, als irgend jemand ahnte. Fürs erste hatte er kostbares und prächtiges Wild im Forstparke auf Ugerup, fürs zweite vermochte er es nicht zu schützen. Er konnte sich nicht Respekt verschaffen, wie andere Herren. Er war zu gelassen, um gefürchtet zu werden, und raffte sich nie auf, zu strafen.

Er hatte gerade damals einen ungewöhnlich großen Hund in Abrichtung, der gelehrt werden sollte, auf Wölfe und Bären zu gehen. Er hieß Kark und war so klug, daß Herr Krild beschloß, ihm zu zeigen, wie man Wildschützen jagte. Dies glückte so wohl, daß es den Anschein hatte, als wäre es dem Hunde im Blute gelegen.

Als der Hund im Hundehof ausgelernt hatte, nahm ihn Arild Urup in den Wildpark mit. Dort kannte Herr Arild jeden Baum und Busch, jeden Wildstand und jedes Vogelnest. Man konnte sagen, daß er all seine Liebe hineingelegt hatte. Aber merkte er, daß ein Tier gestohlen war, so brachte er es dennoch nicht über sich, den Dieb zu verfolgen. Jedoch sein Zorn war darum nicht geringer.

Sobald er nur unter die Bäume trat, erblickte er eine Falle, die nicht von ihm oder seinen Jägern gestellt war. Er ließ Kark daran schnuppern und nahm ihm dann die Koppel ab.

Der Hund schoß geradenwegs in ein Dickicht, und in ein paar Augenblicken hörte Herr Arild einen Schrei und einen schweren Fall. Der Wilddieb war eben dagewesen, um seine Falle zu besichtigen, und es war ihm nicht gelungen, aus dem Forste zu entkommen.

Als Herr Arild sich Weg durch das Gestrüpp bahnte, sah er den Burschen umgestürzt auf der Erde liegen und den Hund über ihm stehen, die Tatzen auf seiner Brust und den Rachen an seiner Kehle, ganz wie der Franzmann gesagt hatte, daß es sein müßte.

Herr Arild griff gleich nach der Hundspeitsche und begann den Kerl zu schlagen. Er erstaunte förmlich über sich selbst, aber er fühlte, daß er dieses eine, einzigemal seine Kraft zeigen mußte. Er kannte überdies den Burschen, und er wußte keinen Schelm, dem er lieber beigekommen wäre. Es schlug sich auch so vergnüglich, während der Dieb stille lag, wie an einen Richtblock gebunden und nur auf die funkelnden Augen des Hundes achtete und auf die Zähne, die bei jeder Bewegung, die er versuchte, seine Kehle kitzelten.

Als Arild Urup ein paar tüchtige Hiebe geführt hatte, kam etwas Merkwürdiges über ihn. Es dünkte ihm, daß sein Arm begann von selbst zu gehen; ohne daß er daran dachte, fing er an, mit dem Peitschenschafte zu schlagen, und er lachte hell auf, als der Bursche vor ihm vor dem Schmerze der Schläge zusammenzuckte.

Etwas ganz Neues hatte in ihm die Oberhand, er wurde sich gleichsam selbst fremd. Er empfand eine solche Freude bei jedem Schlage, den er dem zitternden, zuckenden Menschenleibe gab, daß er sich nicht entsinnen konnte, je vorher solche Wollust gefühlt zu haben.

Er zerpeitschte Kleider und Haut. Er sehnte sich nach dem ersten Blutstropfen, und als er ihn hervorgepeitscht hatte, fühlte er, daß er sich darnach sehnte, das Leben selbst herauszupeitschen.

Im Anfange hatte der Bursche geheult, aber mit einemmale wurde er still. Man hätte ihn für tot halten können, würde der Körper nicht weiter unter den Schlägen gezuckt und gezittert haben. Seine häßlichen, alten Kleider waren auseinandergepeischt, und der Körper schwoll blau und blutig auf.

Der Hund hatte ihn verlassen und stand neben Arild Urup. Bei jedem Schlage that er einen Satz, wie um sich auf seine Beute zu stürzen, und stieß ein frohes Bellen aus. Als Arild Urups Blick auf ihn fiel und er sah, wie er im Blutdufte witterte und alle wilden Lüste in ihm entfesselt waren, da erfaßte ihn mit einemmale Ekel.

Das Ende war, daß Kark einen Schlag über den Rücken erhielt, der ihn zu Boden streckte, wo er sich vor Schmerz krümmte, und daß Krild Urup heimging. Der Wilddieb mochte das Weite suchen, so gut er konnte.

In den nächsten Tagen fühlte Herr Arild ein wunderliches Unbehagen. Er liebte es, in Frieden und Ruhe zu leben, und vertrug solche Erregungen nicht. Und obgleich er im Krieg und Turnier gewesen und seine Sache gar nicht übel gemacht, hatte er sich doch nie wild und außer sich gefühlt. Es kam ihm in den Sinn, daß es mit dem Hunde nicht geheuer sein konnte. Denn die Grausamkeit war über ihn gekommen, als er Karks Augen funkeln und seine weißen Zähne des Mannes Kehle kitzeln gesehen hatte. Todsünden greifen ärger um sich, als die Pest.

