Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Der Krieg war erklärt, und von da an lag ich in ständiger Fehde mit Frau von Lavalle. Bisher hatte ich kaum den Mund zu öffnen gewagt, wenn nicht der Pfarrer als dritter zugegen war, denn sie hieß mich schweigen, noch ehe ich meinen Satz beendet hatte.

Ich muß betonen, daß mir diese Art des Vorgehens ganz besonders schmerzlich war, denn ich spreche ungemein gern. Wohl hielt ich mich bei dem Pfarrer einigermaßen schadlos dafür, allein dies genügte mir keineswegs, und deshalb hatte ich die Gewohnheit angenommen, laut mit mir selbst zu reden. Manch liebes Mal konnte es geschehen, daß ich mich vor meinem Spiegel aufpflanzte und stundenlang mit meinem Bilde sprach.

Mein lieber Spiegel! Treuer Freund! Vertrauter meiner geheimsten Gedanken!

Ich weiß nicht, ob die Menschen schon jemals ernstlich über den ungeheuren Einfluß nachgedacht haben, den dieses kleine Möbel auf einen Geist ausüben kann. Man beachte wohl: ich bezeichne das Geschlecht dieses Geistes nicht näher, denn ich bin fest überzeugt, daß die bärtigen Individuen mit ebensoviel Vergnügen wie wir ihre äußern Vorzüge bewundern.

Wenn ich ein philosophisches Buch schriebe, würde ich die Frage vom »Einfluß des Spiegels auf Verstand und Gemüt des Menschen« behandeln.

Ich bestreite nicht, daß meine Abhandlung vielleicht einzig in ihrer Art sein und in keiner Beziehung zu jener Sorte von Philosophie stehen würde, in deren Irrgarten Kant, Fichte, Schelling u. s. w. zeitlebens herumtappten zu ihrem eignen Ruhm und zum Besten der Nachwelt, die sie mit um so größerem Vergnügen liest, je weniger sie davon versteht. Nein, meine Abhandlung würde durchaus nicht in die Fußstapfen jener Herren treten: sie wäre klar, deutlich, praktisch, mit einem Anflug von Satire, und es hieße den Widerspruchsgeist sehr weit treiben, wenn man nicht zugeben wollte, daß diese Eigenschaften bei den eben angeführten Herren nicht zu finden sind. Da ich aber meinen Geist zu diesem großen Werk noch nicht für hinlänglich gereift erachte, begnüge ich mich damit, meinem Spiegel eine aufrichtige Zuneigung zu bewahren und mich aus Dankbarkeit jeden Tag recht lange darin zu betrachten.

Um aber wieder zur Sache zu kommen: nachdem ich meine alte Aengstlichkeit abgeschüttelt hatte, that ich meiner Beredsamkeit auch in Gegenwart meiner Tante keinen Zwang mehr an. Nicht eine Mahlzeit verging mehr ohne Plänkeleien, die in Stürme auszuarten drohten.

Obgleich ich damals die Herkunft meiner Tante nicht kannte, hatte ich doch längst gemerkt, daß sie strohdumm war und sich furchtbar ärgerte, wenn ich meine Ansichten auf des Pfarrers und mein eigenes Wissen stützte. Uebrigens stand ich keinen Augenblick an, auch für Behauptungen, die in meinem Kopf gewachsen waren, den Anspruch auf historische Treue zu erheben. Unglücklicherweise war es mir unmöglich, gegen die persönliche Erfahrung meiner Tante aufzukommen, und wenn sie behauptete, es gehe so und so zu in der Welt und die Männer seien nichts viel Besseres als Gauner und Teufelsbraten, so wurde ich wütend, denn ich konnte nichts darauf erwidern. Ich war vernünftig genug, einzusehen, daß die Personen meiner Umgebung nur einen sehr unvollkommenen Begriff von der Männerwelt im allgemeinen geben konnten.

Der Pfarrer speiste alle Sonntage bei uns. Zweifelsohne hatte er seine geheimen Gründe, die Herren der Schöpfung vor mir nicht zu rühmen, ausgenommen seine alten Heroen, deren unternehmungslustige Geister er nicht mehr zu fürchten hatte; wenigstens setzte er den Behauptungen meiner Tante nur einen sehr schwachen Widerspruch entgegen.

Das Sonntagsessen bestand regelmäßig aus einem Kapaunen oder einem Hähnchen, Salat mit harten Eiern und im Sommer »Stippmilch«. Der Pfarrer, der bei sich zu Hause ziemlich kärglich lebte und dessen Gaumen Suzons Kochkunst zu schätzen wußte, pflegte schmunzelnd und ausgehungert anzukommen.

