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Neuntes Kapitel

Trotzdem soll mich niemand für leichtfertig und unbeständig halten, denn dies Vergessen war nur ein augenblickliches und drei Tage nach meiner Ankunft auf Pavol schrieb ich meinem Pfarrer folgenden Brief:

 

»Mein lieber Herr Pfarrer!

Ich habe Ihnen so viel zu sagen, so viel neue Entdeckungen mitzuteilen und so viel anzuvertrauen, daß ich gar nicht weiß, wo anfangen. Stellen Sie sich vor, daß hier der Himmel schöner ist als im ›Busch‹, daß die Bäume größer und die Blumen frischer sind und mir alles angenehm und lieblich erscheint, daß ferner ein Onkel eine glückliche Erfindung der Natur und meine Cousine so schön ist wie eine Fee. Sie können mich schelten und mir predigen, soviel Sie wollen, lieber Herr Pfarrer, es wird Ihnen doch nicht gelingen, mir die Ueberzeugung auszutreiben, daß Franz der Erste ein hervorragend gescheiter Mensch war, wenn die Frauen, die er liebte, so schön waren wie Blanche von Pavol. Sie selbst, Herr Pfarrer, würden sich auf den ersten Blick in sie verlieben. Allein ich muß Ihnen gestehen, daß ihr majestätisches Wesen mich ein wenig einschüchtert, mich, die doch sonst nicht so leicht einzuschüchtern ist. Und dann ist sie auch groß ... und ich hätte sie gern klein gehabt, das wäre mir ein Trost gewesen, obgleich ich heute weiß, daß meine Gestalt trotz ihrer Kleinheit geschmeidig, elegant und vollkommen ebenmäßig ist. Einerlei! Ich frage Sie aber, was es dem lieben Gott ausgemacht hätte, wenn er meiner Größe noch ein paar Centimeter zugelegt hätte! Geben Sie zu, Herr Pfarrer, daß der liebe Gott einen doch manchmal recht ärgern kann?

Von meinem Onkel sage ich weiter nichts, weil Sie ihn kennen, aber ich weiß, daß ich ihn lieb haben werde und daß ich ihn jetzt schon erobert habe. Es ist ein großes Glück, ein hübsches Gesicht zu haben – ein viel größeres Glück, Hochwürden, als Sie mir gesagt haben; man gefällt aller Welt, und wenn ich erst Großmutter bin, werde ich meinen Enkeln erzählen, daß dies die erste und entzückendste Entdeckung war, die ich bei meinem Eintritt ins Leben gemacht habe. Wir haben aber noch Zeit, darüber nachzudenken.

Obgleich ich von Ueberraschung zu Ueberraschung taumelte, habe ich mich doch an Pavol und den Luxus, der mich hier umgibt, schon völlig gewöhnt. Immerhin würde ich ab und zu einen Ausruf der Verwunderung hören lassen, wenn ich nicht Angst hätte, mich lächerlich zu machen; ich verberge darum meine Eindrücke, aber Ihnen, lieber Herr Pfarrer, darf ich wohl gestehen, daß ich manchmal sehr verblüfft bin.

Vorgestern sind wir nach V... gegangen, um mir eine Ausstattung zu kaufen, denn die Werke Suzons sind entschieden ganz abscheulich. Wir dürfen uns keiner Täuschung darüber hingeben, Herr Pfarrer, trotz Ihrer Bewunderung für gewisse Kleider bin ich doch schrecklich ausstaffiert hier angekommen.