Und so mochte es mit seinem Wildforste gehen, wie es wollte, aber aus seiner stetigen Ruhe wollte er nicht gerissen werden. Darum ließ er Kark binden. Er mußte Jahr um Jahr in seiner Hütte stehen und wurde niemals mehr mit in den Wald genommen.

Aber er tötete ihn nicht, er verschenkte ihn nicht, sondern der Hund stand da, und seine Gaben blieben aufgespeichert, bereit für den fernen Tag, bis Herr Krild seiner bedürfen würde.

* * *

Aber bis dahin, welche Reihe von Ereignissen, wie sie sich biegt und krümmt, wie sie sich vorwärts und zurück schlängelt, im Gewebe der Zeiten! Sie breitet sich in Glanz und Farbe aus, sie stirbt im Schatten dahin, sie verwirrt sich und entschwindet.

Welche Reihe von Ereignissen! Sie kommt, wie eine lange Kette von Wogen, die donnern und branden, die sich verflüchtigen in Schaum und Gischt.

Welche kalte, öde Reihe von Ereignissen! Wie wenig sie, soweit sie von den Alten aufgezeichnet wurde, die Spuren dessen trägt, daß Menschen sie durchlebt. Sie ist wie ein altes, verschrumpftes und bleiches Heiligenbild. Einmal freilich wurde es nach frischen Gliedern geschnitzt, einmal freilich nach den Farben blühender Wangen gemalt.

Lasset sie vorbeigleiten, denkt von ihr, wie vom Eisenbahnzuge, daß Leben und Bewegung in dem geschlossenen Wagen herrscht, obgleich man keinen Menschen sieht! Lasset den Eilzug der Ereignisse vorbeigleiten, ohne an Quellen und Hainen zu verweilen, ohne zu Höhen emporzusteigen und den Morgen zu grüßen, ohne am Meeresstrande zu zögern und den Sonnenuntergang zu sehen!

Hört nun, hört, Geschehnisse, nur Geschehnisse! Da ist Herr Lave, der Pfarrer. Er freit bei Frau Elsa Ulfständ auf Eriksholm, Herrn Tale Thotts Wittib, für Herrn Arild Urups Rechnung. Er begehrt das junge Jungfräulein Tale Thott für ihn. Und Jungfrau Tale will nicht, aber Frau Elsa will, und die Anverwandten wollen, denn Herr Arild ist reich.

Und da ist Herr Lave abermals auf Eriksholm und Herr Arild mit ihm, und da wird in Pracht das Verlöbnis gefeiert. Und jetzt, kannst du ein Antlitz hinter dem Fenster des Eilzugs erspähen? Kannst du Jungfrau Tale sehen, kannst du ein armes, verweintes Kindergesicht sehen, das in Verzweiflung erstarrt ist? Kannst du sehen, wie diese starre Verzweiflung, die sie gebunden und gelähmt hat, während sie sie für immer und allezeit Arild Urup versprechen mit einem Gelöbnis, das gleich einer Trauung bindet, wie diese starre Verzweiflung, sage ich, sich in Raserei auflöst, als Herr Arild seine Brautgaben vor ihr ausbreitet! Warte, warte, hier ist mehr als ein Geschehnis, hier ist ein kräftig hervortretender Wille, hier ist ein stolzes und heftiges Herz. Die Hochzeitsangebinde werden zu Boden geschleudert, und der kleine Fuß setzt seine Ferse auf güldenes Geschmeide und Seidentücher. Und die Hand ballt sich gegen Freunde und Gäste, als sie den Kinderzorn mit Lachen begrüßen.

Rasch einen neuen Einschlag in das Gewebe der Zeit. Es ist Hochzeit auf Skabersjö, und dort begegnen sich Tale Thott und Anders Banner. Und wenn dies eine Erzählung von Menschen wäre, würde berichtet werden, wie sie sich trafen und ob es Worte oder Blicke waren, die sie aneinander fesselten. Aber dies ist keine Erzählung von Menschen. Dies ist ein Schattenspiel, ein Spiel matter, farbloser Schatten.

Und nun kommt dies, daß Herr Arild in den Krieg ziehen muß, bevor noch Frau Elsa alles zur Hochzeit bereitet. Und er wird gefangen im Kriege. Und da ist Jungfrau Tale, sie schreibt an Anders Banner, daß Herr Arild in Feindesland gefangen ist und daß er nun kommen möge und um sie freien. Da ist Anders Banner, der reitet nach Eriksholm, dort liegen die beiden auf den Knien vor der Mutter des Jungfräuleins. Es lohnt nicht der Mühe, zu versuchen, sich Menschen hinter diesem zu denken. Dazu sind bloß Schatten vonnöten. Es ist nicht mehr, als was Schatten ausführen können.

Und da ist sie bei Hofe, diese Schattenjungfrau. Da kniet sie nieder vor dem jungen König, immer und allezeit um ihre Freiheit flehend. Immer das Geschehnis, an dem sie teilnimmt, mit einem schwachen Schimmer Leben erfüllend, immer einen stärkeren und bestimmteren Schatten werfend, als die anderen.

Nun zieht sie heim mit des Königs Freisprechung, nun eilen Boten von Eriksholm, um zum Hochzeitsfeste zu laden, nun versammeln sich die Gäste. Da mitten in die Freude langt ein Gegenbefehl des Königs ein. Ein Jahr noch muß die Jungfrau auf Arild Urup warten, dieweil der König es nicht gestatten will, daß seinem treuen Manne Unrecht widerfahre, während er in seinem Dienste ferne ist.

