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Rank und schlank mit seiner weltmännischen Leichtigkeit und keineswegs unmännlich im gutsitzenden Sportanzug, schlug Ivo den Weg nach dem Rodatal ein. Er hatte einen Bergstock in der Hand und trug einen mäßigen Rucksack, in dem sich alles befand, was er jetzt noch brauchte. Seinen Koffer hatte er schon gestern gepackt, seine Dichtung versiegelt und alles vorausgesandt. Aber die Nacht war abscheulich gewesen, sein Herz so öde wie das ausgeräumte Gasthofzimmer, das er zurückließ. Er hatte ja Marianne doch geliebt, soweit sein selbstsüchtiges Gemüt lieben konnte, und daß er die Heirat mit ihr erstrebte, war nicht Berechnung allein, wenn es auch feststand, daß er das Bild nicht ohne den goldenen Rahmen in seinen Wänden zu sehen gewünscht hätte. Jetzt war er mit all seiner Kunst des langen Abwartens und raschen Zugreifens durch eigene Schuld gescheitert. Daß er ganz ohne Kunst, mit einer bloßen Wallung des Herzens weiter gekommen wäre, konnte ihm bei seiner Natur nicht aufgehen. Er verwünschte nur tausendmal seine Torheit, mit der erhofften Schwägerin diese nichtige Tändelei angeknüpft zu haben. Freilich ersann er sich selbst die Entschädigung, daß er nicht erwarten konnte, eine so schöne und verwöhnte Frau auf der gesellschaftlichen Entwicklungsstufe eines Backfischs zu finden, der eine geschenkte Blume für eine Liebeserklärung nimmt. Aber von welcher Seite er die Lage auch betrachten mochte, er hatte verspielt. Die Ohrfeige Mariannens, wenn er sie auch nicht als entehrend ansah, hatte eine Scheidewand aufgerichtet, die nur sie selber niederreißen konnte, wenn sie um Verzeihung bat. Daß sie das nicht mehr tun würde, war sicher. Es blieb nichts übrig als wenigstens die Kriegsehren zu retten. Und einen Pfeil hatte er noch im Köcher, den er zur eigenen Genugtuung jetzt versenden wollte, wenn er auch den Sieg verloren gab.

Ohne sich ganz genau einzugestehen, was er eigentlich vorhatte, nur von der verletzten Selbstliebe geleitet, nahm er mit eherner Stirn, die er sich selber abrang, den Weg, der an der Villa Ehrland vorüberführte. Seine Abreise noch mit einer Dolomitenwanderung zu verknüpfen, war ohnehin seine Absicht gewesen, und das schöne Herbstwetter begünstigte sie. Den Aufstieg über die Scaletta nach der Canalihütte, den er aus Mariannens Schilderung kannte, hatte er sich zu diesem Zwecke aufgespart. Im Gasthof rieten sie ihm, wegen der vorgerückten Jahreszeit diesmal doch lieber einen Führer mitzunehmen, aber das hätte ihm die beste Wirkung seines Abzugs verdorben, und die Erregung, die in ihm tobte, war keine Mahnerin zur Vorsicht. Am Vorabend hatte er Isa mit Gatten und Sohn zu Wagen an der Cismonebrücke anlangen und dann zu Fuß den Talweg nehmen sehen, er wußte also, daß sie wieder zu Hause waren, und daß Marianne sie dort erwartet, wußte er gleichfalls. Er wollte vor ihren Augen in der jetzt doppelt öden Schneeregion verschwinden. Mochten sie sich dann über seinen Verbleib den Kopf zerbrechen, wenn sie ihn nicht zurückkommen sahen. Er hoffte, den Abstieg sicher in der anderen Richtung vornehmen zu können und auf einem Umweg Bozen zu erreichen, ohne San Martino mehr berühren zu müssen. Aber darüber wollte er die beiden Frauen im Unklaren lassen, und ihnen mindestens eine schlaflose Nacht bereiten. Denn Liebe mochte sich wohl jählings in Haß verkehrt haben, aber nicht in Gleichgiltigkeit, und daß sie sich trotz ihres Zorns noch immer um ihn sorgen würden, alle beide, dafür kannte er das Frauenherz.

Er hatte ein Zettelchen geschrieben, das er im Vorübergehen auf der Villa abgeben wollte. Aber als er den Vorplatz betrat, liefen ihm die drei Kinder mit Jubelgeschrei entgegen, und die Kleinste wollte auf den Arm gehoben sein. Marco, der für die Schwesterchen gebastelt hatte, verschwand augenblicklich. Dafür trat aus der Frühstückslaube, durch die zwei Frauenkleider schimmerten, ein fliederfarbenes hervor, während das weiße sich tiefer hinter dem Grün verbarg.