Ach, es ist doch etwas Hübsches um eine Stadt. Ich war ganz begeistert und verwundert über die Straßen, die Läden, die Häuser, die Kirchen, und Blanche hat mich ausgelacht, denn sie nennt V... ein Nest auf einer Anhöhe. Was soll man dann vom ›Busch‹ sagen? Nach einer dreistündigen Sitzung bei Schneiderin und Putzmacherin ist meine Cousine, die sehr fromm ist, zur Beichte gegangen und hat mich mit der Kammerfrau einige Einkäufe machen lassen. Mein Onkel hatte mir Geld gegeben für nützliche und praktische Anschaffungen; aber hätten Sie geglaubt, daß ich das Nützliche und Praktische nicht zu schätzen weiß? Ich lief zuerst zum Zuckerbäcker und stopfte mich mit kleinem Backwerk voll; ich bekenne es demütig, lieber Herr Pfarrer, ich habe eine Leidenschaft für Süßigkeiten. Während ich mich dieser ebenso angenehmen als nützlichen Beschäftigung hingab – es ist doch immerhin Pflicht, seinen Körper zu ernähren – habe ich in einem gegenüberliegenden Laden eine Menge hübscher Gegenstände bemerkt. Sofort bin ich hinüber gegangen und habe mir zweiundvierzig kleine Männchen aus Terracotta gekauft, alle, die in dem Laden vorrätig waren. Nach dieser That besaß ich nicht nur keinen Pfennig mehr, sondern steckte beträchtlich in Schulden, was einerlei ist, denn ich bin reich. Meine Cousine hat sehr gelacht, aber mein Onkel hat mich ausgezankt. Er hat mir begreiflich machen wollen, daß große und kleine Menschenkinder Vernunft annehmen müßten, denn ohne diese machten sie nichts als Dummheiten. Beweis: man kauft sich zweiundvierzig Männchen aus Terracotta statt sich mit Strümpfen und Hemden zu versehen. Ich habe diese Strafpredigt mit zerknirschter, demütiger Miene angehört, lieber Herr Pfarrer, aber gegen das Ende stellte sich mein rebellischer Geist die Vernunft mit einem plumpen Körper, einer langen Nase, einem trockenen, übellaunigen Gesicht vor und das Ganze glich so sehr meiner Tante, daß ich von Stunde an der Vernunft spinnefeind geworden bin. Dies war das Ergebnis der von meinem Onkel entfalteten Beredsamkeit. Indessen habe ich zweiundvierzig lachende, weinende und Gesichter schneidende Männchen in meinem Zimmer umherstehen und bin zufrieden.

Gestern abend habe ich mit Blanche über die Liebe gesprochen, Hochwürden. Wie konnten Sie mir nur sagen, sie komme nur in Büchern vor und gehe junge Mädchen nichts an? ... Herr Pfarrer, Herr Pfarrer, ich fürchte, Sie haben mir manchmal was weis gemacht. Nach der ersten Trauerzeit werden wir in Gesellschaft gehen. Mein Onkel findet mich zwar zu jung, aber ich kann nicht allein auf Pavol bleiben. Wenn es sich darum handeln würde, so bliebe mir, wie Sie, lieber Herr Pfarrer, selbst einsehen werden, nur übrig, aus dem Fenster zu springen oder das Schloß in Brand zu stecken.

Es scheint, daß ich allen Grund habe, mir großen Erfolg zu versprechen, denn ich bin hübsch und habe eine große Mitgift. Blanche hat mir mitgeteilt, daß ein hübsches Gesicht ohne Vermögen nur wenig Wert hat, daß aber die beiden Dinge vereint ein vollkommenes Ganzes, ein seltenes Gericht bilden. Also bin ich, lieber Herr Pfarrer, eine köstliche, saftige, schmackhafte Speise, die im Handumdrehen begehrt, gesucht und verschlungen sein wird, falls ich es gestatte. Aber seien Sie ruhig, ich werde es nicht erlauben, wenigstens nicht, wenn ... Aber still davon!

Den nächsten Montag sehne ich mit Ungeduld herbei, aber ich sage Ihnen nicht, warum. An diesem Tag steht ein Ereignis bevor, das mein Herz höher schlagen läßt, ein Ereignis, das mir Lust macht, zu tanzen, solange mein Atem ausreicht, meinen Hut in die Luft zu werfen und sonstige Thorheiten zu begehen. Gott, wie ist das Leben doch schön!

Aber nichts ist vollkommen, denn Sie sind nicht hier und fehlen mir doch überall. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr ich Sie vermisse, mein lieber Herr Pfarrer! Wie gerne würde ich Ihnen das Schloß und die wohlgepflegten Gärten zeigen, die so gar nicht an den ›Busch‹ erinnern! Wie gerne wollte ich, daß auch Sie das behagliche, großartige Leben genießen könnten, das man hier führt. Selbst die unbedeutendste Kleinigkeit ist in schönster Ordnung, und ich komme mir vor wie in einem irdischen Paradies. Jeder Augenblick bringt mir einen neuen Gegenstand der Freude oder der Bewunderung, und immer möchte ich es Ihnen mitteilen; ich suche Sie, ich rufe Sie, aber das Echo dieses schönen Parkes bleibt stumm.