Wie lang die Reihe der Ereignisse ist! Nun ziehen schoonische Herren zu König Erik von Schweden, der Arild Urup gefangen hält, und bitten, ihn auslösen zu dürfen. Aber der König will nicht. Selbst als Schattenkönig ist noch der alte nückenvolle Wille in ihm lebendig. Niemand konnte es sonst begreifen, warum er so gerne Herrn Arild behalten mag.

Und Herr Arild sitzt im Gefängnisturm und wartet auf die Freiheit, und die Jungfrau sitzt im Lustgarten zu Eriksholm. Also hält der Ereignisse wilder Lauf inne. Es ist, als würde ein ungestüm dahinbrausender Eilzug gehemmt. Wir dürfen verweilen und den Blick vom Hügel bewundern, wir dürfen Blumen pflücken am Wegesrand.

* * *

Denkt, daß dies der Abend vor Tale Thotts und Anders Banners Hochzeit ist!

Und denkt, daß das Glück etwas Furchtbares sein, daß es sich beinahe wie Schmerz ausnehmen kann, daß es die Brust beklemmt und die Glieder schüttelt, daß es lähmt und verwirrt und die Seele aus ihren Vesten hebt.

Daß das Glück so allzu ganz und schön sein kann, daß man wohl in sein Festkleid einen Riß wünscht, eine Falte in sein Antlitz.

Es war eine Sommernacht mit Mondenschein. Es war wirklich Nacht, nicht die bleiche Dämmerung, die man Hochsommernacht nennt, nein, die schwarze Augustnacht, in der das Mondlicht die Dunkelheit durchschneidet, wie das weißeste Silber, da Licht für sich ist und Dunkel für sich, da unter den Parkbäumen schwarze, unvermischte Finsternis herrscht, und klares unvermischtes Licht über dem Rasenplan.

Und es war laue Stille über der Gegend. Nicht ein Wind, der beunruhigte, nicht ein erschreckendes Rascheln, nicht ein fallendes Blatt. Alles schenkte diese Nacht ganz, auch die Stille.

Und wo wurde sie gefeiert, diese Nacht, wo wurde sie durchlebt, in so bebender, schwellender Freude? Nicht unten auf der Ebene zwischen Steinmauern und Pfeilern, nein, hoch oben auf dem grünen Abhang, hoch oben, wo der Boden sich in Risse spaltet, aus denen üppiges Grün sich gleich schwellenden Wogen hinabstürzt, hoch oben, wo der Buchenwald über den Hügel hinabstreift, wie eine buschige Mähne über einen gekrümmten Hals. Alles gab die Nacht voll und reich, sie versetzte uns nicht in Lehmhütten, nicht unter niedrige Holzdächer, nein, hinauf in das große Eriksholm, das neue, glänzende Schloß, flaggengeschmückt, mit blumenumwundenen Pforten und köstlich getäfelten Sälen.

Angebinde um Angebinde gab die Nacht, sie gab dem rieselnden Springbrunnen Silber, den unzähligen, güldenen Wimpeln des Schloßdaches lieh sie Schimmer, sie zauberte Nebel aus dem Graben rings um die Burg, bis sie, wie ein Märchenschloß auf Wolkenrücken erbaut, dalag, und sie ließ schwachen Duft die Luft durchzittern, gleichsam um nichts zu vergessen.

Doch dort im Schloßgange wurde getanzt.

Maid stand neben Maid, Knappe neben Knappe, in zwei langen Reihen. Und sachte traten sie den Reigen, während der Vorsänger eine Weise summte. Aber als er zum Kehrreim kam, stimmten alle ein: Leicht und fein, leicht und fein, tanzt sichs über Wies' und Hain. . . . Liebeslied um Liebeslied, bis die Luft in Leidenschaft zitterte und bebte, und dann Weisen von Troll und Niß und Nöck, bis Wald und Nebel und Park und Wiese von den Unterirdischen bevölkert schienen. Und mitten darin ein Umschlag im Takte, ein neuer Ton im Bogenstrich. Die langen Ketten der Tanzenden lösten sich, Paare entstanden, der Wirbeltanz begann und entzündete taumelnde Freude in Seele und Sinn.

Rund um den Tanzplan standen Fackeln, und ihr roter Schein stimmte mit der Fröhlichkeit, in der alles war, wie es sein sollte. Doch allen voran war Tale Thott. Eine schöne, reich gekleidete und geschmückte Ritterstochter war sie. Sie ging im Fackelscheine vom Tanzplatze hin und her, Frau Kirstine Kaas an der Hand.

Sie gingen hinauf und hinab. Jedesmal, wenn sie wendeten, so daß der Lichtschimmer vom Tanzplatze ihre Augen traf, oder wenn der Gesang in volleren Tönen zu ihnen herübergetragen wurde, schlug Jungfrau Tale die Hände zusammen. »Hört, hört,« sagte sie, »nun feiern wir Hochzeit aufs Eriksholm!«

»Willst Du nicht tanzen, Tale?« sagte Frau Kirstine.

