Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebzehntes Kapitel

Dieser Besuch beim Pfarrer that mir nur vorübergehend gut. Die heilsame Wirkung seines Zuspruchs verwischte sich rasch, ich fiel in mein trübes Sinnen zurück, und mein Onkel, der innerlich alle Frauenzimmer und Nichten nebst deren Launen und Grillen verwünschte, sprach davon, Blanche und mich nach Paris zu führen, um mich zu zerstreuen, als glücklicherweise neue Ereignisse dazwischen traten.

Einige Tage später erhielt Herr von Pavol einen Brief von einem Freund, in dem dieser um die Erlaubnis bat, seinen Vetter, Herrn von Kerveloch, einen früheren Gesandtschafts-Attaché, auf Pavol einzuführen.

Mein Onkel beeilte sich, zu erwidern, daß er sich freuen werde, Herrn von Kerveloch zum Gabelfrühstück bei sich zu sehen, und ahnte nicht, daß er dadurch das Ereignis herbeiführte, das seine Wünsche vernichten und mich der Freude und Hoffnung wiedergeben sollte.

Am übernächsten Tag – ich habe Grund genug, diesen denkwürdigen Tag ewig in meinem Gedächtnis zu bewahren – war ein entsetzliches Wetter.

Unsrer Gewohnheit gemäß waren wir im Empfangszimmer vereinigt. Blanche saß nachdenklich am Kamin und gab Herrn von Conprat nur einsilbige Antworten, denn dieser starrköpfige Liebhaber hatte seine Verbannung nicht ertragen und war vor achtundvierzig Stunden zum erstenmal wieder auf Pavol erschienen. Mein Onkel las seine Zeitung und ich hatte mich in eine Fensternische zurückgezogen.

Bald arbeitete ich mit fieberhaftem Eifer, – ich hatte eine Leidenschaft für Nadelarbeiten aller Art, – bald betrachtete ich den grauen Himmel, von dem der Regen unaufhörlich niedergoß; dazwischen lauschte ich dem Heulen des Novemberwindes und fühlte mich müde und traurig ohne das geringste glückverheißende Vorgefühl, obgleich sich mir in diesem Augenblick das Glück nahte, von zwei schönen Pferden im Trab herbeigeführt.

Von Zeit zu Zeit warf ich einen verstohlenen Blick auf Paul; er betrachtete Blanche mit einem Ausdruck, für den ich ihn hätte erwürgen mögen.

»Wie einfältig er aussieht,« sagte ich zu mir selbst, »mit seinen weit aufgerissenen, ausdruckslosen Augen. Ja wohl, aber wenn ich an Blanches Stelle wäre, wenn er mich so anblickte, dann würde ich ihn reizender und verführerischer finden als je. Ach, über die Dummheit und Inkonsequenz des Menschen!«

Und ich nähte so heftig drauf los, daß meine Nadel zerbrach.

In diesem Augenblick hörten wir einen Wagen heranfahren. Mein Onkel faltete seine Zeitung zusammen, Juno spitzte die Ohren und sagte: »Da kommt Besuch!« und einige Augenblicke später wurde Onkels Freund mit seinem Gesandtschafts-Attaché hereingeführt.

Ich weiß nicht, warum ich in meiner Vorstellung diesen Titel durchaus nicht von dem Begriff des Alters und der Kahlköpfigkeit zu trennen vermochte. Indessen war Herr von Kerveloch weder alt noch kahl, sondern, abgesehen von Franz dem Ersten auf seinem Bild, der schönste Mann, den ich je gesehen hatte.

Als er eintrat, kam mir sofort der Gedanke, dieser schöne Kopf müsse Heiratsabsichten hegen. Er war etwa dreißig Jahre alt und so groß, daß Paul neben ihm wie ein Zwerg erschien; sein Gesichtsausdruck war bedeutend und stolz. Er war ziemlich kühl, aber peinlich höflich, zeigte ein so vornehmes Benehmen und eine solche Sicherheit und Leichtigkeit des Auftretens, daß er Blanche auf der Stelle eroberte.

Herr von Kerveloch betrachtete sie mit Bewunderung, und als ich ihn neben ihr stehen sah, während er sich verabschiedete, machte ich mit geheimer Freude die Bemerkung, daß man nicht leicht ein besser zusammenpassendes Paar finden konnte.

