Selma Lagerlöf
Legenden und Erzählungen
Selma Lagerlöf

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Die sieben Todsünden

Einmal wollte der böse Feind seinen Spott und Hohn mit einem weisen Mönche treiben. Er vermummte sich deshalb mit einem weiten Mantel und einem mächtigen Schlapphut, damit ihn niemand erkennen sollte, und begab sich zu dem Alten, der in dem Beichtstuhl der Domkirche saß und auf seine Beichtkinder wartete.

»Ehrwürdiger Vater,« sagte der Versucher, »ich bin ein Ackersmann und eines Ackermanns Sohn. Ich stehe mit der Sonne auf und vergesse niemals, mein Morgengebet zu sprechen, dann arbeite ich den ganzen Tag draußen auf dem Felde. Meine Nahrung ist Brot und Milch, und ich labe mich an Honig und Früchten. Ich bin meiner alten Eltern einzige Stütze. Ich habe keine Frau und mein Sehnen steht nicht nach Weibern. Ich gehe fleißig in die Kirche und gebe den Zehnten von dem, was ich besitze. Ehrwürdiger Vater, Du hast meine Beichte gehört. Willst Du mir nun Absolution erteilen?«

»Mein Sohn,« sagte der Mönch, »Du bist der frömmste Mann, den ich je gekannt. Gerne will ich Dir den Ablaß geben. Laß mich Dir bloß erst erzählen, was sich jüngst hier in diesem Orte zugetragen hat. Es wird Dein Herz erfreuen, denn Du wirst von manchen rühmlichen Thaten hören, und doch kannst Du Dir sagen, daß die, die sie vollbracht, arme Sünder sind, an Deinem Maße gemessen.«

»Vater, Du verleitest zum Hochmut,« sagte der Mann.

»Gott schütze mich vor so großer Sünde,« erwiderte der Mönch. »Wenn Du meine Erzählung erst vernommen hast, wirst Du anders denken.«

Und er begann: »Der stolze Rittersmann, dem das große Bergschloß jenseits des Flusses gehört, beschloß eines Tages, seine Tochter einem reichen und mächtigen Manne zu vermählen, der ihr gar herzlich zugethan war. Aber das widerstrebte der Jungfrau sehr, denn sie hatte ihre Treue schon einem andern versprochen.

»Da schrieb die Jungfrau einen Brief an ihren Herzallerliebsten und erzählte ihm, wie sie von ihrem Vater gezwungen wurde, einem anderen anzugehören. ›Darum sag ich Dir vieltausendmal Lebewohl,‹ schrieb sie ihm, ›und bitte Dich, Dich um meinetwillen nicht zu betrüben, denn ich bin Dir treu in meinem Herzen.‹

»Aber der Ritter, ihr Vater, nahm dem Boten den Brief ab und verbrannte ihn insgeheim.

»So kam ihr Hochzeitstag, und sie grüßte ihn mit vielen Thränen. Aber in der Kirche weinte sie nicht, sondern der Schmerz schlug seinen Wohnsitz in den Zügen ihres Angesichts auf und versteinerte sie. Und alle Leute in der Kirche weinten über sie.

»Der Ritter, ihr Vater, sah auch, wie der Kummer ihr Antlitz versteinert hatte. Da erschrak er über seine That. Und als sie heimkehrten von der Kirche, da rief er seine Tochter in seine Turmkammer und sagte: ›Liebe, ich habe unrecht gegen Dich gehandelt.‹ Und er fiel vor ihr auf die Knie und bekannte, daß er eine schimpfliche That begangen und ihren Brief genommen hatte. Denn er hatte gefürchtet, daß ihr Geliebter sie mit Gewalt entführen würde, wenn er um die Hochzeit wußte.

»Sie sagte zu ihm: ›Es mag Deine Rechtfertigung sein, Vater, daß Du nicht weißt, welche Not Du verursacht.‹ Und sie ging hinaus auf die Zugbrücke.

»Da trat der Bräutigam zu ihr. ›Liebste, warum steht ein solcher Schmerz auf Deinem Antlitz geschrieben?‹ sagte er.

»Da antwortete die Braut: ›Darum, weil ich einen Herzallerliebsten habe, den ich schwor niemals zu lassen.‹

»Aber er sagte: ›Sei nicht betrübt um dessentwillen. Meine Liebe zu Dir ist so groß, daß ich glaube, niemand kann Dich glücklicher machen, als ich es thun werde.‹

»›So denken alle, die lieben,‹ sagte sie nur.