»Nein, Frau Kirstine, ich kann nicht.«

»Du solltest sprechen oder singen.«

»Ich bin zu froh, Frau Kirstine.«

Sie war zitternd, ganz außer sich. Es war, als hätte sie eine Feuerluft geatmet, die sie auseinandersprengen wollte, als verbrannte sie innerlich. Sie hielt Frau Kirstine fest an der Hand, als suchte sie Linderung für Qualen.

Frau Kirstine war beinahe unruhig um ihretwillen. Tale Thott pflegte kalt zu sein, von fester Haltung, zähem, hartem Willen. Sie pflegte stille zu gehen, leise zu sprechen. Sie war wie eine, die sich durch vielen Widerstand gekämpft hat. Frau Kirstine fand sonst an Tale Thott kein Gefallen. Sie selbst glich dem sich krümmenden Aal, der geschmeidigen Weide. Sie verkroch sich vor kraftvollen Menschen. An diesem Abend schloß sie sich in Liebe an sie.

»Was ist es, Tale Thott?« sagte Frau Kirstine, »was ist es, das Dich so weit gebracht hat?«

»Es ist nur das Glück, Frau Kirstine, nur das Glück.«

Die Jungfrau führte die Hände an die Augen und schluchzte. Nur ein kurzes, heftiges Aufschluchzen; dann begann sie zu sprechen.

Ob Frau Kirstine wisse, wo Anders Banner sich befand? Nicht wahr, er ritt umher und lud zum Hochzeitsfeste? Das wußte wohl Frau Kirstine, daß am Tage vor der Hochzeit der Bräutigam stets umherreiten mußte und die Gäste laden. Er ritt von Edelhof zu Edelhof. Man konnte nicht hoffen, daß er vor Mitternacht zurückkam.

Es war nicht ein Ton in der Stimme, der nicht ein wenig höher klang, als zu anderen Zeiten. Nicht ein Wort, das nicht auf einem Unterstrom von Schelmerei und Glück dahintanzte.

»Gott lasse ihn glücklich heimkehren!« sagte Frau Kirstine.

Tale Thott lachte auf, kurz, leise, wie ihr Weinen früher nur ein leichtes Überquellen des gewaltigen Glückstromes in ihr.

Dachte Frau Kirstine auch daran, welch gefährliche Nacht dies war?

Nun pflegte die Flußnixe auf den Ritter zu lauern und ihn anzulocken, wenn er durch die Auen heimritt. Denket doch, wie es Herrn Olaf ergangen und so manchem anderen! Alles hing davon ab, daß der Bräutigam fest war in seiner Liebe, dann hatte die Flußnixe keine Gewalt über ihn. Glaubte Frau Kirstine, daß Anders Banner in seiner Liebe fest war?

»Es scheint mir nicht geraten, mit den Unterirdischen seinen Scherz zu treiben,« sagte Frau Kirstine.

Tale Thott merkte, daß sie der Frage auswich und ihr Ton gepreßt klang. Sie lachte abermals, schlug die Arme um Frau Kirstine und drückte sie.

Nein, nein, es wunderte sie nicht, daß Frau Kirstine nicht sagen wollte, sie glaube an Anders Banners Liebe. Seht, sie, Tale Thott, war ihm gut gewesen, schon als kleines Jüngferchen, aber da hatte er, der erwachsene Mann, sie nicht einmal angeblickt, hatte er auch nur darnach gefragt, als sie sie Herrn Arild verlobten? Ach, Frau Kirstine, Herr Arild, daß sie nun seiner los und ledig war!

»Daß Du doch meinem Blutsverwandten so gram bist, Tale!« sagte Frau Kirstine.

Die Jungfrau lächelte und drückte Frau Kirstinens Hand. Es war ein großer Freundschaftsbeweis von Frau Kirstine, daß sie zur Hochzeit gekommen war, obgleich Tale Thott Herrn Arild so schwer verunglimpft. Darum sollte sie auch gar nichts Böses von ihm sagen. Sie verspürte auch nicht die mindeste Lust, von ihm zu sprechen. Ihn vergessen, das wollte sie. Und was war es doch, von dem sie eben geredet? Sie wollte Frau Kirstine um Rat fragen, von wegen Anders Banner. Die Leute hatten ja von Anfang an gesagt, daß er nichts nach ihr fragte.

Ja, das hatte Frau Kirstine gehört.

So war es auch gewesen, bekräftigte Jungfrau Tale. Das schwerste Leid, das sie in diesem Jahre getragen, war doch, daß sie nicht wußte, ob Anders Banner sie anders begehrte, als aus Haß gegen Arild Urup. Sie waren Feinde geworden nach einem Ochsenhandel auf Skurups Markt. Diese Ochsen – sie wußte nicht, ob sie sie haßte oder liebte. Sie waren der Ursprung ihres Glückes, dennoch hatte sie sich ihrethalben oft in den Schlaf geweint.

Frau Kirstine hatte wohl von ihr, Tale Thott, gehört, daß sie stolz und hoffärtig sei, aber das war nicht wahr, niemand trug ein demütigeres Magdherz in der Brust. Niemand hatte sich so im Staube winden müssen, wie sie. Und um der Liebe willen mußte sie sich also demütigen.

Es war kurze Zeit nach ihrem Verlöbnis mit Arild Urup, da waren sie und er bei einem Hochzeitsschmaus auf Skabersjö gewesen. Und da war auch Anders Banner.