Wir setzten uns zu Tisch, und gerade so unabänderlich wie die Speisenfolge war auch der Beginn der Unterhaltung.

»Es ist schönes Wetter,« sagte meine Tante, die diesen Satz im Falle ungünstiger Witterung dann durch bloße Veränderung des Eigenschaftswortes zutreffend machte.

»Prächtiges Wetter!« erwiderte der Pfarrer fröhlich. »Es ist entzückend, in dem schönen Sonnenschein spazieren zu gehen.«

Ob es gehagelt oder geschneit, ob es gefroren oder Steine und Schwefel geregnet hätte, der Pfarrer würde unabänderlich seine Zufriedenheit geäußert haben, sei es nun, indem er sich über die Annehmlichkeiten eines geschlossenen Raumes verbreitet oder das Lob eines lustigen Feuers gesungen hätte.

»Aber es ist gar nicht warm,« begann meine Tante wieder; »es ist wunderbar, zu meiner Zeit trug man an Ostern weiße Kleider.«

»Haben Ihnen die weißen Kleider gut gestanden?« fragte ich lebhaft.

Meine Tante sah irgend eine Unverschämtheit kommen und warf mir schon im voraus einen vernichtenden Blick zu, ehe sie antwortete: »Gewiß, sehr gut!«

»So!« rief ich in einem Ton, der über meine Herzensmeinung keinen Zweifel aufkommen ließ.

»Zu meiner Zeit,« versicherte die Tante, »sprachen junge Mädchen überhaupt nur, wenn sie gefragt wurden.«

»Sie haben also in Ihrer Jugend gar nichts gesprochen, Tante?«

»Nur, wenn ich gefragt wurde, sonst nicht.«

»Waren damals alle jungen Mädchen wie Sie, Tante?«

»Gewiß, Nichte.«

»Welch schreckliche Zeit!« seufzte ich, die Augen gen Himmel gerichtet.

Der Pfarrer blickte mich vorwurfsvoll an, und Frau von Lavalle ließ ihre Blicke über alle auf dem Tisch befindlichen Gegenstände gleiten mit der sichtbaren Absicht, mir einen davon an den Kopf zu werfen.

Bei diesem etwas kritischen Punkt angelangt, verstummte die Unterhaltung bis zu dem Augenblick, wo meine Tante ihrer Empörung in einer Explosion Luft machte wie eine überheizte Dampfmaschine. Männer, Frauen, Kinder – nichts wurde geschont. Von den armen Männern war zu Ende der Mahlzeit nichts mehr übrig, als ein schrecklicher Haufen zwar nicht von zerschmetterten Gliedmaßen, aber von Ungeheuern aller Art. »Die Männer sind alle in Grund und Boden hinein verdorben,« erklärte meine Tante in der wohlklingenden, eleganten Redeweise, die ihr eigen war.

Der Pfarrer ließ in der trostlosen Gewißheit, keine Frau zu sein, den Kopf hängen und zeigte sich ganz zerknirscht.

»Diese Ungläubigen! Diese Schurken!« begann sie wiederum und blickte mich dabei so wütend an, als ob ich auch dem besagten Geschlecht angehört hätte.

»Hm!« machte der Pfarrer.

»Leute, die nur genießen, nur essen und trinken wollen,« fuhr meine Tante fort, deren Herz sich durch die ihr von ihrem Mann überkommene Armut bedrückt fühlte, »lauter Teufelsbraten!«

»Hm, Hm!« wiederholte der Pfarrer kopfschüttelnd.

»Herr Pfarrer,« rief ich ungeduldig, »Hm! ist gerade keine sehr überwältigende Beweisführung.«

»Erlauben Sie gütigst, erlauben Sie,« erwiderte der arme, im Genuß seiner Mahlzeit gestörte Mann; »ich glaube, daß Frau von Lavalle mit dem Ausdruck ›Teufelsbraten‹ etwas zu weit geht. Auf der andern Seite steht aber auch fest, daß viele Männer kein großes Vertrauen verdienen.«

»Da sind Sie also wie Franz der Erste und haben die Frauen lieber?« sagte ich mit meinem unschuldigsten Gesicht.

