Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neunzehntes Kapitel

In der That hielt mein Pfarrer noch gegen Ende des Winters seinen Einzug in die Pfarre von Pavol und ich vermag nicht, das Glück zu schildern, das wir bei unsrer Wiedervereinigung empfanden; eine Trennung brauchten wir ja sobald nicht mehr zu befürchten.

Mit Wonne sah ich ihn die Kanzel besteigen und mit fröhlichem Antlitz hörte ich ihn über die Sündhaftigkeit der Menschheit predigen. Dann kam er, wie einstens in den »Busch«, mit aufgehobener Soutane, den Hut unter dem Arm, mit im Winde flatternden Haaren auf Schloß Pavol.

Unsre Plaudereien, unsre Debatten und unsre alten Streitigkeiten wurden wieder aufgenommen. Die Zeit wurde mir lang und Junos Briefe, die das vollkommenste Glück atmeten, waren nicht dazu angethan, mich Geduld zu lehren. Beständig suchte ich den Pfarrer auf, um ihm meine Sorgen, meine Unruhe, meine Hoffnungen und meine Empörung über das lange Warten anzuvertrauen.

Ich wußte, daß mein »Gegenstand« leider dem Gedanken, zu den Eskimos zu gehen, keinen Geschmack abgewonnen hatte; er trieb sich ruhig in St. Petersburg herum und die slavischen Damen flößten mir eine furchtbare Angst ein.

»Sind Sie sicher, daß er sich nicht in eine Russin verliebt, Herr Pfarrer?«

»Wir wollen es hoffen, kleine Reine.«

»Es hoffen? So antworten Sie doch etwas kategorischer! Was denken Sie denn? Nicht wahr, es ist nicht möglich, daß er sich in eine Fremde verliebt? Sagen Sie mir doch, daß dies ganz unmöglich ist und daß er mich sicher eines Tages lieben wird.«

»Ich wünsche es inbrünstig, mein liebes, armes Kind; aber es wäre klüger, wenn Sie das Gegenteil annehmen und sich damit abfinden wollten.«

»Sie bringen mich noch um mit Ihren gottergebenen Reden, lieber Herr Pfarrer!«

»Ach! Wie wenig weise Sie noch immer sind, Reine!«

»Die Weisheit besteht meiner Ansicht nach darin, das Glück zu begehren. Sagen Sie mir, daß er mich lieben wird, Hochwürden, ich bitte schön!«

»Aber ich wünsche mir ja gar nichts Besseres, mein liebes Kind,« erwiderte der Pfarrer, der trotz seiner Furcht vor körperlichen Leiden völlig im stande gewesen wäre, dem Beispiel Mucius Scävolas zu folgen und seine rechte Hand zu verbrennen, wenn er durch ein solches Opfer mein Glück hätte sichern können.

Trotz der Freude, meinen Pfarrer wieder zu besitzen, und trotz der Güte und Freundlichkeit meines Onkels und meiner ganzen Umgebung wurde ich jedoch immer trauriger.

Am liebsten ging ich allein im Wald spazieren. Stundenlang saß ich am Wasserfall, gedachte unsres letzten Zusammentreffens und überlegte mir, was ich wohl thäte, wenn er nun plötzlich lustig und reizend vor mir erschiene, mit jenem Ausdruck in den Augen, der mich damals im »Busch« so entzückt hatte und der seither für mich nicht wieder erschienen war.

Diese Liebe zur Einsamkeit entwickelte sich von Tag zu Tag mehr und mein Trübsinn wuchs mit ihr. Nach und nach verlor ich auch meine Gesprächigkeit, und wenn Herr von Pavol meine Liebe nicht schon längst ernst genommen hätte, so wäre ihm diese Thatsache ein genügender Beweis für ihre Tiefe gewesen.

Sechs Monate verflossen auf diese Weise.