Leben Sie wohl, lieber, guter Herr Pfarrer; ich küsse Sie nicht, weil man einen Pfarrer nicht küßt (vergeblich frage ich mich warum!), aber ich schicke Ihnen all die Liebe und Zärtlichkeit, die ich für Sie im Herzen trage. Ich habe Sie sehr lieb, Herr Pfarrer, und verehre Sie.

Ihre Reine.«

 

So viel ist gewiß: ich gewöhnte mich sofort an die Atmosphäre von Luxus und Eleganz, in die ich so plötzlich versetzt worden war. Ebenso gewiß ist, daß mich Blanche, trotzdem sie sehr liebenswürdig gegen mich war und mich vom ersten Augenblick an »du« genannt hatte, doch in den ersten Tagen nach meiner Ankunft auf Pavol einschüchterte. Ihre königliche Haltung, ihr etwas hochmütiges Wesen, der Gedanke, daß sie viel mehr Erfahrung hatte als ich, dies alles imponierte mir so, daß ich mich ihr gegenüber nicht ganz unbefangen gehen lassen konnte. Allein dieser Eindruck verflog wie ein Reif unter den Strahlen der Aprilsonne und infolge einer Unterhaltung, die wir schon am Sonntag morgen in meinem Zimmer hatten, verschwand der Nimbus, mit dem ich sie umgeben hatte, völlig.

Ich lag zu Bett und dehnte mich, noch halb traumumfangen, wohlig auf meinem Lager; von Zeit zu Zeit schlug ich die Augen auf, um mit Entzücken mein freundliches, behagliches Zimmer, meine kleinen Terracottamännchen und die Bäume zu betrachten, die ich durchs offne Fenster sehen konnte.

Blanche trat in einem schleppenden Morgengewand, mit aufgelösten, über die Schultern wallenden Haaren und mit bekümmerter Miene bei mir ein.

»So schön wie die schönste Heldin von Walter Scott!« rief ich und betrachtete sie voll Bewunderung.

»Kleine Reine,« sagte sie und setzte sich auf das Fußende meines Bettes, »ich will mit dir reden.«

»Um so besser! Aber ich bin noch nicht völlig wach und das wird man meinen Gedanken anmerken.«

»Auch wenn vom Heiraten die Rede ist?« fragte Blanche, die meine Ansicht über diesen wichtigen Punkt schon kannte.

»Vom Heiraten? Ich bin schon ganz wach,« sagte ich und richtete mich schleunigst auf.

»Du möchtest dich verheiraten, Reine?«

»Ob ich mich verheiraten möchte! Welche Frage! Das will ich meinen, und zwar je früher desto besser. Ich bewundere die Männer und liebe sie viel mehr als die Frauen, außer wenn diese so schön sind wie du.«

»Man darf nicht sagen, daß man die Männer bewundert,« erklärte Blanche mit strenger Miene.

»Warum nicht?«

»Ich weiß selbst nicht recht warum, aber ich versichere dich, daß es sich für ein junges Mädchen durchaus nicht schickt.«

»Ist mir einerlei ... ich bin nun eben einmal dieser Ansicht!« erwiderte ich und drückte mich wieder in meine Kissen hinein.

»Kindskopf!« sagte Blanche und sah mich mit einem gewissen Mitleid an, das mir sehr beleidigend erschien. »Ich bin gekommen, um mit dir über meinen Vater zu sprechen, Reine.«

»Was gibt's?«

»Höre! Wie du möchte auch ich mich einmal verheiraten; mein Vater hat schon verschiedene Anträge für mich zurückgewiesen, aber das ist mir einerlei, denn ich habe keine Eile. Ich kann gut warten, bis ich zwanzig Jahre bin; nur möchte ich gern wissen, ob er sich meiner Verheiratung auch später widersetzen würde.«

»Du mußt ihn eben fragen.«

»Das ist's gerade,« entgegnete Blanche ein wenig verlegen; »ich gestehe dir, daß mir mein Vater Angst macht, oder besser gesagt, mich einschüchtert.«

Voll Ueberraschung stützte ich mich auf meinen Ellbogen und strich die Haare zurück, die mir ins Gesicht fielen, um meine Cousine besser betrachten zu können. In diesem Augenblick purzelte sie von den olympischen Wolken herunter, auf die ich sie erhoben hatte, und in dem schönen junonischen Körper entdeckte ich ein junges Mädchen, das mir nie mehr imponieren konnte.