Er wolle Abschied nehmen, da sein Weg ihn eben an dem Hans vorbeiführte, dessen Gastfreundschaft er unvergeßliche Stunden verdanke, sagte Ivo mit gehaltener Stimme und gefalteten Brauen.

Sie brechen demnach früher auf als wir selbst? entgegnete Isa im Ton gesellschaftlicher Höflichkeit.

Ja, gnädige Frau. Es ist traurig, seine Freuden an Ort und Stelle zu überleben, und Sie wissen ja, ich bin ein Selbstling. Ich möchte nie und nirgends als Letzter übrig sein.

Der bloße Klang seiner Stimme wirkte auf Isa mit neuer Bezauberung, und sein Unrecht erschien ihr auf einmal minder groß. Ob er denn zu Fuß abreisen wolle, fragte sie zögernd.

Er wolle den Bergen, die ihm so Schönes gegeben hatten, noch einen Dankesgruß bringen und vielleicht die letzte Nacht in der Canalihütte schlafen.

Ist es dafür nicht ein wenig spät im Jahr? fragte sie mit einer unbestimmten Unruhe, ohne sich doch von dem Umfang seines Vorhabens eine klare Vorstellung zu machen.

Er zuckte die Achseln und meinte, wo ein Wille sei, da sei auch ein Weg. Der Paß, der zur Canalihütte führe, sei ihm so zauberhaft geschildert worden, daß er sich schon lange ärgere, noch nicht droben gewesen zu sein.

Aber in dieser Jahreszeit und allein? beharrte sie zaghaft. Heißt das nicht Gott versuchen, Herr von Geier?

Sonst pflegte sie ihn mit dem Vornamen zu nennen, aber das brachte sie jetzt nicht mehr fertig.

Gott will versucht sein, gnädige Frau, das ist seine Lust, er segnet nur solche die ihn versuchen, rief er mit milder Fröhlichkeit, denn er sah, daß seine Absicht gelang.

Aber ein Mensch, der der Welt so viel zu geben hat, dürfte sein Leben nicht für einen bloßen Sport aufs Spiel setzen.

Durch die gewohnte Lauheit ihrer Rede fühlte er das innere Erzittern heraus und frohlockte. Das gleiche Erzittern mußte jetzt auch durch das Laubversteck gehen, er meinte die Blätter davon beben zu sehen.

Es gibt Lagen, wo man etwas unternehmen muß, weil man sonst innerlich zerspringt. Und, setzte er in übermütigem Ton hinzu, das Leben ist gerade dasjenige Ding, das man nicht mehr braucht, sobald man es verloren hat.

Dann trat er näher heran und dämpfte seine Stimme, aber so daß die Lauscherin jedes Wort vernehmen mußte:

Mariannen bringen Sie mein Lebewohl. Sagen Sie ihr, daß ich so ein altmodischer Hidalgo bin, den weiße Hände nicht beleidigen. Sie hat also nichts von mir zu fürchten. Ihre Briefe liegen auf meiner Bank. Ich habe Sorge getragen, daß sie ihr jederzeit dort ausgefolgt werden. Wollen Sie mich auch Ihrem Gemahl empfehlen, gnädige Frau, ich möchte ihn nicht mehr stören. Die Bücher, die ich Ihnen brachte, bitte ich zur Erinnerung an schöne Tage zu bewahren und meiner dabei freundlich zu gedenken.

Er neigte sich über Isas Hand, küßte die Kinder, eins ums andere, und verließ mit federndem Schritt den Garten.

Als er gegangen war, kam Marianne ganz bleich aus ihrer Verborgenheit hervor. Sie spürte das Herannahen eines Unglücks, und Isas Einwände gegen das unkluge Unterfangen waren ihr viel zu farblos und unentschieden gewesen.

Welchen Weg will er denn machen? fragte sie verstört.

Ich habe ihn nicht ganz verstanden. Er sprach von einer Schutzhütte, wo er übernachten wolle.

Die Schutzhütten sind ja geschlossen, Isa.

Er werde wohl den Schlüssel bei sich haben, meinte diese.

Aber er geht doch nicht über die Scaletta? fragte Marianne.

Mir ist, er sagte dergleichen, aber ich weiß da nicht Bescheid, antwortete die Schwester, die nicht weniger bestürzt war als Marianne, nur daß es bei ihrer abgewogenen Sprechweise minder in die Erscheinung trat.