Ach, ach! Sie legte beide Hände auf den Mund, küßte die Finger und streckte die Arme aus, um die Erinnerung, die Nacht, den Mondschein zu umfangen. »So trieb ich es früher, als ich hier seufzend und hoffnungslos ging,« sagte sie. »Aber denkt, Frau Kirstine, heute Nacht, Morgen! Da trinken wir auf Eriksholm den Hochzeitstrank!«

Wieder durchfuhr sie ein Schluchzen, wieder begann sie zu sprechen. Arild Urup hatte Anders Banner mit einem paar Ochsen betrogen, und Anders Banner hatte geschworen, Arild Urup etwas zu nehmen, das mehr wert war, als viele Ochsen. Darum hatte er sich um sie bemüht, als sie sich auf Skabersjö trafen. Das war wohl kein Grund zu großer Freude, oder wie dünkte es Frau Kirstine?

Nein, das war Frau Kirstines aufrichtige Meinung.

Aber dies war dennoch der Anlaß gewesen, daß er sie bemerkt und mit ihr Zwiesprache gepflogen hatte. Sonst hätte des Königs Lehnsherr wohl nicht einen Deut nach solch einem Jüngferchen, wie sie, gefragt. Und nach dieser Begegnung hatte sie doch den Mut gefaßt, zu hoffen, Herrn Arild zu entgehen, nach diesem hatte sie begonnen, ihre Mutter so recht herzinniglich zu bitten, ihm den Abschied zu geben.

Frau Kirstine meinte wohl, sie hätte wie eine Thörin gehandelt. Man sagte ja, sie trotzte Gott um Anders Banners willen, aber sie glaubte nicht, daß sie das that. Doch ihrem ganzen Stamme hatte sie getrotzt. Und sie selbst war es, die, als Herr Arild in den Krieg gezogen war, dem Ritter geschrieben hatte, er möge kommen und um sie freien. Denkt, sie hatte zuerst geschrieben. Glaubte Frau Kirstine, daß solches zu gutem Ende führen konnte?

Rund um sie hatte man immer wieder gesagt, daß Anders Banner ihr nicht in Minne zugethan war, daß er bloß Arild Urup das rauben wollte, das mehr galt als zwei Ochsen. Das sagten sie noch heute. Frau Kirstine glaubte es wohl noch in diesem Augenblicke.

Und sie schmiegte ihr schelmisches Antlitz an Frau Kirstines Wange, einen Kummer zeigend, den sie nicht fühlte, eine Unruhe, die keinen Raum in ihr fand. Dann lachte sie ihr gerade in die Augen und schwenkte sie herum, so daß sie gegen den Tanzplan kam. »Seht, seht, Frau Kirstine, nun feiern wir Hochzeit auf Eriksholm.«

Dann fing sie wieder an. Sie stolz! Ach, Frau Kirstine, sie stolz! Denkt, daß sie selbst, das junge Jungfräulein, zu Hofe hatte ziehen müssen. Denkt, alle die Kniefälle, alle Bitten! Und all dies um einen Mann, der vielleicht gar nicht nach ihr fragte. Er überließ es ihr ja, für jegliches zu sorgen. Kannte es sein, daß er Arild Urup bloß den Ochsenhandel heimzahlen wollte?

Aber das Ärgste, das Schwerste, das sie hatte thun müssen, war das Warten gewesen. Denkt, als der König befohlen hatte, sie dürfe nicht früher mit Anders Banner Hochzeit machen, bis sie ein Jahr noch auf Arild Urup gewartet.

Dies Jahr hatte ihre Jugend von ihr genommen. Dies Jahr war wie hundert gewesen.

Wenn Arild Urup es schwer gehabt hatte, dort, wo er gefangen lag, ihr war es nicht besser geworden. Sie hatte nicht gewagt, zu tanzen, nicht, sich zu freuen. Sie hatte es nicht vermocht, stille zu sitzen bei Webstuhl oder Spinnrad.

Wenn Anders Banner nach Eriksholm gekommen war, hatte sie sich nicht gezeigt. Sie hatte es nicht gewagt. Ihre Mutter durfte nicht an ihrem Brautschatz nähen. Sie hatte es nicht gewagt. Sie wagte es nicht, einen solchen Gedanken zu haben. Sie wagte nicht die Tage zu zählen, die von dem Wartejahr verronnen waren.

Sie legte ihren Arm in den Frau Kirstines. »Kommt,« sagte sie, und wollte Frau Kirstine von dem hellen Tanzplan in des Parkes tieferes Dunkel mit sich ziehen.

»Nein,« sagte Frau Kirstine, und es erschauerte gleichsam in ihr.