Ich glaube, jeder der Anwesenden hatte den nämlichen Gedanken, wenigstens verließ uns Paul mit finsterem Gesicht. Juno spielte zehnmal nach einander Webers letzten Gedanken oder ein andres gleich langweiliges Stück, was bei ihr stets ein Zeichen großer Zerstreutheit war, und mein Onkel beobachtete uns beide mit besorgter, scheuer Miene.

Am nächsten Tag erschien Herr von Kerveloch wieder zum Gabelfrühstück; drei Tage nachher hielt er um Blanches Hand an und zwei Wochen später schrieb ich an den Pfarrer:

 

»Mein lieber Herr Pfarrer! Der Mensch ist ein kleines, bewegliches, launisches, wankelmütiges Tier; eine Windfahne, die sich nach allen Launen der Einbildungskraft und der Umstände dreht. Wenn ich sage der Mensch, so will ich damit die ganze Menschheit bezeichnen, denn meine Person ist heute auch so ein besagtes kleines Tier.

Ich bin nicht mehr in Verzweiflung, ich will nicht mehr sterben, mein Pfarrer. Ich finde, daß die Sonne wieder in altem Glanze strahlt, daß mir in der Zukunft noch allerlei Freuden vorbehalten sein können, daß das Weltall klug daran thut, zu existieren, und daß der Tod die dümmste Erfindung des Schöpfers ist.

Blanche verheiratet sich, Herr Pfarrer! Blanche verheiratet sich mit dem Grafen von Kerveloch! Gott, wie gut sie zusammenpassen! Und eines Strohhalms Breite, ein Atom, ein Nichts hat gefehlt, daß sie Herrn von Conprat genommen hätte! ... Einen Mann, den sie nicht liebt und dem sie vorwirft, zu viel zu essen! Zu viel zu essen ... nicht wahr, diese Ansicht ist abgeschmackt? Als ob es nicht ganz zweckmäßig wäre, viel zu essen, wenn man einen guten Appetit hat? – Wenn Sie mich fragen, wie es kam, daß die Ereignisse in Pavol so schnell diese Wendung genommen haben, so kann ich Ihnen kaum darauf antworten. Ich bin noch ganz fassungslos und kann Ihnen nur sagen, daß eines schönen Tages, es war ein herrlicher Tag – nein, richtig, es regnete in Strömen, aber das macht nichts! – eines Tages, sage ich, Herr von Kerveloch in Begleitung eines Freundes meines Onkels erschien. Schon als ich ihn eintreten sah, vermutete ich einen Hintergedanken bei ihm und wußte auch sofort, daß er Blanche gefallen würde, denn er besitzt alle Eigenschaften, die sie von ihrem künftigen Gatten verlangt. Herr von Kerveloch betrachtete sie wie ein Mann, der sich auf Schönheit versteht und sie zu schätzen weiß, und einige Tage später bewarb er sich um die Ehre, ihr Gatte werden zu dürfen, wie mein Onkel sich ausdrückt.

Juno hat ihre gewöhnliche Gleichgültigkeit abgeschüttelt und erklärt, noch nie habe ihr ein edler Ritter so gut gefallen und sie werde Herrn von Conprat entschieden abweisen.

Da haben Sie's, Herr Pfarrer, klar und deutlich und einfach. Seither träumte ich wie früher bei Mondenschein und Sternenglanz, ich lasse meiner Einbildungskraft die Zügel schießen und tanze, wenn ich allein in meinem Zimmer bin. Ach, mein lieber Pfarrer, ich weiß nicht, warum ich Sie heute noch zehnmal lieber habe als sonst. Ihr liebes, prächtiges Gesicht erscheint mir heiterer, Ihre treue Liebe rührender und liebenswürdiger, Ihre schönen weißen Haare entzückender als je.

Heute morgen habe ich die entlaubten Wälder betrachtet und fand sie frisch und grün; ich sah den grauen Himmel an, und er leuchtete in voller Bläue auf mich herab, und das hat mich plötzlich mit der Einbildungskraft wieder ausgesöhnt; meine Lebtage werde ich bereuen, mich einmal so schnöde von ihr abgewandt zu haben. Sie ist eine Fee, mein lieber Herr Pfarrer, eine Fee voll Reiz, voll Macht, voll Poesie, und unter der Berührung ihres Zauberstabes verwandeln sich die häßlichsten Dinge und schmücken sich mit ihrer Schöne.