Beide Frauen riefen Marco, der in der Nähe des Hauses geblieben war.

Herr von Geier steigt soeben zu der Canalihütte hinauf, Marco. Kann er denn dahin gelangen? fragte Isa.

Das muß Er wissen, war die mürrische Antwort.

Es ist mir peinlich, Marco, sagte Marianne. Ich habe ihn beleidigt, und weil er eine Frau nicht zur Rechenschaft ziehen kann, so fürchte ich, er unternimmt in der Erregung irgend etwas, dessen Schwierigkeiten er sich nicht klar macht.

Über die Scaletta will er? Da kommt er gar nicht hinauf, sagte Marco ungläubig.

Du unterschätzest ihn, Marco; er ist gewandt und schwindelfrei.

Nun, so soll ers versuchen. Aber herunter kommt er nicht mehr.

Wieso? fragten beide erschrocken.

Weil die Tage kurz sind und die Scaletta nicht elektrisch beleuchtet ist, antwortete er mit einem Unterton von Spott. Auch taut sie bei Tage und überfriert in der Nacht.

Er will ja oben schlafen, sagte Isa.

So, brummte der Junge. Das ist was anderes.

Aber Marco, er begibt sich in Gefahr.

Kann ich ihn denn halten? entgegnete der Knabe mit finsterem Gesicht. Er wird schon umkehren, wenn er sieht, es geht nicht.

Beide Frauen hätten ihn brennend gerne gebeten für Ivo zu tun, was er für seine Stiefmutter getan hatte, aber keine fand den Mut dazu; es war auch zu viel verlangt. Und Ivo ging weiter.

Bei einem Steg, der über den Wildbach führte, gabelte sich der Weg und der Wanderer wurde über die Richtung unschlüssig. Er hatte sich die Strecke im großen Ganzen aufzeichnen lassen, aber auf diese Gabelung war dabei keine Rücksicht genommen. Nach einigem Besinnen wählte er den höhergelegenen, auf dem er nach weiterem halbstündigem Wandern einem alten Mann mit seinem Enkel begegnete, die eine Fuhre Fallholz zu Tal beförderten. Diesen fragte er, ob er recht nach der Scaletta sei. Der Mann betrachtete ihn prüfend von oben bis unten; besonders das Schuhwerk, das zwar stark besohlt und benagelt, aber von feinerer Beschaffenheit war, als es Bergstiefel zu sein pflegen, zog seine Aufmerksamkeit an. Endlich kam er zu dem Schluß: Ja, der Weg ist richtig. Ich möchte Ihnen aber doch nicht raten, heute die Scaletta zu besteigen.

Auf das Warum des Fremden antwortete er ungefähr mit den gleichen Gründen, die Marco den beiden Frauen angegeben hatte. Einen weiteren, der gegen die Fortsetzung der Wanderung sprach, behielt er bei sich, um den Fremdenverkehr nicht zu schädigen. Schließlich sagte er nur noch, daß dem Herrn da oben ein Pickel von nöten sein werde, und er reichte ihm den seinen, der mit der ganzen Führerausrüstung neben dem Holz auf der Karre lag. Der Wanderer nahm den Pickel und gab dem Mann ein Geldstück, indem er sagte:

Ich lasse ihn auf der Hütte, dort könnt Ihr ihn gelegentlich abholen lassen.

Schon gut, Her, das hat Zeit bis übers Jahr.

Ivo schritt mit Lust vorwärts, die Wut, die ihn all die letzten Tage umgetrieben hatte, der blinde Drang irgend etwas zu zerstören, und wenn's er selber wäre, ließ ab von ihm. Er genoß mit seinen verfeinerten Sinnen die Wohltat der Bergluft, die ihn wie mit zarten Fingern streichelte, und den herbsüßen Duft, den ein junger Tannenbestand ausströmte; die bewegten Sonnenkringel am Boden erschienen ihm wie tanzende Feenfüße, Rhythmen und Reime bildeten sich in ihm, die Muse ging wieder mit ihrem verzogenen Söhnchen. Zuweilen blieb er stehen und schrieb was sich ihm aufdrängte in sein Taschenbuch. Und noch etwas ging mit ihm als köstliche Würze; seine Rache an Marianne, deren Gewissensbiß, ihn soweit getrieben zu haben, spürbar um ihn war. Und Ivo gehörte zu der Gattung der verzogenen Kinder, die sich gerne einem Schaden aussetzen, wenn sie nur sicher sind, daß andere davon den Schreck und den Kummer haben.

* * *

 


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