»Mich schüchtert niemand ein!« rief ich, ergriff mein Kopfkissen und schleuderte es mitten ins Zimmer.

Blanche sah mich verwundert an.

»Was machst du denn da, Reine?«

»O, das ist so meine Gewohnheit. Als ich noch im ›Busch‹ war, pflegte ich mein Kopfkissen immer irgend wohin zu werfen, einerlei wohin, um Suzon zu ärgern, die dadurch ganz außer sich geriet.«

»Da Suzon nicht hier ist, möchte ich dir doch raten, diese Gewohnheit aufzugeben. Um wieder auf unsern Gegenstand zurückzukommen, so wollte ich dich fragen, ob du den Mut hast, mit meinem Vater eine Unterhaltung über die Ehe anzufangen, obgleich er immer so scharf über sie aburteilt.«

»Ja, ja, ich bin sehr groß in Erörterungen, du sollst schon sehen. Gleich greife ich den Onkel an und führe die Sache rasch und kräftig zu Ende.«

Während des Essens machte ich meiner Cousine eine ausdrucksvolle Pantomime, um ihr mitzuteilen, daß ich jetzt losschießen wolle. Mein Onkel, der Gefahr witterte, beobachtete uns unter seinen buschigen Brauen hervor, und Blanche, die schon ganz außer Fassung war, befahl mir durch einen Wink, zu schweigen. Allein ich ließ meine Finger knacken, räusperte mich kräftig und sprang mutig in die Arena.

»Wäre es ein Unglück, Onkel, wenn die Menschheit von der Erde verschwände?«

»Hm, das ist eine ernste Frage, die ich mir noch nicht überlegt habe. Immerhin möchte ich für die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes stimmen, denn ich finde, daß die Vorsehung alles gut macht.«

»Dann bist du nicht konsequent, Onkel, wenn du dich gegen die Ehe aussprichst.«

»Haha!« machte mein Onkel.

»Da man keine Kinder haben kann, ohne verheiratet zu sein, und du für die Fortpflanzung der Menschheit bist, so folgt daraus, daß du das Heiraten bei jedermann billigen mußt.«

»Tausend Sapperment!« entgegnete Herr von Pavol und warf seine Lippen so spöttisch auf, daß Blanche errötete, »das heiß' ich logisch denken! Wie stellst du dir denn eigentlich die Ehe vor, Fräulein Nichte?«

»Die Ehe,« erwiderte ich begeistert, »ist die schönste Einrichtung der Welt! Eine beständige Vereinigung mit dem, den man liebt! Man singt, man tanzt miteinander, man küßt sich die Hand ... Ach, es ist reizend!«

»Man küßt sich die Hand! Warum denn die Hand, Nichte?«

»Weil ... weil ... kurzum, so denke ich mir's eben!« sagte ich und weihte meiner Vergangenheit ein geheimnisvolles Lächeln.

»Die Ehe ist eine Einrichtung, die dem Henker ein Opfer überliefert,« brummte mein Onkel.

»Ah!!!«

Juno und ich widersprachen ihm energisch.

»Welcher Teil ist denn das Opfer, Onkel?«

»Der Mann, bei Gott!«

»Geschieht den Männern ganz recht,« gab ich mit entschiedenem Ton zurück; »warum wehren sie sich nicht! Ich für meine Person bin gerne bereit, mich in einen Henker zu verwandeln.«

»Worauf wollt ihr denn eigentlich hinaus, meine Damen?«

»Darauf, Onkel: Blanche und ich sind leidenschaftliche Anhänger der Ehe und haben beschlossen, unsre Theorieen ins Praktische zu übersetzen. Ich wünsche, daß dies sobald als möglich geschieht.«

»Reine!« rief meine Cousine ob meiner Kühnheit entsetzt.

»Das ist ja doch die reine Wahrheit, Blanche, nur daß du ganz gerne warten willst, ich aber keine Geduld habe.«

»Du gefällst mir, Fräulein Nichte! Ich glaube aber nicht, daß du eine Neigung für jemand hast?«

»Natürlich nicht,« lachte Blanche, »sie kennt ja keine Menschenseele!«

Seit meiner Ankunft auf Pavol hatte ich viel über meine Liebe und Herrn von Conprat nachgedacht und mir wiederholt die Frage vorgelegt, ob ich Blanche in das tiefe Geheimnis meines Herzens einweihen solle. Nach reiflicher Ueberlegung beschloß ich, unter den gegebenen Verhältnissen allen meinen Grundsätzen untreu zu werden und es mit dem Araber zu halten, der Schweigen für Gold erklärt.