Was doch das kleine Tier, der Mensch, veränderlich ist! Ich kann mich gar nicht darüber beruhigen. An was hängt nicht oft die Hoffnung, die Freude? Was nützt es, sich zu grämen, wenn sich doch alles von selbst so prächtig gestaltet? Aber warum bin ich so froh, obgleich über meine Zukunft noch gar nichts entschieden ist, und ich doch weiß, daß es unmöglich ist, im Leben zweimal zu lieben? Welches Chaos, mein lieber Pfarrer! Es gibt Geheimnisse in dieser Welt und die Seele ist ein unergründlicher Abgrund. Ich glaube, daß schon einmal jemand diesen Gedanken – ich weiß nicht wo – zum Ausdruck gebracht hat; es kann auch sein, daß ich es erst gestern gelesen habe, allein ich hätte ganz gut auch selbst darauf kommen können.

Doch sobald meine Aufregung sich legt, tritt eine unbezwingliche Angst an Stelle meiner freudigen Gedanken, die entweichen und entfliehen und sich nicht wieder fassen lassen wollen. Denn er liebt, Herr Pfarrer, er liebt! Das häßliche Wort, wenn man es so gebrauchen muß, wie ich in diesem Augenblick!

Sie haben mir gesagt, es komme nicht selten vor, daß man sich zweimal im Leben verliebe, aber wissen Sie es auch gewiß, lieber Pfarrer? Sind Sie ganz fest davon überzeugt? Liebe erzeugt Liebe, sagt man: Würde er mich wohl lieben, wenn er um mein Geheimnis wüßte? Sie sind ein vernünftiger Mann, Hochwürden, finden Sie nicht auch, daß die Anstandsregeln dumm und albern sind? Wahrscheinlich würde ein Geständnis meinerseits das Glück meines ganzen Lebens begründen, und nun verbieten mir die Gesetze, von einem urteilslosen Menschen erfunden, meiner Neigung zu folgen, meine geheimen Gedanken zu enthüllen und dem Mann, den ich liebe, meine Liebe zu gestehen! Um die Wahrheit zu sagen, auch ein unbestimmtes Etwas in meinem Herzen befiehlt mir, zu schweigen – ich hab's ja gesagt: die Seele ist ein unergründlicher Abgrund! Lieber Herr Pfarrer, eine lange Reihe schwarzer Gedanken dringt auf mich ein. Mein Gott, wie leicht doch der Mensch sein Gleichgewicht verliert!

Natürlich werden die Gedanken durch die Umstände beeinflußt. Mein Onkel geht sogar so weit, daß er sagt, nur ein Narr ändre nie seine Ansicht, aber geht es mit dem Herzen wie mit dem Kopf?

Klären Sie mich darüber auf, lieber, alter Pfarrer!«

 

Herr von Pavol schob die Ausführung eines festen Entschlusses nicht gern lange hinaus, und deshalb setzte er die Hochzeit Blanches auf den fünfzehnten Januar fest.

Die Enttäuschung war hart für ihn, aber er mochte seiner Tochter um so weniger entgegen sein, als er meine Liebe kannte; er war offen, ehrlich, einsichtig und durchaus nicht der Mann, sich in einen Wunsch zu verbohren, wenn das Glück seiner Nichte dabei im Spiel war.

Paul selbst ertrug sein Unglück mit großem Mut. Ebenso wie das kleine Geschöpf, das ihn so innig liebte, ohne daß er auch nur eine Ahnung davon hatte, fühlte er keine Spur von wilder Leidenschaft. Ich bezeuge ihm, daß er nie Lust verriet, seinen Nebenbuhler zu vergiften oder ihm in irgend einem verschwiegenen, poetischen Waldwinkel ritterlich die Kehle abzuschneiden.

Nachdem er erfahren hatte, daß seine Hoffnungen vernichtet waren, besuchte er uns mit seinem Vater. Er reichte Blanche die Hand und sagte in offnem, natürlichem Ton: »Liebe Cousine, ich wünsche nur Ihr Glück und hoffe, daß wir auch in Zukunft gute Freunde bleiben werden.«

Allein, wenn er sich auch benahm wie ein Theaterheld, so war er deshalb doch stets betrübt. Seine Besuche auf Pavol wurden selten, und als ich ihn wiedersah, fand ich ihn körperlich und geistig sehr verändert. Dann fing ich wieder an, im geheimen zu weinen, während ich mich in eine wahre Wut gegen ihn hineinsteigerte. Es wäre so logisch gewesen, mich zu lieben; so vernünftig, einzusehen, daß unsre Naturen ganz fabelhaft zusammen stimmten und daß ich ihn rasend liebte.

Wahrhaftig, es stünde nicht schlechter um die Welt und um die Moral der Menschen, wenn die Männer immer logisch wären.


 << zurück weiter >>