Eines Tages – es war gerade ein Jahr nach meiner Ankunft auf Pavol – saß ich im Garten des Pfarrhauses. Zwei Stunden zuvor hatte ein Gewitterregen die Luft gereinigt und abgekühlt und die Blumen des Pfarrers erfrischt. Dieser suchte Schnecken, während ich mich in liebliche Gedanken versunken an die Mauer lehnte, an der meine Bank stand und mich allerlei fröhlichen Hoffnungen hingab. Nur die Wassertropfen, unter deren Last sich die Blätter beugten und die nach und nach herunterfielen, unterbrachen mein Sinnen, und der Geruch der feuchten Erde, der zu mir aufstieg, rief mir die schönsten Stunden meines Lebens in die Erinnerung zurück.

Von Zeit zu Zeit sagte der Pfarrer zu mir: »Es ist erstaunlich, wie viele Schnecken es gibt. Ist es zu glauben, Reine, daß ich schon über fünfhundert gefunden habe?«

Lässig erhob ich den Kopf und sah ihm lächelnd zu, während er eifrig weiter suchte. Dann versank ich wieder in meine Träumereien und schließlich in einen leichten Halbschlummer.

Ich wurde geweckt durch das Knirschen des Gatterbalkens, der die den Garten umzäunende Hecke abschloß, und durch den Ton einer lustigen Stimme, der mich bis ins Innerste erschütterte.

»Guten Tag, lieber Herr Pfarrer, wie geht es Ihnen? Es freut mich herzlich, Sie hier zu sehen. Und wo ist denn Reine?«

Reine saß noch immer auf der gleichen Stelle; es war ihr ja nicht möglich, ein Wort hervorzubringen oder eine Bewegung zu machen.

»Ach, da ist sie ja,« rief Paul und kam mit großen Schritten auf mich zu. »Ach Gott, liebes Cousinchen, wie glücklich, wie glücklich bin ich, Sie wieder zu sehen!«

Er ergriff meine Hand und küßte sie ...

Ich versichere, daß das, was nun geschah, sich völlig unabhängig von meinem freien Willen ereignete, und man hat nicht das Recht, sich böswilligen Vermutungen über mich hinzugeben.

Mit allen Kräften kämpfte ich gegen die Versuchung an, aber als ich seine Lippen auf meiner Hand fühlte, als ich empfand, daß dies nicht nur eine alltägliche Huldigung war, sondern der Ausdruck eines tieferen Gefühles, als er sich über mich beugte und mich mit einem eigentümlich unruhigen und liebevollen Blick betrachtete, der hundertmal entzückender war, als der, von dem ich so viel geträumt hatte – da war es stärker als mein Wille, und das Fatum, an das ich seither glaube, riß mich hin und ich warf mich in seine Arme.

Nur einen Augenblick empfand ich die Wonne der Umarmung, die diesen Gefühlsausbruch beantwortete. Rot und verlegen flüchtete ich mich auf eine Bank und verbarg mein Antlitz in meinen Händen, nicht ohne noch wie im Fluge das erstaunte, erschrockene, entzückte Gesicht meines Pfarrers bemerkt zu haben, das erst später in meiner Erinnerung wieder auftauchte.

»Liebste Reine,« flüsterte Paul mir ins Ohr, »wenn ich dein Geheimnis früher gekannt hätte, wäre ich nicht so lange fern von dir geblieben.«

Ich erwiderte nichts, denn ich mußte weinen. Gewaltsam ergriff er meine Hand und hielt sie in den seinen fest, während ich in einem Anfall von Verschämtheit, wie ich ihn noch nie gehabt, mein Haupt abwandte und sie zurückzuziehen versuchte.

»Laß sie mir ruhig, diese kleine, schöne Hand; sie ist jetzt mein. Sieh mich an, Reine!«

Voll blickte ich in seine schönen, offnen, lächelnden Augen und rief: »Gott sei Dank! Mein Onkel hat doch recht gehabt! Du bist kein weißer Rabe!«

»Ein weißer Rabe?« wiederholte er erstaunt.