»›Sage mir nur, was ich thun soll, um den Schmerz aus Deinem Antlitz zu verscheuchen,‹ sagte er, ›und ich will dir zeigen, daß ich die Wahrheit spreche.‹ Da faßte die Braut Mut und dachte: ›Ich will es sagen, vielleicht, daß Gott sein Herz bewegt.‹ Und sie erzählte ihm, daß sie und ihr Liebster einander den Eid geschworen, daß wer von seinem Feinslieb betrogen würde, sich an dessen Hochzeitstage töten sollte. ›So daß sich heute mein Geliebter tötet,‹ sagte die Braut. Und sie sank zu Boden in ihrem Elend und lag flehend zu des Bräutigams Füßen. ›Laß mich zu ihm gehen, bevor er es vollbringt.‹

»Es lag eine solche Macht in dem Schmerz des Weibes, daß, obgleich ihr Gemahl dachte: ›Lasse ich sie zu jenem ziehen, der sie liebt, so sehe ich sie niemals wieder,‹ er doch sagte: ›Du magst thun, was Dir gut dünkt.‹ Da stand sie auf und dankte ihm unter Thränen. Dann ging sie in den Saal zu den Hochzeitsgästen, die vor ihren Tellern an den gedeckten Tischen standen und eifrig des Schmauses harrten, denn sie waren sehr hungrig nach dem langen Ritte und der langen Messe.

»›Vielliebe Herren und Frauen,‹ sagte die Braut zu ihnen, ›ich muß Euch sagen, daß ich mit meines Gemahls Erlaubnis an diesem Abend fortgehe, zu meinem Liebsten. Denn er will sich heute töten, weil ich ihm untreu geworden bin. Nun gehe ich, ihm zu sagen, daß ich gezwungen wurde. Verwundert Euch nicht, daß ich selbst gehe, denn zu solch einer Verrichtung kann man nicht Brief noch Boten finden, der sicher genug wäre. Aber Euch bitte ich: esset, trinket und seid fröhlich, dieweil ich fort bin. Denn ich komme wieder, wenn ich meinen Liebsten vom Tode errettet.‹

»Aber alle Hochzeitsgäste weinten, als sie ihnen von dem Schmerze erzählte, der ihr drohte, und sie antworteten ihr: ›Mit nichten wollen wir essen und trinken, solange solches Leid Dich bedrückt. Gehe Du, und wenn Du wiederkehrst, werden wir mit dem Schmause beginnen.‹ –

»Und sie verließen die Tische.

»Als die Braut über den Burghof ging, ertönte ein großer Lärm aus der Garküche. Denn ein kleiner Junge vom Gesinde war zum Küchenmeister geeilt und hatte ihm zugerufen, daß das Mahl um mehrere Stunden hinausgeschoben werden sollte. Und den Küchenmeister erfaßte Betrübnis, als er an seine Braten und die anderen Gerichte dachte, die nun verderben mußten. Ein Ließpfund Butter warf er ins Feuer, und einen Korb Eier zerschellte er gegen die Steinfliesen, und den Jungen schleuderte er über die Schwelle und stand nun vor dem Liegenden, den großen Besen zum Schlage erhoben.

»Aber als die Braut hinaus auf den Burghof trat, ließ er sogleich den Arm sinken. Und er rief aus: ›Gepriesen sei Gott, der Dich so holdselig schuf. Ich will Dich nicht fürder betrüben.‹ Und er verwahrte die Speisen viele Stunden, ohne jemandem ein erzürntes Wort zu sagen.

»Die Braut ging nun allein durch den großen Wald, denn sie wollte zu Fuß zu dem Geliebten kommen und ohne Geleite, sowie man zur Muttergottes-Kapelle kommt in großer Not.

»Aber im Walde wohnte ein friedloser Mann, der ein Räuber war. Aus seinem Schlupfwinkel sah er die Braut über den Weg schreiten. Sie hatte Ringe an den Fingern, ein Goldkrönlein auf dem Haupte, eine schwere Silberschärpe um den Leib und Perlen am Halse. Da sagte der Räuber zu sich selbst: ›Dies ist nur ein schwaches Weib, ihre Kleinodien will ich nehmen, und ich habe Reichtum genug. Ich kann dann in ein anderes Land ziehen, dieses schmähliche Leben im Walde lassen und ein ehrlicher Mann werden.‹

»Aber als die Braut näher kam und er ihr Antlitz sah, da wurde er machtlos. Denn Gott hatte sie sehr hold geschaffen. Er dachte: ›Ich kann ihr nicht schaden. Sie ist eine Braut, und ich kann diese liebliche Jungfrau nicht geplündert ins Hochzeitshaus gehen lassen.‹ Und er fürchtete Gott, der das Weib also geschaffen, und ließ sie ziehen.

»Im selben Walde wohnte ein alter Eremit, der seinen Körper damit quälte, volle sechs Tage zu wachen und nur am siebenten zu schlafen. Er hatte sich das Gesetz auferlegt, daß wenn er nicht Muße fand, am siebenten Tage zu schlafen, er sechs weitere Tage wachen mußte. Denn er glaubte, dies sei Gott wohlgefällig. Nun war sein siebenter Tag beinahe vergangen, ohne daß er schlafen konnte; denn viele Kranke und Bekümmerte hatten ihn aufgesucht. Aber als er sie alle abgefertigt hatte und sich zum Schlummer niederlegen wollte, erblickte er die Braut, die durch den dichten Wald herankam. Und er dachte bei sich selbst: ›Wie soll diese Pilgerin über den reißenden Fluß gelangen, der über Nacht angeschwollen ist und seine Brücke weggeschwemmt hat?‹ Und er verließ seine Lagerstätte und geleitete sie zu dem Flusse und trug sie auf seinen Schultern über das Wasser. Aber als er wieder zu seiner Höhle kam, war seine Zeit abgelaufen, und er mußte noch sechs Tage wachen, um dieses fremden Weibes willen. Aber er bereute es nicht, denn über ihr lag ein solcher Liebreiz, daß alle, die ihrer ansichtig wurden, froh waren, um ihretwillen auf etwas zu verzichten.