»Nur dorthin zum Hügel, wo man über die Heerstraße sieht. Dort lebte ich, Frau Kirstine, Tag um Tag. Dort saß ich, dort ging ich, dort stand ich. Dort stand ich und lauschte dem Hufschlag weit, weit weg. Und jeder Huf, der gegen einen Stein klang, brachte mir Kunde, daß Arild Urup frei war aus seinem Kerker, und jeder Federbusch, der über die Landstraße wehte, jede schimmernde Lanzenspitze. Das Schrecklichste war, ihn wiederzuerkennen, in jedem Reiter, groß oder klein, jung oder alt, der in den Burghof ritt. Ach, mich dünkt, ich achtete selbst auf die Pferdeknechte, ich dachte zuweilen, er könnte als Weib verkleidet erscheinen. Kommt, Frau Kirstine, noch einmal will ich hingehen!«

Doch Frau Kirstine wollte es nicht. Es wäre so tief im Parke, sagte sie. Aber Tale Thott bat Frau Kirstine so recht herzinniglich, sie dorthin zu begleiten. Sie wollte zu dem Hügel, heute Abend, da das Glück so gar zu groß und hoch war, daß sie sich die Bitterkeit der vergangenen Zeiten ins Gedächtnis rufen mußte, um nicht davon erstickt zu werden, um nicht vor Freude den Verstand zu verlieren.

Da gab Frau Kirstine nach und ging mit ihr. Es ist Gottes Wille, sagte sie zu sich selbst.

Und Frau Kirstine, von schweren Pflichten zerrissen, dachte in verworrenen Gedanken, daß Gott nicht mit sich scherzen läßt und darüber wacht, daß Schwüre und Eide nicht gebrochen werden. Aber dennoch fiel es ihr gar schwer, mit Jungfrau Tale fort von Licht und Tanz zu gehen.

Sie kamen bald an des Parkes Grenzen. Er glich dort mehr einem gewöhnlichen Wald und war reich an dichtem Gestrüpp. Dort lag ein Hügel mit weichem, grasbewachsenem Abhang und einer Buche auf der Spitze. Frau Kirstine horchte gespannt und zuckte beim leisesten Rascheln zusammen. Mehr als einmal lachte Jungfrau Tale darob.

Sie kamen auf den Hügel und standen dort im Mondschein, weit im Umkreise sichtbar. »Dort geht die Landstraße,« sagte Tale Thott. Und sie verschlang die Hände und atmete schwer. Hier kam einen Augenblick die alte Angst über sie. Dann schloß sie die Augen und machte sich klar, daß sie hier stand und glücklich war, hier an diesem Orte des Entsetzens. »Denkt, daß ich all dies um einen Mann litt, auf dessen Sinn ich nicht bauen konnte,« sagte sie.

»Laß uns gehen,« bat Frau Kirstine ganz sachte.

»Nein, sie wollte nicht. Just hier wollte sie Frau Kirstine das Allerwichtigste sagen.

Wußte sie, wie es ihr ergangen war, als sie das erreicht hatte, was sie aus tiefster Seele gewünscht, als das Wartejahr verstrichen war, ohne daß Herr Arild wiedergekommen? Eine Weile war sie dessen überdrüssig geworden. Sie hatte gegrübelt und gezweifelt, während man zur Hochzeit rüstete. Was für eine Freude war es doch, Anders Banners Gemahl zu werden? wenn er sie nun nicht liebte! Denkt, sie hätte mit ihm brechen können, wie mit Herrn Arild, wenn es nicht der Schande wegen gewesen wäre. Sie hätte gewünscht, daß es noch Klöster im Lande gäbe. Aber heute, ja, Frau Kirstine wußte ja, daß Anders Banner ringsum im Lande ritt, um zum Hochzeitsfeste zu laden, so war ja der Brauch. Und man hatte ihn ja nicht vor Mitternacht daheim erwarten können. Aber er war daheim gewesen, denkt, er war daheim gewesen!

Was konnte das bedeuten, Frau Kirstine? Er hatte sich gleichsam hereingeschlichen in der Dämmerung und hatte ihr sagen lassen, daß er sie sehen wollte. Und sie war zu ihm in den Lustgarten gekommen.

»Tale Thott,« sagte Frau Kirstine, »so ist Dir nun auch dies zu teil geworden, daß er Dich liebt. Laß uns nun gehen! Warum sitzest Du hier? Laß uns gehen!«

Denn trotz allem, was Frau Kirstine von Gottes Walten wußte und vom Untergang der Übermütigen und der Erniedrigung der Wortbrüchigen, dünkte ihr dies doch ein zu großes Glück, um verscherzt zu werden. Und sie bat einmal ums andere: »Laß uns gehen.«

Aber Jungfrau Tale war glücklich an diesem fernen Orte, wo sie frei und frank von ihrem Glücke reden konnte.

Also Frau Kirstine glaubte, daß, wenn Anders Banner sich nach Hause geschlichen hatte, um sie zu sehen, dies bedeutete, daß er ihr gut war. Er hatte nicht einen ganzen Tag von ihr ferne sein können, ohne sie zu sehen. Schon daran konnte Frau Kirstine erkennen, daß er ihr so wohl gewogen. Und wenn sie nun erst seine Worte gehört hätte!

Sie hatte ihn gefragt, ob er seine Fahrt schon beendet! Ach nein, aber er hatte nach Eriksholm umkehren müssen, um sie zu sehen – zu sehen, daß sie keinerlei Gefahr lief. Und darnach fragte er so viel? Ob er darnach fragte, ob er darnach fragte!