»Gottstrambach!« schrie meine Tante, die verschiedene, kräftige Ausdrücke durch diesen von ihrem Gatten überkommenen Fluch, den sie für äußerst aristokratisch hielt, zu ersetzen pflegte; »Gottstrambach! Halten Sie Ihren Mund, Sie dummes Ding.«

Allein der Pfarrer machte ihr ein geheimnisvolles Zeichen, und die vortreffliche Dame biß sich auf die Lippen und schwieg.

»Und Ihre Helden, Herr Pfarrer? Ihre Griechen? Ihre Römer?«

»O, die Menschen von heutzutage sind ganz anders, als die von damals,« erwiderte er, überzeugt, eine große Wahrheit ausgesprochen zu haben.

»Und die Pfarrer?« fragte ich weiter.

»Die Pfarrer kommen dabei nicht in Betracht,« erwiderte er mit freundlichem Lächeln.

Diese Art von Unterhaltung besaß den Vorzug, mich ungemein zu reizen. Ich war mir bewußt, daß eine Welt von Gedanken und Gefühlen, die ich übrigens bald genug kennen lernen sollte, mir verschlossen war. Natürlich zweifelte ich an der Richtigkeit des von meiner Tante über die Männerwelt gefällten Urteils, aber ich begriff auch, daß ich gar vieles nicht wußte und Gefahr lief, noch lange in meiner Unwissenheit versunken zu bleiben.

Eines Morgens, als ich über meine klägliche Lage brütete, kam mir der Gedanke, die drei Menschen zu Rate zu ziehen, die ich täglich erreichen konnte, nämlich Jean, den Pächter, Perrine und Suzon.

Da die letztere in C... gelebt hatte, nahm ich an, daß ihr Urteil sich auf besonders reiche Erfahrung stützen müsse, und sparte sie bis zu guter Letzt auf.

In einen Regenmantel gehüllt und in Holzschuhen steckend, machte ich mich auf den Weg nach der Meierei, die etwa einen Kilometer vom Hause entfernt lag.

Nachdem ich beinahe in dem Schmutz versunken war, den ich durchwaten mußte, langte ich schließlich bei Jean an, der gerade seinen Pflug putzte.

»Guten Tag, Jean!«

»Schön guten Tag, Frölen!« sagte Jean, nahm seine wollene Mütze ab und gewährte dadurch seinen Haaren die Möglichkeit, sich kerzengerade aufzurichten. Diese Haare hatten nämlich den sonderbaren Hang, bei jeder ihnen gebotenen Gelegenheit diese Uebungen vorzunehmen.

»Ich komme, um Sie in einer sehr, sehr wichtigen Sache um Rat zu fragen,« begann ich, um seinen Geist zu fesseln, der, wie ich wußte, sehr dazu neigte, allenthalben umherzuschweifen.

»Stehe ganz zu Befehl, Frölen.«

»Meine Tante sagt, alle Männer seien Halunken; wie denken Sie darüber, Jean?«

»Halunken?« wiederholte Jean, der die Augen aufriß, als ob ein Meerwunder vor ihm stände.

»Ja, das ist die Ansicht meiner Tante, und nun möchte ich wissen, was Sie davon halten.«

»Ja, ja! 's ist nicht ohne.«

»Aber das ist keine Meinung, Jean. Sagen Sie ja oder nein, ob die Männer im allgemeinen Halunken sind?«

Jean legte den Zeigefinger der rechten Hand an seine Nasenspitze, was bekanntlich ein Zeichen tiefer Ueberlegung ist.

Nachdem er eine gute Weile nachgedacht hatte, gab er mir die klare, entscheidende Antwort: »Hören Sie, Frölen, ich will's Ihnen sagen, das mag wohl so sein, aber es mag auch wohl nicht so sein.«

»Schafskopf!« sagte ich, empört über diese phänomenale Dummheit.

Er riß Augen, Mund und Hände auf und hätte noch mehr aufgerissen, wenn dies möglich gewesen wäre, um seine Verwunderung an den Tag zu legen.

Den Schmutz, meine Holzschuhe, Jean und mich selbst verwünschend, langte ich wieder auf dem Hofe unsres Gutes an.

»Perrine,« rief ich, »komm her!«

Perrine, die in der Milchkammer die Geschirre scheuerte, lief mit bloßen Armen und einem Gesicht wie ein Paar Borsdorfer Aepfel, ein Büschel Nesseln in der Hand, die Haube wie gewöhnlich im Nacken, spornstreichs herbei.

»Was hältst du von den Männern?« fragte ich plötzlich.

»Von den Män –«

Und Perrine, die nun wie eine Pfingstrose erglühte, ließ ihre Nesseln fallen, ergriff ihren Schürzenzipfel, zog das linke Bein in die Höhe und starrte mich, auf dem rechten stehend, verwundert an.