»Ja, mein Onkel hat behauptet ... aber einerlei! Wer hat dir denn mitgeteilt, was du nicht wußtest, als du gingest?«

»Mein Vater, Herr von Pavol und tausend kleine Dinge, die mir seit zwei Monaten wieder eingefallen sind.«

»Es ist also wahr, daß Liebe Liebe erzeugt?« fragte ich harmlos.

»Nichts ist wahrer, als dies, geliebtes Bräutchen!«

O, das wonnige Wort! Ja, wir waren Bräutigam und Braut, und wir schwiegen, indes der Pfarrer vor Freude weinte, während die Spatzen auf dem Dache des Pfarrhauses kreischten und die Schnecken aus dem Gefängnis, in das sie der Pfarrer gesperrt hatte, entwichen und nach allen Seiten hin davonkrochen. – Seit jenem Augenblick liebe ich die Spatzen und die Schnecken, trotz allem, was man sonst vielleicht gegen sie einwenden könnte.

Ich war in Entzücken verloren, ich glaubte, zu träumen ... Ich wurde nicht müde, ihn anzusehen, der Stimme zu lauschen, die ich liebte, und den Druck seiner Hand zu fühlen. Indessen beunruhigte mich gegen meinen Willen der Gedanke an die, die er einst geliebt hatte, und trübte meine Freude ein wenig, aber ich wagte nicht, darüber zu sprechen.

»Weiß mein Onkel, daß du hier bist, Paul?«

»Ja, ich komme von Pavol und wollte dir durchaus allein nachgehen. An was erinnert dich dieser regenfeuchte Garten, Reine?«

Ich antwortete nicht geradezu auf seine Frage, sondern sagte nur: »Aber du, du hast den »Busch« in schlechter Erinnerung?«

»Ich? Keineswegs! Ich habe noch selten einen schöneren Abend verlebt!«

»O,« erwiderte ich und sah ihn von der Seite an, »aber meine Tante war doch so greulich!«

»Nein, nein, gar nicht so greulich. Ein bißchen gewöhnlich vielleicht, aber du erschienst nur um so reizender neben ihr.«

»Und der Tisch war so schlecht gedeckt! Alles verkehrt gestellt.«

»Ich habe nie so gut gegessen. In dieser verkommenen Umgebung warst du wie eine Blume, die um so schöner und feiner erscheint, weil das Erdreich, auf dem sie erblüht, häßlich und verwahrlost ist.«

»Du bist ja auf deiner Reise ganz poetisch geworden,« sagte ich lächelnd.

»Nein, durchaus nicht, kleine Reine.«

Er zog meinen Arm in den seinen und führte mich beiseite.

»Nein, nicht poetisch bin ich geworden, aber ich habe dich lieben gelernt, Cousine, ich liebe dich aus ganzem, vollem Herzen.«

Ich sog die Süßigkeit dieses Wortes und des Blickes ein, von dem es begleitet war, und dachte bei mir, es sei doch ein rechtes Glück, daß die Männer so unbeständig sind.

Aber der Wechsel erschien mir so unerhört, daß ich mich nicht enthalten konnte, zu flüstern: »Ist es ganz sicher, daß du sie gar nicht mehr, nicht ein bißchen mehr liebst?«

»Würde ich wohl zu dir reden, wie ich es gethan habe, wenn dies nicht so wäre?« entgegnete er in ernstem Ton. »Hast du kein Vertrauen in meine Ehre?«

»O ja,« sagte ich und faltete meine Hände über seinem Arm in liebevoller Hingebung.

Und es war wirklich wahr. Nach dieser Antwort beunruhigte mich Blanches Bild niemals wieder. Ich liebte ihn ohne den mindesten mißtrauischen oder eifersüchtigen Hintergedanken, und er verdiente dieses Vertrauen vollauf.