Er hatte ihre Hand genommen und sie so gedrückt, als wollte er sie zerpressen. Warum war sie so stolz gegen ihn? Warum trug sie allen Kummer einsam? Hatte sie keine Liebe für ihn, da sie ihn nichts von der Bürde tragen lassen wollte? Sie sollte nicht glauben, daß er sich so beiseite schieben lassen würde, wenn sie die Seine geworden war. Was wollte sie von ihm, wenn sie ihm nicht gut war? Nahm sie ihn nur, um Arild Urup zu entfliehen?

Und sie hatten einige Augenblicke miteinander sprechen können. Sie hatte ihm gesagt, wie lange sie ihn im Herzen getragen. Und ihn gefragt, ob er um der Ochsen willen um sie gefreit. Nein, darauf wollte er gar nicht antworten. Er war böse geworden, so böse.

Seht, darum erstickte das Glück sie beinahe. Sie wußte nicht, ob sie stand oder ging. Sie konnte nicht unter den anderen sein. Wenn kein Glück war, wie das ihre, kein Glück.

»Laß uns doch zu ihnen gehen!« bat Frau Kirstine.

Frau Kirstine hatte von Kaisern und Päpsten gehört, die ihre Feinde zum Gastmahl geladen und sie an der Tafel mitten unter Freundschaftsworten und Fröhlichkeit vergiftet hatten. Frau Kirstine wollte es bedünken, als wüßte sie nun, wie es war, als Wirt an solch einem Tisch zu sitzen.

Jungfrau Tale bat sie, sie möge stille bleiben. Ob sie wohl wußte, wie köstlich es für sie war, hier weilen zu dürfen, weit weg von Lärm und Lustigkeit, und daran zu denken, daß sie ihm teuer war.

Frau Kirstine sank in den Rasen hinab, ihre Beine zitterten unter ihr, so daß sie kaum stehen konnte. Gottes Hand! Dies war wohl Gottes Hand!

»Wenn Anders Banner heute Nacht hier vorbeigeritten kommt,« sagte Jungfrau Tale, »dann glaubt er wohl, daß wir Flußnixen sind, die ihn locken wollen.« Und sie erklärte Frau Kirstine, daß sie hier verbleiben wollte, bis er geritten kam.

»Wüßtet Ihr bloß, wie wenig wir noch miteinander gesprochen und wie viel wir uns zu fragen und zu sagen haben. Er soll mir erzählen, wie mein Glück werden wird, Frau Kirstine, wie wir leben und hausen wollen. Ich weiß nicht viel mehr von ihm, als wenn er ein Bergkönig wäre, der mich hinein in den Berg führte.«

Frau Kirstine sprach nicht mehr, die Stimme würde ihr versagt haben. Sie saßen im Grase unter der Buche und warteten, indes der Nebel sich über die feuchte Erde den Hügel hinabringelte und sie mit treugläubigen Augen sahen, wie unter dünnen, durchsichtigen Schleiern die Flußnixen sich im Tanze wiegten.

* * *

Unterdessen stand Arild Urup unten am Fuße des Hügels im Dickicht verborgen. Er selbst stand da, groß und gelassen, frei von Ketten und Banden, seinen Hund Kark neben sich.

Er hatte zwei Freunde gehabt, Otto Brake und Mauritz Podebusk, die es bewirkten, daß er losgelassen wurde. Dann hatte er einen Ritt durch Schweden gemacht und war drei Tage vor der Hochzeit in Ugerup gelandet. Er hatte Frau Kirstine Kaas überredet, am Abend vor der Hochzeit die Braut weit weg in den Lustgarten zu locken. Andere Vorbereitungen hatte er nicht getroffen.

Aber bevor er nach Eriksholm ritt, löste er Kark, seinen guten Hund, von der Kette, an der er nun zehn Jahre gebunden gestanden hatte. Er langte zeitig abends an und schlich im Lustgarten umher.

Solch eine stille Nacht! All sein Zorn konnte nicht dagegen standhalten. Es war, wie wenn der Orkan der Windstille begegnet und all seine Kraft in ihren Frieden ergießt.

Er ging und horchte auf den Tanz und den Jubel dorten im Schloßhof. Das lockte ihn. Er hätte lieber dort oben zwischen den Fackeln stehen und aus vollem Halse eine Kampfesweise singen mögen, anstatt hier im Parkesdunkel umherzuschleichen. Er sah Weinfässer ins Schloß tragen, und aus der Garküche kamen lange Züge von Knappen, die Gerichte trugen. In seinen Plänen trat ein Umschwung ein. Der Hunger des Gefangenen nach allem Leckeren und Schönen kam über ihn. Ein Einfaltspinsel war er, wenn er hier draußen umherwanderte. Lieber hineingehen, Frieden mit Jungfrau Tale und Frau Elsa schließen und mit beim Schmause sein. Mädchen gab es wohl mehr, doch solch ein Fest kam nicht so leicht wieder.

Da kam es ihm in den Sinn, daß er verlacht werden würde. Nun, darum scheerte er sich den Kuckuck, er, Arild Urup. Er wußte, was ihm am besten taugte.

Da kam die Jungfrau und Frau Kirstine durch den Lustgarten gegangen und sie streiften beinahe an seiner Ecke vorbei, wo er stand und grübelte. Er wurde stutzig. Wie Frau Kirstine sagte er, daß dies Gottes Hand war.