Trotz meines festen Entschlusses, das Geheimnis zu bewahren, fühlte ich mich durch Blanches Behauptung versucht, es zu verraten, allein ich bezwang meine Lust zu reden.

»Jedenfalls werde ich früher oder später lieben, denn man kann nicht leben, ohne zu lieben.«

»Wirklich! Wo hast du denn diese Gedanken her, Reine?«

»Aber, lieber Onkel, das ist der Lauf der Welt,« erwiderte ich ruhig. »Nimm nur einmal die Heldinnen von Walter Scott: wie die lieben und geliebt werden!«

»Aha! ... Und hat dir der Pfarrer erlaubt, Romane zu lesen? Hat er dir etwa auch Vorträge über die Liebe gehalten?«

»Mein armer Pfarrer, was habe ich ihn damit geärgert! Was die Romane betrifft, lieber Onkel, so hat er mir durchaus keine geben wollen, ja er hat sogar den Schlüssel zur Bibliothek mit sich fortgenommen, aber ich habe eine Scheibe eingedrückt und bin durchs Fenster hineingestiegen.«

»Recht viel versprechend. Und dann hast du schleunigst über die Liebe gegrübelt und phantasiert?«

»Ich phantasiere nie, besonders nicht darüber, denn ich kenne das Gefühl recht gut, von dem ich spreche.«

»Teufel auch!« sagte mein Onkel lachend. »Aber du hast uns doch eben gesagt, du liebest niemand!«

»Gewiß!« erwiderte ich lebhaft und verlegen über den Bock, den ich geschossen hatte. »Aber glaubst du nicht auch, Onkel, daß das Nachdenken die Erfahrung ersetzen kann?«

»Und ob! Ich bin davon fest überzeugt, besonders in einem solchen Fall; außerdem scheinst du auch Grütze genug im Kopf zu haben.«

»Ich bin nur logisch, Onkel, weiter nichts. Sag' mal, man liebt doch nie einen andern Mann als seinen Gatten?«

»Nein, nie,« erwiderte Herr von Pavol lächelnd.

»Nun also! Da man nie einen andern Mann als seinen eignen liebt, da man diesen natürlich mit richtiger Liebe liebt, und da man ohne Liebe nicht leben kann, so folgere ich daraus, daß man heiraten muß.«

»Ja, aber nicht, ehe man einundzwanzig Jahre alt ist, meine Damen.«

»Das ist mir einerlei,« erwiderte Blanche.

»Aber mir ist dies gar nicht einerlei. Nie und nimmer werde ich noch fünf Jahre warten.«

»Du wirst fünf Jahre warten, Reine, wenn nicht ein ganz außergewöhnlicher Fall eintritt.«

»Was verstehst du unter einem außergewöhnlichen Fall, Onkel?«

»Eine in jeder Beziehung so passende Partie, daß es Thorheit wäre, sie zurückzuweisen.«

Diese Einschränkung des Programms meines Onkels bereitete mir so große Freude, daß ich im Zimmer herumtanzte.

»Dann bin ich meiner Sache ganz sicher!« rief ich und machte mich auf und davon.

Ich zog mich in mein Zimmer zurück, wo bald darauf Juno mit majestätischer Miene erschien.

»Wie dreist du bist, Reine!«

»Dreist! Ist das der Dank dafür, daß ich deinen Wunsch erfüllt habe?«

»Ja, aber du sagst die Dinge alle so geradezu!«

»Das ist nun eben so meine Art, ich habe gern alles klipp und klar!«

»Man hätte glauben können, du wolltest meinen Vater ärgern.«

»Ich wäre unglücklich, wenn ich ihn erzürnte; er gefällt mir mit seinem spöttischen Gesicht und ich liebe ihn jetzt schon leidenschaftlich. Aber wir wollen nicht von der Sache abschweifen, Blanche; er hat im Gegenteil uns geärgert, indem er gegen die Ehe eiferte; übrigens weißt du jetzt jedenfalls, was du wissen wolltest.«

»Gewiß,« erwiderte Blanche nachdenklich.

Gar bald mußte Herr von Pavol zu seinem Schaden erfahren, daß junge Mädchen nicht mehr taugen als Frauen und, ohne mit den Wimpern zu zucken, die Ansichten eines Vaters und Onkels mit Füßen treten.


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