»Da kommt mein Vater mit Herrn von Pavol.«

»Nun, Fräulein Nichte, was hältst du jetzt von meiner Prophezeiung?«

»Daß du nicht sehr diskret bist, Onkel,« sagte ich errötend.

»Der Major hat das Geheimnis enthüllt, Reine; er hatte es schon längst erraten.«

»O nein, erst seit acht Monaten!«

»Seit dem ersten Tag, an dem ich dich gesehen habe, liebe, kleine Schwiegertochter.«

»Ist es die Möglichkeit?«

»Und Paul ist nicht zu den Eskimos gegangen,« lachte mein Onkel.

Wie schön ist es doch, unter guten Menschen zu leben! Ich empfand dies Glück aufs tiefste, als ich sah, wie sie sich alle an meiner Freude mitfreuten, mit welcher Zartheit, mit welcher Güte sie mich mit dem berühmten Geheimnis foppten, das ich, ohne es zu ahnen, allen vier Winden preisgegeben hatte.

Nun kam die köstliche Brautzeit, die herrliche Zeit, der keine zweite gleichkommt im Menschenleben. Nichts kann diese Zeit des kindlichen, naiven Glaubens und Liebens je ersetzen. Wie beklage ich alle, die nie so geliebt haben!

Unsre angenehmsten Tage verlebten wir unter der Obhut meines Pfarrers im Pfarrhaus. Wir sahen ihm zu, wie er im Garten hin und her trippelte, seine Pflanzen an Spaliere festband, Unkraut ausjätete und dazwischen hinein seine Arbeit unterbrach und seine Blicke auf uns ruhen ließ.

Dann trat ich wohl zu ihm und begeisterte mich mit ihm für eine Blume, einen Strauch oder eine Frucht und sagte: »Denkt mein Pfarrer auch noch daran, wie er mir einstens hat beweisen wollen, daß die Liebe nicht das Entzückendste sei im Leben?«

»Ach, mein liebes, kleines Kind, ich glaube, Bossuet selbst hätte Sie nicht überzeugen können.«

»Nun, und habe ich nicht recht gehabt?«

»Ich fange beinahe an, es selbst zu glauben,« erwiderte er mit seinem guten reizenden Lächeln.

Strahlend brach mein Hochzeitstag für mich an. Nie hat das Himmelszelt herrlicher geglänzt. Man hat mir seither wiederholt versichert, der Himmel sei ganz bedeckt gewesen, aber ich glaube kein Wort davon.

Eine freudig bewegte Menschenmenge drängte sich in der Kirche zusammen. Man flüsterte sich zu: »Welch schöne Braut! Wie glücklich und ruhig sie aussieht!«

Es ist richtig, ich war überraschend ruhig.

Aber was hätte mich auch ängstigen oder beunruhigen sollen? Mein heißester Wunsch erfüllte sich heute, eine Zukunft voll Glück that sich vor mir auf, und nicht die leiseste Unruhe quälte mich.

Wie durch einen Schleier bemerkte ich im Vorübergehen einige verwitwete Damen und fühlte ein ungeheures Mitleid für sie bei dem Gedanken, daß sie zu alt waren, um sich wieder zu verheiraten.

In jenem Augenblick erklang die Orgel so erhebend, daß ich ein wenig von meinem Vorurteil gegen die Musik zurückkam. Der blumengeschmückte Altar strahlte in Lichterglanz und alle nach Junos künstlerischem Geschmack getroffenen Anordnungen entzückten meine Augen.

Mit unsicherer Hand streifte mein Gatte den Ehering an meinen Finger; er biß dabei auf seinen hübschen Schnurrbart, um das Zittern seiner Lippen zu verbergen. Er war viel ergriffener als ich und sein Auge sagte mir, was ich mir in aller Ewigkeit wiederholen lassen möchte.

Und wahrhaftig, auf der ganzen Erde und auf sämtlichen andern Planeten dazu hätte man vergeblich ein so glückstrahlendes Antlitz gesucht als das meines Pfarrers.

 

Ende.

 


 << zurück