»Nun so antworte doch. Was hältst du von den Männern?«

»Sie wollen sich nur über mich lustig machen, Frölen!«

»Gewiß nicht, ich frage im Ernst. Antworte rasch!«

»Der Tausend, Frölen!« erwiderte Perrine, sich wieder fest auf beide Füße stellend, »ich glaube, wenn es nette Kerle sind, so gibt es unangenehmere Dinge zum Ansehen.«

Diese Art, die Sache aufzufassen, gab mir viel zu denken.

»Ich spreche nicht vom Aeußern,« begann ich, die Achseln zuckend, aufs neue, »sondern vom Innern.«

»Meiner Treu! Ich finde sie recht liebenswürdig!«

»Wie! Du findest nicht, daß sie Ungläubige, Halunken und Teufelsbraten sind?«

Perrine lachte hell auf.

»Wissen Sie, Frölen, es ist so süß, den Worten der Gottlosen zu lauschen, daß ...«

Hier brach sie plötzlich ab und schlug sich mit der Faust vor den Kopf, sie drehte ihre Schürze zwischen den Fingern, schlug die Augen nieder und machte mir ganz den Eindruck, als wolle sie das Hasenpanier ergreifen.

»Nun und? Sprich doch weiter!«

»Am Ende rede ich noch dummes Zeug! Ich mache, daß ich fortkomme.«

Damit machte sie mir ihren allerschönsten Knicks, verschwand in den Tiefen ihrer Milchkammer und schlug mir die Thür vor der Nase zu.

»Warum sollte sie denn dummes Zeug reden? ... Nun ist Suzon meine letzte Zuflucht; es ist nur die Frage, ob sie mit der Sprache herausrücken will.«

Ich trat in die Küche, wo ich Suzon, mit einem Besen bewaffnet, fand, den sie sich anschickte, emsig zu gebrauchen. Sie schien mir heute übler Laune zu sein, und ich hielt es für schlau, einige oratorische Vorsichtsmaßregeln zu treffen, ehe ich meine Frage vom Stapel ließ.

»Wie schön und blank dein Kupfer ist,« sagte ich huldvoll.

»Man thut, was man kann,« brummte Suzon; »wenn übrigens jemand nicht zufrieden ist, so braucht er es nur zu sagen.«

»Das Hühnerfrikassee gelingt dir immer prächtiger, das solltest du mich machen lehren.«

»Das ist nicht Ihre Sache, Fräulein; bleiben Sie in Ihrer Stube und lassen Sie mich in meiner Küche in Frieden.«

Da diese Verführungskünste sich als gänzlich wirkungslos erwiesen, richtete ich meine Batterieen auf einen andern Punkt.

»Weißt du was, Suzon? Du mußt in deiner Jugend sehr hübsch gewesen sein,« sagte ich; innerlich dachte ich aber, wenn ich ihr Mann gewesen wäre, hätte ich sie in den nächsten Backofen geschoben, um mich ihrer zu entledigen.

Ich mußte die richtige Saite angeschlagen haben, denn Suzon geruhte, zu lächeln.

»Jedes hat einmal seine schöne Zeit, Fräulein.«

»Suzon,« begann ich wieder, denn ich wollte diese plötzlich eingetretene mildere Stimmung benutzen, um rascher mein Ziel zu erreichen, »ich möchte dich gern was fragen. Was hältst du von den Männern ... und von den Frauen?« fügte ich rasch hinzu, weil ich dachte, es sei klüger, ich erstrecke meine Studien auf beide Geschlechter.

Suzon stützte sich auf ihren Besen, nahm eine abweisende Miene an und sagte mit überwältigender Ueberzeugung: »Die Frauen taugen nicht viel, Fräulein, und die Männer gar nichts.«

»O,« wandte ich ein, »weißt du dies ganz gewiß?«

»Das ist so gewiß, als daß zwei mal zwei vier ist, Fräulein.«

Sie bedachte einige an der Erde liegende Gemüsereste mit einem sehr energischen Besenstrich und beseitigte sie so geschwind, als hätte sie einige Exemplare besagter Zweifüßler vor sich.

Ich zog mich in mein Zimmer zurück, um über den menschenfreundlichen Ausspruch Suzons nachzudenken; ich fühlte mich ziemlich niedergeschlagen bei dem Gedanken, daß ich nicht viel und meine unbekannten Freunde, die Männer, gar nichts taugen sollten.


 << zurück weiter >>