»So kam die Braut zum Hause des Geliebten. Der war in sein Kämmerlein gegangen und hatte die Thür mit schweren Schlössern versperrt. Und als sie klopfte, mochte er nicht öffnen. Denn er hatte das Schwert gezogen und wollte sich töten.

»Da vermochte sie weder zu rufen, noch zu bitten, denn die Angst erstickte ihre Stimme. Aber ihre heißen Thränen fielen auf die steinernen Fließen, und er hörte durch die Eichenthüre, wie sie schluchzte. Und er konnte sich nicht töten, solange er diesem lauschte, und er schloß ihr auf.

»Da stand sie vor ihm mit gefalteten Händen und sagte ihm, wie sie gezwungen worden war. Und als er sah, daß er noch ihre Liebe hatte, versprach er ihr, sich nicht den Tod zu geben. Da schmiegte sie sich an ihn, und er küßte sie, und sie fühlten zu gleicher Zeit alle Freude und allen Kummer, den ein Herz bergen kann.

»Er sprach zu ihr: ›Du mußt jetzt gehen, denn Du gehörst einem anderen an.‹ Und sie erwiderte: ›Wie kann ich?‹

»Aber der Rittersmann, der sie liebte, riß sich aus ihren Armen und sagte: ›Ich will ihn nicht kränken, ihn, der Dich zu mir ziehen ließ.‹ Und er ließ zwei Pferde satteln und ritt heim mit ihr zu ihres Vaters Hof.«


Dies alles erzählte der Mönch dem bösen Feinde und wußte noch nicht, mit wem er sprach. Und dann fragte er ihn, wer von diesen, von denen er berichtet, ihm das größte Opfer gebracht zu haben schien. Denn der Mönch war ein weiser Mann und wußte genugsam, daß kein Mensch so ohne Sünde sein kann, wie dieser Fremde sich ausgab. Und durch diese Erzählung gedachte er zu erfahren, welche der sieben Todsünden die seine war, denn je nachdem er erwiderte, daß der Vater, oder der Bräutigam, oder die Hochzeitsgäste, oder der Küchenmeister, oder der Räuber, oder der Eremit, oder der Liebste am meisten geopfert hatte, konnte der Mönch wissen, ob Hochmut, oder Eifersucht, oder Völlerei, oder Zorn, oder Geiz, oder Faulheit, oder Wollust die Sünde war, die seine Seele beherrschte. Denn was er am höchsten bei anderen bewunderte, das wäre ihm selbst am schwersten gefallen, zu vollbringen.

Aber der böse Feind war so sehr von seinem eigenen Spiele gefangen, daß er die List des Mönches gar nicht merkte. »In Wahrheit,« sagte er, »es fällt mir nicht leicht, Deine Frage zu beantworten. Es dünkt mir, daß der Mann nicht weniger geopfert, als der Geliebte, und die Hochzeitsgäste keine geringere Entsagung geübt als der Räuber. Sie verdienen alle das größte Lob.« Und er vermeinte, so geantwortet zu haben, wie der Mönch es wünschte.

»Um Gottes Barmherzigkeit willen,« rief da der fromme Mann aus und war sehr erschrocken, »sage doch, daß Du eine That der anderen vorziehst, oder sage, daß Du keiner sonderlichen Wert beimissest!«

»Keineswegs, ehrwürdiger Vater,« antwortete der Versucher, »nichts, das diese Männer gethan, halte ich für leicht. Auch kann ich nicht eines über das andere setzen.«

Aber der Mönch neigte die Lippen zu seinem Ohr hinab und sagte mit keuchender Stimme: »Ich beschwöre Dich, gieb einer That den Vorzug.«

Aber der böse Feind weigerte sich und bat um Absolution.

»Da bist Du aller sieben Todsünden schuldig,« rief der Mönch entsetzt, »und Du mußt der Teufel selbst sein und kein Mensch.«

Als er dieses gesagt, stürzte er aus dem Beichtstuhl und flüchtete zum Altare. Und dort begann er die Beschwörung zu lesen: Vade retro Satanas. Aber als der böse Feind sah, daß er sich verraten hatte, breitete er seinen Mantel gleich einem Paar Flügel aus und fuhr durch die dämmerige Wölbung der Kirche wie eine große, schwarze Fledermaus.

Es hatte auch nicht sein Bewenden damit, daß er seine böse Absicht verfehlt hatte, sondern durch Gottes Gnade geschah es, daß sie zum Segen ausschlug, denn die Erzählung des Mönches ist gleich einem Netze in eines Fischers Hand. So wie dieses ins Meer geworfen wird und seine Fische auffängt, so taucht jene hinab ins Menschenherz und zieht die Sünden hinauf ans Licht, auf daß sie bekämpft und unterjocht werden mögen.

 


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