Er hörte Tale Thotts Worte. Er war jetzt so freundlich gestimmt, daß er gerührt wurde von ihrem Glück. Sie konnte es ja mit Freuden behalten. Ihm machte es ja nur Mühe und Plage, sie zu zwingen. Er war doch nicht mit knapper Not dem Gefängnis entronnen, um sich allsogleich in eine neue Gefahr zu stürzen, die ihm Leib und Leben kosten konnte.

Er lauschte mehr dem Lärm des Tanzplatzes, als den Worten der Jungfrau. Das war ein Lachen, das sich hören ließ. Ja, gewiß waren wandernde Gaukler da. Und Maskierte und Bläser und Kraftmenschen mußten auch dabei sein. Dort wollte er hin. Hier im Walde war es nicht besser, als in König Eriks Gefängnis.

Er wollte sich nicht rühren, solange die Jungfrau noch auf dem Hügel saß. Er wollte nicht von ihr gesehen werden, wie er sich, gleich einem Wilddieb, aus dem Dickicht hervorschlich. Aber wie sie gegangen war, würde er sein Pferd besteigen, auf den Weg hinausreiten und in so geschwindem Lauf nach Eriksholm traben, daß die Zugbrücke donnern und schwanken sollte. Und Frau Elsa und den anderen würde er es zurufen, daß er alles vergab, aber auf dem Hochzeitsfeste wollte er mit dabei sein.

Er dachte nach, ob irgend ein Gast willkommener sein würde.

Es ergötzte ihn, daran zu denken, und darum ließ er sich zum Warten reichlich Zeit. Kark saß unruhig und blickte zu ihm auf, er bebte vor Kälte und Jagdeifer. Arild Urup sah ihn mit Verwunderung an. Es war, als merkte er jetzt erst, daß er den Hund mit hatte. Was in aller Welt sollte er mit ihm? Er mußte zusehen, daß er gebunden wurde, sobald er in den Hof kam. Der Hund war noch gefährlich, er hatte seine alten Künste nicht vergessen.

Nun, gedachte die Jungfrau sich endlich von der Stelle zu rühren, oder würde sie ihn die ganze Nacht hier stehen und dürsten lassen?

Da plötzlich sprang Jungfrau Tale auf und rief: »Er kommt.« Sie hatte Pferdegetrappel gehört und lief den Hügel hinab, Anders Banner entgegen.

Aber Frau Kirstine hörte zu gleicher Zeit ein heftiges Rascheln im Dickicht unter dem Hügel. Da eilte sie im Laufe dem Schlosse zu. Sie wollte nicht Zeuge dessen sein, was nun geschehen mußte.

Kark war aufgestürzt, als die Jungfrau zu laufen begonnen hatte. Er entsann sich seiner alten Lektion, fuhr auf Tale Thott los und warf sie zu Boden. Dann blieb er über ihr stehen, die Vorderfüße auf ihrer Brust, den klaffenden Rachen über ihrer Kehle, so daß seine Zähne die Halshaut kitzelten. Arild Urup hatte ihn nicht angereizt, seine Absichten waren ganz andere gewesen.

Die Jungfrau stieß einen einzigen, wilden Schrei aus, dann blieb sie still liegen. Sie war wie gelähmt: kein Mensch hätte sie so erschrecken können, wie jenes Untier, das über sie gefahren kam.

Entsetzen auf Entsetzen – nach dem Ungeheuer, das sie niedergeworfen hatte und sie töten wollte, kam ein Mann und beugte sich über sie. Sie sah ein wildes, grinsendes Antlitz, starke, blanke Zahnreihen und große Augäpfel, Arild Urup.

Was sie nun fühlte, war nicht so sehr Schmerz als Tod. Wenn man sagen kann, daß ein Lebender den Tod gefühlt, so that sie es nun. Es war ein lähmendes Gefühl in ihr, nichts zu hoffen, nichts zu betrauern, und der Schmerz war über seine Grenzen gegangen, er war tot. Der Schmerz that sein Werk in ihr, aber er wurde nicht gefühlt. Nur eines war es, das sie noch quälte, die entfernten Aufschläge von der Straße. Sie hörte sie, als gingen sie über sie hinweg. Es war das Glück, das geritten kam, zu spät, zu spät. Die Hufschläge hörte sie ihr ganzes Leben lang.

Aber Arild Urup sah Tale Thott unter Karks Bissen, er sah sie wehrlos in seiner Gewalt, und das Raubtier in ihm erwachte zum Leben. Da war sie, die ihn betrogen, als er sein Recht nicht verteidigen konnte, da war sie, die nicht die Seine werden wollte, die seine Gaben mit Füßen getreten. Der Rachegedanke loderte in ihm auf. Nein, nein, nein, nimmer konnte er vergeben. Dies war weit mehr als alle Feste. Er wollte ihr alles Böse thun, alles Böse.

Er beugte sich grinsend über sie. Ja, mitten im Glücke, mitten im Feste wollte er sie nehmen, sie rauben mit Schimpf und Gewalt. Dies sollte ihre Hochzeit sein.

Er sah, wie Karks Zähne ihre Kehle kitzelten und lachte laut. Er löste seine Schärpe und verband ihren Mund. Dann schleppte er sie durch das Dickicht fort, zum Pferde. Er schwang sich auf sein Roß und ritt von dannen, die Jungfrau hing über dem Sattel, wie ein zuschanden geschossenes Tier.

 


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